Deutsche Gleichgültigkeit
Gedanken zur Studie Deutschland, Iran und die Bombe. Eine Entgegnung auch auf Günther Grass von Matthias Küntzel
Seit 1945 hat sich die Welt an die Vorstellung von Atomwaffen im Besitz
von säkularen oder halb-säkularen Mächten gewöhnt. Im Iran
aber sind wir mit etwas Neuem konfrontiert. Hier wird erstmals das
Zerstörungspotential der Bombe mit dem Furor des erklärten
Religionskriegs, mit Paradiesglaube und Märtyrerideologie, vereint. Es ist
diese Ankopplung an eine globale religiöse Mission, die das iranische
Atomprogramm zur gegenwärtig größten Gefahr auf dem Globus
macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine iranische Atombombe zum I. Weltkrieg
des 21. Jahrhunderts führt, ist einfach zu groß, als dass man es
darauf ankommen lassen dürfte.
Matthias Küntzel
Die Welt, es ist kein Geheimnis, sie dreht sich; die politischen
Verhältnisse sind in Bewegung: Diktatoren wurden gewaltsam gestürzt,
anderswo wird gekämpft und der tobende Bürgerkrieg neuerdings sorgsam
mit der Androhung des Einsatzes chemischer Massenvernichtungswaffen als interne
Angelegenheit umhegt, während der Westen, von
Frühlingsgefühlen erfasst, dem kaltblütig hitzigen Morden
weitestgehend zuschaut, zuschauen soll, zuschauen will. Zum interessierten
Zuschauen und gewähren lassenden Mitmachen verpflichtet scheinen in den
liberaleren Teilen der Erde auch und gerade diejenigen Menschen, welche
unmittelbar keine politische Verantwortung zu tragen haben. Vor allem in der
vermeintlich geschichtslehrengesättigten Nie-Wieder-Krieg!-BRD
sieht man sich daher leicht dem Vorwurf ausgesetzt, Bellizist und
Kriegstreiberin zu sein, wenn man nicht hinnehmbare Zustände und
humanitäre von Kriegsverbrechen und Bandenkriminalität
begleitete Dauerkatastrophen andernorts kritisiert und notfalls (!)
militärisch beendet; wenn man Menschen vor (un-)staatlicher Willkür
ernsthaft geschützt, ihr Leid gelindert, ihre Leben verbessert wissen
will. Interventionen von außen und entsprechend angestoßene
bzw. unterstützte soziale Veränderungen im Inneren bedeuten
den selbst ernannten KriegsgegnerInnen, welche von der geeinten Welt gar nicht
erst reden wollen, im Sinne ihrer abstrakt pazifistischen Ideologie jedoch nur
eines: illegitime Einmischung und mit antiamerikanischem Unterton
völkerrechtswidriges Cowboytum.
Welcher Frieden?
Dass aber die wirksame Unterstützung fortschrittlicher Opposition
traurigerweise oftmals den ziviles Leben schonenden Einsatz
militärischer Expertise und gezielter Gewalt gegen ansonsten
überlegen gerüstete Regimes notwendig werden lässt, wird mit
moralinsaurer Ignoranz und selbstgerechter Geschichtsblindheit schlichtweg
nicht zur Kenntnis genommen, mithin mehr oder weniger gekonnt im bunten
Beschwören verschiedenster Pseudo-Solidaritäten aktiv verdrängt.
Der kaum zu rationalisierende Affekt gegen den Krieg, welchen es
an sich nicht gibt, scheint sich der mühsam systematisierten
Leugnung individuellen Leidens zu verdanken, welches nur Erwähnung finden
darf, wenn Tod und Elend dem imperialistischen Aggressor anzulasten
sind. Jene sich vor den realen Gewaltverhältnissen zwar blamierende
Friedfertigkeit wird umso heftiger demonstriert, je mehr man insgeheim
zur Zementierung des Status quo beitragen will, unter dem zwar andere, aber man
selbst schon längst nicht mehr ernsthaft leidet.
Dass kaum noch politisch zu nennende Systeme in bestimmten Regionen
von innen aber nicht mehr friedlich zu reformieren und zu liberalisieren
sind, obwohl gerade die jüngeren Insassen der von Racket-Kompromissen
zäh verkitteten, aber ansonsten verknöcherten Strukturen grundlegende
und nachhaltige Transformationen im ureigensten Interesse fordern, wird
politisch korrekt ausgeblendet und verschiedentlich relativiert. Man solle sich
nicht einmischen, schallt es aus allen Lagern. Die jeweilig
herbeizitierten Völker sollten doch bitte selbst entscheiden
dürfen, wer sie in die Arbeitslager, in die Gefängnisse und
Folterkeller schicken dürfe. Und wie könne man sich eigentlich
erlauben, von der westlichen Propaganda angestachelt über das
Schicksal der Anderen bestimmen zu wollen, wenn sich doch das jeweilige
Volk bis auf wenige Ausnahmen ganz offensichtlich
im Alltagsterror der jeweiligen Diktaturen pudelwohl zu fühlen scheint?
Nicht nur Frieden droht also zusehends zum entkontextualisierten
politischen Kampfbegriff zu verkommen. Wer (militärische, rechtsstaatlich
legitimierte) Gewalt kategorisch, also unabhängig von bestimmten
Konstellationen, Kontexten und historischen Situationen zur
Verhinderung größeren, erwartbaren Unheils nicht mehr
ausschließen kann und will, wird oftmals leichtfertig als Hetzender
denunziert und im selben Atemzug zum zu bekämpfenden Friedens- oder gar
Menschheitsfeind gelabelt. Ob man denn nicht aus der Geschichte gelernt
habe, wollen die Friedensbewegten da wissen. Nie wieder! heißt
ihnen, im Zweifelsfall die Blicke wenn auch seufzend von den
(sich ankündigenden) Katastrophen abzuwenden und den Anderen, egal
wem (der Politik, dem Volk, der UNO oder höheren
Gewalten?), die Entscheidungen zu überlassen. Im Zweifelsfall könne
man doch sowieso nichts tun; und was gehe es einen denn überhaupt an? Es
ist eben so, wie es ist und wird kommen, wie es kommen wird.
Theodor W. Adorno hielt diesem Fatalismus einst folgenden Gedanken entgegen:
Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der
anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.
Er hatte damit in vielerlei Hinsicht Recht: die Verleugnung der realen
Konkurrenz-, Macht- und Gewaltverhältnisse war ihm nämlich genauso
fremd wie die selbstgefällige Ideologie des Voluntarismus, die besagt,
dass einzig der individuelle Wille ausreiche, um praktisch die
gesellschaftliche Welt zum Guten hin zu verändern. Adorno wusste, die
Ohnmacht reflektierend, um die objektiven gesellschaftlichen Hindernisse, die
der allgemeinen und individuellen Emanzipation im Wege stehen; und dass die
(gewaltsam, aktivistische) vereinseitigende Auflösung des spannungsreichen
Verhältnisses von Subjekt und Gesellschaft unvermittelt in den Untergang
des Unangepassten, mithin in die universelle Barbarei führen würde.
Auch, dass die eigene individuelle Ohnmacht oftmals nur der
gemeinschaftlich blinden Übermacht der massenhaft Unmündigen
entspringt, war ihm, dem stets um gesellschaftskritische Urteilskraft
bemühten Intellektuellen mehr als bewusst, und doch: Die Hoffnung auf das
ganz Andere, auf das Glück in der von Dummheit, Wahn und Terror befreiten
Gesellschaft scheint sich ihm im vermeintlich unscheinbaren Wörtchen
fast zu verdichten ein Platzhalter der Möglichkeit einer
Welt ohne Angst.
Das Problem heißt: Khomeinismus.
Der intensiven Kritik derjenigen Massen(mord)bewegungen, welche
die letzten Jahrzehnte verstärkt für Elend, Angst und Schrecken
sorgten, widmet sich indes Matthias Küntzel nun schon seit geraumer Zeit.
Sein Buch Djihad und Judenhass
(1) ist in dieser Hinsicht ein
unverzichtbares (man entschuldige den Begriff) Standardwerk für die
ideologiekritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Ideologien und
dem Islamismus. Während sich andere mit dem schillernden Terminus
des Islamismus begnügten, gelang es Küntzel, die ideologische
Genese der djihadistischen Vernichtungswut nachzuzeichnen und die Kritik
dahingehend zu schärfen, dass er in den letzten Jahren vor allem den
Khomeinismus ohne welchen der/die moderne djihadistische
Terror(-herrschaft) nur unzureichend kritisiert und verstanden werden kann
einer fundierten Ideologiekritik unterzog. Die detaillierte Darstellung
der Elemente der vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini
(2)
(1902-1989) initiierten Ideologie und (Vernichtungs-)Praxis findet sich vor
allem in der herausragenden Studie Die Deutschen und der Iran. Geschichte
und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft.
(3), ohne welche sich
auch die Tragweite des deutsch-iranischen Sonderverhältnisses nur
schwerlich erahnen lässt.
Unter Freunden
Seit Erscheinen des Buches, welches die erste tiefer gehende, umfang- und
quellenreiche Analyse der deutsch-iranischen bzw. -khomeinistischen
Traditionsfreundschaft (209) markiert, widmet sich Matthias Küntzel
in zahlreichen Artikeln und Vorträgen unermüdlich im Sinne des
Nicht-sich-dumm-machen-Lassens der Kritik dieser
verhängnisvollen Freundschaft. Ausgewählte, teilweise auf
seiner Homepage
(4) einsehbare, als auch neue Texte sind nun in Deutschland,
Iran und die Bombe. Eine Entgegnung auch auf Günther Grass
versammelt erschienen.
(5) Diese Textsammlung zeigt, was Regierungsbeamte,
Banker, Mittelstandsbetriebe, Linke, Grüne und Politikberater getan haben,
um Sanktionen gegen Teheran zu unterlaufen und die Wahrscheinlichkeit eines
Krieges im Nahen Osten somit zu erhöhen. (4) Überdies gibt
Küntzel zu bedenken: 2012 könnte sich im Rückblick als ein
Schlüsseljahr erweisen: Wird das einzige offen antisemitische Regime
dieser Welt die Möglichkeit erhalten, sich zur Atommacht aufzuschwingen
und den versteckten Krieg, den es seit 30 Jahren mit dem Ziel der
Auslöschung Israels führt, in einen offenen zu transformieren? Oder
werden Israel und der Westen dies noch zu verhindern wissen und falls ja: um
welchen Preis? (1)
Die Küntzelschen Fragen und Texte sind damit abermals ein ernstzunehmender
Beitrag zur Analyse der iranischen Atomkrise und ihrer bundesdeutschen
Verstrickungen, der der deutschen Politik und Öffentlichkeit welche
sich bei Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen
Untaten gegenseitig auf die Schultern klopft, aber in den seltensten
Fällen auch nur ein Wort darüber verliert, dass die sich atomar
rüstenden Revolutionsgarden im Iran von Holocaustleugnern wie Khamenei und
Ahmadinedjad unverhohlen auf die (selbst-)zerstörerische Endschlacht gegen
das zionistische Krebsgeschwür und den arroganten Westen
eingeschworen werden eindringlich ihren katastrophalen Zynismus
vorrechnet. Wie kann es sein, dass sich Mitglieder des Bundestages für
iranische Propagandatouren hergeben und ausgemachten Antisemiten lächelnd
die Hand schütteln? Wieso wird hierzulande über das Hofieren
iranischer Regimevertreter auf höchsten Ebenen weitgehend kommentarlos
hinweggegangen? Fragen, die Küntzel zu Recht stellt und deren Beantwortung
einen nur kopfschüttelnd zurücklässt.
Die offenkundige Unfähigkeit deutscher EntscheidungsträgerInnen die
Ausmaße dessen, was sich vor ihren Augen am Persischen Golf unter
djihadistischen Vorzeichen und madhistischen Reinheitsgeboten zusammenbraut,
auch nur ansatzweise wahr- und vor allem ernst zu nehmen und daraus die
Konsequenzen zu ziehen, als auch die ideologischen Kontinuitäten zu
erkennen, denen die iranische Germanophilie sich verdankt, bilden dabei die
zentralen Kritikpunkte der Küntzelschen Artikel. Dass hier nicht nur
Linke, wie der
Neues Deutschland-Chefredakteur Jürgen
Reents, sondern auch Iran-Expertinnen wie Katajun Amirpur auf dem
khomeinistischen Auge blind zu sein scheinen, macht Küntzel etwa in der
Veröffentlichung seiner Stellungnahme zu Amirpurs Rezension von Die
Deutschen und Iran klar: Es hagelte dort nämlich Verkürzungen,
Denunziationen und Lügen, welche nur auf böswillige
Realitätsverleugnung schließen lassen und nach Günther Anders
als Apokalypse-Blindheit bezeichnet werden könnten.
(6)
Apokalyptische, erlösungsantisemitische Heilserwartungen (Warum
sollte sich ein politischer Führer um die strategischen Realitäten
dieser Welt allzu viele Sorgen machen, wenn er weiß, dass schon in
Kürze der Messias kommen und die Geschicke dieser Welt übernehmen
wird? (37)) in weiten Teilen der iranischen (Militär-)Elite werden auf
vermeintliche Übersetzungsfehler
(7) reduziert und zu populistischem
Maulheldentum bagatellisiert, das Insistieren auf die reale Gefährlichkeit
des Judenhass(es) von Hitlers islamistischen Erben (226) wie es
die Schoah-Überlebende Fanny Englard ausdrückt indes, als
Alarmismus und die Forderung nach wenigstens sanktionspolitischen Konsequenzen
gleich als Kriegstrommlereien abgetan. Dabei gibt Küntzel schon Ende 2009
zu bedenken, dass die deutsche Politik der faulen Kompromisse samt der
Position der Nicht-Ausgrenzung Irans (178), welche trotz massiver
Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag, antizionistischer Hetze,
systematischer Gewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende, krampfhaft den
Dialog der nicht einmal zum Selbstgespräch taugt
beschwört und auf den Terror gegen Künstlerinnen und Intellektuelle
mit Kulturaustausch zu antworten weiß, vollends gescheitert ist
und überdies zur Verringerung des westlichen Sanktionsdrucks
beiträgt: Wenn es dabei bleibt (
), fördert Deutschland
nolens volens eben das, was es verhindern will: den Krieg. (178)
Allgemein bestimmt eine unvergleichliche Kurzsichtigkeit die Debatte um die
(deutsche) Iranpolitik so diese denn überhaupt stattfindet.
Kurzsichtigkeit herrscht hier in mehrfacher Hinsicht: Einerseits werden die
vergangenen inneriranischen Entwicklungen, jene im Atom-Konflikt und der
khomeinistische Expansionismus systematisch ausgeblendet, so, als ob der
über 30jährige asymmetrische Krieg gegen Israel und die USA, als auch
die brutale Niederschlagung der iranischen Opposition nicht stattgefunden
hätten; so, als ob der inneriranische Alltagsterror nicht unvermindert
andauern würde und die nordkoreaeske Atomdiplomatie der Khomeinisten nicht
offensichtlich wäre und es fernerhin die alarmierenden Erkenntnisse der
Internationalen Atomenergiebehörde nicht gäbe (verniedlichend, wer
hier vom Katz-und-Maus-Spiel redet
(8)), andererseits sind sich die wenigsten
tatsächlich im Klaren darüber, was eine djihadistische
Atomwaffenmacht Iran, nicht nur im schlechtesten Sinne
kurzfristig für Israel, den Nahen und Mittleren Osten, sondern mittel- und
langfristig für die ohnehin prekäre Weltlage bedeuten würde. Die
Anhänger des genozidalen, von (auto-)destruktiven Jenseitsphantasien
getriebenen Mahdismus hätten den Finger spielerisch am Overkill-Knopf,
säßen dann eben auch bei allen wichtigen globalen Entscheidungen
mit am Tisch eine Horrorvorstellung für emanzipatorische
Hoffnungen! und eben nicht nur an den vielzitierten
erdölverschmierten Ventilen der kapitalistischen Weltmärkte. Das
khomeinistische Regime bedeutet eben nicht nur Traumata und permanente
Lebensgefahr für die Freiheitsliebenden im Iran, in Syrien oder Libanon
und ist nicht nur eine ernstzunehmende existenzielle Bedrohung für
die Israelis, auch wenn sie erklärtermaßen und wie der
neueste Anschlag in Bulgarien in aller Brutalität vor Augen führt
auf den Todeslisten ganz oben stehen, sondern wird als nuklear
gerüstetes in allen weltgesellschaftlichen Sphären expansiv der
Barbarei im Namen des Revolutionsexports Tür und Tor öffnen
und den global notwendigen Entwicklungsprojekten und emanzipatorischen
Anstrengungen wie etwa denen zur Bekämpfung der
Geschlechterungerechtigkeit noch offensiver einen Riegel vorzuschieben
wissen.
Rückblick in die Zukunft
Und dass willkürlich hinter Schloss und Riegel kommt, wer der
khomeinistischen Leitkultur von Revolutionsgarden und Bassidschi ein Dorn im
Auge ist, müsste doch spätestens mit der brutalen Niederschlagung der
iranischen Opposition 2009 offensichtlich geworden sein. Im nun nochmals
veröffentlichten Text Kinder der Minenfelder veranschaulichte
Matthias Küntzel schon 2006, in wessen Geistestradition sich diejenigen
bewegen, welche ohne mit der Wimper zu zucken tausende von Oppositionellen
verschleppten, ideologiekonform folterten und bereitwillig ermordeten. Im Namen
der Islamischen Revolution, welche erklärtermaßen die
Rückkehr des schiitischen Messias der groteskerweise mitunter von
kostümierten Darstellern auf den Schlachtfeldern zum Befeuern der
Fronttruppenmoral im Kampf gegen den Irak Saddam Husseins gemimt wurde
vorbereiten soll, werden nicht nur Kinder als Minenräum- oder
Bombengürtel-Kommandos instrumentalisiert und geopfert, sondern die
Sitten seither auch feierlich und hemmungslos mit Peitschen und Galgenstricken
im Sinne des Imams verfeinert.
Welche Ausmaße der khomeinistische Djihad samt Märtyrerkult und
-bereitschaft anzunehmen droht, kommt dabei nicht nur in Aussagen, wie der des
ehemaligen oftmals als moderat gehandelten
Präsidenten Rafsanjani zum Vorschein, welcher einst knallhart vorrechnete,
dass ein atomar ausgelöschtes Israel die nach einem Gegenschlag zu
erwarteten Schahids durchaus wert sei: win-win auf gut
Khomeinistisch.
Matthias Küntzel schließt seine Analyse des
tatkräftig-terroristischen Bassidschi-Geistes mit folgenden Worten:
Unser Rückblick in die Zukunft zeigt, dass das Ungeheuerlichste als
selbstverständlich zu erwarten ist. Die iranische Kriegsführung
zwischen 1982 und 1988 liefert einen Vorgeschmack. Die putzige Wüstenshow
vom Verborgenen Imam mit bestellten Schauspielern in den Hauptrollen ist zum
Showdown zwischen einem irrlichternden Regime und der Welt eskaliert. Und der
Bassidschi, der einst mit einem Stock bewaffnet durch die Wüste lief,
arbeitet heute als Chemiker in einem Uranlabor. (33)
Aber gerade von jenen Fachkräften, die im Dienste der Revolutionsgardisten
eben nicht nur auf den Straßen iranischer Städte terroristisch
für Ruhe sorgen, sondern in Militärlaboren und verbunkerten
Lagerhallen den Nuklear-Sprengstoff für die Shahab-3-Raketen anzureichern
vermögen, will man hierzulande nichts wissen: sie seien nur ganz normale
Wissenschaftler, eben harmlose, weißbekittelte Nerds mit albernen
Schutzbrillen. Und von den Anlagen in Natanz, Ghom und Isfahan solle sowieso
schweigen, heißt es, wer vom israelischen Dimona nicht sprechen will.
Warum sollte man auch zwischen Peres, Netanjahu und Khamenei oder Ahmadinejad
differenzieren wollen? Bombe sei doch schließlich Bombe, punkt. Oder wie
es stellvertretend für die Mehrheit der Deutschen, welche Israel
für die größte Bedrohung des Weltfriedens halten Norman
Paech, der ehemalige außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der
Partei DIE LINKE ausdrückte: Was man Israel oder Pakistan
gewährt hat, kann man dem Iran nicht verweigern. (zit. n. Küntzel,
S.92)
Folgende Zeilen, nun, von denen sich nicht nur die linke Bundestagsfraktion und
jene, die der Anhängerschaft der marktradikalen Parole business
first eher unverdächtig scheinen, angesprochen fühlen sollten,
müsste sich emanzipatorische Gesellschaftskritik, die um ihre
realpolitischen Einflussmöglichkeiten und die fast unlösbare
Aufgabe weiß, spätestens jetzt zu Herzen nehmen:
Die Nonchalance gegenüber der Androhung eines neuen Genozids und die
Ablehnung jeglicher Sanktionspolitik durch die Bundestagsfraktion machen
deutlich, wie wenig die Katastrophe Auschwitz und der
Vernichtungsantisemitismus der Nazis das Bewusstsein dieser Linken in
Wirklichkeit tangiert. Sie zeugen darüber hinaus von einer ideologischen
Panzerung wider die Realität, die ihresgleichen sucht. Offenkundig hat die
eingeschliffene Gegnerschaft zu den USA und Israel die Fähigkeit
zerstört, neue Formen des Antisemitismus und die Bedrohung Israels mit
Massenvernichtungswaffen auch nur zu erkennen, geschweige denn dagegen
anzugehen. Doch gilt auch heute das Wort von Georg Steiner, der 1940 den Nazis
knapp entkam: Die Menschen sind mitschuldig an allem, was sie
gleichgültig lässt.`
Paul Sandkorn
Anmerkungen
(1) Matthias Küntzel: Djihad und Judenhaß. Über den neuen
antijüdischen Krieg. ça ira: 2002
(2) Dass sich sein Nachfolger Revolutionsführer Ayatollah Khamenei in
khomeinistischer Hinsicht als würdig erweist, zeigt nicht nur ein Blick
auf seine offiziellen Internetseiten. Vgl. dazu Paul Sandkorn:
Übersetzungsfehler? Selber Schuld! Über die
Internetpräsenz des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khamenei
in CEE IEH #174 bzw. unter URL:
http://www.conne-island.de/nf/174/19.html. Ob
mittlerweile die Ideologie und Praxis der iranischen Eliten eher als
Khameneismus bezeichnet werden müsste, ist eine durchaus
diskussionswürdige (alles andere als akademische) Frage.
(3) Meine Rezension des Buches findet sich unter dem Titel Wenn es darauf
ankommt. Über die Studie von Matthias Küntzel Die Deutschen und
der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft`
in CEE IEH #172 bzw. unter URL:
http://www.conne-island.de/nf/172/16.html.
(4) Vgl. URL:
http://www.matthiaskuentzel.de.
(5) Vgl. Matthias Küntzel: Deutschland, Iran und die Bombe: eine
Entgegnung auch auf Günther Grass. LIT Verlag Dr. W. Hopf, Berlin
(201)2. Nähere Informationen finden sich unter URL:
http://www.matthiaskuentzel.de/contents/deutschland-iran-und-die-bombe.
Folgende, nicht näher gekennzeichnete (eingeklammerte) Zahlen verweisen
auf die jeweiligen Seiten im Buch.
(6) Das aktuellste Beispiel von bestenfalls gravierendem
Realitätsverlust in der Nahostexpertise bildet dabei Michael
Lüders, dessen Studie Iran. Der falsche Krieg Wie der Westen
seine Zukunft verspielt Matthias Küntzel unter folgender URL treffsicher
auseinander nimmt:
http://www.matthiaskuentzel.de/contents/michael-lueders-und-die-reichen-new-yorkr-juden.
(7) Die Chiffre Übersetzungsfehler ist bis heute das
Allheilmittel geblieben, das zahllose aufgeklärte Köpfe von
der Zumutung befreit, die Parole von der Auslöschung Israels ernst oder
doch wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. (10)
(8) Küntzel charakterisiert die janusköpfige Sonderrolle Deutschlands
- das Lavieren in der Nuklearfrage (7) so: Hier das
Versprechen, die iranische Bombe nicht zu akzeptieren, dort der Vorsatz, auf
harte Maßnahmen gegen Teheran zu verzichten; hier der Versuch, die
Handelsbeziehungen mit Teheran möglichst intakt zu halten, dort das
Einverständnis, unvermeidbare Sanktionen zu befolgen. (Ebd) Dies alles
vor dem gar nicht oft genug zu betonendem Hintergrund, dass die BRD das Land
ist, welches (
) die EU-Ausfuhren für die Mullahs mit einem
Anteil von 30 Prozent nicht nur quantitativ prägt, sondern auch
qualitativ, da es anspruchsvollste Hightech-Produkte transferiert. Es ist das
Land, das zugleich auf eine 80-jährige Geschichte der
Technologiekooperation mit Teheran zurückblicken kann. (6) Die von
Khomeinisten maßgeblich kontrollierte iranische Wirtschaft ist in hohem
Maße von deutschen Exporten abhängig und damit allein (!) durch
effektive Sanktionsbeschlüsse des Bundestages massiv unter Druck zu
setzen. Anders ausgedrückt: Die Weigerung der deutschen Politik wirksame
Schritte gegen das Regime zu unternehmen, trägt seit Jahren, darauf weist
Matthias Küntzel an unzähligen Stellen hin, nicht nur(in-)direkt zum
Fortschritt des Atom(waffen)programms, sondern auch zur Stabilisierung der
Terrorherrschaft bei.