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Aktuelles Heft

INHALT #195

Titelbild
Editorial
• das erste: Selbstüberschätzung at its best
• das erste: Idealisten am Zügel der Kulturindustrie
Dritte Wahl
Infoveranstaltung zum Antifacamp in Dortmund
Sleep, A Storm of Light
„Many Faces“
Leipzig lebt HipHop
Was kostet die Welt
Rosen für den Staatsanwalt
Blood Red Shoes
Mythos der Stadt
Summerclosing Party
• teaser: Mai 2012 im Conne Island
Editors welcome!
• sport: Flucht vor dem Boykott
Ausstellung: Was damals Recht war
• doku: In Halle werden die Dummen nicht alle!
• review-corner buch: „Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist“(1)
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• neues vom: Neues… von der Straße

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Idealisten am Zügel der Kulturindustrie

First Blood, politische Ansprüche und die Dialektik des Kompromisses

Idealisten müssen scheitern. Wer an den Verhältnissen rüttelt, der läuft Gefahr, daran zu zerbrechen. Idealismus hat etwas mit Naivität zu tun. Er verkennt die Realität oder will sie mindestens nicht wahrhaben. Das Ist akzeptiert er nicht, das Soll kann er kaum erreichen. Früher oder später strandet der Idealist in der Wirklichkeit – oder er unterliegt seiner eigenen Selbstaufopferung. Es sind nicht nur die großen Helden der Weltbühne, bei denen sich dieses Prinzip offenbart. Der Alltag holt jeden Visionär regelmäßig auf den Boden der Tatsachen zurück.

Die moderne Kulturindustrie gehört in diesen Alltag. Sie ist ein Widersacher des Idealisten. Die Zeiten, in denen Kunst und Musik jenseits des tagtäglichen Arbeitsprozesses existierten und Utopie ermöglichten, sind weitestgehend vorbei. Vielleicht haben sie immer nur in unseren nostalgischen Vorstellungen existiert. Kultur ist heute Ware. Sie wird gekauft. Sie dient dem Lebensunterhalt. Das gilt sowohl für Künstler und Musiker als auch für die, die sich deren Leistungen bedienen, Veranstalter und Clubs zum Beispiel. Das Conne Island ist Teil dieser kommerziellen Verwertungslogik, der es sich eigentlich lieber entziehen würde. Bei allem ehrenamtlichen Engagement bildet das Angebot von Kulturprodukten doch die Existenzgrundlage des Projekts. Mögen die letztendlichen Gewinne noch so knapp an der Null vorbeischrammen: Ohne Kultur kein Geld, ohne Geld kein Conne Island. Die politischen und weltanschaulichen Maßstäbe sollen dahinter nicht verschwinden und bestimmen die kulturelle Praxis – zumindest im Idealfall. Der Spagat bleibt eine anstrengende Übung. Manchmal befördert er den Eindruck, dass man nicht stark genug ist. Dann folgt die Kapitulation – wie im Ringen mit den amerikanischen Hardcorern First Blood.

Weil es in der globalen Kulturfabrik so üblich ist, kamen sie als Paket, zusammen mit Madball und einigen anderen Bands – ähnlich einem Einkauf, bei dem der Händler dem gewählten Produkt noch fünf weitere Proben und Werbeartikel beifügt. Niemand verlangt sie, das Interesse daran ist folglich gering. Sie warten auf dem Boden des Einkaufsbeutels, bis irgendetwas an ihnen Beachtung fordert. Bei First Blood war das ein Merch-T-Shirt, das einen stilisierten Hamas-Kämpfer zeigt. Daneben eine Auflistung von Gräueltaten der israelischen Armee an den Palästinensern. Es war weithin der Zufall, der dem Laden das Motiv in die Hände spielte. Ohne ihn hätte die Band diskussionslos auf der Bühne gestanden – wie manch andere, deren Weltbild womöglich nicht mit den eigenen Idealen korrespondiert. Nur ist ein Gesinnungstest vor jedem Konzert in einem größtenteils ehrenamtlichen Projekt illusorisch – wenn nicht sogar unangemessen, schließlich geht es in erster Linie darum, was auf der Bühne passiert.



Ein politisch inakzeptabler Merchandise-Artikel gehört zweifellos zu dem, was bei der Entscheidung um ein Konzert eine Rolle spielen sollte und es letztlich auch tat. First Blood sollten sich erklären. Das Ergebnis dessen führte in einen Sumpf aus fragwürdigen Weltanschauungen, die in den Augen des Ladens den Hauch eines modernem Antisemitismus offenbarten. Wer seine T-Shirts mit den Bildern eines Karikaturisten schmückt, der in seinen Werken die Behandlung der Palästinenser regelmäßig mit der der Juden im Holocaust vergleicht, kann sich kaum mehr nur noch als kritisch bezeichnen. Die Absage der Band war – vier Tage vor dem angekündigten und fast ausverkauften Konzert – beschlossen.

Nun wächst der Idealismus, je weiter er sich vom Problem entfernt. Tadel und Maßregelung fallen leicht, solange man sich in privilegierter und geschützter Position befindet. Bisher stellte normalerweise das Conne Island die Bedingungen. Die amerikanische Hardcore-Szene brach indes mit den gewohnten Regeln und drohte mit Boykott. Plötzlich änderte sich die Situation: Ist die Hochachtung der eigenen Anschauungen den Verlust eines musikalischen Genres wert? Lässt sich die Gefahr, eine Subkultur zu vergraulen – noch dazu einer, die die Entwicklung des Conne Island maßgeblich geprägt hat – mit der Absage einer politisch zumindest strittigen Band aufwiegen? Wäre es wirklich ein weiterer Schritt hin zum unreflektierten Kulturschuppen, wenn ein bedenkliches Konzert zwar stattfinden darf, aber auch bei den Musikern eine Diskussion in Gang bringt, die es sonst im Tourbus neben Gesprächen über „Tough-Guy-Shit" kaum gibt? Von außen mag das Urteilen einfach sein. Natürlich dürfen Ideale nicht verraten werden. Aber innen verschiebt sich mit einem Mal die Gewichtung. Unter Zeitdruck, besorgt um die Konsequenzen und mit persönlichen Beziehungen zu den Kritikern der ersten Entscheidung, tritt die eigene Überzeugung manchmal in den Hintergrund. First Blood durften spielen. Das kann als Einknicken gewertet werden, aber auch als Kompromiss zugunsten einer anderen wertvollen Sache. Auch wenn das Conne Island sich verbiegen musste – keineswegs ist damit das Ende des politischen Anspruchs besiegelt. Der Idealismus bleibt ein „täglicher, unermüdlicher, beständiger Kampf um die allmähliche Annäherung an das, was uns als Ideal vorschwebt."(1) Dabei kann man zeitweilig auch verlieren.

ly

Anmerkungen

(1) Eduard Benesch (1884-1948), tschechoslowak. Politiker

 

01.05.2012
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
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