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Aktuelles Heft

INHALT #192

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Editorial
• das erste: Interview mit dem Booker Jan
Disneyland des Unperfekten
The Bones
ease up^
Titanic Boygroup – die Abschiedstournee
extrem_ist_in
Get sw.amped up
Talib Kweli
Lords of the Underground
• teaser: Februar 2012 im Conne Island
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• position: Keine Gewalt ist auch keine Lösung?
• leserInnenbrief: Zur sogenannten Gentrifizierung in Connewitz
• doku: 20 Jahre Nebenwiderspruch
• review-corner event: 20 YRS I
• review-corner event: 20 YRS II
• neues vom: Neues aus dem Briefkasten
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Keine Gewalt ist auch keine Lösung?

Beitrag der Gruppe LeA zu Debatten in der Leipziger linken Szene und im Leipziger Süden

Derzeit bestimmen Debatten zum Thema Gentrifizierung die politische Auseinandersetzung der linken Szene im Leipziger Süden. Auslöser dafür war ein Teerbeutelanschlag auf das Vorderhaus des Conne Island. In einem Text des Eiskellerplenums(1) wurde diese Aktion in eine Reihe mit den „Antigentrificationaktionen“ im Kiez gestellt, um ein möglichst konsistentes Bild der „gemeinen KiezkämpferInnen“ zu konstruieren und deren Praxis als gänzlich unpolitisch zu kennzeichnen.
Das so provozierte Statement „Tanzschuppen zu Autonomen Zentren“ (TAZ) ließ nicht lange auf sich warten. Die AutorInnen setzten darin auf Feindbildpflege – vor allem gegenüber dem Conne Island – anstatt sich an einer Begründung für die eigene Militanz zu versuchen. Die Stilisierung des „Stadtteilkampfes“ zum „Klassenkampf“ zeugt so nicht nur von der mangelnden theoretischen Auseinandersetzung mit „Gentrification“, sondern stiftet die Begründung für die handfeste Drohung gegenüber dem Conne Island und „alles und jeden, der das kaputtmacht, was wir lieben“(2). Die Androhung oder Anwendung von Gewalt in politischen Kontexten – mögen die Fronten auch noch so verhärtet sein – war bisher für die Leipziger Szene keine Alltäglichkeit. Es ist jedoch auffällig, dass es in letzter Zeit im Umfeld „linker“ Locations vermehrt zu exzessiver Gewaltanwendung und Gewaltandrohungen kommt – zu einer Debatte hat es trotzdem noch nicht gereicht. Das möchten wir nicht so stehen lassen – auch wenn die meisten Leute sich nichts unpolitischeres vorstellen können als den abendlichen Partybesuch oder das Besäufnis in der Lieblingskneipe.

Uns ist bewusst, dass Gewalt als Mittel der Notwehr oder in stark eingeschränktem und reflektiertem Maße auch in politischen Auseinandersetzungen von Nöten sein kann. Eine Auseinandersetzung mit Gewalt und Militanz begleitet uns genau deshalb schon seit einiger Zeit. Im Folgenden veröffentlichen wir deshalb Ausschnitte aus einem Text von uns, der aus der Erfahrung innerlinker Gewalt entstand.(3)

„Theorie und Praxis fallen in der Ausübung von Militanz notwendig und weit auseinander. Während es uns vernünftigerweise um die Herstellung von herrschafts- und damit auch weitgehend gewaltfreien Verhältnissen geht, bedient sich Militanz gleich einem ganzen Repertoire autoritärer, repressiver und regressiver Momente. Dieses Widerspruchsverhältnis besteht genau so lange fort, wie wir zur Durchsetzung unserer (Teil-) Ziele auf eben solche Mittel zurückgeworfen werden, wir also nicht prinzipiell auf Gewaltmittel verzichten können. Es ist hier die Aufgabe der Theoriebildung, dennoch eine Vermittlung zu solcher Praxis zu stiften, sie also zu begründen, ohne gleich Gewalt selbst zum Prinzip aufzubauschen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich Militanz ohne Gewalt nicht denken. Das Diskutieren des Für und Wider der Gewalt hilft dem allerdings nicht ab, denn über Gewalt lässt sich pauschal schwer urteilen, weil eine solche abstrakte Beurteilung nur noch auf einen abstrakten moralischen Maßstab zurückgreifen kann. Wir gehen umgekehrt vor: Wer von Militanz spricht, muss Maßstäbe finden, die Gewalt als politisches Mittel und schließlich als linksradikale Aktionsform qualifizieren.
Was Militanz, insbesondere im linken Kontext, erst politisch macht, ist die Annahme, dass gewaltlose Mittel für die Durchsetzung politischer Anliegen nicht immer ausreichen, weil sie nicht nur an eine selbst gesetzte Grenze stoßen, sondern an eine andere, die staatliche Gewalt.(4)



Allgemeiner gesprochen: Die bürgerliche Gesellschaft, in der wir leben, ist sowohl in ihrer Konstitution und Geschichte gewaltsam gewesen, als auch in ihren herrschaftlichen Verkehrsformen gewaltförmig angelegt. Wer nun einen Standpunkt vertritt, der sich gegen eine solche Einrichtung der Gesellschaft richtet, weil die gesellschaftliche Gewalt eine Schädigung des Einzelnen evoziert, und seine Kritik nicht nur zur Sprache, sondern auch zur Geltung bringen will, kann die Anwendung von Gewalt als politisches Mittel nicht ausschließen. Dieser Schluss ist der Einsicht geschuldet, selbst und wiederkehrend mit den Gewaltmitteln dieses Staates konfrontiert zu sein und beispielsweise der Eigentumsordnung als sozialer Gewalt permanent zu unterliegen.
An dieser Stelle ist politische Gewalt noch von einer abstrakten Parteinahme gegen das getragen, gegen das man „irgendwie“ und aus vielerlei möglichen, sinnvollen oder sinnlosen Gründen antreten möchte. Linksradikal und damit erst militant wird solches Vorgehen nur dort, wo an die Begründung für Militanz auch bestimmte inhaltliche Forderungen herangetragen werden. Das Konzept der Militanz als linksradikale Aktionsform muss sich deswegen unbedingt abgrenzen gegen Gewalt- und Militanz-Begriffe bzw. -Praxen, die sich um eine Begründung nicht bemühen und daher auch keinen vernünftigen gedanklichen Gegenpart besitzen können, der die Bindung an einen politischen Zweck stiftet:



Wir reklamieren freilich kein Monopol auf das Militanz-Konzept, aber wir möchten es abheben von seinen romantischen und dystopischen Verklärungen. Weder kann die inhaltliche Begründung herausgekürzt werden, noch die reellen Implikationen, die jede Gewaltanwendung mit sich bringt. Denn so löblich der Zweck auch sein mag: Weder körperliche Schädigungen, noch die Repressionsgefahr für Personen und Strukturen lassen sich ausschließen. Vor einer Idealisierung der Militanz – egal ob in Richtung des „Guten“ oder „Schlechten“ – müssen wir uns daher vorsehen, wenn wir sie auch zukünftig nicht nur für quantitativ „mehr“, sondern für etwas qualitativ anderes gebrauchen wollen.
[...] Zu den theoretischen Grundlagen des eigenen Handelns treten bekanntermaßen noch weitere Faktoren, d.h. taktische Elemente, Überlegungen zu Gefahren der Repression, über Angst und über Abdreherei, die sich nicht allesamt aus einer feststehenden Theorie ableiten lassen. Deswegen ist Theoriebildung keine modellierbare Handlungsanleitung für die Praxis – und sie bekommt diesen Anstrich nur dort, wo ein Theorie-Ersatz zum Zwecke der Rechtfertigung nachträglich um eine bestehende Praxis herum aufgebaut wird.(6) Der Verzicht auf die theoretische Reflexion wiederum zeitigt unkalkulierbare Folgen, weil es sich dann nicht mehr um ein überlegtes politisches, sondern ein Verlegenheitshandeln handelt, das auf Feindbilder abgerichtet ist und die Feindbildpflege aus ideologischen Gründen konserviert. Dass Militanz dann ins Regressive umschlägt und sich das nicht nur bei Nazis verhärtet, sondern auch bei Linken durchschlagen kann, setzen wir […] als bekannt voraus.
Solche Erscheinungen verweisen nicht nur auf ein bis in die politische Unkenntlichkeit verzerrtes Militanzverständnis, sondern deuten auf die allgemeinen theoretischen und praktischen Schwächen der radikalen Linken hin. Dort fehlt oft die Einsicht, dass militante Praxis nur dann zum Bestandteil linksradikaler Politik werden kann, wenn eine linksradikale Politik überhaupt existiert. Deren wenige Ansätze sind aktuell weitgehend verengt auf Anti-Nazi-Aktionen. Im Wechselspiel mit einer falsch verstandenen Militanz wird so weiterhin ein „revolutionärer Antifaschismus“ betrieben, wo eigentlich – und vor jedem Aktionismus – eine Kritik der Gesellschaft anstünde.“

Mit diesen Worten haben wir versucht, eine Lanze für Militanz zu brechen, ohne dabei gewaltaffinen IdiotInnen, die unreflektiert bzw. unpolitisch daherkommen, das Wort zu reden. Dass Gewalt eine starke Anziehungskraft ausübt, sollte denjenigen bewusst sein, die sie anwenden.

Das Problem dabei ist, dass Antifa zunächst oft nur über ihre Aktionsform wahrgenommen wird. So erwecken Antifagruppen für einige durch ihre Aktionen, die sich jenseits der ausgetrampelten Pfade üblicher Freizeitgestaltung verorten, mehr Eindruck als durch ihre politischen Forderungen und theoretischen Begründungen.

Dadurch wird es erforderlich, politische Statements einzufordern, zu hinterfragen und zu diskutieren. Die Motivation für antifaschistische Aktionen darf aus unserer Sicht niemals die Aktion an sich sein. Und auch in Leipziger Antifakreisen ist zu bedauern, dass ein weitgehendes politisches Engagement und die dazugehörige Organisierung weit weniger attraktiv scheinen als eine direkte Auseinandersetzung, z.B. mit Nazis.

Eine Szene, in der dieses Missverhältnis nicht diskutiert wird und in der es deswegen nicht die Möglichkeit des reflektierten Umgangs mit der eigenen Gewalt gibt, sieht sich früher oder später mit den eingangs beschriebenen Problemen konfrontiert. Im schlimmsten Falle hält die Anwendung von Gewalt Einzug in innerlinke Diskurse als legitimes Mittel und als Mittel erster Wahl.

Wer also aus welchen Gründen auch immer bedrohlich auftritt oder bestimmte Formen von Gewalt einsetzt, kann sich sicher sein, dass sie/er Besuch von TrittbrettfahrerInnen erhalten wird. Diese müssen sich einer Reflexion ihres Verhaltens nicht einmal mehr entziehen – da für sie die Form der Zweck ist und nicht etwa der politische Inhalt und sind deswegen von politischen Debatten nicht mehr einzufangen. Jenseits dieser Klientel, welche sicher nicht durch die tollen Plena und Theoriedebatten angelockt wird, steht auch die Frage nach der eigenen Verrohung im Raum.

Ein Zustand, in dem das Handeln nicht mehr gerechtfertigt werden muss, vor dem angestrebten Ziel und den zu erwartenden „Nebenwirkungen“, die auf dem Weg dahin in Kauf genommen werden, ist ein Zustand in dem politisches Handeln nicht mehr möglich ist.

Politische Debatten in linksradikalen Zusammenhängen sind aufreibend, nervtötend und provozierend. Das müssen wir jedoch aushalten, wenn die Auseinandersetzungen für eine politische Intervention außerhalb linksradikaler Kreise hilfreich sein sollen. Das bedeutet aber auch, verbale Angriffe, Drohungen, Beleidigungen und das Lächerlichmachen anderer zu unterlassen – zumindest wenn wir mit den Angesprochenen noch an einer Diskussion interessiert sind.

LeA (1/2012)

Anmerkungen

(1) CEE IEH #190

(2) TAZ [u.a. auf: http://de.indymedia.org/2011/10/319084.shtml]

(3) Phase 2, 30/2008

(4) Wir wollen an der Stelle nicht in die Fachsimpelei darüber verfallen, wann Gewalt beginnt und wo sie endet – nicht nur, weil die Wahrnehmung von Gewalt subjektiven Setzungen folgt, sondern weil die Androhung von Gewalt durch Linke (durch Vermummung, „Black Block“ etc.) noch lange nicht dasselbe ist wie die Androhung von Gewalt durch die Staatsmacht. Die Polizei vermag es nämlich, Gewaltmittel in ganz anderen Dimensionen aufzubieten und sie nicht auf vernünftige Erwägung, sondern auf Befehl hin einzusetzen.

(5) Hannah Arendt, Über die Revolution, München 2000, 128.

(6) Beispielhaft dafür der Beitrag „Militanz – Ohne Mythos geht es nicht“ in: Phase 2 27/2008.

26.01.2012
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