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Der in Hamburg lebende Künstler Christoph Schäfer hatte 2001 mit
Die Wahl der Socken eine Serie gezeichnet, in der er ironisch
Strukturveränderungen im Bereich der so genannten Kreativwirtschaft
thematisiert. Der Protagonist der Zeichnungen, ein Künstler und Bekannter
Schäfers, ist frei von jeglichen Abhängigkeiten, aber auch frei von
jeglichem Einkommen. Er versucht, selbstermächtigt, sich
selbstorganisierend und selbstmanagend auf dem Markt zu behaupten und zu
finanzieren. Dabei entwickelt er eine Menge Soft Skills, die ArbeitgeberInnen
eitel Freude bereiten, manche ManagerInnen neidisch machen und viele
ArbeitnehmerInnen alt aussehen lassen würden. Stolz auf seine
Unabhängigkeit, entwickelt er sich zum vorbildlichen Dienstleister und ist
dabei viel kostengünstiger und pflegeleichter als übliche
Servicearbeiter, weil er sich um sich selber sorgt. ArbeitgeberInnen sind
entlastet: Der Akteur nämlich erfüllt nicht nur seine Aufträge
und erhält dafür Geld, sondern er schafft überhaupt erst einmal
die Aufgaben, kümmert sich eigenverantwortlich und selbstständig um
sämtliche Ressourcen und sorgt dafür, dass Geld eingeworben wird. Am
Ende stellt er fest, dass er in seiner scheinbaren Freiheit nur neu
charakterisierten Zwängen ausgeliefert ist. Ihm bleibt im Grunde nur
täglich die lächerliche Entscheidung, ob er morgens weiße oder
schwarze Socken anzieht. Der Titel der Zeichnungsserie persifliert Die
Qual der Wahl: Man scheint eigentlich keine sinnvolle Wahl zu haben.
Bildende KünstlerInnen werden seit den 1990er Jahren gern als Muster
für die neuen Arbeitsmodelle diskutiert, in denen für
ArbeitnehmerInnen mehr Selbstverantwortlichkeit, Flexibilität, Innovation
und Risikobereitschaft erwünscht sind. KünstlerInnen vereinen heute
mehrere Berufsfelder in einer Person: Sie sind IdeengeberIn, ProduzentIn und
VerkäuferIn bzw. MarketingexpertIn. Mit diesen Eigenschaften gut für
die neue Arbeitswelt ausgerüstet, erhalten sie eine Vorbildfunktion
für prekäre Arbeitsstrukturen. Die wenigsten können vom Verkauf
ihrer Kunstwerke leben. Aber sie können ihre Fähigkeiten verwenden,
um Stipendien von Stiftungen und andere Förderungen einzuwerben. Der
Erhalt einer Förderung ist oft an die Bedingung geknüpft, einen
Nutzen für die Allgemeinheit zu erbringen. Es ist günstig, wenn die
künstlerische Arbeit einen Bildungscharakter trägt oder sich so
genannter sozialer Randgruppen annimmt. Solche Projekte, die eigentlich eher
dem sozialen oder pädagogischen Bereich anzugehören scheinen,
erhöhen ihre Chancen auf Unterstützung, wenn sie Menschen
involvieren, die als problematisch definiert werden oder die sich selbst als in
einer schwierigen Situation befindlich definieren, z.B. ostdeutsche arbeitslose
Frauen, MigrantInnen, Behinderte, Häftlinge.
Dies widerspricht oft nicht den Intentionen der KünstlerInnen. Gerade
solche mit politischem, humanem und sozialem Engagement arbeiten an solchen
Projekten und es zeichnet oft die Qualität ihrer künstlerischen
Konzepte aus. Doch gerät die Grenzwanderung zwischen
Selbstermächtigung, Selbstorganisation und gut gemeinten, gut gemachten
Projekten nicht zur Grenzüberschreitung? Tragen sie zum Beispiel nicht
auch dazu bei, dass soziale Fürsorge privatisiert wird?
Wie kam es zu dieser Situation? Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts lösten
sich traditionelle Finanzierungsmuster für Kunst und KünstlerInnen
auf. Die bisherigen Hofkünstler(1) fanden keine Mäzene in den
Kirchen, Kommunen und Privatpersonen mehr. KünstlerInnen waren nicht mehr
bei Hofe angestellt und erhielten nicht mehr wie in den Jahrhunderten zuvor
Aufträge, von denen sie leben konnten. Sie mussten sich neue
Finanzierungsmöglichkeiten suchen. Der Ausstellungskünstler(2)
erfindet sich im 19. Jahrhundert. Er versucht, durch geschickte
Marketingstrategien die Aufmerksamkeit der BürgerInnen zu wecken und sie
davon zu überzeugen, Kunst zu kaufen. Dafür stilisieren die
KünstlerInnen ihre Arbeitsergebnisse zu avantgardistischen, originellen,
revolutionären, spektakulären Kunstwerken, deren Erwerb die
KäuferInnen auszeichne.(3) Die Not wegen der ausbleibenden Aufträge und
des damit verbundenen Mangels an Einkünften wurde zur Freiheit der Kunst
und des künstlerischen
Subjektes überhöht, Autonomie als
Grundbedingung künstlerischer Arbeit postuliert. Diese neuen
Unabhängigkeiten von alten Institutionen nutzen Einige, um einen in der
Tat radikal kritischen künstlerischen Ansatz zu entwickeln.
Das Rollenrepertoire der KünstlerInnen fächerte sich auf. Mit der
Umpositionierung von Gesellschaftsmitgliedern und neuen Definitionen von Arbeit
und Nutzen sollen auch KünstlerInnen einem anerkannten Zweck dienen.
Nützlich zu sein, wird zur Berufslegitimation. Das schließt auch
ideelle Nutzen ein und bedeutet, ideologisch definierte Rollen wie die des
Parias, des Bohemiens, des Genies, der Sehnsuchtsfigur, des
Wahrheitsverkünders, des Erziehers des Volkes. Im Gegenzug wird zunehmend
der Staat als Kunstförderer in den Blick und in die Pflicht genommen, gar
als der Alleinverantwortliche für die kulturelle Grundversorgung
betrachtet.
Diese Prozesse verändern Vorstellungen von Kunst und von
künstlerischer Arbeit. Es gibt keine dominierenden Modelle mehr, sondern
es existieren nun mehrere nebeneinander. Ein wichtiges ist das Bild von Kunst
als Zuflucht vor der kapitalistischen Realität.(4) Diese Haltung stellt ein
Gegenstück zu den Konzepten dar, um die es später gehen wird. Die
Flucht vor der Wirklichkeit schlug bei manchen in eine Suche nach alternativen
Gesellschaftsentwürfen um. Sie führte allerdings manche
KünstlerInnen zu elitären, völkischen und rechtskonservativen
Haltungen. Darum schien einigen nach 1945 in Deutschland Distanz zur
Gesellschaft angeraten zu sein, um einer erneuten unglückseligen
Verquickung von Kunst und Staat aus dem Weg zu gehen.(5)
Viele KünstlerInnen strebten seit dem beginnenden 20. Jahrhundert in
verschiedenster Weise esoterisch, orientiert an einem Gesamtkunstwerk
oder sozialrevolutionär denkend die Utopie der Einheit von Kunst
und Leben an. Sie identifizierten sich als Ausgestoßene und
solidarisierten sich mit den AußenseiterInnen der Gesellschaft, mit
Kranken, Prostituierten, Kriminellen (als Aufbegehrende, Unangepasste) und
Unterdrückten. In der Weimarer Republik engagierten sich etliche
KünstlerInnen in kommunistischen Parteien und gründeten politisch
links orientierte Vereinigungen wie die Assoziation
Proletarisch-Revolutionärer Künstler.
Nach 1945 das Konzept der Einheit von Kunst und Leben weiter forciert. Dabei
reüssierten partizipatorische Konzepte und Kunstwerke, die die Mitwirkung
anderer benötigten, um realisiert werden zu können. Die Diskussionen
um 1968 führten zu einem weiteren Kulminationspunkt. Marie-Luise Syring
führt dazu aus: Die Kunst im sozialen Kontext, der Künstler als
Sozialarbeiter, die Performance mit dem Charakteristikum der Einbeziehung des
Betrachters in die vom Künstler inszenierte Aktion, die Installation, die
Ethnologie des Alltags, die Spurensicherung, die ,individuellen Mythologien`,
all jene Kunstformen, die den siebziger Jahren ihr Gepräge verleihen
sollten, hatten ihren Ursprung in einem Mentalitätenwechsel, der sich um
1968 vollzog. Anstatt weiter dem verhaftet zu bleiben, was man als
,bürgerlichen Subjektivismus` verwarf, machten sich einzelne die
Interessen vieler zu eigen.(6)
Künstlerische Arbeit mit partizipatorischen Intentionen, die von
KünstlerInnen schon vor der aktuellen Arbeitsmarktsituation entwickelt
wurde, wird jedoch nicht durchgängig akzeptiert. Viele Menschen verstehen
nach wie vor die Kunst als Gegenentwurf zur Realität und als
Verkörperung des Schönen. Kunst solle Gefühle berühren oder
persönliche Erinnerungen und biographische Erfahrungen verarbeiten. Diese
Vorstellungen berühren sich allerdings durchaus mit einigen
partizipatorischen Konzepten, vor allem bei den Einrichtungen für
Erfahrung. Diese Ansätze kommen durchaus den Bedürfnissen von
RezipientInnen entgegen. Erfahrungsgestaltung etablierte sich als
komplementärer Bereich zur zivilisatorischen Regelung und
Beschränkung des Lebens. Wolf Vostell bot zugleich politische
Aufklärung wie sinnliche Wahrnehmungen, Joseph Beuys wollte zugleich die
Besucher politisch schulen wie eine mystische Kommunikation zwischen
Künstler und Ausstellungsbesuchern zur Aufladung seiner Installationen
schaffen.(7) Können RezipientInnen Handlungsanweisungen befolgen,
fühlen sie sich nicht ganz hilflos der Kunst ausgeliefert. Letztendlich
stellt sich immer wieder die Frage nach der Verständlichkeit und
Vermittelbarkeit der Kunstwerke. Darauf reagierte die Kunstszene mit den in den
letzten Jahren forcierten Ansätzen. Das Unbehagen am Konzept von Kunst als
fantastischem Reich des Schönen und Harmonischen, vielleicht Pittoresken
und Bizarren, am Unleserlichen, manifestierte sich in einer
Radikalisierung. Vielen KünstlerInnen ist Kunst, die verstanden werden
will, Kunst, die verständlich ist, ein wichtiges Anliegen. Sie arbeiten
mit Mitteln, die die RezipientInnen aus ihrem eigenen Alltag kennen, und
greifen Themen der Gegenwart auf was manche RezipientInnen nicht als
Kunst akzeptieren wollen. Dabei entwickeln sie teils neue Muster des
KünstlerInnentypus und des künstlerischen Arbeitens, teils
modifizieren sie vorhandene. KünstlerInnen treten als HistorikerInnen,
SoziologInnen, SozialarbeiterInnen und TherapeutInnen auf, mit Arbeiten, die
auf die aktuellen politischen und sozialen Prozesse reagieren.(8)
Und sie reflektieren diese Situation, wie Christoph Schäfer oder Christine
Hill (die, z.B. mit ihrer Volksboutique, mit firmenähnlichen
Strukturen und Elementen arbeitet und diese transparent macht). Dass manche
KünstlerInnen wie ManagerInnen auftreten, andere Dienstleistungen
ausüben und mit Serviceaspekten operieren ist eine Entwicklung der letzten
Jahre. Weitere wiederum verstehen Kunst als Teamwork und forcieren die Arbeit
im Kollektiv als Gegenbewegung zu einem gesteigerten Subjektivismus, gegen
einen Rückzug in die Innerlichkeit im Kapitalismus:
Die KünstlerInnen mit Managerattitüde verstehen Kunst als Business.
Wolfgang Ullrich vermerkt dazu: In den 1990er Jahren kam es dennoch
erneut zu programmatischen Ansätzen von Kunst als Teamwork, was diesmal
den Aufstieg und die Durchsetzung des Ökonomischen in nahezu allen
Gesellschaftsbereichen spiegelte. Nicht mehr der Arbeiter oder der Ingenieur,
sondern der Manager wurde zur Leitfigur einer Welt, in der für einige
Jahre Kapitalismus, Börsenboom und Startup-Euphorie dominierte. Statt
kommunistischer oder antibürgerlicher Visionen einer Gleichstellung der
Kunst mit anderen Berufsfeldern tauchte die Idee auf, der Künstler
könne ebenso dynamisch, forsch, belastbar und durchsetzungsstark sein wie
ein junger Unternehmer und seine gestalterische Kraft nicht zuletzt im Umgang
mit anderen Menschen und Institutionen unter Beweis stellen. [
]
Während ,Arbeit` werk- und produktorientiert ist, geht es beim ,Business`
um das Organisieren und Erzeugen von Arbeit der Künstler ist
gleichsam vom Hersteller zum Kommunikator, vom materiellen Gestalter zum
Vertreter von Ideen und Akteur von Prozessen geworden.(9)
Im Kollektiv arbeitende KünstlerInnen verstehen dies als Gegenposition zu
Tendenzen, die sie als übersteigerte Individualisierung und Vereinzelung
im Kapitalismus kritisieren.
Selbsterfahrung und Kollektiverfahrung sind seit den späten 1960er und
frühen 1970er Jahren Bestandteile emanzipatorischer Bewegungen. Im
Arbeits-Jargon ist die Rede von Produzenten von kollektiven Räumen,
der Stadt als zentralem Produktionsort und von
Produktionsmitteln. Kunst ist kein unabhängiger Schutzraum
gegenüber der Gesellschaft, sondern sie kann ein Werkzeug zur kollektiv
erkämpften Alternative sein.
Als Dienstleistungen interpretierbar sind Projekte wie Wilde Gärten
von Christine und Irene Hohenbüchler. Sie arbeiten sie seit Beginn der
1990er Jahre mit Psychiatriepatienten oder Strafgefangenen in sozialen
Integrationsprojekten. Dabei wollen sie einen intensiven Dialog mit ihren
PartnerInnen führen und gemeinsam künstlerische Werke schaffen, die
sie anschließend gleichberechtigt neben eigenen Kunstwerken
präsentieren.(10)
In Deutschland ist Kunst nicht nur das Sahnehäubchen am Feierabend, sie
muss außerdem ihre Nützlichkeit begründen und das Geld der
SteuerzahlerInnen rechtfertigen. Der Staat wiederum versucht, den Ball in
Zeiten finanzieller Knappheit zurückzuspielen. Kunst gilt am ehesten als
entbehrlich, gern wird an ihr je nach Kassenlage gespart. Und kommen dem einige
KünstlerInnen mit ihren Konzepten, sich aus einem engeren Kunstbereich in
andere Felder zu bewegen, nicht zu sehr entgegen? Welche Folgen haben solche
Prozesse für die Kunst? Wie verändert das die Sicht auf sie? Und wie
den Umgang mit Kunst, wenn soziale Fördertöpfe in die
schlechter bezahlte? künstlerische Förderung ausgelagert
werden können?
Noch wurde wohl in Deutschland noch nicht an Arbeitsplätzen eingespart in
dem Sinn, dass z.B. SozialarbeiterInnen durch KünstlerInnen ersetzt
wurden. Aber beispielsweise im kulturpädagogischen Sektor und im
Bildungswesen wurde schon aus der Situation heraus, dass sich
KünstlerInnen finanzieren müssen, Weiterbildungen angeboten, um diese
fit zu machen für den pädagogischen Markt. Das bringt zwar ein hohes
Niveau künstlerischer Qualifikation zu Kindern und Jugendlichen, von denen
diese profitieren. Aber behindert ein solches Vorgehen nicht die notwendige
Beschäftigung mit sozialen Problemen? Und nimmt den Individuen und der
Gesellschaft nicht solche Auseinandersetzungen ab? Sind KünstlerInnen
nicht billige Lückenbüßer verfehlter sozialer Politik?
Führt das Konzept der Selbstorganisation nicht zu mehr Ausbeutung? Welche
Alternativen gibt es?
Klar ist, dass viele KünstlerInnen nicht anders handeln können und
wollen, nicht nur aus finanziellen Zwängen heraus, sondern weil sie ihr
kritisches Potenzial und ihr soziales Engagement in die Gesellschaft einbringen
wollen.
Heidi Stecker