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Aktuelles Heft

INHALT #193

Titelbild
Editorial
• das erste: Antidemokratisch und borniert
Austin Lucas
We have Band
WhoMadeWho
This Will Destroy You
Backfire
Bane
Fiva I
Fiva II
Die Leipziger Meuten
Divided We Stand?!
• teaser: März 2012 im Conne Island
Veranstaltungsanzeigen
• review-corner film: „Wuchtig, emotional, authentisch“???(1)
• doku: Im Osten nichts Neues
• doku: Europäischer Aktionstag gegen den Kapitalismus
• ABC: G wie Muammar al-Gaddafi
• interview: Interview mit einem Mitglied der „Meute Reeperbahn“
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„Wuchtig, emotional, authentisch“???(1)

„Wir sind alle gleich. In einer Demokratie kann jeder mitbestimmen. Du, Ich, Alkoholiker, Junkies, Kinderschänder, Neger, Leute, die zu blöd sind um ihren Hauptschulabschluss zu machen. Leuten, denen dein Land einfach scheißegal ist. Mir ist mein Land nicht egal!“

Mit viel Pathos und Hass wird der neue deutsche Film Kriegerin, von Regisseur David Wnendt, eingeleitet. Während man dem Statement der Protagonistin lauscht, kreischen die Möwen, das Meer rauscht, man fühlt die frische Luft förmlich in den Kinositzen. Dann geht der große Schrecken los.

Marisa (Alina Levshin) ist Anfang 20 und hasst die Welt. Ihr Opa liegt im Krankenhaus, ihre alleinerziehende Mutter kann kein gutes Haar an ihr lassen, ihr Schlägerfreund Sandro muss in den Knast. Ihr Geld verdient sie im Supermarkt ihrer Mutter, in dem allerdings auch „Ausländer“ einkaufen, die sie einfach eklig findet. Ihre Freizeit verbringt sie am See in Gemeinschaft ihrer Nazifreunde – es wird Bier getrunken, Bong geraucht, jegliche Situation mit der Handykamera aufgenommen und ausgiebig geprollt. Marisa ist keine Mitläuferin einer politischen Richtung, sie ist aus purer Überzeugung rechts und zeigt ihre Gesinnung ohne Scheu.
An einem Sommernachmittag kommt es zu dem unglücklichen Zufall, dass die Brüder Jamil (Najebullah Ahmadi) und Rasul (Sayed Ahmed Wasit Mrowet) am selben See baden wie Marisa und ihre Gang. Als die Geschwister klug genug sind zu verschwinden, folgt ihnen Marisa und drängt sie mit ihrem Auto von der Straße ab. Die beiden liegen im Graben, bewegungslos. Die Täterin fährt davon.
Ein zweiter Strang eröffnet sich. Svenja (Jella Haase), 15 Jahre, zweitbeste Schülerin der Klasse, wird mal wieder von ihrem fiesen Stiefvater auf Zigaretten kontrolliert. Obwohl sie raucht, kann der nichts finden, denn sie weiß, wie sie alle Indizien verschwinden lassen kann. Aus jugendlichem Interesse, aber auch aus Aufbegehren, freundet sie sich mit dem Angestellten ihres Vaters an, der ebenfalls keinen Hehl aus seiner rechten Gesinnung macht und mit Marisa und ihren Schlägerfreunden verkehrt. Von heute auf morgen geht Svenja zu Nazipartys, liest Propagandamaterial, sieht sich mit Alteingesessenen verbotene Filme aus dem Dritten Reich an – und entwickelt Sympathie für die Nazi-Ideologie. Plötzlich ist sie mittendrin, bei den wilden Nazis, die radikal, wütend und aggressiv sind, und die bei Parties die eigene Wohnung in Schutt und Asche legen.
Währenddessen arbeitet es in Marisa. Was ist mit den beiden Jungen passiert, die sie von der Straße gedrängt hat? Statt beiden kommt nun nur noch einer von ihnen in den Supermarkt. Es plagt sie das schlechte Gewissen. Wo ist der ältere Bruder des Jungen, der mit im Graben lag? Warum ist der Jüngere plötzlich darauf angewiesen zu klauen? Wo, verdammt noch mal, lebt dieses Kind eigentlich? Entgegen ihrer politischen Einstellung wird ihr Interesse für den 14jährigen Rasul geweckt. Der versucht seinen Traum, nach Schweden zu kommen und bei seinem Onkel zu leben, zu verwirklichen, wofür ihm jedoch das Geld und die nötigen Kontakte fehlen. Obwohl die „Nazibraut“ auch weiterhin Nazi-Musik hört, 88- und SS-Tattoos anfertigt, mit ihrem Nazifreund schläft und ihren antisemitischen Opa vergöttert, scheint ein Band zwischen ihr und dem einsamen Rasul zu entstehen. Aus irgendeinem Grund hat Marisa das Bedürfnis, ihm zu helfen und für ihn da zu sein.
Dadurch ändert sich ihr Leben, denn plötzlich hasst sie ihre anderen Freunde. Die Identifikation mit all den Werten, die ihr bisheriges Leben geprägt haben, ist plötzlich verloren. So setzt sie alles aufs Spiel und entscheidet sich Rasul zu helfen, Schweden zu erreichen. Sie schnappt sich Svenja, zu der sie inzwischen ein schwesterliches Verhältnis hegt, und macht, mit Rasul auf dem Beifahrersitz, die Fliege Richtung Meer. Dort angekommen gelingt Rasul als blinder Passagier auf einem Schiff die Flucht aus Deutschland. Marisa schaut ihm nach, wie er davonfährt. Ihr Gesichtsausdruck wirkt befreit, zufrieden, trotzdem nachdenklich. Viel Zeit bleibt ihr jedoch nicht, den Augenblick zu genießen. Svenja telefoniert, Sandro, aus dem Gefängnis entlassen, kommt, zielt mit seiner Waffe auf Marisas Brust und zieht ab. Unter dem Pflaster des abgeklebten Hakenkreuz-Tattoos läuft Blut hervor. Marisa liegt im Sand, wendet einen letzten Blick zum Meer, denkt an ihren Opa, stirbt.
Abspann.



Im Kino ist es ganz ruhig, als der Film vorbei ist. „Warum?“ fragt man sich. Waren die letzten 106 Minuten Neuland für die meisten Beteiligten? Etwas noch nie Gesehenes, noch nie Gehörtes? Mir ist schlecht. Nicht nur weil der Film um Längen an dem vorbei geht, was die gemeinen Medien mir vorgegaukelt haben, sondern auch weil ich das Gefühl habe, eine große Mehrheit der KinobesucherInnen ist nun beruhigt, dass ihnen so etwas wie Nationalsozialismus nicht über den Weg laufen kann, geschweige denn sie ihn übersehen könnten. Laut Film ist ja schließlich ganz klar zu erkennen, wer Nazi ist und wer nicht.
Es gibt mehrere Punkte, die dem Film vorzuwerfen sind und die Kriegerin wesentlich schlechter dastehen lassen als im Stern („Schockierend gut. Schockierend aktuell.“), der Bild („Sensationell.“) oder dem ZDF Journal („Verstörend realistisch und deswegen so sehenswert.“)(2) geschehen.

David Wnendt hat lange für den Film recherchiert. Angeblich soll er zwei Jahre Teil der rechten Szene gewesen sein, um Material für sein Regiedebüt zu sammeln. Man sollte dem Regisseur nicht streitig machen, was er scheinbar in jahrelanger Arbeit gesehen, erlebt und erarbeitet hat, doch kann man ihm vorwerfen, Klischees in allen Ebenen und Szenen des Filmes verwendet zu haben.
Es fängt bei dem Grundstock, nämlich den Charakteren des Filmes, an. Die Nazis im Film sind „Asoziale“, ohne Job, mit Hass auf die ganze Welt. Sie saufen den ganzen Tag, Koksen, rauchen Bong, sitzen im Knast. Besonders eindrücklich wird dies gleich zu Anfang des Filmes dargestellt, als sich Marisa und ihre Freunde am See treffen. Die Aufnahmen, die gezeigt werden, sind plakativ. Die Menschen im Kino, größtenteils wohl studentische Gutmenschen, mit dem Anliegen sich politisch fortzubilden, denken sofort: „So bin ich nicht und so sind auch keine anderen ‚normal denkenden` Menschen. Wer hat schon Zeit, den ganzen Tag irgendwo abzuhängen und Passanten zu dissen, wer nimmt denn bitte alles mit der Handykamera auf und wer zwingt denn ein Mitglied der Gruppe dazu, eine ganze Flasche Wodka auf Ex austrinken? So was machen doch nur Kinder von der Rütli-Schule, oder vielleicht Jugendliche mit einem schlechten Elternhaus. Oder eben Nazis.“
Klischees werden fortgeführt, wenn es um das soziale Umfeld der Nazis geht. Marisas Mutter ist natürlich alleinerziehend und scheinbar überfordert mit ihrer aufbegehrenden Tochter, dabei wünscht diese sich nur Liebe. Wunderbar dargestellt wird diese Sehnsucht, als die Kamera Marisa beim Blumen gießen in Opis Zimmer einfängt oder als Marisa ihre Mutter umarmen will, sie aber weggestoßen wird. Des Weiteren hat die Mutter selber ein schlechtes Verhältnis zum eigenen Vater. Dass Sandro, Marisas Freund, einen Teil des Films über im Gefängnis sitzt, spricht ebenfalls nicht unbedingt für gesittete Verhältnisse. Um Liebe scheint es laut Wnendt bei Nazis aber eh nicht unbedingt zu gehen. Es geht eher um Sex, der immer als besonders hart und wild dargestellt ist. Das müssen wohl die Hakenkreuze sein, die, wie schon damals in American History X, beim Geschlechtsverkehr immer im Bild zu sehen sind. Auch eine Bringschuld scheint es bei den Nazis zu geben, denn Sandro schlägt Marisa kurzerhand ein paar Mal, als sie nicht mit ihm schlafen möchte. Gewohnt wird in einem Dorf, in dem es nicht mehr gibt, als den Laden von Marisas Mutter und einen Dönerstand. Trostlose Umgebung also.
Und wie sehen Nazis laut Film heutzutage aus? Marisa hat eine Renee-Frisur, ist zugehackt von oben bis unten und plant ein Tattoo von Adolf Hitler auf ihrer Schulter. Es werden Springerstiefel und Bomberjacken getragen, Komparsen im Hintergrund entsprechen meist dem Stereotyp des Ostdeutschen.

Vermutlich hat Wnendt solche Menschen getroffen, als er durch die Dörfer im Osten gereist ist und vermutlich ist das Leben einiger Nazis identisch mit Marisas und dem ihrer Freunde. Aber Wnendt erzwingt eine Assoziation von „asozial“ mit Nazi-Sein, die die durchschnittlichen KinobesucherInnen in die Position außenstehender BetrachterInnen bringt und nicht in die von Beteiligten. Er lässt den Gedanken aufkommen, dass diese Menschen nur der rechten Gesinnung nachgehen, weil es ihnen schlecht geht und sie wenig intelligent sind, es also eine Ursache für ihr Handeln gibt. Die Zuschreibung einer Opferrolle liefert eine allzu einfache Erklärung und im schlimmsten Fall sogar Verständnis für jene Nazis.
Nun wollte der Regisseur aber ja vor allem ein Film über die Rolle der Frau in der Naziszene drehen und zeigen, dass weibliche Mitglieder ebenso radikal, gewalttätig und hemmungslos sein können wie männliche. Bis auf die Tatsache, dass die Protagonistin weiblich ist und bis auf ein paar vereinzelte Szenen, in denen man Marisa als Frau und nicht einfach als Nazi wahrnimmt, hat der Film wenig zu diesem Thema beigetragen. Wnendt jedoch scheint darauf hinweisen zu wollen, dass Frauen, egal wie radikal, doch zu gefühlsduselig sind, als dass sie Menschen in Not, Deutschen wie Afghanen, nicht helfend zur Seite stehen würden.
Zumindest hat der Regisseur aber die richtige Schauspielerin gefunden, denn lässt man die politischen Aspekte des Filmes außer Acht und betrachtet die emotionalen Konflikte der Hauptdarstellerin, kann man durchaus ergriffen sein. Die Zweifel an sich selbst, ihrem bisherigen Leben und gegenüber ihren Freunden und das plötzliche Bedürfnis einem Migranten zu helfen, können die ZuschauerInnen fast nachempfinden. Dies liegt jedoch nicht an außerordentlich guter Regiearbeit, sondern an der überzeugenden Schauspielleistung Alina Levshins.



So muss nach Betrachten aller Klischees im Film und aller Aspekte, die durch Abwesenheit geglänzt haben, festgehalten werden: Der Film ist nicht aktuell. Wnendt zeigt nichts, was wichtig für eine zeitgemäße Debatte über Nazis ist. Der Film reproduziert Nazis als eine Randgruppe der Gesellschaft. Eine Gruppe, die in ihrer eigenen Welt lebt und MigrantInnen verprügelt. Eine Gruppe, die Gründe dafür hat, dass sie so denkt wie sie denkt. Eine Randgruppe, die keinen Job bekommt und sich in der Gesellschaft nicht integrieren kann. Eine Gruppe, die keine Schuld dafür trägt, dass sie Menschen hasst. Vor allem reproduziert er das Bild einer Gruppe, die nichts mit dem Großteil der deutschen Gesellschaft zu tun hat. Leider sieht die Realität anders aus.
Rechtsradikale sind Teil Gesellschaft, haben beruflich angesehene Positionen, sind studiert, wissen zu argumentieren, ziehen Kinder „wohlbehütet“ groß, gründen Bürgerinitativen, sind als Bekannte akzeptiert und respektiert. Würde der Film diese Tatsache darstellen, könnten sich die KinobesucherInnen nicht entspannt zurücklehnen und das Unterhaltungsprogramm genießen, sondern müssten sich selbst damit konfrontieren, dass Nazis nicht nur in wilden Banden in kleinen Kaffs Unruhe stiften, sondern auch in Leipzig, Hamburg oder Berlin leben und agieren.
Warum waren die meisten KinobesucherInnen nach Ende des Filmes also so ruhig? Waren sie sich klar darüber, dass es noch mehr gibt als nur rohe Gewalt? Oder waren sie betroffen von den Bildern und gleichzeitig erleichtert mit solchen Menschen nichts zu tun zu haben?

Liest man Interviews und Erklärungen des Regisseurs zum Film, kann man durchaus enttäuscht sein. Nicht vom Film an sich, sondern von David Wnendt, der sich scheinbar so viel Mühe gegeben hat zu recherchieren, so viele wichtige Dinge gesehen und verstanden hat, aber am Ende den falschen Film gedreht hat. Wenn auch leicht wirr und teilweise widersprüchlich, beschreibt er in seiner Motivation zum Film, was zum einen sein Anspruch an Kriegerin ist, und wie, zum anderen, der Film nicht sein soll:

„[…] Er soll Stellung beziehen, ohne auf Klischees zurückzugreifen. Er soll provozieren und unterhalten, ohne nach billigen Effekten zu haschen. […] Der Film gibt keine abschließenden, einfachen Antworten. Er beleuchtet aber für den Rechtsextremismus ursächlichen Faktoren und macht klar, dass es nicht um ein Jugendphänomen geht, sondern dass rechte Tendenzen ein Problem sind, das weit in alle Gesellschafts- und Altersschichten vorgedrungen ist. […] Der Film hat eine eindeutige Haltung. Er zeigt wie perspektivlos die rechte Ideologie ist.“(3)

Leider schafft Wnendt es nicht, seinem eigenen Anspruch an den Film gerecht zu werden. Selbst in den allerletzten Atemzügen des Filmes, nämlich dem letzten Satz vor dem Abspann, greift der Regisseur plakativ auf die von ihm abgelehnten Klischees zurück. Lediglich die Klassenbeste, die intelligente Svenja bekommt, anders als all die anderen Nazis, am Ende doch noch scheinbar die Kurve und stellt fest: „Demokratie ist das Beste, was wir je auf deutschem Boden hatten.“. „Deutscher Boden“ ? – Alles klar!

Der Film ist vielleicht wuchtig und emotional, authentisch ist an Kriegerin einfach nichts. Spart euch das Kinogeld – definitiv kein sehenswerter Film.

Der Dachs

Anmerkungen

(1) Oliver Hüttmann – Rolling Stone

(2) http://www.kriegerin-film.de

(3) David Wnendt auf http://www.kriegerin-film.de

29.02.2012
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