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Aktuelles Heft

INHALT #193

Titelbild
Editorial
• das erste: Antidemokratisch und borniert
Austin Lucas
We have Band
WhoMadeWho
This Will Destroy You
Backfire
Bane
Fiva I
Fiva II
Die Leipziger Meuten
Divided We Stand?!
• teaser: März 2012 im Conne Island
Veranstaltungsanzeigen
• review-corner film: „Wuchtig, emotional, authentisch“???(1)
• doku: Im Osten nichts Neues
• doku: Europäischer Aktionstag gegen den Kapitalismus
• ABC: G wie Muammar al-Gaddafi
• interview: Interview mit einem Mitglied der „Meute Reeperbahn“
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Antidemokratisch und borniert

Nicht erst seit dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ist bekannt, dass Sachsen zu den braunsten Regionen Deutschlands gehört. Morde durch Nazis hat es auch außerhalb des NSU gegeben und in den ländlichen Regionen Sachsens herrscht ganz einfach seit 20 Jahren eine rechte Hegemonie. Nur wenige Initiativen und Projekte versuchen mühevoll, eine Gegenkultur zu Nazis zu bilden. Ihre Erfolgsaussichten sind gering, besonders weil die sächsische Staatsregierung entschlossenen Antifaschismus verunmöglicht und kriminalisiert. Aus diesem Grund hat das Conne Island eine Stellungnahme zum hanebüchenen Umgang der sächsischen Staatsregierung mit Nazi-Problemen und zur zunehmenden Kriminalisierung von Antifaschismus formuliert. Kommentare und Reaktionen sind erwünscht.

Im Zuge der aufgekommenen Diskussion um einen angemessenen Umgang mit Nazis muss nun selbst das konservative Lager eingestehen, dass Nazi-Terror kein Hirngespenst linksradikaler Jugendlicher ist. Was antifaschistische Projekte sowie hier und da linke PolitikerInnen über Jahre hinweg versucht haben in den öffentlichen Diskurs zu tragen, bedurfte erst einer Mordserie von militanten Nazis. Der jahrelange psychische Terror, gewalttätige Übergriffe auf MigrantInnen und Andersdenkende sowie NS-Verharmlosung und NS-Propagierung reichten nicht aus, um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Ideologie in der Gesellschaft zu entfachen. Es brauchte dazu erst eine Mordserie, die zugleich doch auch „nur“ die Kumulation ihrer Vorstufen ist. Die Form, in der nun besonders in Sachsen die staatlichen Reaktionen auf das Bekanntwerden des NSU ausfielen, ist heuchlerisch, unangemessen und falsch.
Sachsens Innenminister Ulbig (CDU) forderte per Video-Ansprache die sächsische Bevölkerung zu mehr Mut und Zivilcourage im Kampf gegen Rechtsextremismus auf. Sein Geheimnis bleibt dabei, wen, außer ein paar liberalen GroßstädterInnen, er damit ernsthaft zu erreichen glaubt. Seine Gutgläubigkeit könnte man ihm verzeihen, wenn es bei dieser bliebe. Absolut untragbar ist hingegen das Fazit seiner Ansprache: „Antifaschismus ist nicht die richtige Antwort [auf Nazis], sondern Demokratie.“(1) Wie kann ein Innenminister, der aus dem Land der Holocaust-TäterInnen kommt, der aus dem Land kommt, in dem Hoyerswerda, Solingen, Mölln, Mügeln und Zwickau liegen, aus dem Land kommt, in welchem seit 1990 ca. 200 Menschen von Nazis ermordet wurden, einen solchen Satz herausbringen? Antifaschismus sei keine Lösung. Es gab schon PolitikerInnen, die wegen deutlich weniger dummen Sätzen Ihren Rücktritt einreichen mussten.



Und was soll eigentlich das Ausschließen von Antifaschismus und Demokratie, Herr Ulbig? Folgen Sie doch einem kleinen Exkurs in Sachen Demokratie, Sachsen und Antifaschismus, auch wenn er für Sie peinlich enden wird. Betrachtet man exemplarisch die nominierten und gekürten Vereine der vergangenen Verleihungen des Sächsischen Demokratiepreises, so ist festzustellen, dass viele Projekte und Vereine mindestens im weiteren Sinne antifaschistisch sind.(2) Warum nur werden linke und antifaschistische Projekte mit einem Demokratiepreis ausgezeichnet, wenn sie zugleich als die Demokratie bedrohend angesehen werden? Mit etwas direkteren Worten gefragt: Warum „muss“ sich die sächsische Staatsregierung die Blöße geben, antifaschistische Projekte mit einem Demokratiepreis zu küren? Ganz einfach: weil es vor allem (aber nicht nur) im Osten so gut wie keine anderen Projekte gibt, die das, was meist etwas schnörkelhaft als demokratische Kultur bezeichnet wird, leben und praktizieren. Umso absurder ist es, dass genau diese gesellschaftlichen Kräfte sich seit geraumer Zeit einem präventiven Extremismusverdacht unterziehen lassen müssen und ihr Bekenntnis zu demokratischen Werten per Unterschrift beweisen sollen. Die Vergabe staatlicher Fördergelder für Anti-Nazi-Projekte ist seit 2010 an die Unterzeichnung einer Demokratie-Erklärung (auch Extremismus-Klausel genannt) gekoppelt. Gegen die präventive Extremismus-Unterstellung seitens des Staates haben nicht nur linke Projekte protestiert. Es gibt durchaus auch JuristInnen, welche die Extremismus-Klausel als verfassungswidrig einschätzen, einige PolitikerInnen erkennen in ihr ein politisches Kampfmittel und kritische WissenschaftlerInnen fordern, das Extremismus-Konzept als Instrument zur Gesellschaftsanalyse abzuschaffen. Die sächsische Staatsregierung aber blieb bisher unbelehrbar und unterzog sich 2010 einer einmaligen und großartigen Selbstkarikatur. Nachdem sich infolge der Nichtannahme des Sächsischen Demokratiepreises durch das AkuBIZ Pirna innerhalb der Jury ein Streit um die Extremismus-Klausel entfachte, zog sich die sächsische Staatsregierung aus der Jurorenschaft zurück. Anschließend entwarf die Regierung einen eigenen Bürgerpreis, über den sie keinen Konsens z.B. mit der Freudenberg Stiftung und der Antonio-Amadeu-Stiftung finden muss. Peinlicher und bezeichnender als die Kooperation mit zwei der bekanntesten Demokratie-Initiativen Deutschlands zu kündigen, hätte sich eine Regierung kaum verhalten können, zumal es um einen Demokratiepreis ging. Immerhin ist ihr Handeln diesbezüglich ehrlich: Demokratie ist in Sachsen nicht das, was erstritten, ausgehandelt und kontrovers debattiert wird, sondern das, was per Dekret und Koalitionspapier definiert und festgehalten ist.



Mit seiner antidemokratischen Agitation steht das Land Sachsen natürlich nicht alleine da. Demokratie ist in Deutschland nach wie vor einerseits von der Autoritäts- und Staatshörigkeit seiner BürgerInnen gekennzeichnet oder aber vom Gegenteil, der gesellschaftlichen Nichtakzeptanz demokratischer Werte. Die Deutschen wurden 1945 eben nicht über Nacht DemokratInnen und demokratische Werte haben bis heute einen schweren Stand. Grundprinzipien einer offenen Gesellschaft wie Partizipation, Streitkultur, Meinungspluralismus und vor allem Menschenrechte, deren Gültigkeit sich nicht auf die deutsche Staatszugehörigkeit beschränkt, fehlt in Deutschland die gesellschaftliche Akzeptanz. Demokratie als staatliches Prinzip und eine offene Gesellschaft sind und bleiben in Deutschland verschiedene Paar Schuhe. Demokratische Werte sollten bei aller Problematisierung dennoch gegen Nazis, und wenn es sein muss auch gegen die sächsische Staatsregierung, verteidigt werden. Dabei geht es nicht darum, das Staatsprinzip Demokratie zu retten, sondern Möglichkeiten politischer Intervention und Werte wie Diskussionsfreiheit zu erhalten, da sie fundamental bedroht sind. Welche Position zur Demokratie für Linke auch die richtige sein mag, unbestritten dürfte sein, dass die in den neuen Bundesländern in der Breite fehlende demokratische Kultur eine der Ursachen für das im Osten größere Nazi-Problem ist. Aber heißt das im Umkehrschluss wirklich auch, dass mehr demokratische Kultur das Naziproblem verkleinert? Sicher nicht. Mindestens so lange nicht, wie im Bild von der „wehrhaften Demokratie“ eine gesunde politische Mitte, flankiert von extremistischen Rändern, die es zu bekämpfen gilt, vorgesehen ist.
Zwar ist Nazi-Terror ein überwiegend gesellschaftlich geächtetes Phänomen, viel wichtiger aber als blinde Betroffenheit und purer Aktionismus wäre eine breite gesellschaftliche Debatte zu rechten Einstellungsmustern. Verschiedene wissenschaftliche Studien haben wiederholt belegt, dass Antisemitismus, Rassismus, NS-Verharmlosung und Demokratiefeindlichkeit nicht auf die zahlenmäßig viel kleinere NPD-Wählerklientel begrenzt sind.(3) Nicht zuletzt zeigt dieser Umstand, dass eine Gesellschaftsanalyse auf Basis des Extremismus-Modells verkürzt ist, denn nicht auf Schubladen kommt es an, sondern auf politische Inhalte. Rechte Einstellungen nur im (militanten) Nazimilieu zu verorten ist ganz einfach falsch. Ähnlich ist auch der aktionistische Schrei nach einem NPD-Verbot zu beantworten. Sicher wäre ein NPD-Verbot eine strukturelle Schwächung von Nazis, aber eine Problemlösung steht hinter dem angestrebten Parteiverbot vermutlich nicht. Ein Verbot der NPD macht nur Sinn, wenn es sich dabei nicht um eine Ersatzhandlung für die Auseinandersetzung mit rechten Einstellungen und damit um reine Symbolpolitik handelt. Es sollte nicht darum gehen, wer der/die aktivste DemokratIn ist, sondern wie Nazis wirksam bekämpft werden können. Ein NPD-Verbot kann dabei einer der Aspekte sein. Die Stärkung der demokratischen Kultur trägt ebenfalls zu einer wirksamen Anti-Naziarbeit bei; sicher aber nur, wenn sich ihre TrägerInnen nicht einem Gesinnungs-TÜV unterziehen lassen müssen oder in vorauseilendem Gehorsam freiwillig unterziehen. Und ganz sicher nicht, wenn gesamtgesellschaftlich weiterhin in den Kategorien „saubere demokratische Mitte“ und „extremistische Ränder“ gedacht wird.
Welche Anti-Naziaktivitäten jetzt zu ergreifen sind? Eine klare Antwort darauf kann es so schnell nicht geben. Klar aber ist eines: Es braucht keine staatlich inszenierten Lichter- und Menschenketten, deren Charakter allerhöchstens punktueller Empörung gleichkommt. Solche Symbolpolitik hat in der Auseinandersetzung mit Nazis keinen Erfolg gehabt und wird diesen auch nicht erreichen. Ohnehin sollten sich staatliche Institutionen in der Diskussion um einen angemessenen Umgang mit Nazis besser zurücknehmen. Angemessen wäre eine staatliche Zurückhaltung schon alleine aus der Tatsache heraus, dass das staatliche Kontrollinstrument Verfassungsschutz (VS) mindestens grob fahrlässig zu den Morden des NSU beigetragen hat, obwohl es sein erklärtes Ziel ist, das Gegenteil zu bewirken. Kaum zu rechtfertigen ist folglich die weitere Existenz des VS, denn entweder hat der VS von den Morden gewusst oder er war zu blöd sie zu verhindern. Beides stellt die Existenz des VS infrage.
Die sächsische Staatsregierung muss jetzt die Kriminalisierung von Antifaschismus beenden. Das heißt erstens: anerkennen, dass ihr Vorgehen gegen Nazi-GegnerInnen verhältnislos ist. Und zweitens: zu erkennen, dass es unsinnig ist, Engagement gegen Nazis einzufordern und gleichzeitig zu kriminalisieren. Konsequenterweise muss auch die Extremismus-Klausel abgeschafft werden. Demokratische Werte einzunehmen und Staatstreue zu leisten, haben in unseren Augen nichts miteinander zu tun. Sollte die sächsische Staatsregierung das anders sehen und Antifaschismus weiterhin delegitimieren, wird sie die Verbraunung Sachsens unterstützen und befördern. Um das zu erkennen, braucht es wahrlich keine prophetischen Eigenschaften.

Conne Island, Februar 2012

Anmerkungen

(1) http://www.dialog.sachsen.de/ (Januar 2012)

(2) Z.B. 2007: Bündnis für Menschenwürde – gegen Rechtsextremismus im Landkreis Mittweida, 2008: Treibhaus e.V. Döbeln, Projektverein e.V. Conne Island, AJZ Bunte Platte e.V. Leipzig, 2009: Roter Stern Leipzig e.V., 2010: AkuBiZ e.V. Pirna

(3) Das ist in mehreren Langzeitstudien nachzulesen. Zum Beispiel in der Studie Deutsche Zustände, Heitmeyer (Hrsg.), 2002-2011 und zum anderen in den Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung Vom Rand zur Mitte, Decker et al., 2006 und Ein Blick in die Mitte, Decker et al., 2008.

29.02.2012
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