Über die Voraussetzungen der Israelsolidarität
Geirrt zu haben, würde ich niemandem vorwerfen. Nicht einsehen zu wollen,
das ist das Schlimme, wenn es so weit ist, dass man den Irrtum bis zur Neige
gesoffen hat. (Manés Sperber)
Es kann nicht schaden, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, worin der
Konsens linker Israelsolidarität besteht. In dem Grundsatzpapier des
Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom innerhalb der Partei
Die Linke
brachte man ihn wie folgt auf den Punkt: Ohne jede Einschränkung
bekennen wir uns zum Existenzrecht des Staates Israel innerhalb sicherer
[
] Grenzen. Ebenso ist das Recht Israels auf Selbstverteidigung
gegenüber allen Aggressionen, insbesondere gegenüber islamischem
Terror, zu akzeptieren. Dass der BAK Shalom mittlerweile in seinem Unterfangen
als gescheitert gelten muss, den Konsens linker Israelsolidarität auch zum
Parteikonsens zu machen, dürfte sich spätestens nach dem
Djihad-Unternehmen vom Frühjahr letzten Jahres, das sich mit dem Namen des
Schiffes
Mawi Marmara verbindet, herumgesprochen haben. Gescheitert ist
der BAK-Shalom insbesondere daran, ohne jede Einschränkung die
Anerkennung Israels als jüdischen Staat zur Parteiräson zu machen.
Meine Damen und Herren, nun ist es so, dass mein Eingangszitat gar nicht vom
BAK-Shalom oder einer anderen linken Gruppierung stammt, sondern einer
Jerusalemer Erklärung entnommen ist, die von Parteien stammt, die inner-
und außerhalb der Linken als sogenannte Rechtspopulisten gelten: von der
österreichischen
FPÖ, dem belgischen
Vlaams Belang, den
Schwedendemokraten und von der Partei
Die Freiheit um den EX-CDUler Rene
Stadtkewitz. Bemerkenswert an diesem Zitat ist jedoch, dass es genausogut vom
BAK-Shalom, von der Redaktion der Leipziger Zeitung
Phase 2 oder aus
einer anderen linken Publikation stammen könnte, für die linke
Israelsolidarität dem eigenen Bekunden nach eine
Selbstverständlichkeit geworden ist.
Es stellt sich die Frage, was im Lager der Rechtspopulisten los ist. Gibt es
dort etwa einen Linksruck? Es dürfte klar sein, dass sich eine solche
Frage erübrigt. Genauso übrigens wie die unter deutschen
Mehrheitslinken beliebte, ob linke Israelsolidarität nicht glasklar
für einen Rechtsruck stünde.
Natürlich findet sich in der Erklärung der Rechtspopulisten auch der
hässliche Satz: Das Recht auf Heimat ist ein Menschenrecht, welches
für alle Völker zu wahren und umzusetzen ist. Ich behaupte aber,
dass dieses Heimatrecht bei einem Stadtkewitz unter proisraelischen Vorzeichen
nicht annähernd an den völkischen Standard der Mehrheitslinken
und wir reden hier von einer absoluten Mehrheit heranreichen kann, der
auch und gerade den Genossen Gysi einschließt, der in seiner
programmatischen Rede von 2008 der deutschen Linken eingeschärft hat, dass
Israel als kultureller Fremdkörper im Nahen Osten der Unruheherd sei.
(1)
Der durch die UN geschaffene und von den Linken geteilte Standard bei der
Verteidigung des palästinensischen Rechtes auf Heimat lässt
bekanntlich selbst den Heimatbegriff des Bundes der Vertriebenen um Längen
hinter sich. Denn bei den Palästinensern ist Heimat ein durch das
Völkerrecht legitimierter feudaler Erbtitel auf Blut und Boden und nicht
wie etwa bei Frau Steinbach eine Frage schlechter Gesinnung.
Wenn ausgerechnet dem künstlichen Gebilde Israel, die Ausgeburt der
Wurzellosigkeit schlechthin, das Heimatrecht zugesprochen wird, dann
dürfte es im Lager der Rechtspopulisten um das völkische Denken nicht
gerade gut bestellt sein. Denn dass man sich so selbst unterminiert und damit
nicht der alte Haufen bleiben kann, weiß man dort vielleicht selbst noch
nicht so genau, dafür aber ihre Mitbewerber von der
NPD umso
genauer. Die nämlich beklagen in ihrem Parteiorgan
Deutsche Stimme
den Verrat an der Sache, der darin bestünde, dass man nicht gegen
die Landnahme fremder Völkerschaften in Europa sein und
gleichzeitig die Vertreibung anderer Völker aus ihrer angestammten
Heimat befürworten könne (04.01.11). Mit dieser Analyse sind die
Nazis klüger als ihre linken Gegner. Im Netz gegen Nazis, das vom
DFB, der Zeit und Stern bis hin zu Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner
Unterstützung erfährt und wegen seiner Chefin Annette Kahane wohl
kaum unter dem Verdacht steht, antiisraelisch zu sein, ist man sich instinktiv
sicher, dass die Jerusalemer Erklärung nichts weiter sei als eine
zeitgemäßere Fassung von Rasse-Ideologien des
Nationalsozialismus. Zum Ausdruck kommt in dieser Analyse eine
merkwürdige aber typische Antifa-Sicht, die sich auf den Nenner bringen
lässt: Seit Adolf hat sich bei den Rechten einem Naturgesetz gleich nichts
zu verändern und basta. Was die kleine Pro-Israel-Fraktion der
Linken in dieser Hinsicht vom linken Rest unterscheidet, ist der Glaube an eine
fundamentale Veränderung bei den Linken, die es bei den Rechten nicht
geben darf. Die konkrete Utopie dieser Wenigen ist der Traum von einer
ausnahmslos proisraelischen Linken. Vergessen wird dabei allzu schnell, dass
linke Israelsolidarität ein Produkt der Kritik an der Linken und damit
nicht die Annäherung ihr gegenüber, sondern die Entfernung von ihrer
Ideologie ist. Diese zentrale Voraussetzung der Israelsolidarität wird
heute jedoch nahezu flächendeckend von
Konkret über
Jungle
World bis zum Leipziger
Conne Island nicht nur ignoriert, sie wurde
gar in ihr Gegenteil verkehrt. Diese Verkehrung findet ihren Ausdruck darin,
dass man es schon lange nicht mehr mit den konsequenten Kritikern der Linken
halten will und sie als Nestbeschmutzer wahrnimmt. Dass die linke
Israelsolidarität in den Augen ihrer Protagonisten mittlerweile als ein
originär linkes Produkt gilt, liegt paradoxerweise auch in ihrem Erfolg
begründet, sich jahrelang gegen eine linke Mehrheit durch
rücksichtlose Kritik behauptet zu haben. Aus dieser einstmaligen
Rücksichtslosigkeit ist gegenseitige identitäre Rücksichtnahme
geworden, bei der nach dem Motto getrennt marschieren, vereint schlagen
die Claims jeweiliger Einflussnahme abgesteckt wurden, damit man sich nicht
übermäßig ins Gehege kommt. Anders gesagt: die
Israelsolidarität von links hat sich zum legitimen Teil der Linken
degradiert und degradieren lassen und ist damit zu einem Widerspruch in sich
geworden, den in letzter Zeit kaum jemand besser auf den Punkt brachte wie die
Autorin des Conne Island-Newsflyers
CEE IEH namens Susanne in ihrer
Tirade gegen
Justus Wertmüller. Das Conne Island sei ein Ort,
schreibt sie, an dem das Palituch nicht getragen werden darf, gerade weil
er sich als links versteht und damit emanzipatorische Werte verbindet, die
nicht mit Antisemitismus zusammengehen. Verständlich, davon ein Teil sein
zu wollen (
CEE IEH #182). Das Bedürfnis nach linker Gemeinschaft, das die
Autorin offensichtlich für unwiderstehlich hält, paart sich bei ihr
mit der gelinde gesagt verwegenen Behauptung, links sei gerade
dort, wo das Palituch unerwünscht ist. Wenn man diesen Gedanken weiter
führen würde, käme allerdings auch Suanne zu verblüffenden
Einsichten: Dass die Linken im Weltmaßstab zu 99,5 Prozent nicht nur die
berühmten antitautoritären Bauchschmerzen haben dürften, sondern
sprichwörtlich auf die Barrikaden gingen, wenn man von ihnen verlangen
würde, das Tragen des Palituches uncool zu finden, sollte man, gerade wenn
man sich als links versteht, allerdings wissen. Man sollte Susanne zumindest
nicht unterstellen, sie leide unter einem vollständigen
Realitätsverlust und würde die 0,5 Prozent Restlinken, die sich
israelsolidarisch begreifen, auch nur ansatzweise repräsentativ für
die Linke halten. Gerade deshalb aber stellt sich die Frage, an wen die
Autorin, gesetzt den Fall, sie habe nicht nur sich selbst als die einzige
aufrechte Linke überhaupt vor Augen gehabt, gedacht haben könnte.
Diese Frage stellt sich um so eindringlicher, je mehr man bedenkt, dass die
klaren linken Mehrheitsverhältnisse eigentlich erwarten lassen sollten,
dass das Unerwünschtsein des Palituches mit der Kritik an der Linken
begründet wird.
Wo also sind die linken Kronzeugen der Israelsolidarität? Sollte es Stalin
sein, der als Welt-Chef der alten Linken bekanntlich die Gründung Israels
unterstützt hat? Sollte es Ulrike Meinhof sein, von der man als einen Kopf
der neuen Linken behauptet, dass sie bis zum 67er Krieg klar israelsolidarisch
war? Oder hat Susanne Hans Chaim Meyer vor Augen, besser bekannt als Jean
Amery, der vor dem ehrbaren Antisemitismus gewarnt hat?
Was Stalin betrifft, der als genialer linker Stratege, der er zeitlebens war,
1948 Israel als potentielle pro-kommunistische Einflusszone gegen Amerika
anerkannte, zur gleichen Zeit zur Zionistenhatz im eigenen Lager blies und 1952
alle Kontakte zu Israel abbrach, so kann Susanne den wohl nicht gemeint haben.
Bei Ulrike kann sie aber auch nicht fündig werden. Bevor Meinhof kurz
darauf den Moshe-Dayan-Faschismus in Israel entdeckte, hatte sie zwar
den gern zitierten Aufsatz mit dem Titel Drei Freunde Israels
geschrieben, in dem sie die Solidarität seitens der europäischen
Linken einforderte. Gleichzeitig aber befürwortete sie darin nicht nur den
arabischen Nationalismus, von dem sie genau wusste, dass in seinem
ideologischen Zentrum der völkische Hass auf Israel steht; sie setzte auch
gleich neu-linke Prioritäten im Kampf gegen die Israelsolidarität der
Vereinigten Staaten und des Springer-Verlages.
(2) Wir sehen, weder auf die alten
noch auf die neuen Linken kann sich Susanne berufen. Es bleibt ihr also nur
einer, der sich als vereinzelter Linker zugleich als Kritiker der Linken
verstand, Jean Amery. Dessen Kritik des linken Antizionismus als ehrbarer
Antisemitismus lag eine Hoffnung zugrunde, die Amery zur Tatsache umbog,
vermutlich weil er die real existierende Linke sonst nicht einmal bis zu seinem
Freitod 1978 ertragen hätte. In seiner berühmten Rede gegen den
ehrbaren Antisemitismus befand Amery, die Linke sei zwar irregeleitet,
ihrem Wesen nach aber sei sie generös. Amery weiter:
Es kann nicht, es darf nicht sein, dass die Nachfahren der Heine und
Börne, der Marx und Rosa Luxemburg, Erich Mühsam, Gustav Landauer es
sind, die den ehrbaren Antisemitismus verbreiten. Und doch ist es so!, muss
man Amery heute erwidern.
Ob es die Generösität der Linken je gegeben hat bzw. wann sie ihr
Ende fand, ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung. Nichts allerdings
spricht dafür, dass Linkssein und israelsolidarisch miteinander vereinbar
sind, wie Amery noch hoffte. Linke Israelsolidarität hat sich im Zuge
ihrer Etablierung nicht nur im Conne Island als ein Instrument zum
Schönreden der Linken und des identitären Wohlfühlens entpuppt
und dient wie im Fall von Susanne der Verharmlosung der Linken als notorischer
Feind des jüdischen Staates. Darüberhinaus hat sie gegenüber der
Kritik mittlerweile objektiv eine Feigenblattfunktion für die deutsche
Linke inne.
Es ist alles andere als ein Bruch mit ihrer Geschichte, wenn die Linke weltweit
sich gegen die Kritiker des Islam stellt und nicht an die Seite derer, die er
bedroht. So kennen wir es in vergleichbaren Situationen aus der Zeit der
Komintern Stichwort Sozialfaschismusthese oder Hitler-Stalin-Pakt
und so kennen wir es von der neuen Linken beispielsweise im Fall des
Iran 1979. Umso erstaunlicher und begrüßenswerter ist es, was auf
der rechten Seite passiert. Die Pro-Israel-Haltung, die sich dort breit macht,
könnte nicht nur einer Rechten, wie wir sie kannten, das Ende bereiten.
Zugleich ist sie es, um es mit Walter Benjamin zu sagen, die sich
offensichtlich einer Erinnerung bemächtigt, wie sie im Augenblick einer
Gefahr aufblitzt.
(3) Denn im Gegensatz zur Linken scheint sie im Kampf gegen die
neue Gefahr an der Seite Israels in erster Linie auf die Verteidigung der
Freiheit des Einzelnen und nicht wie die Linke auf das Völkerrecht, also
auf das Kollektiv zu setzen. Dieser Unterschied ums Ganze lässt sich in
der Jerusalemer Erklärung nachlesen: Nachdem die totalitären
Systeme des 20. Jahrhunderts überwunden wurden, sieht sich die Menschheit
gegenwärtig einer neuen weltweiten totalitären Bedrohung ausgesetzt:
dem fundamentalistischen Islam. Wir betrachten uns als Teil des weltweiten
Kampfes der Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten gegenüber allen
totalitären Systemen und deren Helfershelfern. Damit stehen wir an
vorderster Front des Kampfes für die westlich-demokratische
Wertegemeinschaft. Dabei lehnen wir jenen kulturellen Relativismus ab, der
unter dem Vorwand der Achtung fremder Kulturen und Traditionen toleriert, dass
Menschen, insbesondere nicht-islamische Minderheiten, in Teilen des
muslimischen Kulturkreises in ihrem Recht auf Freiheit, Gleichheit und
Mitbestimmung eingeschränkt werden. Dies gilt für alle Teile der
Welt, selbstverständlich in erster Linie auch für Europa, da die
Menschenrechte universell und geografisch unteilbar sind.
Sicherlich, Papier ist geduldig. Nichts aber spricht dafür, dass man
vergleichbare Aussagen in einer linken Erklärung adäquater Bedeutung
finden wird, auch und gerade nicht von linken Israelfreunden, die es sich mit
ihren GenossInnen nicht verderben wollen. Allein deshalb aber verlangt
Israelsolidarität, sich von der Linken zu lösen und nicht sie
für die unmögliche Rettung der Linken zu instrumentalisieren. An der
Linken festzuhalten, dafür gibt es nur den einen Grund, sie zum Gegenstand
der Kritik zu machen. Und nur die Kritik würde auch legitimieren, Orte zu
schaffen, an denen ein Palituch nicht getragen werden darf. Dass das Conne
Island als Zentrum der Leipziger Linken ein solcher nicht ist, ist hoffentlich
deutlich geworden.
Sören PünjerAnmerkungen
(1) Im Frühjahr 2008 hielt Gregor Gysi seine programmatische und viel
gelobte Rede Die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel, in der
er forderte: Israel darf nicht weiter versuchen, kulturell Europa im
Nahen Osten zu sein, sondern muss eine kulturelle Macht d e s Nahen Ostens
werden.
(2) In dem Aufsatz, der in dem Sammelband Die Würde des Menschen ist
antastbar (Berlin 1980) nachzulesen ist, erklärt Meinhof zwar, die
Politik der europäischen Linken (könne) nicht araberfreundlich
im Sinne der Araber sein, müsste ihnen den Verzicht auf Palästina
abverlangen, die Bereitschaft zur Koexistenz mit Israel. Schlussendlich aber
stellt sie sich hinter den arabischen Nationalismus, von dem sie nicht wissen
wollte, dass dessen Antikommunismus nur eine Form des abgrundtiefen Hasses auf
den Westen also auch auf Israel war und kein
Schönheitsfehler: Die Solidarität der Linken mit Israel kann
sich nicht von den Sympathien der USA und der BILD-Zeitung vereinnahmen lassen,
die nicht Israel gilt, sondern eigenen, der Linken gegenüber feindlichen
Interessen. Die Solidarität der Linken schließt auch einen Mann wie
Moshe Dajan ein, wenn er ermordet werden soll, nicht aber dessen
Rechtsradikalismus, seine Eroberungspolitik; so wie sie selbstverständlich
mit dem arabischen Nationalismus sympathisiert, nicht aber mit Nassers
Kommunistenverfolgung (Hervorh. S.P.).
(3) In Über den Begriff der Geschichte heißt es bei Benjamin:
Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ,wie
es denn eigentlich gewesen ist`. Es heißt, sich einer Erinnerung zu
bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.