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Wir sind alle gleich. In einer Demokratie kann jeder mitbestimmen. Du, Ich,
Alkoholiker, Junkies, Kinderschänder, Neger, Leute, die zu blöd sind
um ihren Hauptschulabschluss zu machen. Leuten, denen dein Land einfach
scheißegal ist. Mir ist mein Land nicht egal!
Mit viel Pathos und Hass wird der neue deutsche Film Kriegerin, von
Regisseur David Wnendt, eingeleitet. Während man dem Statement der
Protagonistin lauscht, kreischen die Möwen, das Meer rauscht, man
fühlt die frische Luft förmlich in den Kinositzen. Dann geht der
große Schrecken los.
Marisa (Alina Levshin) ist Anfang 20 und hasst die Welt. Ihr Opa liegt im
Krankenhaus, ihre alleinerziehende Mutter kann kein gutes Haar an ihr lassen,
ihr Schlägerfreund Sandro muss in den Knast. Ihr Geld verdient sie im
Supermarkt ihrer Mutter, in dem allerdings auch Ausländer
einkaufen, die sie einfach eklig findet. Ihre Freizeit verbringt sie am See in
Gemeinschaft ihrer Nazifreunde es wird Bier getrunken, Bong geraucht,
jegliche Situation mit der Handykamera aufgenommen und ausgiebig geprollt.
Marisa ist keine Mitläuferin einer politischen Richtung, sie ist aus purer
Überzeugung rechts und zeigt ihre Gesinnung ohne Scheu.
An einem Sommernachmittag kommt es zu dem unglücklichen Zufall, dass die
Brüder Jamil (Najebullah Ahmadi) und Rasul (Sayed Ahmed Wasit Mrowet) am
selben See baden wie Marisa und ihre Gang. Als die Geschwister klug genug sind
zu verschwinden, folgt ihnen Marisa und drängt sie mit ihrem Auto von der
Straße ab. Die beiden liegen im Graben, bewegungslos. Die Täterin
fährt davon.
Ein zweiter Strang eröffnet sich. Svenja (Jella Haase), 15 Jahre,
zweitbeste Schülerin der Klasse, wird mal wieder von ihrem fiesen
Stiefvater auf Zigaretten kontrolliert. Obwohl sie raucht, kann der nichts
finden, denn sie weiß, wie sie alle Indizien verschwinden lassen kann.
Aus jugendlichem Interesse, aber auch aus Aufbegehren, freundet sie sich mit
dem Angestellten ihres Vaters an, der ebenfalls keinen Hehl aus seiner rechten
Gesinnung macht und mit Marisa und ihren Schlägerfreunden verkehrt. Von
heute auf morgen geht Svenja zu Nazipartys, liest Propagandamaterial, sieht
sich mit Alteingesessenen verbotene Filme aus dem Dritten Reich an und
entwickelt Sympathie für die Nazi-Ideologie. Plötzlich ist sie
mittendrin, bei den wilden Nazis, die radikal, wütend und aggressiv sind,
und die bei Parties die eigene Wohnung in Schutt und Asche legen.
Währenddessen arbeitet es in Marisa. Was ist mit den beiden Jungen
passiert, die sie von der Straße gedrängt hat? Statt beiden kommt
nun nur noch einer von ihnen in den Supermarkt. Es plagt sie das schlechte
Gewissen. Wo ist der ältere Bruder des Jungen, der mit im Graben lag?
Warum ist der Jüngere plötzlich darauf angewiesen zu klauen? Wo,
verdammt noch mal, lebt dieses Kind eigentlich? Entgegen ihrer politischen
Einstellung wird ihr Interesse für den 14jährigen Rasul geweckt. Der
versucht seinen Traum, nach Schweden zu kommen und bei seinem Onkel zu leben,
zu verwirklichen, wofür ihm jedoch das Geld und die nötigen Kontakte
fehlen. Obwohl die Nazibraut auch weiterhin Nazi-Musik hört, 88-
und SS-Tattoos anfertigt, mit ihrem Nazifreund schläft und ihren
antisemitischen Opa vergöttert, scheint ein Band zwischen ihr und dem
einsamen Rasul zu entstehen. Aus irgendeinem Grund hat Marisa das
Bedürfnis, ihm zu helfen und für ihn da zu sein.
Dadurch ändert sich ihr Leben, denn plötzlich hasst sie ihre anderen
Freunde. Die Identifikation mit all den Werten, die ihr bisheriges Leben
geprägt haben, ist plötzlich verloren. So setzt sie alles aufs Spiel
und entscheidet sich Rasul zu helfen, Schweden zu erreichen. Sie schnappt sich
Svenja, zu der sie inzwischen ein schwesterliches Verhältnis hegt, und
macht, mit Rasul auf dem Beifahrersitz, die Fliege Richtung Meer. Dort
angekommen gelingt Rasul als blinder Passagier auf einem Schiff die Flucht aus
Deutschland. Marisa schaut ihm nach, wie er davonfährt. Ihr
Gesichtsausdruck wirkt befreit, zufrieden, trotzdem nachdenklich. Viel Zeit
bleibt ihr jedoch nicht, den Augenblick zu genießen. Svenja telefoniert,
Sandro, aus dem Gefängnis entlassen, kommt, zielt mit seiner Waffe auf
Marisas Brust und zieht ab. Unter dem Pflaster des abgeklebten
Hakenkreuz-Tattoos läuft Blut hervor. Marisa liegt im Sand, wendet einen
letzten Blick zum Meer, denkt an ihren Opa, stirbt.
Abspann.
Im Kino ist es ganz ruhig, als der Film vorbei ist. Warum? fragt man
sich. Waren die letzten 106 Minuten Neuland für die meisten Beteiligten?
Etwas noch nie Gesehenes, noch nie Gehörtes? Mir ist schlecht. Nicht nur
weil der Film um Längen an dem vorbei geht, was die gemeinen Medien mir
vorgegaukelt haben, sondern auch weil ich das Gefühl habe, eine
große Mehrheit der KinobesucherInnen ist nun beruhigt, dass ihnen so
etwas wie Nationalsozialismus nicht über den Weg laufen kann, geschweige
denn sie ihn übersehen könnten. Laut Film ist ja schließlich
ganz klar zu erkennen, wer Nazi ist und wer nicht.
Es gibt mehrere Punkte, die dem Film vorzuwerfen sind und die Kriegerin
wesentlich schlechter dastehen lassen als im Stern (Schockierend
gut. Schockierend aktuell.), der Bild (Sensationell.) oder dem
ZDF Journal (Verstörend realistisch und deswegen so
sehenswert.)(2) geschehen.
David Wnendt hat lange für den Film recherchiert. Angeblich soll er zwei
Jahre Teil der rechten Szene gewesen sein, um Material für sein
Regiedebüt zu sammeln. Man sollte dem Regisseur nicht streitig machen, was
er scheinbar in jahrelanger Arbeit gesehen, erlebt und erarbeitet hat, doch
kann man ihm vorwerfen, Klischees in allen Ebenen und Szenen des Filmes
verwendet zu haben.
Es fängt bei dem Grundstock, nämlich den Charakteren des Filmes, an.
Die Nazis im Film sind Asoziale, ohne Job, mit Hass auf die ganze Welt.
Sie saufen den ganzen Tag, Koksen, rauchen Bong, sitzen im Knast. Besonders
eindrücklich wird dies gleich zu Anfang des Filmes dargestellt, als sich
Marisa und ihre Freunde am See treffen. Die Aufnahmen, die gezeigt werden, sind
plakativ. Die Menschen im Kino, größtenteils wohl studentische
Gutmenschen, mit dem Anliegen sich politisch fortzubilden, denken sofort:
So bin ich nicht und so sind auch keine anderen normal denkenden`
Menschen. Wer hat schon Zeit, den ganzen Tag irgendwo abzuhängen und
Passanten zu dissen, wer nimmt denn bitte alles mit der Handykamera auf und wer
zwingt denn ein Mitglied der Gruppe dazu, eine ganze Flasche Wodka auf Ex
austrinken? So was machen doch nur Kinder von der Rütli-Schule, oder
vielleicht Jugendliche mit einem schlechten Elternhaus. Oder eben Nazis.
Klischees werden fortgeführt, wenn es um das soziale Umfeld der Nazis
geht. Marisas Mutter ist natürlich alleinerziehend und scheinbar
überfordert mit ihrer aufbegehrenden Tochter, dabei wünscht diese
sich nur Liebe. Wunderbar dargestellt wird diese Sehnsucht, als die Kamera
Marisa beim Blumen gießen in Opis Zimmer einfängt oder als Marisa
ihre Mutter umarmen will, sie aber weggestoßen wird. Des Weiteren hat die
Mutter selber ein schlechtes Verhältnis zum eigenen Vater. Dass Sandro,
Marisas Freund, einen Teil des Films über im Gefängnis sitzt, spricht
ebenfalls nicht unbedingt für gesittete Verhältnisse. Um Liebe
scheint es laut Wnendt bei Nazis aber eh nicht unbedingt zu gehen. Es geht eher
um Sex, der immer als besonders hart und wild dargestellt ist. Das müssen
wohl die Hakenkreuze sein, die, wie schon damals in American History X,
beim Geschlechtsverkehr immer im Bild zu sehen sind. Auch eine Bringschuld
scheint es bei den Nazis zu geben, denn Sandro schlägt Marisa kurzerhand
ein paar Mal, als sie nicht mit ihm schlafen möchte. Gewohnt wird in einem
Dorf, in dem es nicht mehr gibt, als den Laden von Marisas Mutter und einen
Dönerstand. Trostlose Umgebung also.
Und wie sehen Nazis laut Film heutzutage aus? Marisa hat eine Renee-Frisur, ist
zugehackt von oben bis unten und plant ein Tattoo von Adolf Hitler auf ihrer
Schulter. Es werden Springerstiefel und Bomberjacken getragen, Komparsen im
Hintergrund entsprechen meist dem Stereotyp des Ostdeutschen.
Vermutlich hat Wnendt solche Menschen getroffen, als er durch die Dörfer
im Osten gereist ist und vermutlich ist das Leben einiger Nazis identisch mit
Marisas und dem ihrer Freunde. Aber Wnendt erzwingt eine Assoziation von
asozial mit Nazi-Sein, die die durchschnittlichen KinobesucherInnen in
die Position außenstehender BetrachterInnen bringt und nicht in die von
Beteiligten. Er lässt den Gedanken aufkommen, dass diese Menschen nur der
rechten Gesinnung nachgehen, weil es ihnen schlecht geht und sie wenig
intelligent sind, es also eine Ursache für ihr Handeln gibt. Die
Zuschreibung einer Opferrolle liefert eine allzu einfache Erklärung und im
schlimmsten Fall sogar Verständnis für jene Nazis.
Nun wollte der Regisseur aber ja vor allem ein Film über die Rolle der
Frau in der Naziszene drehen und zeigen, dass weibliche Mitglieder ebenso
radikal, gewalttätig und hemmungslos sein können wie männliche.
Bis auf die Tatsache, dass die Protagonistin weiblich ist und bis auf ein paar
vereinzelte Szenen, in denen man Marisa als Frau und nicht einfach als Nazi
wahrnimmt, hat der Film wenig zu diesem Thema beigetragen. Wnendt jedoch
scheint darauf hinweisen zu wollen, dass Frauen, egal wie radikal, doch zu
gefühlsduselig sind, als dass sie Menschen in Not, Deutschen wie Afghanen,
nicht helfend zur Seite stehen würden.
Zumindest hat der Regisseur aber die richtige Schauspielerin gefunden, denn
lässt man die politischen Aspekte des Filmes außer Acht und
betrachtet die emotionalen Konflikte der Hauptdarstellerin, kann man durchaus
ergriffen sein. Die Zweifel an sich selbst, ihrem bisherigen Leben und
gegenüber ihren Freunden und das plötzliche Bedürfnis einem
Migranten zu helfen, können die ZuschauerInnen fast nachempfinden. Dies
liegt jedoch nicht an außerordentlich guter Regiearbeit, sondern an der
überzeugenden Schauspielleistung Alina Levshins.
So muss nach Betrachten aller Klischees im Film und aller Aspekte, die durch
Abwesenheit geglänzt haben, festgehalten werden: Der Film ist nicht
aktuell. Wnendt zeigt nichts, was wichtig für eine zeitgemäße
Debatte über Nazis ist. Der Film reproduziert Nazis als eine Randgruppe
der Gesellschaft. Eine Gruppe, die in ihrer eigenen Welt lebt und MigrantInnen
verprügelt. Eine Gruppe, die Gründe dafür hat, dass sie so denkt
wie sie denkt. Eine Randgruppe, die keinen Job bekommt und sich in der
Gesellschaft nicht integrieren kann. Eine Gruppe, die keine Schuld dafür
trägt, dass sie Menschen hasst. Vor allem reproduziert er das Bild einer
Gruppe, die nichts mit dem Großteil der deutschen Gesellschaft zu tun
hat. Leider sieht die Realität anders aus.
Rechtsradikale sind Teil Gesellschaft, haben beruflich angesehene Positionen,
sind studiert, wissen zu argumentieren, ziehen Kinder wohlbehütet
groß, gründen Bürgerinitativen, sind als Bekannte akzeptiert
und respektiert. Würde der Film diese Tatsache darstellen, könnten
sich die KinobesucherInnen nicht entspannt zurücklehnen und das
Unterhaltungsprogramm genießen, sondern müssten sich selbst damit
konfrontieren, dass Nazis nicht nur in wilden Banden in kleinen Kaffs Unruhe
stiften, sondern auch in Leipzig, Hamburg oder Berlin leben und agieren.
Warum waren die meisten KinobesucherInnen nach Ende des Filmes also so ruhig?
Waren sie sich klar darüber, dass es noch mehr gibt als nur rohe Gewalt?
Oder waren sie betroffen von den Bildern und gleichzeitig erleichtert mit
solchen Menschen nichts zu tun zu haben?
Liest man Interviews und Erklärungen des Regisseurs zum Film, kann man
durchaus enttäuscht sein. Nicht vom Film an sich, sondern von David
Wnendt, der sich scheinbar so viel Mühe gegeben hat zu recherchieren, so
viele wichtige Dinge gesehen und verstanden hat, aber am Ende den falschen Film
gedreht hat. Wenn auch leicht wirr und teilweise widersprüchlich,
beschreibt er in seiner Motivation zum Film, was zum einen sein Anspruch an
Kriegerin ist, und wie, zum anderen, der Film nicht sein soll:
[
] Er soll Stellung beziehen, ohne auf Klischees
zurückzugreifen. Er soll provozieren und unterhalten, ohne nach billigen
Effekten zu haschen. [
] Der Film gibt keine abschließenden,
einfachen Antworten. Er beleuchtet aber für den Rechtsextremismus
ursächlichen Faktoren und macht klar, dass es nicht um ein
Jugendphänomen geht, sondern dass rechte Tendenzen ein Problem sind, das
weit in alle Gesellschafts- und Altersschichten vorgedrungen ist. [
] Der
Film hat eine eindeutige Haltung. Er zeigt wie perspektivlos die rechte
Ideologie ist.(3)
Leider schafft Wnendt es nicht, seinem eigenen Anspruch an den Film gerecht zu
werden. Selbst in den allerletzten Atemzügen des Filmes, nämlich dem
letzten Satz vor dem Abspann, greift der Regisseur plakativ auf die von ihm
abgelehnten Klischees zurück. Lediglich die Klassenbeste, die intelligente
Svenja bekommt, anders als all die anderen Nazis, am Ende doch noch scheinbar
die Kurve und stellt fest: Demokratie ist das Beste, was wir je auf
deutschem Boden hatten.. Deutscher Boden ? Alles klar!
Der Film ist vielleicht wuchtig und emotional, authentisch ist an
Kriegerin einfach nichts. Spart euch das Kinogeld definitiv kein
sehenswerter Film.
Der Dachs