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CEE IEH-ARCHIV

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Aktuelles Heft

INHALT #184

Titelbild
Editorial
• das erste: Formal ungenügend
Darkest Hour, Protest the Hero
Darkest Hour, Protest the Hero (II)
the cycle continues
„My Bonnie is over the Ocean“
The Kids we used to be Tour
Into Outer Space
„La Colombe“-Tour
Zen Zebra, Kenzari's Middle Kata, The Hirsch Effekt
Wooohooooooo!
Kayo Dot
Aucan
Casualties
Electric Island
Veranstaltungsanzeigen
Sanierungs-Info
Aus dem Nähkästchen geplaudert
Eher ein schlechter als ein (r)echter Konsens
„CEE IEH“ and „bonjour tristesse“ go „Zoro“!
• review-corner buch: Eine Schwäche für die Gegenwart
• cyber-report: Neues aus dem Kasperletheater der Toleranz
• doku: Infantile Inquisition
• doku: Kultur als politische Ideologie
• doku: Bye, bye Multikulti – Es lebe Multikulti
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Formal ungenügend

In CEE IEH #182 versprach Susanne der Leserschaft einen kleinen Einblick in ihre „Tausend gute Gründe“ gegen eine Veranstaltung mit Justus Wertmüller im Conne Island. Dazu einige Anmerkungen.

1. Wo komm`n all die Argumente her?

Susanne schreibt, Justus Wertmüller und seine Genossen hätten „offenbar keine Argumente“ für ihre harsche Kritik an der Linken und dem Feminismus. Dies wird aus der Tatsache geschlussfolgert, dass die Genannten einen aggressiven Stil pflegen und zu rigidem Freund-Feind-Denken neigen. Der Schluss ist nichtsdestotrotz falsch, denn nur weil Leute nicht immer nett sind, lässt sich daraus nicht folgern, dass sie mit diesem Mittel inhaltliche Defizite zu verbergen suchen.
Das postautonome Jungle World-Milieu zeigt sich zwar gerne pikiert über die unfeinen Manieren von Wertmüller & Co, die ihre Texte weder durch akademische Höflichkeitsfloskeln noch durch das postmoderne Allzweckmittel der Ironie verwässern; doch ändert alle Indignation nichts daran, dass man bei den Rüpeln argumentativ tief in der Kreide steht. Die eigenen, stolz gegen modernisierungsresistente Linke in Anschlag gebrachten Argumente hat dieses Milieu der Bahamas zu verdanken, ohne dies vielleicht im Einzelnen zu ahnen. Gerade die inzwischen relativ populäre ‚Israelsolidarität` wäre ohne die polemischen Einlassungen der Bahamas wohl kaum sehr verbreitet. Der Unterschied zwischen Berlin und den Epigonen besteht darin, dass Letztere die Polemik mit Versatzstücken kurrenter sozialwissenschaftlicher Ansätze anreichern, um sie dann in den Duktus autonomer Flugblattliteratur zu pressen, wodurch ein ungenießbarer Phrasenbrei entstand, in welchem selbst die besten Argumente zur Parole erstarrten. Die Bahamas hat die Diskussionen angestoßen, in denen es wirklich um etwas ging – die sogenannten „Diskussionen“, die Susanne einfordert, sind dagegen nichts als die immer gleichen Selbstversicherungen der Linken, auf der Seite der Guten zu stehen, und zwar ‚reflektiert`. „Auseinandersetzung“ ja; aber bitte ohne „Konfrontation“! Diese Forderung bedeutet aber gerade das Ende von Diskussionen, in denen es tatsächlich um neue Erkenntnisse ginge.

2. Diskussion als Farce oder: Mein Hausrecht als dogmatischer Abbruch

Von der Vorstellung gekränkt, Justus Wertmüller könne im Conne Island eine Polemik gegen Linke und Feministen vortragen, kontert Susanne auftrumpfend: „Wir sind zu überhaupt nichts verpflichtet (…) Wir müssen keine Stellungnahmen schreiben und weder die Saal- noch die Cafétür aufschließen, wenn wir keine Lust dazu haben. Aber natürlich muss man mit Konsequenzen von Entscheidungen rechnen. Vielleicht geht man pleite oder verliert ein paar Gäste. So ist das halt.“ Ist das wirklich so einfach? Und wäre Susannes Text dann nicht ein performativer Widerspruch? Gesellschaftskritik unterstellt eine ideale Gesprächssituation, das heißt eine Art der Auseinandersetzung, in der nur die ausgetauschten Argumente und nicht Rücksichtsnahmen anderer Art – Autoritäten, partikulare Interessen, Traditionen usw. – eine Rolle spielen sollen. Auch wenn dieses Selbstverständnis nicht immer expliziert wird, so dient es in gesellschaftskritischen Kreisen doch implizit als Norm. Und auch in Susannes Text kommt dieses Vertrauen in die Stärke der Vernunft bereits im Titel zum Ausdruck, in dem sie nichts anderes als eine vernünftige, eben begründete Rechtfertigung der CI-Entscheidung zu geben verspricht. Doch merkwürdig: Während sie zunächst die „Gründe“ in den Mittelpunkt rückt, gerät diese anfängliche Versicherung im Laufe des Texts zusehends ins Zwielicht. Denn auf einmal wird trotzig verkündet, dass man im Zweifelsfall gar nichts müsse, weil man im eigenen Laden eh die Schlüssel – d.h. die Macht – in Händen hält. Traut Susanne der Qualität ihrer eigenen Argumente am Ende so wenig über den Weg? Oder warum würde jemand, der „tausend gute Gründe“ hat, so offen damit kokettieren, dass er am Ende gar keine Gründe braucht, um Missliebiges zu verbieten?

3. „Zitate“ und Zitate.

Susanne führt im dritten Abschnitt eine Reihe von Textbrocken an, die sie für Zitate Justus Wertmüllers zu halten scheint. Quellen gibt sie dafür keine an. Warum? Was hatte sie zu befürchten? Auch das Conne Island Plenum, das sich auf seine angeblich so textnahe Diskussion von Wertmüllers Thesen viel zugute hält, nimmt an dieser Praxis keinen Anstoß und bestand – nach dem Motto Hauptsache ein Text gegen Wertmüller – auf dem Abdruck von Susannes Text. Es ist besonders vor dem Hintergrund einer extrem erhitzten Auseinandersetzung um Wertmüllers Person – mehrfach kam es im Laufe der letzten Monate zu tlw. brutalen Überfällen und anderen Behinderungen seiner Veranstaltungen – eine Selbstverständlichkeit, dass die seit Jahren von Indymedia & Co kolportierten Gerüchte über vermeintliche Aussagen Wertmüllers nicht auch noch im Conne Island weiter ausgebreitet werden dürfen.
Genau das tut aber Susanne. Mit erstaunlicher Kreativität hat sie Teile aus Aussagen Wertmüllers herausgelöst und neu zusammengepuzzelt, oder bei Bedarf gleich ganz neu erfunden. Das geht zum Beispiel so:
Susanne schreibt: „Statt Inhalte zu kritisieren, wird Frauen [von Wertmüller; J.K.] vorgeworfen, hässlich zu sein. Sich negativ auf Körper von Frauen zu beziehen und das Argument verstanden wissen zu wollen [sic], ist nicht nur blöd, sondern in einer Gesellschaft mit hohem Normierungs- und Schönheitsdruck auch sexistisch.“
In welchem Zusammenhang hat Wertmüller wirklich über „hässliche“ Linke gesprochen? Anlässlich der Anti-G8-Proteste 2007 in Heiligendamm hat er dem Hallischen Radiosender Corax ein Interview gegeben, in welchem er Folgendes sagte:

Frage Interviewer: „Was ist denn so hässlich an der radikalen Linken?“

Antwort Wertmüller: „Na ja, fangen wir doch einfach mal mit den Äußerlichkeiten an. Der innere Kern der radikalen Linken besteht ja nun aus relativ verwahrlosten Elendsgestalten, denen man gar nicht zutrauen würde, dass sie einen solch erheblichen Avantgarde-Einfluss auf die Geschehnisse in der Republik haben. Bei der radikalen Linke ist alles stehen geblieben, was auch schon, als es noch neu war, nicht besonders toll war: Immer noch trägt man diese schrecklichen Dreadlock-Wursthaare, immer noch ist man auf dem veganen Trip, immer noch ist man auf dem Kreativ-Trip, obwohl man zu nichts in der Lage ist, weder in der Kunst, noch im Schreiben, noch im Reden, noch in der Beziehung, immer noch hält man sich für etwas besseres, obwohl einen das psychische und physische Elend schier aus dem Knopfloch heraus angrinst. So gesehen ist natürlich die radikale Linke, also alles jenes, was sich Autonom, Antifa, nehmen wir mal diese beiden Dinger, oder Ex-K-Grüppler oder was es da so noch gibt, die Antirassisten und Antisexisten natürlich nicht zu vergessen, die von ganz besonderer Hässlichkeit sind, etwas Abstoßendes und schon deswegen eigentlich ein Personenkreis, zu dem man auf Abstand geht.“(1)

Wo ist hier vom „Körper von Frauen“ (Susanne) die Rede? Was bitte ist an diesen Aussagen sexistisch? Es ist sehr bequem, jemandem etwas erst in den Mund zu legen, um es danach zu verurteilen. Besonders redlich ist es nicht.

Ein weiteres Beispiel: Susanne behauptet in ihrem Text, Wertmüller verteidige Thilo Sarrazins Rede von „weniger intelligenten Muslimen“. Nun weiß jeder, der die Debatte um Sarrazin sporadisch verfolgt hat, dass dieser das schlechte schulische Abschneiden von Kindern aus türkischen oder arabischen Familien damit begründet, „dass menschliche Begabung zu einem Teil sozial bedingt ist, zu einem anderen Teil jedoch erblich.“(2) Jeder weiß daher auch, dass ‚Rassismus` der beliebteste Vorwurf gegen Sarrazin ist, und zwar sowohl im bürgerlichen Feuilleton als auch in der linken Auseinandersetzung. Jeder, der auch nur über das dürftigste Kontextwissen verfügt, wird also aus Susannes Behauptung schlussfolgern können, dass Wertmüller es mit Rassisten halte oder vielleicht sogar selber einer sei. Und dieser Vorwurf wurde dann ja auch in der Conne-Island-Plenumsdebatte geäußert. So wie Susanne Wertmüller zitiert, legt sie diese Einschätzung ebenfalls nahe. Was aber hat Wertmüller tatsächlich in seinem Text geschrieben? Er deutet die empirischen Daten über die mangelhaften Schulerfolge der in Rede stehenden Gruppen und sucht seinerseits Gründe zu geben, die diesen Sachverhalt erklären. Er spricht in seinem Text „Frei nach Thilo Sarrazin“(3) von „kulturell und religiös begründete Ressentiments“ und einer „ungute[n] Mischung aus sozialer Deklassierung, Moscheeverein und Agenturen des Türkentums, die immer bedenklicher zu einer Selbstethnisierung führt“. Auch in der Bildungs- und Integrationspolitik sieht er Ursachen: „das miserable Niveau Berliner Schulen“, „der skandalöse Umstand etwa, dass ein Berliner Hauptschulabschluss häufig keine Gewähr für den halbwegs korrekten Gebrauch der deutschen Sprache ist“, und „die Geschichte der misslungenen Integration von Ausländern (…), denen man, statt sie zu fördern, Zeugnisse für Leistungen, die sie nicht erbracht haben, hinterherwirft, was wiederum dazu führt, dass immer mehr von ihnen in der Berufsschule versagen und keinen Abschluss erhalten.“
Was aber sagt er zu den brisantesten Äußerungen Sarrazins, die die Debatte um ihn hochkochen ließen, seinen Anleihen bei der erbbiologischen Intelligenzforschung? Folgendes: „Ob, wie und bei wem Intelligenz erblich ist, kann man nicht nachweisen, auch wenn es seit Jahrhunderten immer wieder versucht wird.“(4)
Wertmüller akzeptiert die Datengrundlage, nicht aber den Erklärungsansatz Sarrazins. Warum will Susanne ihm dennoch mit ihren vagen, suggestiven und falschen Behauptungen in die geistige Nähe Sarrazins rücken? Warum würde jemand, der doch tausend gute Gründe hat, sich an die fadenscheinigsten, längst widerlegten Gerüchte klammern, Zitate fälschen und auf eine präzise Widergabe von Wertmüllers Äußerungen und Positionen verzichten?

Nachdem ich an diesen Beispielen die Konstruktionsweise von Susannes ‚Zitaten` offen gelegt habe, überlasse ich es der Leserschaft, zu entscheiden, ob sie Susannes restlichen unausgewiesenen (tlw. indirekten) ‚Wertmüller-Zitaten` Glauben schenken will oder nicht. Für die Redaktion ist es jedenfalls nicht tragbar gewesen, einen Artikel zu drucken, der sich so unbekümmert jeder journalistischen Sorgfaltspflicht zu entledigen meinen konnte.

4. Wer schießt wen ab und wie?

Um was geht es eigentlich in Susannes Text? Es geht um eine Neuziehung der Grenzen des Sagbaren im Conne Island. Zu diesem Zweck müssen bestimmte Sprecher ausgeschlossen, verworfen werden. Zum Beispiel Justus Wertmüller. Man könnte auch sagen, dass er unmöglich gemacht, ja, verurteilt werden soll. Oder noch drastischer ausgedrückt: Dass mit scharfer Munition, auf der in fetten Lettern RASSISEXISMUS prangt, geschossen wurde. Dennoch wird Susanne nicht müde, sich selbst als Opfer zu inszenieren. Sie klagt, ihr sei „durchaus bewusst, dass ich mich mit diesem Text in die Schusslinie bringe.“ Hier sehen wir die verfolgende Unschuld in Aktion! Natürlich exponiert man sich der Kritik Anderer, wenn man etwas Kontroverses veröffentlicht. Die begründete öffentliche Kritik an eigenen Positionen aber schon im Vorfeld als Anschlag auf die eigene Persönlichkeit zu inszenieren, ist nach meiner Auffassung eine arglistige Abwehrstrategie.
Susanne hat recht, wenn sie Wertmüller eine „Härte des Umgangs“ bescheinigt. Doch sind die Mittel, mit denen sie Wertmüller abzuschießen gedenkt, nicht viel gemeiner als die immer wieder monierte Polemik?

5. Über Strukturellen Antisemitismus und Strukturellen Antisexismus

Susannes Text ist darin originell, dass sie Wertmüller nicht nur Sexismus und Rassismus nachsagt, sondern auch noch einen Antisemitismusvorwurf in ihrem Text unterbringt. Vielleicht ist das aber auch einfach Leipziger Lokalkolorit. Auf jeden Fall meint sie, in Wertmüllers Erklärung in Halle(5) eine veritable Verschwörungstheorie entdeckt zu haben. Dort werde nämlich wie folgt argumentiert: „ein paar wenigen, ominösen im Dunkelnbleibenden wird die Macht zugesprochen, die Fäden im Hintergrund zu ziehen, und andere als ihre Marionetten auftreten zu lassen, die nur den Willen der Menschen im Hintergrund ausführen.“(Susanne) Und weil das so sei, „scheint die Auseinandersetzung mit Antisemitismus innerhalb der bahamas-Redaktion wohl doch nicht weit her.“ Würde in Wertmüllers Erklärung tatsächlich stehen, was Susanne dort vermutet, dann könnte man tatsächlich von einer Nähe zur Argumentationsweise des Antisemitismus sprechen. Aber was sagt Wertmüller über die Praxis seiner Gegner? Von Verschwörungen im Dunklen und dergleichen ist in seinem Text nicht die Rede. Statt dessen spricht er von offenen „Drohungen“ des Szenemobs nicht nur gegen ihn, sondern etwa auch gegen potentielle Raumvermieter. Dieses grobe Gebaren entspricht aber keineswegs dem Bild der ‚jüdischen Verschwörer`, die „die Fäden im Hintergrund ziehen“ (Susanne).
Des Weiteren verwendet Wertmüller den Ausdruck der „Gender-Platzkuh“, um die Kritikerinnen der Veranstaltung zu charakterisieren. Platzkuh, das ist „purer Sexismus“, findet Susanne. Das Wort ist aber nichts anderes die gendered version von Platzhirsch. In seinen besseren Momenten gelingen Wertmüller gerade solche Perlen feinster Ironie, in diesem Fall eine Entwendung antisexistischer Sprachpolitik, ohne dass die Angegriffenen zu merken scheinen, dass sie hier mit den eigenen Mittel geschlagen werden. Und was schwingt in einem Begriff wie Platzhirsch nicht alles mit: Revierkämpfe, Profilierungsbedürfnisse, dominantes Verhalten, Einschüchterung durch Körperlichkeit, Agression etc.
Auf antisexistisch könnte man auch sagen, dass Platzhirsche „Macker“ sind. Wenn daher Justus Wertmüller seinen Gegnerinnen – von denen dahin gestellt sei, welchen Anteil sie an dem Veranstaltungsverbot tatsächlich hatten – vorwirft, sich als Platzkühe zu verhalten, dann ist das zwar nichts weniger als strukturell antisemitisch, sehr wohl aber – strukturell antisexistisch.

Johannes Knauss

Anmerkungen

(1) Hier kann man das Interview anhören: http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=17116

(2) Das Interview, aus dem dieser Satz stammt, ist im Internet nur auf obskuren Seiten nachzulesen, wie z.B. hier: http://zoelibat.blogspot.com/2009/10/das-ganze-sarrazin-interview.html

(3) http://redaktion-bahamas.org/auswahl/web59-1.html

(4) Ebd.

(5) http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/erklaerung-in-halle.html

28.01.2011
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