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• teaser: November 2011 im Conne Island
• Die Psyche im Zeitalter leerer Geldbeutel
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• Das Ende der Konspirativität?
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• Warum K.I.Z. in den KIEZ gehören
• doku: Die Opfer des Vernichtungskrieges
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Über uns...
Die Initiative Geschichte vermitteln des Conne Island beschäftigt sich mit der nationalsozialistischen Geschichte und der damit verbundenen Erinnerungs- und Geschichtspolitik. Wir haben im Jahr 2009 ein Projekt unter dem Titel Geschichtsbilder jüdischer Migrant_innen aus der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik und Israel durchgeführt. Die Broschüre des Projektes findet Ihr im Infoladen oder zum Download unter http://geschichte.conne-island.de. Im letzten Jahr arbeiteten wir zum Thema Antiziganismus sowie Sinti und Roma im NS und führten im Herbst eine Veranstaltungsreihe dazu durch. Aktuell bieten wir einen Workshop über antiziganistische Stereotype an und werden uns im nächsten Jahr mit den Opfern der NS-Militärjustiz beschäftigen. Wenn Ihr Interesse an einer Mitarbeit oder unseren Workshops und Veranstaltungen habt, dann mailt uns: geschichte@public-ip.org
Das größte Kriegsverbrechen der Wehrmacht war die systematische
Vernachlässigung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Mehr als 5 Millionen
Angehörige der sowjetischen Armee wurden gefangen genommen. Davon starben
etwa 3,3 Millionen, d.h. mehr als 60% in deutscher Kriegsgefangenschaft an der
systematischen Verweigerung von Ernährung, angemessener Unterbringung und
medizinischer Versorgung.(1) Hinzukamen die Ermordung von 7.000-10.000 gefangen
genommenen Politoffizieren der Roten Armee. Weitere gezielte
Massenerschießungen sowjetischer Kriegsgefangener, darunter vieler
jüdischer Armeeangehöriger erfolgten in den KZs Buchenwald und
Sachsenhausen allein bis zum Sommer 1942 etwa 40.000 Gefangene. Nicht zu
vergessen die willkürlichen Tötungen von Soldaten jüdischer und
asiatischer Herkunft sowie von Rotarmistinnen (von der Nazipropaganda als
Flintenweiber diffamiert) kurz nach der Gefangennahme.(2) Der
Vernichtungskrieg richtete sich in erster Linie gegen den ideologischen
Hauptfeind der Nazis, den jüdischen Bolschewismus. Wurden in den
ersten Kriegswochen vor allem wehrfähige jüdische Männer
aufgrund angeblicher Sabotageakte erschossen, weitete man diese
Erschießungen nach wenigen Wochen auf Frauen, Kinder und ältere
Männer aus und bereits ab August 1941 wurden systematisch ganze Gemeinden
ausgelöscht. Ein Beispiel unter hunderten ist die größte
Mordaktion des Feldzuges bei der am 29. und 30. September 1941 durch ein
SS-Sonderkommando und zwei Polizeibataillone mit logistischer
Unterstützung der 6. Armee mehr als 33.000 Menschen in der Schlucht von
Babji Jar bei Kiew erschossen wurden. Die übrige jüdische
Bevölkerung wurde beraubt, in Ghettos gesperrt und zur Zwangsarbeit
eingesetzt. Die Massentötungen in den besetzten Gebieten beschleunigten
die Planungen zur Endlösung der Judenfrage und die systematischen
Deportationen aus dem Deutschen Reich in die Vernichtungslager im Osten. Gegen
die von den Nazis verhassten slawischen Untermenschen wurde die
systematische Hungerpolitik eingesetzt, der wie in Leningrad Millionen Menschen
zum Opfer fielen. Bei sogenannten Strafaktionen oder
Vergeltungsmaßnahmen wegen Partisan_innenaktivität gingen die
deutschen Truppen besonders brutal gegen die gesamte Zivilbevölkerung vor,
um deren tatsächlichen oder vermeintlichen Widerstand zu brechen.
Wehrmacht und Polizei ermordeten Hunderttausende Menschen und Hunderte von
Dörfern wurden niedergebrannt und tote Zonen entstanden. Vor allem
im Baltikum wurden auch Sinti und Roma als Zigeuner und unter
Spionageverdacht gezielt getötet, hier gibt es ebenfalls kaum genaue
Zahlen, man geht von 8.000 bis 30.000 Toten aus. Mindestens 17.000
Patient_innen von psychiatrischen Anstalten oder Behindertenheimen
wurden ermordet. Ca. 1,7 Mio. Pol_innen und 2,8 Mio. sowjetische
Bürger_innen wurden zur Unterstützung der deutschen Kriegswirtschaft
verschleppt und mussten im Reich Zwangsarbeit leisten, hinzu kamen Zehntausende
Sklavenarbeiter_innen aus dem Osten, die in Konzentrationslagern und deren
Außenkommandos zur Arbeit unter menschenunwürdigsten und
tödlichen Bedingungen gezwungen wurden, darunter viele Kriegsgefangene,
die der Vernichtung durch Arbeit preisgegeben wurden.
Der Vernichtungskrieg aus Sicht der Sowjetunion
Bereits kurz nach Beginn des Überfalles auf die Sowjetunion existierten
bei den staatlichen Behörden Berichte über Verbrechen der
vorrückenden Deutschen. Grundlage dieser Informationen waren
Zeugenaussagen von Überlebenden oder von Angehörigen der Roten Armee
denen die Flucht gelang. Diese wurden auch im offiziellen Sprachgebrauch als
Verbrechen an der Zivilbevölkerung bezeichnet. In einer offiziellen
Erklärung am 28. April 1942 wurde von Molotow(3) die These von der
Vernichtung der sowjetischen Bevölkerung unabhängig von ihrer
Nationalität(4) formuliert. In der offiziellen Sicht existierten keine
unterschiedlichen Opfergruppen. Der Haupttenor der Verlautbarungen folgt der
Maxime des Widerstandes gegen die Deutschen als Verteidigung der Mutter Heimat
und damit des Vaterlandes. Alleiniger Akteur diese Argumentation war die KPDSU
unter Stalin, welche maßgeblich über das 1941 gegründete
Sowjetische Informationsbüro den Tenor und die inhaltliche Ausrichtung der
Veröffentlichungen bestimmte. Dieser Krieg wurde bereits 1941 als
Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet und damit ein Rückgriff
auf eine Argumentation aus dem Krieg gegen Napoleon genutzt. Im diesem Tenor
wurde der aktuelle Krieg als ein Krieg der Vaterländer im
Vielvölkerstatt der Sowjetunion verstanden. Im Vordergrund der
Veröffentlichungen standen der Heldenmut und die Standhaftigkeit der
sowjetischen Soldatinnen und Soldaten sowie die Anzahl von vernichteten
deutsche Soldaten und militärischem Material. Das Gedenken an den so
genannten Großen Vaterländischen Krieg manifestierte sich nach dem
Krieg vor allem in der Errichtung von Monumentaldenkmälern und
großen Museen. Eine der größten Denkmalskomplexe wurde auf dem
Mamaj-Hügel bei Wolgograd errichtet. Auch in der musealen Darstellung des
Krieges standen die Heldentaten und der Mut im Vordergrund und erst an zweiter
Stelle der Opfergedanke. Zudem wurde die herausragende Leistung der
Parteiorgane unter der Leitung von J.W. Stalin hervorgehoben. Der Sieg der
Sowjetunion wurde als Legitimation des Staates verstanden. Im weiteren Verlauf
bestimmten Veteranenverbände der Roten Armee insbesondere in den 60er
Jahren die Form des Gedenkens. Zudem war eine zunehmende künstlerische
Verarbeitung in Filmen und Dokumentationen sowie im Rundfunk zu vernehmen. Erst
mit dem Todes Stalins und dem Beginn der Tauwetter-Periode unter Nikita
Chruschtschow änderte sich der Fokus des Gedenkens. Bis 1965 war der Tag
des Sieges, der 9. Mai kein offizieller sowjetischer Feiertag. Den Opfern der
Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wurde nicht gedacht,
im Gegenteil kam ein Teil davon später wegen einer angeblichen
Kollaboration mit dem Feind in den Gulag oder wurden gesellschaftlich isoliert.
In diese Zeit fällt auch die Entstehung des Buches Leben und
Schicksal von Wassili Grossmans, der unter anderem dies in seinem Roman
thematisiert. Erst unter Gorbatschow wurde die tatsächliche Höhe der
sowjetischen Kriegsverluste (und die daran geknüpften Fragen nach
Verantwortung und Führungsqualität), die massenhafte Kollaboration
mit der deutschen Besatzungsmacht, die Deportation von Minderheiten
(Russlanddeutsche, Krimtataren u.a.), aber auch Racheexzesse sowjetischer
Soldaten wie auch die Massenmorde an polnischen Offizieren in Katyn
thematisiert. Das Leid der Zivilbevölkerung, die traumatischen Erfahrungen
der Soldatinnen und Soldaten spielte in diesem Zusammenhang eine untergeordnete
Rolle.
Widerstand und Partisan_innen
Ein Teil des Filmes spielt vor dem
Hintergrund des Kampfes von Partisaninnen und Partisanen in Weißrussland,
deshalb soll an dieser Stelle kurz auf deren historische Rolle eingegangen
werden. Insbesondere in den von Deutschen besetzten Gebieten, die vorher von
der Sowjetunion 1939/40 annektiert worden waren (v.a. Baltikum und
Weißrussland), ist ein einheitliches Bild vom Widerstand der
Partisan_innen nur schwer zu zeichnen. Insbesondere aufgrund der oben genannten
Vorgeschichte und diverser sozialer und nationalistischer Auseinandersetzungen
agierten unterschiedlichste Untergrundgruppen mit verschiedenen Zielsetzungen.
Wir wollen uns deswegen vor allem auf den jüdischen Widerstand gegen die
Vernichtung konzentrieren. Die Jüdinnen und Juden in diesen Gebieten aus
den noch nicht liquidierten Ghettos und Lagern waren Zwangsarbeit, Misshandlung
und Hunger ausgesetzt. Oftmals blieb als einziger Ausweg die Flucht. In den
besetzten Gebieten der Sowjetunion gab es keine organisierte Hilfe und auch
keinen organisierten Widerstand bei Vernichtungsaktionen. Gründe
waren das völlige Fehlen jüdischer Organisationen in der UdSSR, was
von staatlicher Seite untersagt wurde. Zudem erschwerte das hohe Tempo der
Mordaktionen der Deutschen nach der Eroberung, die Abwesenheit der meisten
Männer, welche zur Roten Armee eingezogen worden waren und das Fehlen des
aktiveren Teils der jüdischen Bevölkerung, der in der Regel bereits
geflohen oder evakuiert worden war eine mögliche Organisierung.
Die einzige Möglichkeit Widerstand zu leisten oder zu Überleben
war sich den Partisan_innen anzuschließen. Es entstanden in Wäldern
und Sumpfgebieten Sammelpunkte für versprengte Armeeangehörige, aber
auch für zahlreiche Flüchtlinge, darunter kommunistische
Funktionär_innen und viele Jüdinnen und Juden. Es entstanden Gruppen
welche sich zu Partisaneneinheiten zusammenschlossen. Diese suchten Kontakt zu
bereits existierenden Gruppen von Partisaninnen oder direkt zur Roten Armee. Im
Verlauf entwickelten sich daraus militärische Kampfeinheiten. Diese
führten vor allem Sabotageaktionen durch. Widerstand gegen die Vernichtung
stand vor allem im Zusammenhang mit der endgültigen Vernichtung der
großen Ghettos in Vilnius, Kaunus, Grodno, Minsk und anderen Orten. Auf
Grund der Dauer der Besatzung in den Städten gab es Untergrundgruppen mit
Verbindungen zu Partisan_innen (Lit.: Chaika Grossman Die Untergrundarmee
über den jüdischen Widerstand in Bialystok oder in Zum Kampf auf
Leben und Tod! von Arno Lustiger). Genaue Zahlen zu jüdischen
Partisaninnen und Partisanen existieren nicht. Es wurden keine Berichte an die
Partisanenstäbe oder Rote Armee über die nationale Zusammensetzung
der Gruppen übermittelt. Schätzungen belaufen sich auf 15.000 -
30.000 jüdische Mitglieder in größeren Gruppen, z.B. in der
Ukraine 3000 von gesamt 220.000 - 500.000, Belorussland 6000 von 370.000. Im
Gegensatz zu den anderen Gruppen hatten die jüdischen Partisanen auch das
Ziel Jüdinnen und Juden aus den Ghettos vor der drohenden Vernichtung zu
retten. Neben Kampfeinheiten entstanden so genannte Familienlager als
Zufluchtsstätten für ganze jüdische Familien. Bekanntestes
Beispiel ist die Gruppe um die Bielskij-Brüder, diese umfasste 1944
immerhin 1230 Personen. Auch dieses Beispiel wurde im Film Unbeugsam
Defiance (2008) verfilmt. (Lit.: Nechama Tec Bewaffneter Widerstand;
Peter Duffy Die Bielski-Brüder) Ein Grund für die
Gründung von rein jüdischen Widerstandsgruppen war auch der unter
anderen Partisanen vorherrschende Antisemitismus. Schätzungen gehen von
ca. 100 jüdischen Partisaneneinheiten aus. Innerhalb der Roten Armee
dienten Tausende Freiwilliger zusätzlich zu den Hunderttausenden zumeist
männlichen Wehrpflichtigen jüdischer Herkunft der Prozentsatz
der Jüdinnen und Juden in der Armee war höher als der Anteil in der
Gesamtbevölkerung. Neben dem organisierten und bewaffneten Widerstand gab
es noch viele andere Formen des Widerstandes von Jüdinnen und Juden, u.a.
Überleben und Organisation des Überlebens im Ghetto, Sabotage,
unerlaubtes Verlassen der Ghettos, Organisation von Fluchtplätzen, Flucht
aus dem Ghetto oder von Arbeitslager zu den Partisan_innen, Vermeidung der
Registrierung, Nichterscheinen an Sammelpunkten, Erstellung von
gefälschten Papieren, Flucht von den Plätzen der Erschießungen,
Aufstände gegen die Räumung in Ghettos, Anzünden von Ghettos um
eine Flucht zu ermöglichen und Widerstand gegen die Vernichtung.
Dies alles nur zu lesen ist ungeheuer schwer. Der Leser möge mir
glauben, dass darüber zu schreiben nicht minder schwer ist. Jemand
könnte die Frage stellen: Warum über all das schreiben, warum
sich an all das erinnern? Es ist die Pflicht des Schriftstellers, schreckliche
Wahrheit zu berichten, die des Lesers, sie zu erfahren. Jeder, der sich
abwendet, der die Augen verschließt und vorbeigeht, verletzt das Andenken
der Toten. Aus dem Tagebuch von Wassili Grossman
Hintergund zum Film Geh und Sieh
Grundlage für den Film Geh und Sieh ist der Roman
Stätten des Schweigens von Ales Adamowitsch (1976 in Deutsch
erschienen, Originaltitel: Die Erzählung von
Chatyn). In diesem Roman wird die Geschichte des Dorfes Chatyn, welches sich 60
km nördlich von Minsk befand, erzählt. Am 22. März 1943 wurde
Chatyn von den Deutschen als Vergeltungsaktion für eine bewaffnete
Auseinandersetzung mit Partisan_innen zerstört, wobei alle 152
Dorfbewohner_innen in eine Scheune getrieben und verbrannt wurden. Lediglich
ein Mann und drei Kinder überlebten. Diese Vernichtungsaktion wurde vom
Schutzmannschafts-Bataillon 118, das zu 80% aus mit den deutschen
kollaborierenden Ukrainern bestand, und dem extra angeforderten
SS-Sonderbataillon Dirlewanger durchgeführt.(5) Letztere zeichneten sich
durch besondere Grausamkeit aus, Schätzungen gehen von 30.000 Ermordeten
allein durch dieses SS-Sonderbataillon aus. Dabei richteten sie sich ganz nach
dem Befehl des SS und Polizeiführers für Weißruthenien,
Kurt von Gottberg, der anordnete, dass die Gesamtbevölkerung aus den
Kampfgebieten zu entfernen sei, damit aus diesen Regionen tote
Zonen würden: In dem evakuierten Raum sind die Menschen in Zukunft
Freiwild.(6) Chatyn gehörte zu den 185 weißrussischen Dörfern,
die nach ihrer Zerstörung durch die deutschen Truppen nicht wieder
aufgebaut wurden. 1969 wurde die offizielle Gedenkstätte in Chatyn
eröffnet und sie zählte bisher nach eigener Schätzung bis zu 32
Millionen Besucherinnen.(7) Chatyn ist heute die zentrale Gedenkstätte
Weissrußlands.
Geh und Sieh Cinematographische Besonderheiten und
Rezensionen
Für den Film Geh und sieh hatte sich der 1933 in Stalingrad
geborene Regisseur Elem Klimow mit dem weißrussischen Schriftsteller Ales
Adamowitsch zusammengetan. Dieser hatte u.a. das Buch Ich komme aus einem
brennenden Dorf verfasst, eine Tatsachendokumentation über Orte, die im
Zweiten Weltkrieg von Deutschen vernichtet wurden. Für die Recherche zu
diesem Buch hatte Adamowitsch auf eigene Initiative vier Jahre lang in
Belorussland mehr als 300 Überlebende befragt. Obwohl erste Pläne
für einen Film von Klimow und Adamowitsch schon 1979 kurz vor der
Umsetzung standen, konnte der Film erst 1984 gedreht werden. Sie hatten einen
Antifilm drehen wollen, berichteten beide in einem Interview, in dessen
Vordergrund der Inhalt stehen sollte.(8) Die Erzählperspektive wird mit der
Perspektive eines 14jährigen Jungen verknüpft und dessen
Erlebnisprozess filmisch dargestellt. Die Atmosphäre und die Handlung des
Filmes sind geprägt von Grauen. Klimov sagte im Interview, dass es nur
zwei grausame Szenen im Film gäbe, die Verbrennung der
Dorfbevölkerung und die Schuldzuweisungen eines verbrannten Dorfbewohners.
Gemessen an den Berichten im zugrundeliegenden Buch hätten es jedoch viel
mehr sein müssen. Der Film ist ein Kontrapunkt zu herkömmlichen
Sehgewohnheiten, ein Film bei dem das normale Leben ruht, bei dem keine
Ablenkung möglich ist. Der jugendliche Hauptdarsteller Alexei Krawtschenko
war einer der vielen Laienschauspieler_innen und wurde nach einem Presseaufruf
und zahlreichen Tests unter 1000 Bewerbern ausgewählt. Andere
Laien-Darsteller_innen waren überlebende Bäuerinnen und Bauern
aus den neuen, inzwischen wieder aufgebauten Dörfern. Klimow schildert im
Interview, wie deren Ernsthaftigkeit und Authenzität
maßgeblich zur Umsetzung der traumatischen und grausamen Szenen beitrug.
Andererseits waren gerade die Überlebenden großen psychischen
Belastungen ausgesetzt, z.B. durch die deutschen Schauspieler_innen in
Naziuniformen. Hier brachen oftmals die Erinnerungen wieder auf, sodass eine
psychologische Betreuung nicht nur für die jugendlichen Schauspieler_innen
sondern insbesondere für die Überlebenden notwendig war. Eine weitere
Besonderheit des Filmes waren die chronologischen Dreharbeiten, die der
Filmhandlung folgten und zu einer hohen Verdichtung des Themas im Film und zur
schrittweisen Einführung des Hauptdarstellers führten. Für den
realistischen Eindruck im Film sorgte zudem u.a. das Schießen mit
scharfer Munition. Der Ton spielt in diesem Film eine herausragende Rolle, die
Klimow als geräusch-musikalische Schicht bezeichnete. Der Ton
sollte die Sprachlosigkeit der Menschen ausdrücken: Mal fehlt er
völlig, dann ist er kaum auszuhalten, bspw. wenn der erste Bombenangriff
auch die Zuschauer_innen mit einem dumpfen Tinitusgeräusch quält.
Dieses Stilmittel wurde hier erstmals verwendet und findet in späteren
Filmen, z.B. in der Anfangssequenz von Soldat James Ryan, erneut
Verwendung. Der Zuschauer sollte die Musik nie als Melodie wahrnehmen, einzige
Ausnahme bildete das Musikstück Mozarts Requiem (KV 626) mit dem der Film
endet und das Ausmaß der Naziverbrechen in Weißrussland
illustriert. In dem Film sind keine konkreten Orte, Fronten oder Ereignisse zu
erkennen. Es kann an jedem Ort in der Sowjetunion passiert sein. Das
ungewöhnliche Academy-Bildformat (4:3), welches den Blickwinkel gezielt
eingrenzt, unterstreicht die subjektive Natur der Darstellung. Die Farben sind
erdig und ausgeblichen. Klimow traf diese bewusste Entscheidung gegen den Dreh
in Schwarz-weiß, was bis dahin mit Authentizität assoziiert
wurde. Der Hauptdarsteller führt im Film ein Gewehr mit sich, das er erst
am Ende nutzt, er schießt auf das Bild von Hitler und die Geschichte
läuft in Dokumentarfilmsequenzen rückwärts und ihm und auch dem
Zuschauer stellt sich die Frage nach der Verantwortung für das Geschehen.
Es bleibt ein Bild von Hitler als Kind, auf das der Hauptdarsteller nicht mehr
schießt.
Zum Abschluss ein Zitat von Elem Klimov, welches er den Zuschauer_innen vor dem
Film sagen wollte:
Verehrte Zuschauer, ich kann Ihnen nur das eine sagen: Bitte haben sie
Geduld und trauen sie sich zu, die Augen nicht von der Leinwand zu lassen.