Keine Gewalt ist auch keine Lösung?
Beitrag der Gruppe LeA zu Debatten in der Leipziger linken Szene und im Leipziger Süden
Derzeit bestimmen Debatten zum Thema Gentrifizierung die politische
Auseinandersetzung der linken Szene im Leipziger Süden. Auslöser
dafür war ein Teerbeutelanschlag auf das Vorderhaus des Conne Island. In
einem Text des Eiskellerplenums(1) wurde diese Aktion in eine Reihe mit den
Antigentrificationaktionen im Kiez gestellt, um ein möglichst
konsistentes Bild der gemeinen KiezkämpferInnen zu konstruieren und
deren Praxis als gänzlich unpolitisch zu kennzeichnen.
Das so
provozierte Statement Tanzschuppen zu Autonomen Zentren (TAZ) ließ
nicht lange auf sich warten. Die AutorInnen setzten darin auf Feindbildpflege
vor allem gegenüber dem Conne Island anstatt sich an einer
Begründung für die eigene Militanz zu versuchen. Die Stilisierung des
Stadtteilkampfes zum Klassenkampf zeugt so nicht nur von der
mangelnden theoretischen Auseinandersetzung mit Gentrification, sondern
stiftet die Begründung für die handfeste Drohung gegenüber dem
Conne Island und alles und jeden, der das kaputtmacht, was wir lieben(2).
Die Androhung oder Anwendung von Gewalt in politischen Kontexten
mögen die Fronten auch noch so verhärtet sein war bisher
für die Leipziger Szene keine Alltäglichkeit. Es ist jedoch
auffällig, dass es in letzter Zeit im Umfeld linker Locations
vermehrt zu exzessiver Gewaltanwendung und Gewaltandrohungen kommt zu
einer Debatte hat es trotzdem noch nicht gereicht. Das möchten wir nicht
so stehen lassen auch wenn die meisten Leute sich nichts unpolitischeres
vorstellen können als den abendlichen Partybesuch oder das Besäufnis
in der Lieblingskneipe.
Uns ist bewusst, dass Gewalt als Mittel der Notwehr oder in stark
eingeschränktem und reflektiertem Maße auch in politischen
Auseinandersetzungen von Nöten sein kann. Eine Auseinandersetzung mit
Gewalt und Militanz begleitet uns genau deshalb schon seit einiger Zeit. Im
Folgenden veröffentlichen wir deshalb Ausschnitte aus einem Text von uns,
der aus der Erfahrung innerlinker Gewalt entstand.(3)
Theorie und Praxis fallen in der Ausübung von Militanz notwendig und
weit auseinander. Während es uns vernünftigerweise um die Herstellung
von herrschafts- und damit auch weitgehend gewaltfreien Verhältnissen
geht, bedient sich Militanz gleich einem ganzen Repertoire autoritärer,
repressiver und regressiver Momente. Dieses Widerspruchsverhältnis besteht
genau so lange fort, wie wir zur Durchsetzung unserer (Teil-) Ziele auf eben
solche Mittel zurückgeworfen werden, wir also nicht prinzipiell auf
Gewaltmittel verzichten können. Es ist hier die Aufgabe der
Theoriebildung, dennoch eine Vermittlung zu solcher Praxis zu stiften, sie also
zu begründen, ohne gleich Gewalt selbst zum Prinzip aufzubauschen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich Militanz ohne Gewalt nicht denken. Das
Diskutieren des Für und Wider der Gewalt hilft dem allerdings nicht ab,
denn über Gewalt lässt sich pauschal schwer urteilen, weil eine
solche abstrakte Beurteilung nur noch auf einen abstrakten moralischen
Maßstab zurückgreifen kann. Wir gehen umgekehrt vor: Wer von
Militanz spricht, muss Maßstäbe finden, die Gewalt als politisches
Mittel und schließlich als linksradikale Aktionsform qualifizieren.
Was Militanz, insbesondere im linken Kontext, erst politisch macht, ist die
Annahme, dass gewaltlose Mittel für die Durchsetzung politischer Anliegen
nicht immer ausreichen, weil sie nicht nur an eine selbst gesetzte Grenze
stoßen, sondern an eine andere, die staatliche Gewalt.(4)
Allgemeiner gesprochen: Die bürgerliche Gesellschaft, in der wir leben,
ist sowohl in ihrer Konstitution und Geschichte gewaltsam gewesen, als auch in
ihren herrschaftlichen Verkehrsformen gewaltförmig angelegt. Wer nun einen
Standpunkt vertritt, der sich gegen eine solche Einrichtung der Gesellschaft
richtet, weil die gesellschaftliche Gewalt eine Schädigung des Einzelnen
evoziert, und seine Kritik nicht nur zur Sprache, sondern auch zur Geltung
bringen will, kann die Anwendung von Gewalt als politisches Mittel nicht
ausschließen. Dieser Schluss ist der Einsicht geschuldet, selbst und
wiederkehrend mit den Gewaltmitteln dieses Staates konfrontiert zu sein und
beispielsweise der Eigentumsordnung als sozialer Gewalt permanent zu
unterliegen.
An dieser Stelle ist politische Gewalt noch von einer abstrakten Parteinahme
gegen das getragen, gegen das man irgendwie und aus vielerlei
möglichen, sinnvollen oder sinnlosen Gründen antreten möchte.
Linksradikal und damit erst militant wird solches Vorgehen nur dort, wo an die
Begründung für Militanz auch bestimmte inhaltliche Forderungen
herangetragen werden. Das Konzept der Militanz als linksradikale Aktionsform
muss sich deswegen unbedingt abgrenzen gegen Gewalt- und Militanz-Begriffe bzw.
-Praxen, die sich um eine Begründung nicht bemühen und daher auch
keinen vernünftigen gedanklichen Gegenpart besitzen können, der die
Bindung an einen politischen Zweck stiftet:
- In der linken Geschichte begegnen wir einer Mythologisierung und
Heroisierung militanten Handelns, die sämtlichen Stadtguerilla-Konzepten
eigen sind. Sie mach(t)en Gewalt im Namen der Revolution zum Prinzip und
Selbstzweck, um die Maske des Verräters willkürlich an Menschen
auszuteilen, um sicher zu sein, daß in der blutigen Maskerade der
dialektischen Bewegungen` auch alle Rollen besetzt sind.(5)
- Aktueller begegnen wir einem Fetisch von Militanz, der mit der
Ausübung von Militanz nicht unbedingt etwas gemein hat, wohl aber mit
militanten Gesten, Waffenaccessoires, Kleidung und Auftreten. Die formale
Imitation der militanten Aktionsform degradiert die Militanz zum Kitschelement
linker Praxis.
- In der demokratischen Mehrheitsgesellschaft stoßen wir auf die
Gleichsetzung von konkreter Militanz und abstrakter Gewalt und der Denunziation
von Gewaltmitteln überhaupt, soweit sie sich nicht als legitim und legal
ausweisen lassen. Legitimer und legaler Träger von Gewalt kann daher nur
die Staatsmacht sein alles andere wird schon durch den Verstoß
gegen diese allen StaatsidealistInnen selbstverständliche Setzung
disqualifiziert. Die Antwort auf eine politisch verstandene Gewalt ist daher
der Ruf nach der Staatsgewalt, die mit dem Ideal der politischen
Neutralität und moralischen Gutartigkeit ausgestattet ist. Diese
Konstellation denunziert per se alle gesellschaftskritischen
Interventionsversuche, die Konflikte außerhalb der vorgesehenen
demokratischen Verfahrensweisen deutlich machen oder gar zur Lösung
bringen sollen.
- Schließlich versuchen sich auch Nazis an der Militanz,
ironischerweise unter dem Versuch eines Nachahmens des klassischen
autonomen Auftretens. Dem dabei praktizierten Bandenwesen geht nicht nur
inhaltlich jede Vernunft ab es endet auch stets in Menschenjagden.
Wir reklamieren freilich kein Monopol auf das Militanz-Konzept, aber wir
möchten es abheben von seinen romantischen und dystopischen
Verklärungen. Weder kann die inhaltliche Begründung
herausgekürzt werden, noch die reellen Implikationen, die jede
Gewaltanwendung mit sich bringt. Denn so löblich der Zweck auch sein mag:
Weder körperliche Schädigungen, noch die Repressionsgefahr für
Personen und Strukturen lassen sich ausschließen. Vor einer Idealisierung
der Militanz egal ob in Richtung des Guten oder Schlechten
müssen wir uns daher vorsehen, wenn wir sie auch zukünftig
nicht nur für quantitativ mehr, sondern für etwas qualitativ
anderes gebrauchen wollen.
[...] Zu den theoretischen Grundlagen des eigenen Handelns treten
bekanntermaßen noch weitere Faktoren, d.h. taktische Elemente,
Überlegungen zu Gefahren der Repression, über Angst und über
Abdreherei, die sich nicht allesamt aus einer feststehenden Theorie ableiten
lassen. Deswegen ist Theoriebildung keine modellierbare Handlungsanleitung
für die Praxis und sie bekommt diesen Anstrich nur dort, wo ein
Theorie-Ersatz zum Zwecke der Rechtfertigung nachträglich um eine
bestehende Praxis herum aufgebaut wird.
(6) Der Verzicht auf die theoretische
Reflexion wiederum zeitigt unkalkulierbare Folgen, weil es sich dann nicht mehr
um ein überlegtes politisches, sondern ein Verlegenheitshandeln handelt,
das auf Feindbilder abgerichtet ist und die Feindbildpflege aus ideologischen
Gründen konserviert. Dass Militanz dann ins Regressive umschlägt und
sich das nicht nur bei Nazis verhärtet, sondern auch bei Linken
durchschlagen kann, setzen wir [
] als bekannt voraus.
Solche Erscheinungen verweisen nicht nur auf ein bis in die politische
Unkenntlichkeit verzerrtes Militanzverständnis, sondern deuten auf die
allgemeinen theoretischen und praktischen Schwächen der radikalen Linken
hin. Dort fehlt oft die Einsicht, dass militante Praxis nur dann zum
Bestandteil linksradikaler Politik werden kann, wenn eine linksradikale Politik
überhaupt existiert. Deren wenige Ansätze sind aktuell weitgehend
verengt auf Anti-Nazi-Aktionen. Im Wechselspiel mit einer falsch verstandenen
Militanz wird so weiterhin ein revolutionärer Antifaschismus
betrieben, wo eigentlich und vor jedem Aktionismus eine Kritik
der Gesellschaft anstünde.
Mit diesen Worten haben wir versucht, eine Lanze für Militanz zu brechen,
ohne dabei gewaltaffinen IdiotInnen, die unreflektiert bzw. unpolitisch
daherkommen, das Wort zu reden. Dass Gewalt eine starke Anziehungskraft
ausübt, sollte denjenigen bewusst sein, die sie anwenden.
Das Problem dabei ist, dass Antifa zunächst oft nur über ihre
Aktionsform wahrgenommen wird. So erwecken Antifagruppen für einige durch
ihre Aktionen, die sich jenseits der ausgetrampelten Pfade üblicher
Freizeitgestaltung verorten, mehr Eindruck als durch ihre politischen
Forderungen und theoretischen Begründungen.
Dadurch wird es erforderlich, politische Statements einzufordern, zu
hinterfragen und zu diskutieren. Die Motivation für antifaschistische
Aktionen darf aus unserer Sicht niemals die Aktion an sich sein. Und auch in
Leipziger Antifakreisen ist zu bedauern, dass ein weitgehendes politisches
Engagement und die dazugehörige Organisierung weit weniger attraktiv
scheinen als eine direkte Auseinandersetzung, z.B. mit Nazis.
Eine Szene, in der dieses Missverhältnis nicht diskutiert wird und in der
es deswegen nicht die Möglichkeit des reflektierten Umgangs mit der
eigenen Gewalt gibt, sieht sich früher oder später mit den eingangs
beschriebenen Problemen konfrontiert. Im schlimmsten Falle hält die
Anwendung von Gewalt Einzug in innerlinke Diskurse als legitimes Mittel und als
Mittel erster Wahl.
Wer also aus welchen Gründen auch immer bedrohlich auftritt oder bestimmte
Formen von Gewalt einsetzt, kann sich sicher sein, dass sie/er Besuch von
TrittbrettfahrerInnen erhalten wird. Diese müssen sich einer Reflexion
ihres Verhaltens nicht einmal mehr entziehen da für sie die Form
der Zweck ist und nicht etwa der politische Inhalt und sind deswegen von
politischen Debatten nicht mehr einzufangen. Jenseits dieser Klientel, welche
sicher nicht durch die tollen Plena und Theoriedebatten angelockt wird, steht
auch die Frage nach der eigenen Verrohung im Raum.
Ein Zustand, in dem das Handeln nicht mehr gerechtfertigt werden muss, vor dem
angestrebten Ziel und den zu erwartenden Nebenwirkungen, die auf dem Weg
dahin in Kauf genommen werden, ist ein Zustand in dem politisches Handeln nicht
mehr möglich ist.
Politische Debatten in linksradikalen Zusammenhängen sind aufreibend,
nervtötend und provozierend. Das müssen wir jedoch aushalten, wenn
die Auseinandersetzungen für eine politische Intervention außerhalb
linksradikaler Kreise hilfreich sein sollen. Das bedeutet aber auch, verbale
Angriffe, Drohungen, Beleidigungen und das Lächerlichmachen anderer zu
unterlassen zumindest wenn wir mit den Angesprochenen noch an einer
Diskussion interessiert sind.
LeA (1/2012)Anmerkungen
(1) CEE IEH #190
(2) TAZ [u.a. auf:
http://de.indymedia.org/2011/10/319084.shtml]
(3) Phase 2, 30/2008
(4) Wir wollen an der Stelle nicht in die Fachsimpelei darüber verfallen,
wann Gewalt beginnt und wo sie endet nicht nur, weil die Wahrnehmung von
Gewalt subjektiven Setzungen folgt, sondern weil die Androhung von Gewalt durch
Linke (durch Vermummung, Black Block etc.) noch lange nicht dasselbe ist
wie die Androhung von Gewalt durch die Staatsmacht. Die Polizei vermag es
nämlich, Gewaltmittel in ganz anderen Dimensionen aufzubieten und sie
nicht auf vernünftige Erwägung, sondern auf Befehl hin einzusetzen.
(5) Hannah Arendt, Über die Revolution, München 2000, 128.
(6) Beispielhaft dafür der Beitrag
Militanz Ohne Mythos geht
es nicht in: Phase 2 27/2008.