20 YRS I
Der Verfasser der folgenden Zeilen hatte sich im Alter von 35 geschworen, nie
wieder für das CEE IEH zu schreiben, mit 25, keine Konzerte mehr zu
besuchen, mit 15, ab sofort an keinen weiteren Geburtstagsfeiern teilzunehmen
(nicht mal an den eigenen) und mit fünf, dem Alkohol abzuschwören.
Doch dann wurde das Conne Island 20 Jahre alt und er schlug all seine
Vorsätze in den Wind. Er nahm an der einmonatigen Feier zu Ehren des
Projekts, wo er so lange Unterschlupf gefunden hatte, teil. Besuchte gar ein
Konzert (nämlich das schönste, es ward vielversprechend mit 20
Jahre schöne Musik angekündigt worden). Trank dort, so schien es
Sitte zu sein, Cider. Und glaubte danach genug gehört, gesehen und erlebt
zu haben, um diesen Bericht niederzuschreiben.
Conne Island-Geburtstage sind an sich nichts Besonderes. 10 und 15 Jahre Conne
Island wurden immerhin schon zelebriert. Aber diesmal war es eine besondere
Feier. Eigentlich verbieten sich für den Autoren direkte Vergleiche, denn
natürlich hatte er vor fünf und zehn Jahren durch Abwesenheit
geglänzt. Wenn er sich jedoch auf die schriftlichen Quellen verlassen
kann, ergibt sich folgendes Bild:
- 10 Jahre Conne Island = zwei inhaltliche Texte im CEE IEH und zwei
Konzerte an einem Wochenende (u.a. mit Torch und Rocko S.), 200 zahlende
Gäste.(1)
- 15 Jahre Conne Island = eine Broschüre mit zehn Texten sowie zehn
Veranstaltungen in einer ganzen Woche (schon wieder mit Rocko S.), 10x10x10
BesucherInnen im Schnitt.(2)
- 20 Jahre Conne Island = ein Buch mit 300 Seiten, drei Ausstellungen und
fast drei Monate lang Festprogramm mit 30 Veranstaltungen (diesmal wieder mit
Torch, was aber war mit Rocko S. nur los? Ach so, der war krank, schickte aber
eine Videobotschaft)(3), was aber alles nichts ist im Vergleich zu den 3
Millionen Gästen in diesem Jahr, u.a. aus Döbeln, Karlsruhe,
Zürich und Peking (der Wahrheit zuliebe sei angemerkt, dass der Autor hier
die asiatische Marienkäferplage hinzurechnet, die an den sonnigen
Herbsttagen in Leipzig nichts mehr liebte als die neue rote Fassade des Conne
Island-Vorderhauses, die wiederum andere sich schwarz-rote gebende Wesen so in
Rage brachte, dass .... aber das ist eine andere Geschichte).
Viel wichtiger als die Statistik ist jedoch der Ausschlag beim
Stimmungsbarometer auf der Party. Und die verzehrten Kalorien am Buffet. Die
Lautstärke der Musik. Der Umfang des Drogenkonsums. Der Flirtfaktor. Die
Lachquote. Die Facebook-Einträge und SMS am Morgen danach. Und da haben
die Jahre 2001 und 2006 nicht viel zu bieten auch hier stützt sich
der Erzähler auf alte Archivfunde, die behaupten damals sei der Geburtstag
recht lustlos und nur aus Pflichtgefühl heraus begangen worden. Und das
Publikum habe auch gemerkt, dass die Luft im Conne Island ein wenig raus sei.
(4)
Und Facebook und die richtig guten Drogen gab es damals natürlich auch
noch nicht.
Wie kam es also zum diesjährigen Erfolg? Da hilft ein Blick hinter die
Kulisse: Die Vorbereitungen für 20 YRS begannen über ein Jahr im
Voraus. Es wurden diverse Finanzanträge gestellt und am Ende davon mehr
bewilligt, als man sich je erträumt hätte. Es konnte gar eine
bezahlte Stelle zur Koordination all der geplanten Aktivitäten für
ein Jahr geschaffen werden. Beim ersten Treffen für das Buch waren mehr
Menschen anwesend als bei manchem Montagsplenum. Die Motivation war hoch. Es
gab auch Zwischentiefs, so wurde die Gala bereits im Sommer mangels Beteiligung
zu Grabe getragen, um dann doch noch am 1. Oktober als beste Veranstaltung des
gesamten Festmonats über die Bühne zu gehen (wer hier meint:
beste Veranstaltung sei aber eine ziemlich subjektive und ungerechte
Einschätzung, möge bedenken, dass der Autor ja kaum weitere
Veranstaltungen besucht hat). Klar, dass bestimmte Projekte mal hinten runter
fallen, wenn einige Personen bei vier verschiedenen Vorbereitungskreisen
involviert sind und der Tag im Conne Island laut Comicstrip in der Festschrift
auch nur 24 Stunden hat. Einige der angekündigten Projekte harren deswegen
bis heute noch ihrer Verwirklichung. Wahrscheinlich werden sie euch dann im
Festjahr zum 25. Geburtstag präsentiert.
Am meisten Angst hatten alle wegen der sich in die Länge ziehenden
Sanierung des Vorderhauses. Geplant war die Fertigstellung bis Anfang Juni. Im
Oktober wurde immer noch eifrig gebaut. Und selbst jetzt ist nicht alles
fertig. Trotzdem konnte am 08.09.2011 das Café und die Ausstellung im
Vorderhaus feierlich eröffnet werden und im Saal fand am gleichen
Tag die Diashow und die Buchrelease statt. Dass da das Haus noch einer
Baustelle glich, schien die anwesenden Honoratioren nicht weiter zu stören
schließlich bekamen sie das beste Buffet ihres Lebens kredenzt und
konnten anschließend auf den Fotos von Thomas Steinert sehen, dass marode
Bausubstanz auch ihren Charme hat. Entsprechend versprach der
Geschäftsführer in seiner Rede, dass das Vorderhaus nach der
Bauabnahme zumindest optisch wieder in einen solchen Zustand
zurückversetzt werden würde.
Bei Diashow und Buchrelease dann die Conne Island-typische Mischung aus
Selbstbeweihräucherung und Größenwahn: Wir sind die besten,
ersten, schnellsten, coolsten, politischsten und schönsten. Wird es oft
genug wiederholt, glauben es Erzählende wie Zuhörende. Selbst der
sonst immer nur nörgelnde Autor konnte sich dem Sog dieser Erzählung
während der Festmonate nicht gänzlich entziehen und ging ihr ein
wenig auf den Leim (nicht nur zu seinem Schaden, sei hinzugefügt). Vor
allem die Medien, die immer zu haben sind für tolle Storys, sprangen
begierig auf diese Inszenierung an. Die
LVZ, ehemals Hassobjekt Nummer 1
im beiderseitigen Einvernehmen, schüttete Lobeshymnen über das Conne
Island aus
(5), die man selbst nicht besser hätte schreiben können.
Über die komische Berichterstattung in
taz,
LIZ und
Freitag kann man da galant hinwegsehen. Schade nur, dass die
taz-Zitatfälschung
(6), im Conne Island habe es nie Autonome gegeben,
so umstandslos von Leipzigs Autonomen, die nicht im Conne Island verkehren,
geglaubt und dem Conne Island zum Vorwurf gemacht wird (aber das ist ja die
andere Geschichte der altautonome Berichterstatter fragt sich zudem ob
das überhaupt echte Autonome sind). Aber auch das Conne Island, so denkt
er sich, fälscht sich die Geschichte zurecht: Schon der Slogan 20
Jahre electric island stimmt doch vorn und hinten nicht. Es gab 20 Jahre
Hardcore und eventuell 20 Jahre Subbotnik (das einzige Event im Herbst, welches
leider nicht unter dieser Headline stattfand). Alles andere ist erst im Lauf
der Zeit entstanden.
Dennoch kann man konstatieren, dass spätestens nach 20 Jahren das Conne
Island, das einstige Schmuddelkind der Stadt, in dessen Schoß angekommen
ist. Nicht ohne Grund bekam es von den Eltern eine fette, wenn auch nur
einmalige Taschengelderhöhung zum Geburtstag, das Spielzimmer wurde
für eine Million neu tapeziert und die Unartigkeiten von früher
scheinen vergessen oder zumindest verziehen.
Das Conne Island hat sich zum Geburtstag stark musealisiert. Das liegt nicht
nur an den drei Ausstellungen, die weit in die Vergangenheit zurück
blicken. Auch das Buch hat eine starke historische Schlagseite. Die Diashow
beschwor die heroischen Straßenkampfzeiten der Neunziger. Im Zuge der
Feierlichkeiten wurden auch erstmals alte und neue Fotos vom Conne Island ins
Internet gestellt
(7); gerade wird das Videoarchiv mit allen wichtigen
Konzertmitschnitten digitalisiert; im neuen Infoladen gibt es inzwischen eine
Archiv-Ecke für die Conne Island-Geschichte; im Bookingbüro
hängen gerahmte Tourplakate. Aber auch die neue Architektur tut ihr
übriges. Dem Verfasser, der auch sein eigenes Leben selbst nur noch als
Archivgegenstand begreift, gefällt dies natürlich. Und doch hofft er,
dass dies alles auf die jüngere Generation nicht zu steril, belastend und
einschüchternd wirkt. Möge sie sich die (Frei)Räume aneignen,
wie es all die Generationen vor ihnen getan haben. Unter anderen
Ausgangsbedingungen natürlich: Das Video zu 20 Jahre Conne Island
(8)
frönt einer entpolitisierten, rosaroten Werbeästhetik, bei der sich
der Hauptheld selbst nach fünfmaligen Anschauen immer noch nicht gewiss
ist, ob er sie einfach genießen soll oder kulturkritisch als verlogen
ablehnen. Aber sie ist inzwischen Teil des Status quo am Conne Island, wie er
noch vor 10 Jahren unvorstellbar war und vor 20 Jahren wären alle
Beteiligten dafür gesteinigt worden.
Liebes Conne Island, denkt der Autor etwas wehmütig nach diesem
anstrengenden Monat: es war schön, die Feier, die Musik, die 4 Promille im
Edgebreak-Getränk und selbst die Mühe, einen Text zu schreiben, hat
sich gelohnt. Alles ist gelungen und war großartig (bis auf den Poll,
kann sich der Zyniker vom Dienst hier leider schon wieder nicht verkneifen,
hinzuzufügen
(9)). Vielen Dank für das Alles!
17.11.2011Anmerkungen
(1) http://www.conne-island.de/nf/78/14.html,
http://www.conne-island.de/nf/78/index.html
(2) http://www.conne-island.de/nf/134/4.html,
http://15jahre.conne-island.de/broschuere/
(3) http://20jahre.conne-island.de/programm.htm,
http://20jahre.conne-island.de/buch.htm
(4) http://20jahre.conne-island.de/dokumente/Klarofix%20Sommer%202001.PDF
(5)
http://nachrichten.lvz-online.de/kultur/news/kulturvolle-gegenkultur-seit-20-jahen-das-conne-island-in-leipzig-feiert-geburtstag/r-news-a-101731.html
(6) http://www.taz.de/!78158/
(7) http://www.flickr.com/photos/conneisland
(8) http://vimeo.com/29962953
(9) http://www.conne-island.de/nf/189/23.html