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Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

#183, Januar 2011
#184, Februar 2011
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Aktuelles Heft

INHALT #190

Titelbild
Editorial
• das erste: On the streets…
• teaser: November 2011 im Conne Island
Die Psyche im Zeitalter leerer Geldbeutel
Elmatic Tour
Pop mit Widerhaken
Das Ende der Konspirativität?
Halftime
Warum K.I.Z. in den KIEZ gehören
• doku: Die Opfer des Vernichtungskrieges
Anzeigen
• neues vom: ... wenn Farbe, dann richtig!

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Im Folgenden dokumentieren wir den zweiten Teil des Textes „Der Raub und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion“ der Gruppe Geschichte vermitteln. Den ersten Teil findet ihr im CEE IEH #189 sowie den gesamten Text unter http://geschichtev.ge.funpic.de/archives/192



Die Opfer des Vernichtungskrieges

Zur Veranstaltung der Initiative „Geschichte vermitteln“
zum Film „GEH UND SIEH“ (SU 1985)

Über uns...
Die Initiative „Geschichte vermitteln“ des Conne Island beschäftigt sich mit der nationalsozialistischen Geschichte und der damit verbundenen Erinnerungs- und Geschichtspolitik. Wir haben im Jahr 2009 ein Projekt unter dem Titel „Geschichtsbilder jüdischer Migrant_innen aus der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik und Israel“ durchgeführt. Die Broschüre des Projektes findet Ihr im Infoladen oder zum Download unter http://geschichte.conne-island.de. Im letzten Jahr arbeiteten wir zum Thema Antiziganismus sowie Sinti und Roma im NS und führten im Herbst eine Veranstaltungsreihe dazu durch. Aktuell bieten wir einen Workshop über antiziganistische Stereotype an und werden uns im nächsten Jahr mit den Opfern der NS-Militärjustiz beschäftigen. Wenn Ihr Interesse an einer Mitarbeit oder unseren Workshops und Veranstaltungen habt, dann mailt uns: geschichte@public-ip.org

Das größte Kriegsverbrechen der Wehrmacht war die systematische Vernachlässigung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Mehr als 5 Millionen Angehörige der sowjetischen Armee wurden gefangen genommen. Davon starben etwa 3,3 Millionen, d.h. mehr als 60% in deutscher Kriegsgefangenschaft an der systematischen Verweigerung von Ernährung, angemessener Unterbringung und medizinischer Versorgung.(1) Hinzukamen die Ermordung von 7.000-10.000 gefangen genommenen Politoffizieren der Roten Armee. Weitere gezielte Massenerschießungen sowjetischer Kriegsgefangener, darunter vieler jüdischer Armeeangehöriger erfolgten in den KZs Buchenwald und Sachsenhausen – allein bis zum Sommer 1942 etwa 40.000 Gefangene. Nicht zu vergessen die willkürlichen Tötungen von Soldaten jüdischer und asiatischer Herkunft sowie von Rotarmistinnen (von der Nazipropaganda als „Flintenweiber“ diffamiert) kurz nach der Gefangennahme.(2) Der Vernichtungskrieg richtete sich in erster Linie gegen den ideologischen Hauptfeind der Nazis, den „jüdischen Bolschewismus“. Wurden in den ersten Kriegswochen vor allem wehrfähige jüdische Männer aufgrund angeblicher Sabotageakte erschossen, weitete man diese Erschießungen nach wenigen Wochen auf Frauen, Kinder und ältere Männer aus und bereits ab August 1941 wurden systematisch ganze Gemeinden ausgelöscht. Ein Beispiel unter hunderten ist die größte Mordaktion des Feldzuges bei der am 29. und 30. September 1941 durch ein SS-Sonderkommando und zwei Polizeibataillone mit logistischer Unterstützung der 6. Armee mehr als 33.000 Menschen in der Schlucht von Babji Jar bei Kiew erschossen wurden. Die übrige jüdische Bevölkerung wurde beraubt, in Ghettos gesperrt und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Die Massentötungen in den besetzten Gebieten beschleunigten die Planungen zur „Endlösung der Judenfrage“ und die systematischen Deportationen aus dem Deutschen Reich in die Vernichtungslager im Osten. Gegen die von den Nazis verhassten „slawischen Untermenschen“ wurde die systematische Hungerpolitik eingesetzt, der wie in Leningrad Millionen Menschen zum Opfer fielen.  Bei sogenannten „Strafaktionen“ oder Vergeltungsmaßnahmen wegen Partisan_innenaktivität gingen die deutschen Truppen besonders brutal gegen die gesamte Zivilbevölkerung vor, um deren tatsächlichen oder vermeintlichen Widerstand zu brechen. Wehrmacht und Polizei ermordeten Hunderttausende Menschen und Hunderte von Dörfern wurden niedergebrannt und „tote Zonen“ entstanden. Vor allem im Baltikum wurden auch Sinti und Roma als „Zigeuner“ und unter Spionageverdacht gezielt getötet, hier gibt es ebenfalls kaum genaue Zahlen, man geht von 8.000 bis 30.000 Toten aus. Mindestens 17.000 Patient_innen von psychiatrischen Anstalten oder „Behindertenheimen“ wurden ermordet. Ca. 1,7 Mio. Pol_innen und 2,8 Mio. sowjetische Bürger_innen wurden zur Unterstützung der deutschen Kriegswirtschaft verschleppt und mussten im Reich Zwangsarbeit leisten, hinzu kamen Zehntausende Sklavenarbeiter_innen aus dem Osten, die in Konzentrationslagern und deren Außenkommandos zur Arbeit unter menschenunwürdigsten und tödlichen Bedingungen gezwungen wurden, darunter viele Kriegsgefangene, die der „Vernichtung durch Arbeit“ preisgegeben wurden.

Der Vernichtungskrieg aus Sicht der Sowjetunion

Bereits kurz nach Beginn des Überfalles auf die Sowjetunion existierten bei den staatlichen Behörden Berichte über Verbrechen der vorrückenden Deutschen. Grundlage dieser Informationen waren Zeugenaussagen von Überlebenden oder von Angehörigen der Roten Armee denen die Flucht gelang. Diese wurden auch im offiziellen Sprachgebrauch als Verbrechen an der Zivilbevölkerung bezeichnet. In einer offiziellen Erklärung am 28. April 1942 wurde von Molotow(3) die These von der „Vernichtung der sowjetischen Bevölkerung unabhängig von ihrer Nationalität“(4) formuliert. In der offiziellen Sicht existierten keine unterschiedlichen Opfergruppen. Der Haupttenor der Verlautbarungen folgt der Maxime des Widerstandes gegen die Deutschen als Verteidigung der Mutter Heimat und damit des Vaterlandes. Alleiniger Akteur diese Argumentation war die KPDSU unter Stalin, welche maßgeblich über das 1941 gegründete Sowjetische Informationsbüro den Tenor und die inhaltliche Ausrichtung der Veröffentlichungen bestimmte. Dieser Krieg wurde bereits 1941 als Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet und damit ein Rückgriff auf eine Argumentation aus dem Krieg gegen Napoleon genutzt. Im diesem Tenor wurde der aktuelle Krieg als ein Krieg der Vaterländer im Vielvölkerstatt der Sowjetunion verstanden. Im Vordergrund der Veröffentlichungen standen der Heldenmut und die Standhaftigkeit der sowjetischen Soldatinnen und Soldaten sowie die Anzahl von vernichteten deutsche Soldaten und militärischem Material. Das Gedenken an den so genannten Großen Vaterländischen Krieg manifestierte sich nach dem Krieg vor allem in der Errichtung von Monumentaldenkmälern und großen Museen. Eine der größten Denkmalskomplexe wurde auf dem Mamaj-Hügel bei Wolgograd errichtet. Auch in der musealen Darstellung des Krieges standen die Heldentaten und der Mut im Vordergrund und erst an zweiter Stelle der Opfergedanke. Zudem wurde die herausragende Leistung der Parteiorgane unter der Leitung von J.W. Stalin hervorgehoben. Der Sieg der Sowjetunion wurde als Legitimation des Staates verstanden. Im weiteren Verlauf bestimmten Veteranenverbände der Roten Armee insbesondere in den 60er Jahren die Form des Gedenkens. Zudem war eine zunehmende künstlerische Verarbeitung in Filmen und Dokumentationen sowie im Rundfunk zu vernehmen. Erst mit dem Todes Stalins und dem Beginn der Tauwetter-Periode unter Nikita Chruschtschow änderte sich der Fokus des Gedenkens. Bis 1965 war der Tag des Sieges, der 9. Mai kein offizieller sowjetischer Feiertag. Den Opfern der Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wurde nicht gedacht, im Gegenteil kam ein Teil davon später wegen einer angeblichen Kollaboration mit dem Feind in den Gulag oder wurden gesellschaftlich isoliert. In diese Zeit fällt auch die Entstehung des Buches „Leben und Schicksal“  von Wassili Grossmans, der unter anderem dies in seinem Roman thematisiert. Erst unter Gorbatschow wurde die tatsächliche Höhe der sowjetischen Kriegsverluste (und die daran geknüpften Fragen nach Verantwortung und Führungsqualität), die massenhafte Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht, die Deportation von Minderheiten (Russlanddeutsche, Krimtataren u.a.), aber auch Racheexzesse sowjetischer Soldaten wie auch die Massenmorde an polnischen Offizieren in Katyn thematisiert. Das Leid der Zivilbevölkerung, die traumatischen Erfahrungen der Soldatinnen und Soldaten spielte in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle.

Widerstand und Partisan_innen

Ein Teil des Filmes spielt vor dem Hintergrund des Kampfes von Partisaninnen und Partisanen in Weißrussland, deshalb soll an dieser Stelle kurz auf deren historische Rolle eingegangen werden. Insbesondere in den von Deutschen besetzten Gebieten, die vorher von der Sowjetunion 1939/40 annektiert worden waren (v.a. Baltikum und Weißrussland), ist ein einheitliches Bild vom Widerstand der Partisan_innen nur schwer zu zeichnen. Insbesondere aufgrund der oben genannten Vorgeschichte und diverser sozialer und nationalistischer Auseinandersetzungen agierten unterschiedlichste Untergrundgruppen mit verschiedenen Zielsetzungen. Wir wollen uns deswegen vor allem auf den jüdischen Widerstand gegen die Vernichtung konzentrieren. Die Jüdinnen und Juden in diesen Gebieten aus den noch nicht liquidierten Ghettos und Lagern waren Zwangsarbeit, Misshandlung und Hunger ausgesetzt. Oftmals blieb als einziger Ausweg die Flucht. In den besetzten Gebieten der Sowjetunion gab es keine organisierte Hilfe und auch keinen organisierten Widerstand bei Vernichtungsaktionen.  Gründe waren das völlige Fehlen jüdischer Organisationen in der UdSSR, was von staatlicher Seite untersagt wurde. Zudem erschwerte das hohe Tempo der Mordaktionen der Deutschen nach der Eroberung, die Abwesenheit der meisten Männer, welche zur Roten Armee eingezogen worden waren und das Fehlen des aktiveren Teils der jüdischen Bevölkerung, der in der Regel bereits geflohen oder evakuiert worden war eine mögliche Organisierung.  Die  einzige Möglichkeit Widerstand zu leisten oder zu Überleben war sich den Partisan_innen anzuschließen. Es entstanden in Wäldern und Sumpfgebieten Sammelpunkte für versprengte Armeeangehörige, aber auch für zahlreiche Flüchtlinge, darunter kommunistische Funktionär_innen und viele Jüdinnen und Juden. Es entstanden Gruppen welche sich zu Partisaneneinheiten zusammenschlossen. Diese suchten Kontakt zu bereits existierenden Gruppen von Partisaninnen oder direkt zur Roten Armee. Im Verlauf entwickelten sich daraus militärische Kampfeinheiten. Diese führten vor allem Sabotageaktionen durch. Widerstand gegen die Vernichtung stand vor allem im Zusammenhang mit der endgültigen Vernichtung der großen Ghettos in Vilnius, Kaunus, Grodno, Minsk und anderen Orten. Auf Grund der Dauer der Besatzung in den Städten gab es Untergrundgruppen mit Verbindungen zu Partisan_innen (Lit.: Chaika Grossman Die Untergrundarmee über den jüdischen Widerstand in Bialystok oder in Zum Kampf auf Leben und Tod! von Arno Lustiger). Genaue Zahlen zu jüdischen Partisaninnen und Partisanen existieren nicht. Es wurden keine Berichte an die Partisanenstäbe oder Rote Armee über die nationale Zusammensetzung der Gruppen übermittelt. Schätzungen belaufen sich auf 15.000 - 30.000 jüdische Mitglieder in größeren Gruppen, z.B. in der Ukraine 3000 von gesamt 220.000 - 500.000, Belorussland 6000 von 370.000. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen hatten die jüdischen Partisanen auch das Ziel Jüdinnen und Juden aus den Ghettos vor der drohenden Vernichtung zu retten. Neben Kampfeinheiten entstanden so genannte Familienlager als Zufluchtsstätten für ganze jüdische Familien. Bekanntestes Beispiel ist die Gruppe um die Bielskij-Brüder, diese umfasste 1944 immerhin 1230 Personen. Auch dieses Beispiel wurde im Film Unbeugsam – Defiance (2008) verfilmt. (Lit.: Nechama Tec „Bewaffneter Widerstand“; Peter Duffy „Die Bielski-Brüder“) Ein Grund für die Gründung von rein jüdischen Widerstandsgruppen war auch der unter anderen Partisanen vorherrschende Antisemitismus. Schätzungen gehen von ca. 100 jüdischen Partisaneneinheiten aus. Innerhalb der Roten Armee dienten Tausende Freiwilliger zusätzlich zu den Hunderttausenden zumeist männlichen Wehrpflichtigen jüdischer Herkunft – der Prozentsatz der Jüdinnen und Juden in der Armee war höher als der Anteil in der Gesamtbevölkerung. Neben dem organisierten und bewaffneten Widerstand gab es noch viele andere Formen des Widerstandes von Jüdinnen und Juden, u.a. Überleben und Organisation des Überlebens im Ghetto, Sabotage, unerlaubtes Verlassen der Ghettos, Organisation von Fluchtplätzen, Flucht aus dem Ghetto oder von Arbeitslager zu den Partisan_innen, Vermeidung der Registrierung, Nichterscheinen an Sammelpunkten, Erstellung von gefälschten Papieren, Flucht von den Plätzen der Erschießungen, Aufstände gegen die Räumung in Ghettos, Anzünden von Ghettos um eine Flucht zu ermöglichen und Widerstand gegen die Vernichtung.

„Dies alles nur zu lesen ist ungeheuer schwer. Der Leser möge mir glauben, dass darüber zu schreiben nicht minder schwer ist. Jemand könnte die Frage stellen: ‚Warum über all das schreiben, warum sich an all das erinnern? Es ist die Pflicht des Schriftstellers, schreckliche Wahrheit zu berichten, die des Lesers, sie zu erfahren. Jeder, der sich abwendet, der die Augen verschließt und vorbeigeht, verletzt das Andenken der Toten.“ Aus dem Tagebuch von Wassili Grossman

Hintergund zum Film „Geh und Sieh“

Grundlage für den Film „Geh und Sieh“ ist der Roman „Stätten des Schweigens“ von Ales Adamowitsch (1976 in Deutsch erschienen, Originaltitel: Die Erzählung von Chatyn). In diesem Roman wird die Geschichte des Dorfes Chatyn, welches sich 60 km nördlich von Minsk befand, erzählt. Am 22. März 1943 wurde Chatyn von den Deutschen als „Vergeltungsaktion“ für eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Partisan_innen zerstört, wobei alle 152 Dorfbewohner_innen in eine Scheune getrieben und verbrannt wurden. Lediglich ein Mann und drei Kinder überlebten. Diese Vernichtungsaktion wurde vom Schutzmannschafts-Bataillon 118, das zu 80% aus mit den deutschen kollaborierenden Ukrainern bestand, und dem extra angeforderten SS-Sonderbataillon Dirlewanger durchgeführt.(5) Letztere zeichneten sich durch besondere Grausamkeit aus, Schätzungen gehen von 30.000 Ermordeten allein durch dieses SS-Sonderbataillon aus. Dabei richteten sie sich ganz nach dem Befehl des SS und Polizeiführers für „Weißruthenien“, Kurt von Gottberg, der anordnete, dass die Gesamtbevölkerung aus den Kampfgebieten zu entfernen sei,  damit aus diesen Regionen „tote Zonen“ würden: „In dem evakuierten Raum sind die Menschen in Zukunft Freiwild.“(6) Chatyn gehörte zu den 185 weißrussischen Dörfern, die nach ihrer Zerstörung durch die deutschen Truppen nicht wieder aufgebaut wurden. 1969 wurde die offizielle Gedenkstätte in Chatyn eröffnet und sie zählte bisher nach eigener Schätzung bis zu 32 Millionen Besucherinnen.(7) Chatyn ist heute die zentrale Gedenkstätte Weissrußlands.

„Geh und Sieh“ – Cinematographische Besonderheiten und Rezensionen
Für den Film „Geh und sieh“ hatte sich der 1933 in Stalingrad geborene Regisseur Elem Klimow mit dem weißrussischen Schriftsteller Ales Adamowitsch zusammengetan. Dieser hatte u.a. das Buch „Ich komme aus einem brennenden Dorf“ verfasst, eine Tatsachendokumentation über Orte, die im Zweiten Weltkrieg von Deutschen vernichtet wurden. Für die Recherche zu diesem Buch hatte Adamowitsch auf eigene Initiative vier Jahre lang in Belorussland mehr als 300 Überlebende befragt. Obwohl erste Pläne für einen Film von Klimow und Adamowitsch schon 1979 kurz vor der Umsetzung standen, konnte der Film erst 1984 gedreht werden. Sie hatten einen „Antifilm“ drehen wollen, berichteten beide in einem Interview, in dessen Vordergrund der Inhalt stehen sollte.(8) Die Erzählperspektive wird mit der Perspektive eines 14jährigen Jungen verknüpft und dessen Erlebnisprozess filmisch dargestellt. Die Atmosphäre und die Handlung des Filmes sind geprägt von Grauen. Klimov sagte im Interview, dass es nur zwei grausame Szenen im Film gäbe, die Verbrennung der Dorfbevölkerung und die Schuldzuweisungen eines verbrannten Dorfbewohners. Gemessen an den Berichten im zugrundeliegenden Buch hätten es jedoch viel mehr sein müssen. Der Film ist ein Kontrapunkt zu herkömmlichen Sehgewohnheiten, ein Film bei dem das normale Leben ruht, bei dem keine Ablenkung möglich ist. Der jugendliche Hauptdarsteller Alexei Krawtschenko war einer der vielen Laienschauspieler_innen und wurde nach einem Presseaufruf und zahlreichen Tests unter 1000 Bewerbern ausgewählt. Andere „Laien“-Darsteller_innen waren überlebende Bäuerinnen und Bauern aus den neuen, inzwischen wieder aufgebauten Dörfern. Klimow schildert im Interview, wie deren  Ernsthaftigkeit und Authenzität maßgeblich zur Umsetzung der traumatischen und grausamen Szenen beitrug. Andererseits waren gerade die Überlebenden großen psychischen Belastungen ausgesetzt, z.B. durch die deutschen Schauspieler_innen in Naziuniformen. Hier brachen oftmals die Erinnerungen wieder auf, sodass eine psychologische Betreuung nicht nur für die jugendlichen Schauspieler_innen sondern insbesondere für die Überlebenden notwendig war. Eine weitere Besonderheit des Filmes waren die chronologischen Dreharbeiten, die der Filmhandlung folgten und zu einer hohen Verdichtung des Themas im Film und zur schrittweisen Einführung des Hauptdarstellers führten. Für den realistischen Eindruck im Film sorgte zudem u.a. das Schießen mit scharfer Munition. Der Ton spielt in diesem Film eine herausragende Rolle, die Klimow als „geräusch-musikalische“ Schicht bezeichnete. Der Ton sollte die Sprachlosigkeit der Menschen ausdrücken: Mal fehlt er völlig, dann ist er kaum auszuhalten, bspw. wenn der erste Bombenangriff auch die Zuschauer_innen mit einem dumpfen Tinitusgeräusch quält. Dieses Stilmittel wurde hier erstmals verwendet und findet in späteren Filmen, z.B. in der Anfangssequenz von „Soldat James Ryan“, erneut Verwendung. Der Zuschauer sollte die Musik nie als Melodie wahrnehmen, einzige Ausnahme bildete das Musikstück Mozarts Requiem (KV 626) mit dem der Film endet und das Ausmaß der Naziverbrechen in Weißrussland illustriert. In dem Film sind keine konkreten Orte, Fronten oder Ereignisse zu erkennen. Es kann an jedem Ort in der Sowjetunion passiert sein. Das ungewöhnliche Academy-Bildformat (4:3), welches den Blickwinkel gezielt eingrenzt, unterstreicht die subjektive Natur der Darstellung. Die Farben sind erdig und ausgeblichen. Klimow traf diese bewusste Entscheidung gegen den Dreh in Schwarz-weiß, was bis dahin mit „Authentizität“ assoziiert wurde. Der Hauptdarsteller führt im Film ein Gewehr mit sich, das er erst am Ende nutzt, er schießt auf das Bild von Hitler und die Geschichte läuft in Dokumentarfilmsequenzen rückwärts und ihm und auch dem Zuschauer stellt sich die Frage nach der Verantwortung für das Geschehen. Es bleibt ein Bild von Hitler als Kind, auf das der Hauptdarsteller nicht mehr schießt.

Zum Abschluss ein Zitat von Elem Klimov, welches er den Zuschauer_innen vor dem Film sagen wollte:

„Verehrte Zuschauer, ich kann Ihnen nur das eine sagen: Bitte haben sie Geduld und trauen sie sich zu, die Augen nicht von der Leinwand zu lassen.“

Stuhl

Anmerkungen

(1) Zum Vergleich: an der Westfront starben nur 3,5% der Kriegsgefangenen.
(2) Von den Wehrmachtsoffizieren, die für diese Verbrechen verantwortlich waren, stand nie einer vor Gericht. Im Gegenteil beim Wiederaufbau der Bundeswehr aber auch der NVA (bis 1957) waren Wehrmachtsoffiziere maßgeblich beteiligt.
(3) Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow: Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten
(4) Ilja Altman: Opfer des Hasses. Der Holocaust in der UdSSR 1941-1945. Mit einem Vorwort von Hans-Heinrich Nolte.Aus dem Russischen von Ellen Greifer. Muster-Schmidt-Verlag, Gleichen-Zürich 2008.
(5) Dieses Bataillon war aus dem im KZ Oranienburg aufgestellten „Sonderkommando Dirlewanger“ hervorgegangen. In diesem wurden zunächst als Wilderer verurteilte und andere straffällig gewordene Mitglieder der Totenkopfverbände der SS, später auch eben solche der Waffen-SS und der Wehrmacht integriert. Dieses Bataillon wurde von Oskar Dirlewanger geführt. Eine Aufgabe dieser Einheit war die Partisanenbekämpfung, welche mit besonderer Rücksichtslosigkeit und Brutalität ausgeführt wurde. Dabei entstanden „Tote Zonen“, in denen alle Einwohner ermordet, die Vorräte geraubt und die Orte dem Erdboden gleichgemacht wurden.
(6) Wolfgang Curilla, Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weißrussland 1941-1944, Paderborn 2006.
(7) Webseite der Gedenkstätte Chatyn: http://khatyn.by
(8) „Geh und sieh“ in: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft, H. 30, hrsg. von Hochschule für Film und Fernsehen der DDR „Konrad Wolf“, Jg. 28, Berlin 1987.

25.10.2011
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