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Hal Vaughan: Coco Chanel Der Schwarze Engel Ein Leben als Nazi-Agentin. Hoffman und Campe Verlag 2011, Hamburg, 415 Seiten
Das Buch kann im Infoladen ausgeliehen werden.
Keine andere Modemarke hatte solch eine Ausstrahlungskraft und Bedeutung
für die Emanzipation der Frau im 20. Jahrhundert wie das Label
Chanel. Zu einem der wichtigsten Schritte der weiblichen Emanzipation
sprich zum Eintritt der (wohlhabenden) Frau in das gesellschaftliche
Leben in den 20er und 30er Jahren gehörte ganz sicher die nicht nur
symbolische Befreiung von Kleid und Schürze. Jersey Blazer, Chanels
knielange Tweedröcke, und das Kleine Schwarze können wohl heute als
erste Casual Wear der Damenmode bezeichnet werden und damit als Ausdruck
weiblicher Selbstbestimmung. Auch der Siegeszug der Hose für die Frau
wurde u. a. von Chanel auf den Weg gebracht. Während sich im
Deutschland der 30er Jahre der gesellschaftliche Wind drehte und die zarten
Blühten der Emanzipation aus den Goldenen Zwanzigern durch das
NS-Frauenbild erstickt wurden, untermalten Coco Chanels Kleidungsstücke in
Paris ein neues und selbstbewusstes Frauenbild. Dieses zeigte sich auch in
Kurzhaarfrisuren, öffentlichem Zigarettenkonsum und Beinfreiheit. Welche
Pariser Frau etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, trug Chanels
Kleidung und Chanel No5. Coco Chanel gilt zu Recht bis heute als
brillante, eigensinnige und kreative Modedesignerin und als Feministin der
Besserverdienenden par excellence.
Aber nicht erst seit Hal Vaughans Neuerscheinung DER SCHWARZE ENGEL
EIN LEBEN ALS NAZI-AGENTIN dürfte bekannt sein, dass auch der Pakt mit
dem Teufel zu Coco Chanel gehörte. Vaughans Buch, welches im Original den
viel passenderen Titel SLEEPING WITH THE ENEMY COCO CHANEL'S SECRET
WAR(1) trägt, erzählt das Leben der Modemacherin als
Antisemitin und Spionin in Diensten der Abwehr, des NS-Geheimdienstes.(2) Chanels
Verstrickungen in das Spionagenetz der Abwehr waren schon längere Zeit
Gegenstand weit reichender Spekulationen, aber erst die Neuerscheinung des
amerikanischen Publizisten und Diplomaten Vaughan brachte die Feuilletons zum
Beben: Modeikone als Nazispion? Coco Chanel Mehr als nur
eine Modeschöpferin? Coco Chanel, die Verkörperung des
guten Geschmacks, eine Nazi-Agentin? Was nicht nur in der deutschen
Öffentlichkeit als kaum vorstellbar und als neue Erkenntnis dargestellt
wurde, ist so neu nicht. Schon 2004 beschreibt Manfred Flügge in seinem
historischen Roman RETTUNG OHNE RETTER EIN ZUG AUS THERESIENSTADT
die Rolle Coco Chanels in der NS-Abwehr-Mission Operation
Modelhut und widmet der Geheimmission und ihrer Hauptprotagonistin Coco
Chanel ein Kapitel seines Buches.(3) Seiner Einschätzung nach war die
Modemacherin allerdings nur der naiv gläubige Spielball deutscher Spione:
eine Beurteilung die nach der Lektüre des SCHWARZEN ENGELS von
Vaughan so nicht zu halten ist. Dies ist wohl noch der Tatsache geschuldet,
dass die Rolle von Frauen im NS lange Zeit zu schwach gewichtet bzw.
unterschätzt wurde.
Jasmin, Geraniol, Aldehyde und Antisemitismus Chanel No5
Chanel No5, das berühmteste und erfolgreichste Duftwasser aller
Zeiten, bis heute Inbegriff des Luxus mit wahrscheinlich einer der
bestgehüteten Rezepturen der Welt, wurde von Coco Chanel in den 20er
Jahren auf den Markt gebracht. Marilyn Monroe soll über No5 gesagt
haben: Zum Schlafen trage ich nur ein paar Tropfen Chanel No5, so
zumindest die Legende. Die Qualität von No5 überstieg zum
damaligen Zeitpunkt die vieler Konkurrenzprodukte, denn Chanels Laboranten
hatten bei der Komposition des Parfüms auch auf chemische Zusatzstoffe wie
Aldehyde zurückgegriffen und damit den Duft im Gegensatz zu
herkömmlichen Parfüms stärker konserviert. Schnell stieß
Coco Chanel bei der Produktion und Vermarktung von Chanel No5 an ihre
Kapazitätsgrenzen und übertrug 1924 die Produktions- und
Vertriebsrechte an eine ausgelagerte Firma, deren Vorsitzende sie selbst wurde.
Die Hauptanteile der Firma und das eingebrachte Kapital wurden hingegen von der
Familie Wertheimer gehalten, einer jüdischen Fabrikantenfamilie mit
Hauptsitz in New York. Dank des neuen Vertriebsnetzes wurde das Parfüm zum
dauerhaften und finanziell erfolgreichsten Produkt der Marke Chanel und
bescherte Coco Chanel sowie den Wertheimers unglaublichen Gewinn. Zeit ihres
Lebens fühlte sich Chanel allerdings von den Wertheimers hinters Licht
geführt und getäuscht. In ihren Augen wurde sie zu geringfügig
am Gewinn der Parfümmarke beteiligt und machte u.a. die jüdische
Abstammung ihrer Kooperationspartner dafür verantwortlich. Juristisch
versuchte sie in den späten 20ern die Oberhand über die gemeinsame
Firma zu erlangen, was ihr allerdings vorerst misslang. Mit Hilfe der
Arisierung jüdischen Eigentums durch die Nürnberger Rassengesetze,
deren Geltungsbereich mit der deutschen Besetzung 1940 auch auf Frankreich
ausgeweitet wurde, überführte Chanel die Firma in ihre alleinigen
Hände. Die Enteignung der Wertheimers nützte ihr allerdings wenig,
denn die nach Amerika geflohenen Wertheimers produzierten und vertrieben das
Parfüm auf dem viel kaufkräftigeren amerikanischen Markt. Nach 1945
fanden beide Seiten einen finanziellen Kompromiss.
Das Verhalten gegenüber ihren jüdischen Kooperationspartnern machte
Coco Chanel zur klassischen Opportunistin und Nazi-Kollaboratorin ein
Umstand der durch frühere Chanel-Biografien bekannt ist und sicherlich
auch kein Alleinstellungsmerkmal in weiten Teilen der französischen
Wirtschaftseliten, die mehrheitlich mit den Nazis und später dem
Vichy-Regime sympathisierten, darstellte. Aber Chanels Antisemitismus
beschränkte sich nicht nur auf eine für sie gewinnbringende
Kollaboration mit den Nazis via Inanspruchsnahme der Nürnberger
Rassengesetze. Die große Dame der französischen Mode war als
Vertreterin von Frankreichs upper class schon lange vor dem Einmarsch
der Wehrmacht in Paris davon überzeugt, dass ihre Feindbilder
Bolschewismus und Kommunismus jüdisch gelenkt seien und hielt ihre Meinung
diesbezüglich wohl nicht zurück. Hal Vaughan, der Chanel im Buch als
aggressive Antisemitin bezeichnet, konkretisiert dies aber nur selten.
Vielmehr führt er in seinem Psychogramm der Modeschöpferin ihr
antisemitisch geprägtes Weltbild auf das bäuerlich-katholische
Elternhaus und auf den Einfluss der an ihrer Seite wechselnden Männer
zurück. Der Herzog von Westminster(4), Chanels langjähriger Liebhaber
und hochrangiger britischer Adeliger, verstärkte und bestätigte
Chanels Angst vor der halluzinierten Gefahr durch die Bolschewiki und Juden.
Beide einte die Furcht vor einem erstarkenden Russland und dem angeblich
jüdisch gesteuerten Kommunismus. Über den Herzog von Westminster
lernte Chanel breite Teile des britischen Adels kennen und wurde u.a. auch eine
gute Bekannte von Winston Churchill, mit dem sie das ein oder andere Mal zur
Jagd ausritt. Wesentlich größer noch war allerdings der Einfluss
ihres späteren Partners Paul Irbe, einem spanischen Künstler und
Ultrarechten, der in den 30er Jahren in der Öffentlichkeit als
antisemitischer Hetzer auftrat. Von ihm entstammt die beigefügte
Zeichnung, auf der Hitler Frankreich (in Person der französischen
Symbolfigur Marianne, die mit Chanels Gesichtszügen versehen ist) vor der
jüdischen Verschwörung rettet/ bewahrt.(5) Chanel unterstützte die
Verschwörungstheorien Paul Irbes und finanzierte seine häufig
antisemitischen Publikationen.
Operation Modelhut oder Im Bett mit dem Feind
Der amerikanische Originaltitel SLEEPING WITH THE ENEMY ist insofern
der passendere Buchtitel, da das Herzstück der im Buch zusammengetragenen
Erkenntnisse Chanels Rolle in einer Abwehr-Geheimmission ist, die auf der
intimen Beziehung zwischen Coco Chanel und dem deutschen Nazispion Günter
Spatz von Dincklage basiert.(6) Durch die Beziehung mit dem Deutschen von
Dincklage war es Chanel möglich ihren ständigen Wohnsitz, das
legendäre Pariser Hotel Ritz, auch während der deutschen
Besatzung nicht aufgeben zu müssen und die beiden aßen in
Gesellschaft hochrangiger Nazis Hummer und Kaviar zu Abend, während die SS
in den Straßen von Paris Jagd auf Juden und Nazigegner machte. Als sich
1943 in von Dincklages Umfeld einige NS-Abwehrfunktionäre um den
SS-Brigadeführer Walter Schellenberg und den Leiter des NS-Geheimdienstes
Admiral Canaris zusammentaten, um hinter Hitlers Rücken einen
Separatfrieden mit Großbritannien zu planen, kam die Spionin mit dem
Codename Westminster ins Spiel: Coco Chanel. Sie bot sich der Abwehr als
Spionin und ihre bestehenden Kontakte zu Winston Churchill als entsprechendes
Werkzeug an. Der Buchautor Vaughan belegt dabei deutlich Chanels aktive Rolle
in diesem Prozess. Chanel konnte den Kontakt zu Churchill allerdings nicht
aufbauen, da sie zum einen beim britischen Geheimdienst MI6 enttarnt wurde und
Churchill sich zum anderen nicht wie erwartet in London, sondern in Tunesien
aufhielt und Chanels Schreiben erst Monate später erhielt. Beinahe aber
wäre Coco Chanel als Spionin Westminster zu einer der bedeutendsten
Personen der NS-Diplomatie während des 2. WK geworden. Einer Bestrafung
nach dem Abzug der Deutschen aus Paris konnte die grande dame der
französischen Mode durch cleveres Vertuschen und ihre guten Kontakte
verhindern. Weder Charles de Gaulles Partisanenverbände noch die
französische Justiz kamen ihr auf die Spur und so feierte sie 1954 nach
einigen Jahren der Ruhe ihr Comeback auf den Pariser Laufstegen:
Chanel hat alle Kollektionen von heute beeinflusst. Mit einundsiebzig
bringt sie uns mehr als nur einen Stil sie hat einen wahren Sturm
ausgelöst. Sie hat beschlossen wiederzukehren und ihre Position wieder zu
erobern die erste. zitiert Vaughan das amerikanische Modemagazin
Life aus dem Jahr 1954.
Nach der Neuerscheinung und Lektüre des Buches steht fest, dass Coco
Chanel nicht nur eine latente Antisemitin und durchschnittliche
Nazi-Kollaborateurin war, so wie es ihre Biografen bisher behauptet haben,
sondern vielmehr eine Nazisympathisantin (Frankreich hat bekommen was
es verdient), die sogar als Spionin in Diensten des deutschen
Geheimdienstes aktiv war. Auch wenn das Buch weniger Erkenntnisse und Fakten
liefert als die knapp 350 Seiten erwarten lassen, so ist Chanels Rolle als
Nazikollaborateurin und auch -spionin gründlich belegt und die
Fragezeichen hinter den Überschriften der Feuilletons sind unangebracht.
Guter Geschmack und Barbarei schließen sich nun mal nicht aus, wie mit
diesem Buch ein weiteres Mal belegt wurde.
Bruno