• Titelbild
• Editorial
• das erste: Immer wieder Selbstbetrug
• Vergesst den sich bahnenden Frühling
• Boston represent...
• AYS, Hang The Bastard, Wayfarer, Slave Driver
• Scuba
• "Aber wenn ich werd' schreien, wird besser sein?"
• Willkommen im Irrenreservata
• The Beat Scene's Next Generation
• After St.Patricks Day Is Before St.Patricks Day
• ...And You Will Know Us by the Trail of Dead
• Disco Ensemble
• Freiheit auf Arabisch
• Hercules and Love Affair
• Das Filmriss Filmquiz
• Veranstaltungsanzeigen
• review-corner buch: (K)eine Rezension
• review-corner film: Verarbeitung über Pornografie
• kulturreport: Die Wahl der Socken
• cyber-report: See No Evil
• doku: Über die Voraussetzungen der Israelsolidarität
• leserInnenbrief: LeserInnenbrief
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• das letzte: Dünnes Eis
Während meiner Kindheit in Israel besuchte uns meine Großmutter
Miriam regelmäßig samstags, um gemeinsam mit der Familie Mittag zu
essen. Mein kleiner Bruder und ich waren in der Regel viel zu sehr damit
beschäftigt, über den Familiencomputer gebeugt, das neueste Spiel zu
spielen, als dass wir sie an der Tür begrüßen konnten, so wie
es wohl jeder respektvolle Enkel getan hätte. Eines Samstags fand sie uns
an unserem üblichen Platz, in der Hand hielt sie Bestechungsgeschenke,
Kit Kat-Riegel, um uns davon zu überzeugen, doch eine kurze Pause
einzulegen. Als diese Strategie fehlschlug, versuchte sie, mit uns ins
Gespräch zu kommen, indem sie uns fragte, was wir denn da spielen
würden.
Das ist Wolfenstein 3D, antworteten wir, ohne unsere Augen vom
Bildschirm abzuwenden.
Und was tut man in Wolfenstein 3D?
Nun ja
, zögerte ich, es ist ein Spiel, in dem man Nazis
tötet.
Sie stand eine gefühlte Ewigkeit in unbehaglicher Stille da, betrachtete
die Hakenkreuze auf dem Bildschirm, hörte die Geräusche des
Mündungsfeuers und die gelegentlichen Schreie eines deutschen Soldaten,
wenn er zu Boden ging. Ich war jung, aber die Absurdität jenes Moments
ging dennoch nicht an mir vorüber. Hier stand eine Frau, deren gesamtes
Leben sich für immer veränderte, als die deutsche Armee ihr
Heimatland Polen überfiel, die nun zusah, wie ihre Enkel, ganz nebenbei,
ihre ehemaligen Unterdrücker mit einem Mausklick niedermetzelten. Mit
leerem Blick sah sie auf den Schirm, murmelte letztlich, ich glaube, das
ist schon in Ordnung und entschwand Richtung Küche.
In einer gewissen Weise erlaubte mir dieser Vorfall, weiterhin FPS(1) mit dem
Thema Zweiter Weltkrieg über Jahre hinweg zu spielen, ohne jemals einen
tiefer gehenden Gedanken daran zu verschwenden. Miriam hatte gesagt, es sei
schon in Ordnung, und sie hatte es ja schließlich selbst miterlebt. Wer
war ich denn, dem widersprechen zu wollen. Also erschoss ich Nazis aus Pixeln
und später, als die Technologie es zuließ, sprengte ich sie in
Stücke, die anmuteten wie ein Sortiment aus glasierten Schinken. In meinen
virtuellen Kämpfen, kreuz und quer durch ein fortwährend vom Krieg
zerrüttetes Europa, habe ich wahrscheinlich mehr deutsche Leben beendet,
als die wirklichen alliierten Streitkräfte.
Ich schäme mich, dies zuzugeben, aber ein Teil des Vergnügens dieser
Spiele entsprang der Genugtuung, dass ich meine Vorfahren rächen
würde. Die Handlanger eines monolithischen und unerklärlichen
Bösen zu töten, war immer schon die Grundlage von Videospielen.
Für einen jüdischen Menschen allerdings, sollten diese Horden aus
Nazis bestehen, war dies poetische Gerechtigkeit. Zumindest glaubte ich das,
bis Miriam von uns schied.
Schon bald wird die letzte Generation, welche den Zweiten Weltkrieg noch mit
eigenen Augen sah, aufgrund ihres hohen Alters sterben. Holocaust-Gedenkmuseen
versuchen verzweifelt jüdische Überlebende aufzuspüren, so dass
diese ihre Erlebnisse dokumentieren mögen, bevor sie für immer
verloren gehen. Sie bereiten sich auf eine Zeit vor, in der unsere wichtigste
Verbindung zu diesem Teil der Geschichte abgebrochen sein wird, was die
Aufgabe, die Erinnerung am Leben zu erhalten, nur umso schwieriger macht.
Ich empfand nicht dieselbe Dringlichkeit, bis schließlich meine eigene
persönliche Verbindung, meine Großmutter, verschwunden war. Wenn die
Pflicht, die Erinnerung an den Holocaust zu bewahren, an meine Generation
übertragen wird, haben wir nichts als Bilder, Bücher, Filme und, ja,
eine große Anzahl von Videospielen, die sich mit diesen Ereignissen
auseinandersetzen. Jedes dieser Medien hat seine eigenen Probleme, aber keines
von ihnen führt so gründlich in die Irre wie FPS mit dem Thema
Zweiter Weltkrieg.
Nehmen wir zum Beispiel Call of Duty: World at War. Was vermittelt es
uns über diesen Krieg? Wir wissen, dass er ausschließlich zwischen
uniformierten Männern aus verfeindeten Nationen ausgefochten wurde, denn
sogar die Schlachten in den Städten sind völlig frei von Zivilisten.
Wir wissen, dass die Vereinigten Staaten und das Vereinte Königreich die
unfehlbar Guten waren, dass Russlands Rolle fragwürdig, aber notwendig war
und dass Japan und Deutschland jene unmoralischen Nationen gewesen sind, welche
um jeden Preis besiegt werden mussten.
All diese Annahmen sind ungenau und verdienen eine individuelle
Auseinandersetzung, aber jene, die mich am meisten ärgert, ist die
Darstellung der Deutschen als böse, ohne jemals den Holocaust zu
erwähnen. Sie sind einfach außerstande, irgend etwas Gutes zu tun,
Punkt, Aus, Ende , keine weitere Erklärung notwendig. Sie sind wie die
Chimäre, die Heuschrecke oder die Dämonen aus Doom(2). Die
Aussage von Call of Duty besteht darin, dass die Nazis nichts als Zombies
waren, was uns wiederum erlaubt, sie ohne Reue zu töten und zu
verstümmeln. Als wäre dies nicht schon deutlich genug, enthält
World at War sogar eine Nazi Zombies-Spielvariante, welche uns einen
endlosen Ansturm von untoten Deutschen niedermähen lässt.
Ich bin damit nicht mehr einverstanden. Rückblickend betrachtet war der
einzige Grund für Miriams Zustimmung, dass sie nicht darüber reden
wollte. Nebenbei über den Holocaust zu diskutieren war für ihre
Generation unerhört, also entschuldigte sie sich höflich, um uns den
Spaß nicht zu verderben, anstatt eine aufrichtige Reaktion zu zeigen. Nur
gegen Ende ihres Lebens, als sie sehr krank und wahrscheinlich ein wenig
verwirrt war, hörte ich sie irgendetwas darüber sagen. Heimweh nach
einem Haus, in dem ich nie war. Namen von Verwandten, von denen ich noch nie
zuvor gehört hatte. Als sie gegangen war, begriff ich, was verloren war
und was bald meine Pflicht sein würde. Da erkannte ich, dass, sollte
niemand in der Videospielindustrie die kindische und unehrliche
Betrachtungsweise von Spielen wie Call of Duty überwinden, wir ein Problem
haben.
Nazi Zombies würden nicht existieren, hätte es nicht die
Gräuel in den Vernichtungslagern gegeben. Die unvorstellbaren Verbrechen,
welche in Auschwitz, Treblinka und den anderen Lagern begangen wurden,
verschaffen uns nun die Lizenz, Nazis offen und kühn in einer Art und
Weise zu dämonisieren, welche wir nicht auf den Vietcong oder die
Aufständischen im Irak anwenden würden. Selbstverständlich ist
Fremdenhass eine Komponente aller internationalen Konflikte und alle Nationen
imaginieren ihre Feinde als Monster, damit sie sie als solche bekämpfen
können. In Europa gab es den gierigen Juden. In Israel gibt es die Furcht
vor dem blutrünstigen Araber. In Amerika beherrschen wir die Produktion
dieser Stereotypen fast genauso gut, wie die Kunst, uns im Nachhinein
dafür zu entschuldigen: der wilde Indianer, der minderwertige Afrikaner,
der verschlagene Japaner. Heutzutage verurteilen wir diese rassistischen
Verunglimpfungen. Aber wenn es um Nazis geht, fühlen wir uns
offensichtlich wesentlich wohler damit, sie uns als alles andere außer
als menschlich vorzustellen.
Es ist nicht meine Aufgabe, über die Darstellung der Nazis in unserer
Kultur zu streiten und in welcher Form diese Darstellung womöglich
problematisch für das heutige Deutschland sein könnte. Die
grauenhafte und heuchlerische Art, in welcher Deutsche, Japaner und andere
Gruppen in diesen Spielen behandelt werden, sollte von den Betroffenen selbst
angesprochen werden. Was mich am meisten beunruhigt an der
Geschichtsschreibung, wie sie von Videospielen gewoben wird, ist, dass
Fremdenhass alles ist, was bleibt. Jedes Sandkorn an den Stränden der
Normandie ist abgezählt. Jedes ausgebombte Gebäude in Stalingrad ist
dokumentiert. Jeder Nazisoldat ist erschossen, erstochen und verbrannt. Aber
nicht ein einziges Mal stolpern wir über die Überreste eines der
vielen jüdischen Ghettos oder eines Konzentrationslagers, welche nur
unmittelbar entfernt liegen von dem nächsten Ziel auf unserer mini map(3).
Diese Version von Geschichte, in welcher der Holocaust niemals Erwähnung
findet, ist heimtückisch. In einer Zeit, in der unsere kollektive
Erinnerung verblasst, können wir es uns nicht leisten, diese
Erzählweise zu akzeptieren, welche die Todeslager außen vor
lässt. Dies würde unsere Anstrengungen, diese Geschehnisse in den
Geschichtsbüchern zu bewahren, untergraben. Es bringt uns jenem Tage
näher, an welchem Leugner nicht mehr so einfach zu verurteilen sein
werden.
Es ist weder mein Wunsch, Entwickler und Herausgeber mit der Bürde zu
beladen, ihr Zielpublikum erziehen zu müssen, noch will ich den Fans des
Genres den Spaß verderben. Aber wenn diese Spiele weiterhin die
Prämisse des Zweiten Weltkrieges nutzen wollen, ohne als heuchlerisch
wahrgenommen zu werden, müssen sie womöglich mehr beinhalten als nur
seine oberflächlichen Aspekte.
Ich sehe zwei naheliegende Entwicklungsmöglichkeiten. Die erste wäre,
jenen Leuten zuzustimmen, welche glauben, dass Videospiele nichts weiter sind
als extravagante Spielzeuge, unfähig, Themen zu behandeln, wie dies andere
Medien tun, und das Setting von FPS auf Fantasy oder Science Fiction zu
beschränken, wo eine simple Teilung der Welt in Schwarz und Weiß
ungefährlich ist. Die zweite wäre, das Setting zu
überprüfen und etwas zu erschaffen, das ein entscheidendes Moment in
der menschlichen Geschichte nicht trivialisiert. Es wird immer einen Platz
geben für Spiele wie Wolfenstein 3D, aber es gibt auch einen dringenden
Bedarf an Mannigfaltigkeit, welche in anderen Medien zu finden ist, die sich
mit diesen Themen beschäftigen.
Wir wissen, dass Spiele in der Lage sind, sinnstiftende Erfahrungen zu
erschaffen. Ironischerweise fällt einem hier Infinity Ward's(4) Call of
Duty: Modern Warfare ein. Trotz seiner vielen Schwächen bei der
Darstellung des Krieges gelingt es dennoch, einige tiefgreifende Momente zu
präsentieren und dem Spieler verstörende und nachdenklich stimmende
Situationen aufzuzwingen, in einer Weise, wie es nur Videospiele vermögen.
Eine Exekution, eine nukleare Explosion, ein Verhör; in dem
lächerlichen Kontext des Wir gegen ein nicht eindeutiges, aber
immer osteuropäisches ,,Sie wird die Bedeutung dieser Momente
verwässert. Aber unabhängig vom Plot sind sie ausgezeichnete
Beispiele für das Potential, wichtiges Gedankengut durch Interaktion zu
vermitteln.
Ich kann nur vermuten, wie Leute reagieren würden, wenn zum Beispiel der
Nazi Zombie Modus in World at War, welcher sich darum dreht, dass eine Gruppe
von Spielern versucht (aber unausweichlich scheitern muss), ihre Position gegen
einen endlosen Strom von Feinden zu halten, in einem Kontext stattfinden
würde, der tatsächlich Sinn macht. Was wäre, wenn die Spieler
jüdische Kämpfer während des Aufstandes im Warschauer Ghetto
wären oder, Gott bewahre, alte und junge Deutsche, welche ihre Wohnungen
in Berlin verteidigten. Die Emotionen, welche dieses gameplay(5) hervorruft, sind
schon vorhanden Panik, Verzweiflung, Furcht. Es muss nur in einer Weise
optimiert werden, welche uns mit den historischen Realitäten des Settings
konfrontiert, anstatt um alles herumzuschleichen, das uns unbequem erscheinen
mag.
Es gilt weder unsichtbare Grenzen zu überschreiten noch neue und
welterschütternde Kontroversen zu erzeugen. Spieler übernehmen schon
jetzt die Rolle der Wehrmacht und hissen mit Hakenkreuzen geschmückte
Flaggen in multiplayer matches(6). Spieler feuern mit Flammenwerfern auf
japanische Soldaten und sehen ihnen beim qualvollen Verbrennen zu. Wenn wir
für diese Art von Bildern bereit sind, sollten wir auch für ein Spiel
bereit sein, das Geschichte in einer Art und Weise behandelt, die ihrem Namen
auch gerecht wird. Denn wenn der Tag kommt, an dem ich meine Kinder dabei
erwische, wie sie mit Lasern auf einen Cyborg-Hitler schießen, werde ich
nicht so höflich sein wie Miriam.
Emanuel Maiberg
zuerst veröffentlicht auf http://www.escapistmagazine.com
Übersetzung und Fußnoten: schlaubi