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Mit der fiktiven Stadt Mahagonny schuf Bertolt Brecht einen Ort voll der
Sünde und des Exzesses. So lang es den Bewohnern der Stadt nicht an Geld
mangelt, wird ihnen jede weltliche Lust befriedigt. Einmal in die Lage
gekommen, kein Geld zu besitzen, droht unweigerlich das Todesurteil. Zwar wurde
in der Berliner Bar25 niemand umgebracht, doch auch sie ist ein Symbol
für den unersättlichen Konsumenten, für den Rausch, die
Zügellosigkeit, für die niemals enden sollende Party. Dieses Bild
wird nun, beinahe zwei Jahre nach der Schließung des Clubs, durch den
Dokumentarfilm Bar25 Tage außerhalb der Zeit
transportiert.
Bar25, dein Programm geschehe!
Das Trinken von der eisigen Wodkarutsche, das Spielen mit Konfetti, das
Kostümieren, das ekstatische Im-Dreck-wälzen: das alles klingt nach
einer Mischung aus Kindergeburtstag und Woodstock. Doch bloße Party
hatten die Macher der Bar25 nicht im Sinn. Sie wollten eine verspielte
Parallelwelt an der Spree schaffen, ein Party-Eldorado mit künstlerischem
Touch, das kreativen Menschen einen Anlaufpunkt bietet. Dieses Ziel scheint die
Bar25-Kommune wie nebenbei vergnüglich durch gemeinschaftliche
Arbeitsteilung zu erreichen. Das zumindest will der Film über die ersten
sechzig Minuten Laufzeit im Stile einer Firmenpräsentation suggerieren.
Kreative Ideen und kooperative Holz- und Blechverarbeitung fernab der
kapitalistischen Wirklichkeit sind Garanten der organisierten
Realitätsflucht, die einige der Mitarbeiter des Clubs so weit treibt,
nicht mehr vor das Stahltor der Anlage gehen zu wollen. Das
24-Stunden-Taktsystem der normalen Welt scheint in der Bar25 keine Anwendung zu
finden. Die Überidentifikation mit den Geflogenheiten im Club führen
zu einer beinahe religiösen Sinnkonstruktion, die im Vater-Unser-Gebet
für die Bar25 gipfelt: Bar25 unser Himmel, ins Hirn gebrannt sei
dein Name, in deinen Eingang ich komme, dein Programm geschehe.
Die einzige Berührung, die wir hier mit der Realität haben, ist
das Wetter(1)
Genau wie der Stab des Clubs, verkennen die Macher des Films eine einfache
Wahrheit: Nur weil man die Realität ausblendet, ist sie damit nicht
verschwunden. Denn dem Anspruch eines Dokumentarfilms wird Bar25 nicht
gerecht. Der Film spart gerade bei den Fragen aus, die den alltäglichen
Clubbetrieb durch seine Zettelwirtschaft so schnöde machen: Welche
Künstler werden gebucht? Wer macht die Abrechnung des Abends? Wer
organisiert die Steuererklärung? Welcher ist der günstigste
Großmarkt? Das alles passt nicht ins Konzept eines Filmes, der sich so
dagegen sträubt, auch etwas von der Tristesse des Dauerrauschs zu
erzählen.
Doch spart der Film nur aus oder lügt er sich die Welt zurecht?
Die Bar25 als kreatives Kulturprojekt für jedermann war eine
schiere Illusion. Statt einen Gegenpol zur ungeliebten, durchkommerzialisierten
Technoszene Berlins zu bilden, ersetzte man lediglich die äußere
Form. Alteingesessene Besucher des Clubs wissen, dass die seichte
Türpolitik und die gespielte Dauerfreundlichkeit der Mitarbeiter ins Reich
der Fantasie gehören. Die Bar25 war ein normales Clubprojekt, das
sich von anderen Berliner Clubs lediglich im Engagement und der kreativen
Planung unterschied.
Da die Macher der Bar25 unmittelbar ans Schicksal ihres Clubs gebunden
waren, muss es hart gewesen sein, dass die Realität plötzlich in Form
eines gekündigten Mietvertrages an die Tür klopfte. Der
Entwicklungssplan von Mediaspree sah den Bau von Hochhäusern vor, wo sich
noch die Bar25 befand. Dieses Kapitel des Filmes, dem man die
Überschrift Gentrifizierungskritik light verpassen könnte,
bringt der eintönigen Story etwas Schwung bei und verrät nebenbei
noch etwas darüber, wes Geistes Kind ihre Akteure sind. Ähnlich einer
Großmutter, die ihr Leben so lang in zufriedener Ruhe wiegt, bis eine
Umgehungsstraße durch ihren Garten gebaut werden soll, erwacht die
Bar25 aus ihrem Rausch und beginnt sich politisch zu organisieren. Der
Versuch der Betreiber, den wichtigen kulturellen Charakter des Clubs für
Berlin herauszuheben, wirkt linkisch und ist die Bemühung, ein
Daseinsrecht zu erlangen, das über bloße Existenz als Club hinaus
weist.
Dem muss allerdings keine böse Absicht innewohnen, immerhin war das Areal
Arbeits- und Wohnort gleichermaßen. Der 10qm-Bauwagen als alternative
Mietskaserne der Macher der Bar25 symbolisiert das Widersprüchliche
einer Gesellschaft, der es an nichts fehlt: Askese und Exzess. Gleich dem
Porschefahrer, der nur noch Magerjoghurt isst, ordnen die Protagonisten ihr
Leben der Feier im Club unter. Dies ist zwar nicht ohne gesundheitliche
Risiken, aber immer noch kein Grund, das Feiern zu lassen. Die Portraitierten
haben durch ihre Arbeit das verinnerlicht, was sie ihren Gästen Abend
für Abend versuchen zu erschaffen: ein falsches Gefühl von Freiheit.
Dass die Flucht aus der Wirklichkeit auf diese Weise so schlecht gelingt, wie
der Versuch der Fusion-Organisatoren, einen 70-Ferienkommunismus(2)
zu schaffen, liegt auf der Hand. Das Reich der Reproduktion hat tausende
Gesichter und ihr Schönstes ist die Freiheit. So gut das
erlebnisgastronomische Konzept des Clubs gewesen sein mag, es befriedigte nicht
das Bedürfnis nach Freiheit, sondern die Lust auf eine andere Party, die
bezahlt werden muss wie in jedem anderen Club. Wer nicht zahlt, kommt nicht
rein.
Als Bertolt Brecht die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
schrieb, hatte er damit eine Kritik im Sinn, die ansetzt, wo Genuss zur
Ware wird und daran nur jene teilhaben, die über die finanziellen Mittel
verfügen. Käuflicher Exzess und Freiheit sind in Mahagonny ein und
dasselbe. Die Bar25 stand dem in nichts nach.
Ben Romeo Rolf