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Ohne Frage stellt die derzeitige Entwicklung, die die Leipziger Linke derzeit
durchläuft, weder eine außerordentliche, neue noch eine besonders
überraschende oder schockierende dar. Bereits in den Jahren um die
Jahrtausendwende wurde mit innerlinker Kritik der Ruf laut, das Problem
linker Sozialisation(1) anzuerkennen. Antifaschistische Praxis, von nun an als
für radikale Gesellschaftskritik unbrauchbar entlarvt, wurde im Zuge des
sogenannten Aufstands der Anständigen zur Staatsdoktrin
erklärt. Als Beitrag zur Modernisierung warenproduzierender Gesellschaft
ereilte den revolutionären Antifaschismus das Schicksal seiner
Einzelkämpfer, deren Dasein als solche stehts mit dem Abklingen
postpubertärer Rebellion und im von Sachzwängen bestimmten Aufgehen
in kapitalistischer Realität sein Ende findet.
Ob und warum linke Radikalität, von antisexistischen, antirassistischen
und antifaschistischen Gruppen, Initiativen, etc. allzu oft, wenn auch nur
über den indirekten Griff auf Ganze(2), beansprucht, lediglich dem
Weltverbesserungsbedürfnis derer von der eigenen Ohnmacht sich dumm
machen(3) lassender entspringt und damit der Kritik eine endgültige Absage
erklärt, ist die Frage, deren Beantwortung die Aufforderung zum
konsequenten Verzicht auf jene Verschränkung mit deutscher Gesellschaft
und Politik beinhalten muss und nur damit den Rahmen für Radikalität
abstecken kann.
Explizit an den Ereignissen und Neu-formierungen in Leipzig, die sich
durch das Erstarken linksdeutscher Einflussnahme und eine neue Hinwendung der
Linken zur politischen Praxis auszeichnet, ist nachzuvollziehen, wie linkes
Politikverständnis gegen Kritik und Denken in Stellung gebracht wird.
Dass die Gelangweilten sich an jeden Grund, ihr Treiben fortzuführen, mit
allen Kräften krampfhaft klammern, jedem Neonazigroßereignis, das
Farbe in den tristen Alltag zu bringen verspricht, freudestrahlend entgegen
blicken und sich in zum Teil geschmacklosester Art und Weise an jedem Anlass
ergötzen, der geeignet erscheint, ihr Mitmachangebot für alle
Altersgruppen weiter auszubauen, verwundet dabei nicht. So schafft es der
Online-Blog Diffusionen.de mit der Frontberichterstattung vom
Kiez(4) doch tatsächlich, die Silvesternacht 2010 zum Politikum zu machen,
es sei zwar hier nichts passiert, d.h. Randale blieben aus, handle es sich
jedoch bei der Berichterstattung über dieses Ausbleiben des Leipziger
autonomen Neujahrstreibens um einen echten Medienskandal; ein
Antifabündnis proklamierte letztes Jahr kurzerhand den Roten Oktober
revolutionärer Antifaschismus im Bürgerbündnis gegen
Neonazis, die eher an der eigenen Unfähigkeit als am entschlossenen
Widerstand der Volksfront gegen Rechts scheiterten und einen knappen
Monat später übertrifft dies nun der neu gegründete
Initiativkreis Antirassismus. Anlässlich eines Mordes in der Leipziger
Innenstadt der 19jährige Iraker Kamal K. wird vom notorisch
kriminellen Marcus E. unter Beihilfe seines Knastkumpels und Neonaziaktivisten
Daniel K. angeblich im Streit erstochen gründet sich dieser weitere
Interessenverband mit dem Ziel, den Mord, das ein vermutetes rassistisches
Tatmotiv sowie den Umgang damit durch Justiz und Medien zu thematisieren.
Die von der Initiative betriebene Instrumentalisierung des Mordes reicht zum
Teil bis hin zur Geschmacklosigkeit. Galt es bis in die 90er Jahre in der
antirassistischen Linken noch, die Schilderung eines Betroffenen über ein
rassistisches Tatmotiv unhinterfragt hinzunehmen und danach zu agieren, so
überträgt der Initiativkreis dieses Definitionsrecht jetzt an sich
selbst.
Neben zwei eigenen Demonstrationen anlässlich des Geschehens und der
Unterstützungsarbeit für die Familie (Spendensammlung, Kooperation
mit den RAA,...) fällt der Initiativkreis besonders durch eine intensive
Öffentlichkeitsarbeit auf: so wurde eine Textproduktionsmaschinerie
angeworfen, die drei Seiten wordpress-Blog voll stopfte, mehrere
Radiointerviews sowie andere Statements in diversen lokalen Medien abgegeben.
Der Initiativkreis feiert Medienerfolge als öffentlicher Druck,
will den Fall skandalisieren, politisieren und auch
staatliche Diskriminierung sowie die Lebensrealität von Migranten
in den Fokus rücken.(5)
Diese Zielsetzung den öffentlichen Aufschrei einzufordern, die
Berichterstattung geraderücken zu wollen sowie die eigenen Erfolge am
Einlenken der staatlichen Stellen zu messen, zielt darauf ab, eben jene
Volksfront gegen Rechts herbei zu beschwören. Ein solches Wirken von
Antirassismus im Realpolitischen verdeutlicht die Neigung einer Linken,
sich letztendlich doch zu Volk und Staat zu bekennen und so ihren eigenen
explizit deutschen Charakter zu offenbaren.
Spricht der Initiativkreis Antirassismus vom beständigen Rassismus
der Gesellschaft(6), bemüht sich um die Thematisierung alltäglicher
rassistischer Diskriminierung und benennt die Berichterstattung der LVZ als
stetig rassistische, so verbirgt sich darin für antirassistische Arbeit
typisches. Zuerst ist festzustellen, dass hier die Forderung der Aufnahme
antirassistischer Positionen in die Leitlinien für Medien, Politik, etc.
gestellt wird. Zur gleichen Zeit soll aber das vehemente Gerede vom
gesellschaftlichen Rassismus oder Rassismus als
gesamtgesellschaftliches Problem den linksradikalen Anschein dieser
Strömung wahren. Wird Staat und Gesellschaft diagnostiziert, bereits in
ihrer Konstitution Rassismus inne zu haben, so wird der politischen Kampf gegen
eben jenen zur gesellschaftskritischen Praxis stilisiert. Diese
Verschränkung mit dem Staat, als politische Praxis eine
staatstragende, wird weder dem Begriff der Kritik gerecht, noch kann sie als
radikal bezeichnet werden. Ein Interesse an Gesellschaftskritik geht jeder
linken Gruppe ab, sobald sie medienwirksam agiert, als Praxis zur eigenen
theoretischen Vorarbeit den Handschlag mit der Öffentlichkeit wagt, ihren
Erfolg an der Massentauglichkeit des eigenen Mitmachprogramms misst und
Radikalität zugunsten des Möglichen über Bord wirft. Dass
gerade antirassistische Linke immer wieder in diese Kerbe schlagen, liegt vor
allem an ihrem Verständnis von Ideologie, besonders rassistischer, und der
damit verbundenen Zwecksetzung ihrer Arbeit.
Statt auf Ideologie als immer wieder in und durch gesellschaftliche
Verhältnisse produzierte Denkformen, die als Ausdruck der Unvernunft
bereits als solche kritisiert gehören, liegt im Antirassismus der Fokus
auf den Lehren des Rassismus, seinen Ausprägungsformen und seinen Folgen
für Einzelne. Unfähig, den gesellschaftlichen Zusammenhang zu
erkennen, dem Ideologie entspringt, bleibt damit nur die Möglichkeit, eben
jene Lehren zu widerlegen, rassistische Erscheinungen auf Werbetafeln und im
Sprachgebrauch auszutreiben oder eben das Geschrei über die schrecklichen
Folgen von Rassismus anzuführen. Antirassismus verweigert sich jeder
Kritik und ist damit für die viel beschriene Überwindung
irgendwelcher Zustände schlicht unbrauchbar.
Bezeichnend für den Initiativkreis ist die Verstrickung mit der Leipziger
Linkspartei(7). Besonders im Leipziger Süden als Sammelbecken für
gelangweilte und unbestätigte Antifas auffallend, nimmt die Linksjugend
szeneintern eine wichtige Rolle ein. Rot-Radikal lackiert, immer im
revolutionären Gewand gekleidet, gibt man sich gerne
gesellschaftskritisch. Parteiintern mit dem Label antideutsch versehen,
offenbart sich erst im Dschungel der Realpolitik, was wirklich Phase ist. Aus
den Radikalen werden die heimlichen Helfer der Herrschaft, zur
Krisenbewältigung und regelmäßigen Generalüberholung
herangezogen hängen sie am Staat, wie er an ihnen. Die vorgeblich
antideutschen Positionen derer sind nichts weiter als das Bekenntnis zur
jugendlich-hippen Antifa der 2000er Jahre und ihrer Mode und ihrer entledigen
sie sich dann auch, wenn sie als Agenten der Realpolitik und Bewegungslinke in
neuem Gewand der eigenen vorgeblichen Radikalität eine Absage erteilen,
indem sie die Konsequenz scheuen, die diese bedingt. Hier steht dem
Eingeständnis der eigenen Ohnmacht und der ehrlichen Aussicht auf eine
Überwindung der Zustände der persönliche Wunsch, die Welt zu
einem schöneren Ort zu machen, entgegen. Die Ausrichtung eines
bundesweiten Strategietreffens der Linkspartei, auf dem die Bedrohungssituation
durch Antideutsche thematisiert werden soll, indes verdeutlicht eben deren
Angst vor dieser Konsequenz und ihrer Entlarvung als Modernisierungshelfer.
Diese Linke und ihr Wirken, ob nun im Antifabreitenbündnis, in
Genderseminaren an Hochschule oder Argumentationstrainings gegen Rechts in
Schulkassen, sind Teil des Problems. Ihre Radikalität ist ein nicht zu
erfüllender Schein, ihre Kritik vom eigenen Wirken aller Mittel beraubt.
Deswegen wird die endgültige Absage an jene Linke und ihr
Politikverständis zur Voraussetzung dafür, nicht selbst das
Ende der Geschichte einzuleiten.
Ferrand