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von der Straße
Wer vom Kommunismus redet, darf von Realsozialismus und Stalinismus nicht
schweigen. So oder so ähnlich lautete der wohl häufigste Satz des
Sammelbandes Nie wieder Kommunismus?, den die Gruppe INEX im
Frühjahr 2012 im Unrast Verlag herausgegeben hat. In der
Formulierung vom Reden und Schweigen findet sich die ganz offensichtliche
Intention der Leipziger Initiative gegen jeden Extremismus-Begriff, sich
kritisch mit der Vergangenheit der Linken auseinanderzusetzen. Die
Antriebskraft für diese politische Fokussierung auf den historischen
Kommunismus stellt vermutlich nicht nur für die INEX eine einfache
wie komplizierte Formel dar: Positioniere dich gegen den real existierten
Sozialismus und Stalinismus, denn nur so kannst du dich eventuell positiv auf
ein kommunistisch geprägtes Utopiebild beziehen. Oder etwas weniger platt
und mit den Worten der Herausgeberinnen(2) formuliert bekommt die
Abgrenzung gegenüber Stalinismus und Realsozialismus [auf der Suche nach
einer nicht-kapitalistischen Gesellschaftsorganisation] eine neue Relevanz.
Dass diese Abgrenzung nicht nur eine symbolische, sondern eine ganz
grundsätzliche und inhaltliche sein muss, ist den Herausgebern wichtig.
Dies bedeutet auch, dass es mit einer vereinfachten Gegenüberstellung
gute Idee schlechte Umsetzung, sprich der traditionellen Linken
liebster Argumentation zum Kommunismus, nicht getan ist. Kommunismus als
utopische Beschreibung einer menschenfreundlichen Gesellschaft und Kommunismus
als real gewordener Terror sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille und
die von Linken immer wieder versuchte inhaltliche Doppelbesetzung des Begriffes
ist nichts weiter als der bequeme Versuch sich der politischen Vergangenheit zu
entledigen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Sammelband Nie wieder
Kommunismus? der Gruppe INEX also eine schwere Aufgabe zu, die da
wäre, einerseits den Realsozialismus zu kritisieren ohne dabei
andererseits in die verführerische Falle zu treten, die Kritik des
historischen Sozialismus als wild card für sozialistische
Revolutionsträumereien zu nutzen. Denn auch wenn die Kritik des real da
gewesenen Sozialismus essentiell für jede weitere Beschäftigung mit
Kommunismus ist, so kommt man damit allein noch keinen Schritt näher an
eine von Gewalt und Unterdrückung emanzipierte Gesellschaftsform. Dass die
umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit des Kommunismus nicht nur die
Aufarbeitung des Realsozialismus und Stalinismus beinhalten, sondern auch nach
Blindstellen fragen muss, die schon in den zentralen Werken Marxs (so der
Beitrag Die Politik des Kommunsimus von Christian Schmidt) sowie ebenso
in den ersten Tagen nach der Oktoberrevolution 1917 liegen, kommt aus der
Lektüre des Sammelbandes heraus.
Der gespenstische Schatten der historischen Realität
Mit ihrer Publikation folgt die INEX dem Trend der letzten Jahre, in
denen sich linksradikale Kreise wieder verstärkt kritisch mit real
existierenden sozialistischen Gesellschaftsmodellen beschäftigt haben und
dabei oft nach dem Umschlagpunkt von politischer Emanzipation in politischen
Terror gesucht haben, um unter Umständen aus den Erkenntnissen die
richtigen Schlussfolgerungen für eine mögliche
Gesellschaftsumformulierung zu ziehen. Auch hat die verstärkte
Auseinandersetzung mit DDR-Sozialismus dazu geführt, die früher von
Linken recht unkritische Bezugnahme auf Kommunismus basierend auf der bequemen
Trennung von Realsozialismus und theoretischem Kommunismus zu korrigieren.
Über die Sichtweise der traditionellen Linken, den Punkt des Umschlagens
von Befreiung in erneute Verknechtung und Unterdrückung erst mit dem
Aufkommen des Stalinismus zu verknüpfen, ist man heute hinweg. Die
Etablierung einer kommunistischen Parteidiktatur und das Zermürben der
Räte waren schon unter Lenin Teil der autokratischen Machtpolitik der
Bolschewiki. Das stellvertretende Paradebeispiel dafür ist auch im
Sammelband der INEX die gewaltsame Niederschlagung des Kronstädter
Matrosenaufstands. Lenin und Trotzki beantworteten 1921 die Forderungen der
Kronstädter Matrosen nach der Dezentralisierung der politischen Macht und
Stärkung der Räte (Alle Macht den Räten keine Macht
der Partei) mit den Waffen der Roten Armee, um die Macht der Partei zu
erhalten. Spätestens hier muss man das Scheitern des Kommunismus als
Befreiungsversprechen von Unterjochung und machtpolitischer Willkür wie
Gewalt verorten. Das Scheitern des Kommunismus wird aber auch 1917 schon
deutlich. In einem seiner Kerntexte/referate deutete dies der Blogger Daniel
Kulla mit der dialektischen Fragestellung 1917 Anfang und Ende des
Kommunismus? an. Ganz sicher wäre Kulla mit seiner historischen
Fokussierung auf das Jahr 1917, einem der Kristallisationspunkte vom Umschlagen
der Idee in Ideologie, ebenfalls ein passender Autor für den Sammelband
der INEX gewesen, was er etwas überraschend nicht ist. Dafür zeigt
das Autoren- und Autorinnenkollektiv Che Buraska mit ihrem Debattenbeitrag
In der Sackgasse anhand einer Diskussion um Nationalismus in der
Sowjetunion, dass das bolschewistische Projekt schon 1917 kein
emanzipatorisches war. Che Buraska kritisiert den immanenten Nationalismus der
bolschewikischen Vorstellung eines kommunistischen Russlands. Im Beitrag wird
gezeigt, wie wichtig vor allem auch für Lenin, auf dessen Person sich
Linke doch immer wieder gern beziehen, der Nationalismus als Antriebswelle
für die Revolution war. Lenin hatte kein Problem mit einem
nationalistischen Staatsgefüge und Herrschaft, sondern nur mit
falscher Herrschaft, die in den Händen der KapitalistInnen lag, bzw. mit
übersteigertem Nationalismus (Chauvinismus). Daran anknüpfend zieht
Che Buraska Parallelen zur heutigen Sichtweise der bürgerlichen
Gesellschaft, in der Patriotismus gut ist, Nationalismus als übersteigerte
Form dessen aber schlecht. Auch die Diskriminierung zwischen Sowjetbürger
und Ausländerin in der Sowjetunion wird von Che Buraska kritisiert
ein Umstand, der vielen deutschen Kommunisten nach 1939 das Leben kostete. Was
den Text In der Sackgasse aber zum besten des ganzen Buches macht, ist
nicht allein die gelungene inhaltliche Zusammenstellung zum Sowjetnationalismus
sondern auch der sprachliche Charakter des Beitrages. Mit einer weniger steifen
Sprache und teilweise rotzigen Formulierungen, verlassen die Autoren und
Autorinnen des Textes den Sachbuchcharakter des Sammelbandes. Diese lockere Art
und Weise der Schriftführung man könnte sie überspitzt
formuliert auch als jugendlich bezeichnen tut dem Buch definitiv gut und
bildet einen gelungen Gegenpart zu den meist sehr sachlich formulierten
weiteren Beiträgen.
Dass allerspätestens der stalinistische Terror der 30er Jahre jeglichen
Restfunken an emanzipatorischem Potential des Kommunismus erstickte, ist
unumstritten. Dennoch gibt es nach wie vor Linke, die im Großen Terror
der Ära Stalins nur einen Machtexzess sehen, oder gar Stalins
Argumentation selbst folgend,behaupten, dass der Terror als episodisches
Phänomen zur Stabilisierung und Durchsetzung des Kommunismus eine
Notwendigkeit war. Dieser Auffassung widerspricht Christoph Jünke in
seinem Buchbeitrag Schädelstätte des Sozialismus deutlich und
zeigt mit einer Mischung aus Faktendarstellung sowie deren historischer
Einordnung und Wertung, dass Terror in der stalinistischen Sowjetunion
systemimmanent und keine fehlerhafte Übergangslösung (was die Sache
ohnehin nicht besser machen würde) war.
Sozialismus heißt Maskulinisierung
Bezüglich der Geschlechterrollen wird der sozialistischen Revolution in
Russland gern eine gewisse Fortschrittlichkeit und Emanzipation angedichtet.
Und tatsächlich brachte die in der sozialistischen Theorie vorgesehene
weibliche Lohnarbeit das kleinbürgerliche und patriarchale Familienmodell
zumindest ins Wanken und mit ihm die männliche und weibliche
Rollenzuschreibung bei der Organisation der Arbeit. Auch gab es im Fahrwasser
der russischen Revolution eine gewisse liberale Stimmung, die
gleichgeschlechtliche Zuneigung und das Überteten der Geschlechtergrenzen
zuließ (besser gesagt: abhängig von der Region Russlands zumindest
nicht verfolgte und bestrafte). Beiden Punkten stimmt Bini Adamczak in ihrer
Abhandlung Hauptsache Nebenwiderspruch Geschlechtliche Emanzipation
und russische Revolution bis zu einem gewissen Punkt zu. Aber vor allem auf
die Überschreitung der Geschlechtergrenzen und das verlassen klassischer
Rollenbilder bezogen galt dies laut Adamczak nur unidirektional.
Transmännlichkeit, die Einnahme männlich geprägter
Verhaltensweisen durch Frauen, galt den Bolschewiki schon aus der
Nützlichkeit für die sozialistische Gesellschaft und das Militär
heraus als, sagen wir, tolerierbar und auch erwünscht. Transweiblichkeit
hingegen wurde als bürgerlich-dekadent und als mentale
Infektion, die zur Schwächung (weil Feminisierung) der sozialistischen
Gesellschaft führe, angesehen und abgelehnt. Daraus leitet die Autorin ab,
dass die teilweise Auflösung klassischer Rollenbilder in der Sowjetunion
nur akzeptiert war, wenn sie in Richtung Männlichkeit (definiert als
Stärke, Fortschritt und Effizienz) ging. Die Anpassung aller Menschen an
als männlich angesehene Eigenschaften war Teil der sozialistischen
Geschlechterpolitik und die Losung der Französischen Revolution Alle
Menschen werden Brüder hätte wohl wortwörtlich auch auf die
russische Revolution gepasst. Die kommunistische Gesellschaft, so das Fazit der
Autorin, war wesentlich keine Gesellschaft der Männer, sondern eine
männliche Gesellschaft, eine Gesellschaft der Männlichkeit.
Nie wieder Kommunismus?
Bildet man die Essenz aus der Diskussion um Realsozialismus, kommunistischer
Gesellschaftsutopie und der Frage nach dem Ausweg aus der kapitalistischen
Gesellschaft, so landet man wohl am Ende meist bei der Frage nach der
Bezugnahme auf den Kommunismus. Vereinfacht formuliert bleibt dabei zu
debattieren, welche Interpunktion bei der Bezugnahme auf den Kommunismus die
richtige ist. Nie wieder Kommunismus? Nie wieder Kommunismus. oder Nie wieder
Kommunismus!
Aus einer emanzipatorischen Perspektive und unter Berücksichtigung der
real gewordenen sozialistischen Bestrebungen und des Stalinismus sind
Antistalinismus und die Ablehnung der da gewesenen kommunistischen Projekte die
Grundlage jeglicher weiteren Debatte. Dass dies auch zu einer dem Kommunismus
konträren Sichtweise führen kann, die nicht reflexartig nach der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft schreit und mit McCarthy oder
Joachim Gauck nichts zu tun hat, muss dabei als legitime Möglichkeit zur
Diskussion stehen. Zu einer unaufgeregten Diskussion um die befreite
Gesellschaft gehört zum einen den Kommunismus nicht zu verteufeln, so wie
es ebenso dazu gehört eine grundsätzliche Kritik am Kommunismus nicht
zu verunmöglichen. In diesem Kontext plädiert Sebastian Tränkle
in seinem Text Arthur Koestlers Sonnenfinsternis und die Debatte um
revolutionäre Politik und Moral dafür, den Roman
Sonnenfinsternis aus seiner falschen Kronzeugenposition zu befreien. In
der klassisch linken Rezeption gilt Koestlers Buch, das die Moskauer
Schauprozesse der 30er Jahre thematisiert, als antikommunistische Propaganda
und Hirngespenst eines geläuterten Kommunisten. Tränkle aber
möchte zeigen, dass Sonnenfinsternis als eine differenzierte
literarische Auseinandersetzung mit der Ideologie des Marxismus-Leninismus und
ihren stalinistischen Auswüchsen gelesen werden kann und dass es dem
Roman weniger um eine Dämonisierung etwa der Idee des Kommunismus
als um die Suche nach einer Antwort auf die politische Frage danach [geht],
warum das Projekt der bolschewistischen Revolution im eigenen Blut erstickt
wurde. Mir gegenüber gelang dieses Vorhaben dem Autor dahingehend, dass
ich seiner nicht ausformulierten Literaturempfehlung folgen werde und
meinerseits den Beitrag Arthur Koestlers Sonnenfinsternis und die Debatte um
revolutionäre Politik und Moral zum Lesen empfehlen möchte. Der
Text von Sebastian Tränkle gehört ganz sicher zu denjenigen Texten,
die man sich nach einem kurzen Überblick über das Inhaltsverzeichnis
eines Sammelbandes als erstes zur Lektüre vornimmt und der alleine schon
im Buchladen die Entscheidung zum Erwerb beeinflussen kann.
Der Kommunismus war und ist eine Utopie. Wie schnell und derb Utopie in
Ideologie, Terror und in das Gegenteil ihrer Anspruches umschlug und umschlagen
kann, lässt sich sowohl über den ganzen Sammelband der INEX
verfolgen, oder aber kann partiell am DDR-Sozialismus nachvollzogen werden. So
zeigt Ulrike Breitensprecher im Beitrag mit der besten Überschrift des
Sammelbandes (Vom Faustkeil zum Atomkraftwerk), wie sich das
Utopie-Versprechen der DDR in Arbeitsethos und kultureller Unfreiheit
auflöste.
Die Massakrierung des Utopiebegriffes, die historische Realität und der
Terror (im Namen?) des Kommunismus lassen vielleicht den Punkt zum passenden
Satzzeichen hinter Nie wieder Kommunismus. werden. Warum dennoch auch
ein Fragezeichen hinter Kommunismus stehen kann, ist einzig und allein der
Tatsache geschuldet, dass der Kapitalismus ein Problem darstellt. Vielleicht
nicht für die meisten hier Lesenden, wohl aber für die Mehrheit der
Menschen. Die These vom Feindes-Feind und der Dualismus
Kommunismus-Kapitalismus scheinen in der Diskussion um eine bessere
Gesellschaft aber in eine Sackgasse zu führen. Über die Utopie des
ganz Anderen wird viel zu selten nachgedacht. Seien wir also realistisch wie
mutig und fordern das Unmögliche, das vielleicht das ganz Andere ist.
Bruno