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• Editorial
• das erste: Keine Solidarität mit Syrien?!
• Film: mossos d'esquadra
• Weltmusik im Conne Island?
• Goth Trad
• Marbert Rocel
• Auf, auf zum Kampf?
• Busdriver
• Los Eastos Weekend
• teaser: April 2012 im Conne Island
• review-corner buch: Kritische Theorie nach Adorno
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• Die gerechte Stadt braucht nicht nur Teer und Steine
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vom Grill
Einleitung
Seit nunmehr einem Jahr demonstrieren die Syrer gegen das Assad-Regime. Der
arabische Frühling erreichte das Land, als Mubarak in Ägypten einen
Monat vor seiner Verhaftung stand und Muammar al-Gaddafi mit Verweis auf
Israels Militäraktionen gegen Terroristen in Gaza verkündete, Libyen
bis zum letzten Blutstropfen: gegen Bewaffnete verteidigen zu
wollen.(1)
Derweil Mubarak und Gaddafi entweder im Gefängnis oder tot sind, hält
sich das Assad-Regime in Syrien beständig(2). Assad kämpft mit freier
Hand, jedweder Ressource und von den Medien weitestgehend unbehelligt gegen
seine Feinde. Der Westen konnte sich auf kein gemeinsames Vorgehen einigen; die
Nato findet keine driftigen Gründe in Syrien zu intervenieren und die UN
ist eine Gang-Veranstaltung(3), die durch die Vetos von Russland und China zu
keiner Resolution kommt.
Auffällig bedeckt halten sich auch linke Politiker und politische Gruppen,
wenn es darum geht, Position gegen Assad zu beziehen. Weshalb dies der Fall ist
und warum sich an der nichtvorhandenen Diskussion um die syrischen
Verhältnisse die Geschiedenheit der Linken zeigt, möchte dieser
Artikel umreißen.
Hoch die internationale Solidarität?
Kaum ein politischer Begriff ist häufiger strapaziert worden als der der
Solidarität. Solidarität war ein Kampfbegriff der französischen
Revolutionäre und wurde über die sozialistische Arbeiterbewegung(4) zum
Slogan für die außerparlamentarische Linke. Für sie bedeutete
der Begriff die Unterstützung der vom Kapitalismus geknechteten
Völker. So sehr der Antiamerikanismus die Linke der 60er und 70er Jahre
durchzog, so sehr wurde Israel als Spielgefährte der USA nicht nur
gegeißelt, sondern auch als vermeintlicher Schlächter an den
Palästinensern entlarvt, die den Israelis doch ihr eigenes Schicksal
wiederspiegeln sollten. Die Palästinenser wurden der Deutschen liebstes
Solidaritätsobjekt und gegen welchen Umstand man gerade auf die
Straße ging, das Palituch: als international verständliches
Solidaritäts- und Kampfsymbol durfte nicht fehlen. Die deutsche Linke
flehte geradezu darum, solidarisch sein zu dürfen. Die Palästinenser
waren der Volk gewordene Sechser im Lotto.(5) Schuldabwehr artikulierte sich nun
durch Gutmenschentum sowie Antiamerikanismus und dem Antizionismus durfte mit
Verweis auf die geknechteten Völker dieser Erde gefrönt werden. An
dieser Kontinuität änderte sich grundlegend nichts, bis Al
Qaida-Terroristen 2001 in die Türme des World Trade Centers flogen.
Während die Menschen in New York in den Tod sprangen, gab es Jubel im
Westjordanland, Süßigkeiten und Blumen wurden verteilt, die
arabischen Regierungen waren entgegen der Stimmung auf der Straße
bemüht, das Bild einer trauernden Öffentlichkeit zu kreieren.(6)
Wenigstens ein Teil der deutschen Linken begann umzudenken. Man hatte
Jahrzehnte lang aufs falsche Pferd gesetzt, nicht gewusst oder wissen wollen,
mit wem man sich assoziierte oder die Gewalt gegen amerikanische und
israelische Ziele als legitimen Teil des antiimperialistischen Kampfes
angesehen. Die Erkenntnis, dass Al-Qaida, PLO, Hamas und das Gros der deutschen
Linken ein gemeinsames Ziel verfolgten, nämlich die USA und den
zionistischen Aggressor Israel, bewirkte die Spaltung der Linken einerseits
und ein Abrücken von traditionell linken Positionen andererseits.(7)
Darüber hinaus drängte sich die Frage auf, wem gegenüber
überhaupt noch Solidarität bekundet werden kann.
Syrien. Solidarisch? Aber mit wem?
Als in Syrien die ersten Demonstrationen gegen Assad stattfanden, gingen auch
die in Leipzig lebenden Exilsyrer auf die Straße. Eine kleine Gruppe traf
sich jeden Freitag auf dem Augustusplatz, an der Nikolaikirche oder zog durch
die Leipziger Innenstadt. Von der Öffentlichkeit weithin unbeachtet,
riefen sie zur Solidarität mit dem syrischen Volk und zum Sturz des
barbarischen Assad-Regimes auf.(8)
Die Botschaft war klar und verständlich, die Symbolik abschreckend. Nicht
nur, dass die Protestierenden Palästinaflaggen als Schals und
Palitücher: trugen, sie zeigten Bilder verstümmelter Kinder und
Jugendlicher, die von Assads Truppen getötet worden sein sollen. Das tote
Kind zum Märtyrer zu stilisieren, zum Teil des Widerstandskultes zu
machen, um politische Ziele zu legitimieren, ist grausam.
Größere mediale Aufmerksamkeit bekam die Kampagne Adopt A
Revolution:(9), die durch den about.change e.V. mit Sitz in der Leipziger
Gießerstraße repräsentiert wird. Über die Website der
Organisation können Kleinspenden für unbewaffnete syrische
Protestkomitees getätigt werden. Transparenz über die Ziele der
Komitees und Bündnisse, die Adopt A Revolution: unterstützt,
bieten Verlinkungen. So gelangt man auf die Website des Netzwerk
Friedenskooperative:, das Frieden um jeden Preis fordert: Die
Friedenskooperative wendet sich entschieden gegen jede militärische
Intervention von außen und auch gegen den bewaffneten Kampf der
Free Syrian Army`, der in unseren Augen zur gewaltsamen Eskalation
beiträgt: und weiter fragt: Ist erklärte
Solidarität mit aufbegehrenden Menschen möglich, ohne direkt in einem
Boot mit US- und NATO-Interessen zu sitzen?:(10). In die gleiche Kerbe
schlägt auch das mit Adopt A Revolutio: assoziierte LLC (The Local
Coordinating Committees of Syria). Das Komitee, das sich als Teil der
Graswurzelbewegung versteht und mit den syrischen Muslimbrüdern im Syrian
National Council zusammenarbeitet, formuliert seine Ziele klar. So sehr man
sich von Assad befreien will, so sehr hat man schon den Feind im Westen und in
Israel verortet: The Syrian People does not want to substitute
authoritarian rule by submission to foreign influence. (
) It aspires to
liberate all its lands and chiefly the Golan. It aspires to continue supporting
the struggle of peoples for self-determination, and chiefly that of the
Palestinian People. As the Syrian People is revolting against its oppressive
rulers, it will not hesitate to revolt against all forms of foreign
domination.:(11) Mit dieser paranoiden Angst vor einer Fremdherrschaft aus
dem Ausland und der Androhung der Revolte gegen sie, hat das LLC schon Assads
Lüge von der externen Verschwörung: gegen den syrischen Staat
verinnerlicht.(12)
Unklar bleibt außerdem, welche Rolle Terrororganisationen wie Al-Qaida
beim Aufstand gegen Assad spielen. Unlängst stellten amerikanische
Geheimdienste eine Unterwanderung syrischer Oppositionsgruppen fest.(13) Aiman
al-Sawahiri rief zum Dschihad in Syrien auf und erklärte es zur Pflicht,
sich als Muslim gegen das Assad-Regime zu erheben.(14) Über vierzig Jahre
organisierte der Assad-Clan den Ausnahmezustand in Syrien. Fällt das
Regime, so brechen die multireligiösen und ethnischen Konflikte frei
hervor. Nutznießer könnten die radikalen syrischen Muslimbrüder
sein, was Angst bei den christlichen Gemeinden in Syrien schürt.
Dilemma
Bleibt also die Frage, wen eine aufgeklärte Linke, die nicht in den Kanon
des nationalen Befreiungskampfes einstimmen will, überhaupt
unterstützen könnte. Man wünscht sich ein schnelles Ende Assads
und seiner Anhänger, doch welcher Preis dafür gezahlt werden muss,
bleibt offen.
Indessen Teile der Partei Die Linke: immer noch zu Assad und seiner
Baath-Partei stehen(15), liebäugeln die Vertreter der Friedensbewegung
bereits mit den Feinden des Westens und die Muslimbrüder können in
Syrien nicht nur auf die Ausbreitung ihres Einflusses, sondern ihrer Ideologie
hoffen.
Vielleicht ist eine Intervention des Westens tatsächlich die einzige
Alternative zur derzeitigen Situation in Syrien und das nicht trotzdem, sondern
gerade weil sie von so vielen abgelehnt wird.
Ben Romeo Rolf