• Titelbild
• Editorial
• das erste: Selbstüberschätzung at its best
• das erste: Idealisten am Zügel der Kulturindustrie
• Dritte Wahl
• Infoveranstaltung zum Antifacamp in Dortmund
• Sleep, A Storm of Light
• Many Faces
• Leipzig lebt HipHop
• Was kostet die Welt
• Rosen für den Staatsanwalt
• Blood Red Shoes
• Mythos der Stadt
• Summerclosing Party
• teaser: Mai 2012 im Conne Island
• Editors welcome!
• sport: Flucht vor dem Boykott
• Ausstellung: Was damals Recht war
• doku: In Halle werden die Dummen nicht alle!
• review-corner buch: Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist(1)
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• neues vom: Neues
von der Straße
Idealisten müssen scheitern. Wer an den Verhältnissen rüttelt,
der läuft Gefahr, daran zu zerbrechen. Idealismus hat etwas mit
Naivität zu tun. Er verkennt die Realität oder will sie mindestens
nicht wahrhaben. Das Ist akzeptiert er nicht, das Soll kann er kaum erreichen.
Früher oder später strandet der Idealist in der Wirklichkeit
oder er unterliegt seiner eigenen Selbstaufopferung. Es sind nicht nur die
großen Helden der Weltbühne, bei denen sich dieses Prinzip
offenbart. Der Alltag holt jeden Visionär regelmäßig auf den
Boden der Tatsachen zurück.
Die moderne Kulturindustrie gehört in diesen Alltag. Sie ist ein
Widersacher des Idealisten. Die Zeiten, in denen Kunst und Musik jenseits des
tagtäglichen Arbeitsprozesses existierten und Utopie ermöglichten,
sind weitestgehend vorbei. Vielleicht haben sie immer nur in unseren
nostalgischen Vorstellungen existiert. Kultur ist heute Ware. Sie wird gekauft.
Sie dient dem Lebensunterhalt. Das gilt sowohl für Künstler und
Musiker als auch für die, die sich deren Leistungen bedienen, Veranstalter
und Clubs zum Beispiel. Das Conne Island ist Teil dieser kommerziellen
Verwertungslogik, der es sich eigentlich lieber entziehen würde. Bei allem
ehrenamtlichen Engagement bildet das Angebot von Kulturprodukten doch die
Existenzgrundlage des Projekts. Mögen die letztendlichen Gewinne noch so
knapp an der Null vorbeischrammen: Ohne Kultur kein Geld, ohne Geld kein Conne
Island. Die politischen und weltanschaulichen Maßstäbe sollen
dahinter nicht verschwinden und bestimmen die kulturelle Praxis
zumindest im Idealfall. Der Spagat bleibt eine anstrengende Übung.
Manchmal befördert er den Eindruck, dass man nicht stark genug ist. Dann
folgt die Kapitulation wie im Ringen mit den amerikanischen Hardcorern
First Blood.
Weil es in der globalen Kulturfabrik so üblich ist, kamen sie als Paket,
zusammen mit Madball und einigen anderen Bands ähnlich einem
Einkauf, bei dem der Händler dem gewählten Produkt noch fünf
weitere Proben und Werbeartikel beifügt. Niemand verlangt sie, das
Interesse daran ist folglich gering. Sie warten auf dem Boden des
Einkaufsbeutels, bis irgendetwas an ihnen Beachtung fordert. Bei First
Blood war das ein Merch-T-Shirt, das einen stilisierten Hamas-Kämpfer
zeigt. Daneben eine Auflistung von Gräueltaten der israelischen Armee an
den Palästinensern. Es war weithin der Zufall, der dem Laden das Motiv in
die Hände spielte. Ohne ihn hätte die Band diskussionslos auf der
Bühne gestanden wie manch andere, deren Weltbild womöglich
nicht mit den eigenen Idealen korrespondiert. Nur ist ein Gesinnungstest vor
jedem Konzert in einem größtenteils ehrenamtlichen Projekt
illusorisch wenn nicht sogar unangemessen, schließlich geht es in
erster Linie darum, was auf der Bühne passiert.
Ein politisch inakzeptabler Merchandise-Artikel gehört zweifellos zu dem,
was bei der Entscheidung um ein Konzert eine Rolle spielen sollte und es
letztlich auch tat. First Blood sollten sich erklären. Das Ergebnis
dessen führte in einen Sumpf aus fragwürdigen Weltanschauungen, die
in den Augen des Ladens den Hauch eines modernem Antisemitismus offenbarten.
Wer seine T-Shirts mit den Bildern eines Karikaturisten schmückt, der in
seinen Werken die Behandlung der Palästinenser regelmäßig mit
der der Juden im Holocaust vergleicht, kann sich kaum mehr nur noch als
kritisch bezeichnen. Die Absage der Band war vier Tage vor dem
angekündigten und fast ausverkauften Konzert beschlossen.
Nun wächst der Idealismus, je weiter er sich vom Problem entfernt. Tadel
und Maßregelung fallen leicht, solange man sich in privilegierter und
geschützter Position befindet. Bisher stellte normalerweise das Conne
Island die Bedingungen. Die amerikanische Hardcore-Szene brach indes mit den
gewohnten Regeln und drohte mit Boykott. Plötzlich änderte sich die
Situation: Ist die Hochachtung der eigenen Anschauungen den Verlust eines
musikalischen Genres wert? Lässt sich die Gefahr, eine Subkultur zu
vergraulen noch dazu einer, die die Entwicklung des Conne Island
maßgeblich geprägt hat mit der Absage einer politisch
zumindest strittigen Band aufwiegen? Wäre es wirklich ein weiterer Schritt
hin zum unreflektierten Kulturschuppen, wenn ein bedenkliches Konzert zwar
stattfinden darf, aber auch bei den Musikern eine Diskussion in Gang bringt,
die es sonst im Tourbus neben Gesprächen über Tough-Guy-Shit"
kaum gibt? Von außen mag das Urteilen einfach sein. Natürlich
dürfen Ideale nicht verraten werden. Aber innen verschiebt sich mit einem
Mal die Gewichtung. Unter Zeitdruck, besorgt um die Konsequenzen und mit
persönlichen Beziehungen zu den Kritikern der ersten Entscheidung, tritt
die eigene Überzeugung manchmal in den Hintergrund. First Blood
durften spielen. Das kann als Einknicken gewertet werden, aber auch als
Kompromiss zugunsten einer anderen wertvollen Sache. Auch wenn das Conne Island
sich verbiegen musste keineswegs ist damit das Ende des politischen
Anspruchs besiegelt. Der Idealismus bleibt ein täglicher,
unermüdlicher, beständiger Kampf um die allmähliche
Annäherung an das, was uns als Ideal vorschwebt."(1) Dabei kann man zeitweilig auch
verlieren.
ly