• Titelbild
• Editorial
• das erste: Formal ungenügend
• Darkest Hour, Protest the Hero
• Darkest Hour, Protest the Hero (II)
• the cycle continues
• My Bonnie is over the Ocean
• The Kids we used to be Tour
• Into Outer Space
• La Colombe-Tour
• Zen Zebra, Kenzari's Middle Kata, The Hirsch Effekt
• Wooohooooooo!
• Kayo Dot
• Aucan
• Casualties
• Electric Island
• Veranstaltungsanzeigen
• Sanierungs-Info
• Aus dem Nähkästchen geplaudert
• Eher ein schlechter als ein (r)echter Konsens
• CEE IEH and bonjour tristesse go Zoro!
• review-corner buch: Eine Schwäche für die Gegenwart
• cyber-report: Neues aus dem Kasperletheater der Toleranz
• doku: Infantile Inquisition
• doku: Kultur als politische Ideologie
• doku: Bye, bye Multikulti – Es lebe Multikulti
• Anzeigen
Mit dem nicht eben originellen Slogan Sie
können Deutschland jetzt ausschalten riefen Plakate der Antifaschistische
Aktion Berlin (AAB) zum alljährlichen Kreuzberger 1. Mai-Kiez-Rundlauf
auf. Zur gleichen Zeit war es schon nicht mehr möglich, den Aufruftext in
einschlägigen Infoläden zu bekommen. Statt dessen verkündete das
Szeneblatt Interim: Sie können die AAB jetzt abschalten.
Seit dem Jahreswechsel 1999/2000 rufen linksradikale und autonome
Strukturen zum Boykott der AAB auf, und Infoläden, Szenekneipen und
ein Berliner AStA schlossen sich eilfertig an. Der Vorwurf: Die AAB dulde einen
Vergewaltiger in ihren Reihen oder habe sich doch nicht in gehöriger Weise
von ihm distanziert. Ein Reizgas-Überfall auf eine Friedrichshainer Kneipe
in der mutmaßlich Angehörige der AAB zusammen mit dem geouteten
Vergewaltiger ihre Bierchen trinken sollen, war der Höhepunkt einer
Kampagne, die interessierten Lesern in den Spalten der Interim wieder
einmal eine sogenannte Vergewaltigungsdebatte bescherte.
Täterschützerorganisation und somit Objekt des Hasses ist
diesmal einer der erfolgreichsten politischen Gruppierungen innerhalb der
Berliner Szene, deren Aktivisten überwiegend zwischen 16 und 25 Jahre alt
sind und die als sogenannter gemischter Zusammenhang nicht nur einen
unüblich großen Frauenanteil vorzuweisen hat, sondern nachweislich
unter den entscheidenden Genossen eher Frauen als Männer präsentiert.
Es mag am Rande von Bedeutung sein, daß sich die AAB in den letzten zwei
Jahren immerhin auch von allzu öder Vereinsantifa emanzipiert und
inzwischen recht beherzt den Antisemitismus und vor allem das deutsche
Täterkollektiv als Gegner ausgemacht. Aber der Neid auf die relativ
Erfolgreichen im Heer der Loser, die noch nicht einmal ein halbes Hundert
für die EXPO-NO-Kundgebung mobilisieren konnten, ist wahrscheinlich nur
zufällig Hintergrund eines exemplarischen Falles, der statt AAB jeden
anderen Namen tragen könnte.
Vergewaltigung wir lernen definieren
Thomas(1) hat mich im Dezember 1998 vergewaltigt! Obwohl ich ihm mehrmals
gesagt habe, daß ich nicht mit ihm schlafen will, hat er mich gefickt.
Hinterher fragte er, ob ich das als Vergewaltigung ansehe, und daß es
doch in Ordnung sei, mir trotz eines Neins Lust zu machen. Es ist eine
Vergewaltigung Thomas! Es ist in keinster Weise o.k. einer Frau Lust
machen` zu wollen und erst recht nicht, wenn die Frau nein gesagt hat. Das war
der Startschuß, veröffentlicht in Interim Nr. 471 am
11.3.1999. Was war da vorgefallen? Der Autoren Neugier ging nicht so weit, dem
wirklichen Sachverhalt hinterherzurecherchieren. Sie beziehen sich aber auf ein
kursierendes Gerücht, das einen Ablauf beschreibt, der inner- und
außerhalb der Szene bekanntlich schon abertausendmal vorgefallen ist.
Diesem Gerücht zufolge haben ein Mann und eine Frau sich getrennt und sind
noch nicht ganz darüber hinweg, daß sie sich jetzt versagen, was sie
einander längere Zeit gewährten: Sexualität. Man versucht
Freundschaft zu stiften, wo früher Liebe war, und wie die Zufälle in
Zusammenhängen eben so spielen, führen etwas Alkohol auf einer
Fete und etwas Einsamkeit, Sehnsucht und viel Erinnern zum Bruch des Vorsatzes.
Man tauscht Zärtlichkeiten aus und irgendwann gehen sie zu ihr oder zu
ihm. Hier kommt es zu dem, wovon beide wissen, daß sie danach mit
Katzenjammer aufwachen werden. Weil sie besser weiß, daß sie es
bereuen wird, appelliert sie an ihn, nicht mit ihr zu schlafen. Er
läßt nicht von ihr ab. Sie schläft mit ihm, er mit ihr. Am
nächsten Tag wird Niedergeschlagenheit zur Wut gegen sich, weil sie eben
doch mitgemacht hat, und mehr noch gegen ihn, der es doch hätte ernst
nehmen müssen, daß sie zunächst nicht wollte.
In einer Broschüre des Titels Mein Körper gehört mir hat
die OllaFa (Offene Linke Liste für Alle des Göttinger AStA) 1996 auf
relativ pragmatische Weise versucht, ein akzeptables Fundament für eine
antisexistische/antipatriarchale Praxis der Politszene zu legen.(2) Wissend,
daß der Vergewaltigungsbegriff in den Szenediskussionen völlig aus
seinen begrifflichen Fugen zu geraten droht, stellen sie fest, daß
jenseits des subjektiven Empfindens der Opfer (relativ) objektive Kriterien
für die Heftigkeit des Angriffs notwendigerweise zu finden sind, um einen
adäquaten Umgang mit dem Täter zu ermöglichen. Die Ollafa
unterscheidet deshalb zwischen Vergewaltigung, sexuellen
Übergriffen, sexueller Belästigung und sexueller
Ausbeutung von Kindern. Unter Vergewaltigung fassen wir jede Form von
analer, oraler oder vaginaler Penetration mit Gegenständen oder
Körperteilen, die gegen den Willen oder ohne Rücksichtnahme auf das
Wohlergehen der Betroffenen erfolgt. Allein damit wäre die zitierten
Berliner Bezichtigung hinfällig. Dabei läßt die
hobby-juristische Definition der Ollafa ein Merkmal, das die wirkliche Justiz
setzt, noch beiseite, nämlich die Penetration mit Gewalt oder
Drohung (zu) erzwingen. Diese Definition zugrunde gelegt, könnte vom
Brechen des Willens der Anklägerin erstrecht keine Rede sein.
Der szeneeigenen Interpretation zufolge jedoch wurde der Wille der
Friedrichshainer Anklägerin gebrochen, ohne daß sie etwas
befürchten mußte, ja ohne in irgendeiner Weise bedroht worden zu
sein. Die Anklägerin nennt auch ganz klar einen völlig anderen Grund,
ihr wurde Lust gemacht. Gemeinhin nennt man das Verführung, und
Verführung hat, wenn sie gelingt, zur Folge, daß aus einem Nein ein
Ja wird. Die ursprüngliche Intention, nicht mit dem Mann schlafen zu
wollen, ist einem neuen Willen gewichen.
Die Autoren der Ollafa-Broschüre haben diese Konstellation gesehen und
wußten nicht damit umzugehen. In einer Fußnote schreiben sie:
Unser Diskussionsergebnis lautet zunächst insofern anders, als
daß wir statt ,gegen den Willen oder das Wohlergehen der betroffenen
Frau` anfangs unter Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt` als
Definitionsbestandteil von sexueller Gewalt und ihren verschiedenen
Ausformungen als sinnvoll betrachteten. Damit waren wir jedoch insofern
unzufrieden, als daß hier der Gewaltbegriff einfließt, was weitere
Schwierigkeiten in sich birgt.
So stießen wir bei der Diskussion dann auch auf das Problem, was in
unseren Augen eigentlich psychische Gewalt` bedeutet. Relativ klar ist
die verbale Drohung in aggressiver Weise (...) (z.B. wenn du nicht mit
mir schläfst, knall ich dir eine`). Uneinig waren wir uns aber
darüber, ob eine verbale Drohung/Erpressung auf emotionaler Ebene
(wenn du nicht mit mir schläfst, will ich nichts mehr von dir
wissen`) als Gewalt anzusehen ist, wenn keine ökonomische
Abhängigkeit gegeben ist. Die Überlegungen dieser Fußnote auf
den unterstellten Verlauf der zur öffentlichen Anzeige gebrachten
Vergewaltigung angewandt, würden den Tatbestand psychische Gewalt
ebenfalls als nicht erfüllt ausscheiden lassen.
Definitionsmacht und Täterschutz
Die eingestandenen Unsicherheiten der Ollafa mit dem Willensbegriff hätten
ihr andernorts bereits einen zünftigen Täterschützervorwurf
eingetragen. In der Interim Nr. 500 (20.4.00) geht eine
FrauenLesben-Gruppe aus Berlin in einem mehrseitigen Papier, immer noch am
Friedrichshainer Vorfall anknüpfend, aufs Ganze: Das Grundprinzip
einer Vergewaltigung, nämlich den Willen in Bezug auf Sexualität und
körperliche und geistige Integrität zu übergehen, findet auch
oder gerade in heterosexuellen Beziehungen statt und muß nicht unbedingt
dem herkömmlichen Bild von Vergewaltigung entsprechen (...) Die Forderung
nach einer eindeutigen Definition einer Vergewaltigung setzt sich über die
Wahrnehmung der betroffenen Frau hinweg. Die Konstruktion juristischer
Tatbestände führe zu einer Verschleierung der alltäglichen
Gewalt von Männern gegen FrauenLesben: Die Frau muß sich
rechtfertigen und die herrschende patriarchale Definition von Vergewaltigung
akzeptieren und nachweisen, daß der Mann wirklich ihren Willen gebrochen
hat. Ein Berliner FrauenLesbenbündnis hat bereits am 25.3.99 in
Interim Nr. 472 Gruppen wie der Ollafa vorgeworfen, die
Definitionsmacht als Tatsache nicht anerkannt zu haben. Schlimmer noch, die
AAB habe wie in einem bürgerlichen Gerichtsverfahren versucht, die
Wahrheit` herauszufinden. Die Autorinnen fordern dagegen ganz
unbürgerlich und gerichtsfern: Vergewaltiger
lebenslänglich raus aus allen linken Zusammenhängen!!!
(Hervohebung von den Verf.) In der Interim vom 20.4.00 wird die
Forderung nach Ausschluß des Vergewaltigers noch erweitert um die nach
Ausschluß der AAB. Dort spielt sich ein Bundesweites Antifatreffen (BAT)
als veritables Zentralkomitee der Antifa auf. In einer Stellungnahme zum
Umgang mit sexistischen Übergriffen heißt es: Es ist in
linksradikalen Zusammenhängen nicht akzeptabel, Gruppen zu
unterstützen, die das alleinige Definitionsrecht der betroffenen Frauen
nicht anerkennen (...). Die AAB hat durch seit über einem Jahr andauerndes
Täterschutzverhalten für uns jeden linksradikalen Anspruch
verloren.(3)
Den durch nichts bestimmbaren Willen, ersetzt man also durch eine dogmatische
Setzung: Wie du es erlebt hast, so sei es. Der zaghafte Versuch der Ollafa und
anderer, objektive Kriterien zu fassen und es nicht beim ausschließlich
Subjektiven bewenden zu lassen, zielt in die richtige Richtung, mußte
aber scheitern, denn wie ihre Kontrahenten argumentiert sie juristisch und
damit falsch: Eine juristische Kategorie wird das, was subjektiv erlitten
wurde, niemals fassen können. Juristisch im Sinne von Standrecht und
Sippenhaft geriert sich aber auch der antisexistische Mainstream. Er setzt das
subjektiv Erlebte als Strafe nach sich ziehenden Bruch des Willens und
kürt die Trägerin dieses Willens per gewährter
Definitionsmacht zur Richterin oder besser zum Racheengel und bereitet
so eine antisexistische Strafprozeßordnung vor. Das hierin hypostasierte
Selbst kann jedoch unmöglich einen Begriff von Realität vermitteln
und will es auch nicht. Unentwirrbar werden Tatsache und individuelle
Verarbeitung. Statt kritischer Bemühung oder emanzipatorischer Absicht
wirkt hier ein selbstherrliches Subjekt, dessen Integrität und
Unbestechlichkeit jeder Verunsicherung durch die Außenwelt widersteht.
Dabei ist nichts so unsicher wie die individuelle Unterscheidung zwischen innen
und außen, zwischen Ich und dem anderen: Die Pathologie lehrt uns
eine große Anzahl von Zuständen kennen, in denen die Abgrenzung des
Ichs gegen die Außenwelt unsicher wird oder die Grenzen wirklich unsicher
gezogen werden; Fälle in denen uns Teile des eigenen Körpers, ja
Stücke des eigenen Seelenlebens, Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle wie
fremd und dem Ich nicht zugehörig erscheinen, andere, in denen man der
Außenwelt zuschiebt, was offenbar im Ich entstanden ist und von ihm
anerkannt werden sollte. Also ist auch das Ich-Gefühl Störungen
unterworfen, und die Ichgrenzen sind nicht beständig. (Freud 1994, 33)
Damit ist genau der seelische Vorgang beschrieben, der aus einer
Verführung, die ja an irgendeinem Mindestinteresse beim anderen ansetzen
muß, eine Vergewaltigung neuen Typs werden läßt. Der
Außenwelt, dem anderen, wird zugeschoben, was offenbar im Ich
entstanden ist: die Lust nämlich.
Am Ende einer Debatte, die nie eine war, weil die Teilnehmer gegen das Argument
genauso resistent sind wie gegen die zur Verhandlung stehende Realität,
herrschen Haß und Feigheit; das Begriffsarsenal ist auf zwei Wörter,
Partriarchat und Definitionsmacht, zusammengeschrumpft. Der ganze Jammer des
Geschlechter- und Liebeskrieges auch unter Gleichgeschlechtlichen
bleibt verborgen, ja wird entsorgt durch eine Haltet-den-Dieb-Rhetorik, die im
als Vergewaltigung rubrizierten Lust-Machen das Böse
schlechthin sieht und eine Gemeinschaft der Unbefriedigten geschmiedet, die im
Täter-jagenden Halali sich einigt. Eine Minderheit ist es nur, die
dieses Ritual regelmäßig wieder aufleben läßt und eine
große Mehrheit zollt entweder distanzierten Beifall oder schweigt
unauffällig und tut hinter vorgehaltener Hand kund, für wie hohl und
überflüssig man die Veranstaltung halte. Auch das war schon immer so.
Männer und Frauen, Heterosexuelle, Schwule und Lesben, die das Treiben als
degoutant empfinden haben geschwiegen und werden weiter schweigen bis
zum großen Tabubruch, der sich schon vielfach abzeichnet.
Von einer nunmehr gänzlich bewußtlosen Jungmännerwelt
mit weiblichen Anhang wird gegen die triefende Verlogenheit bereits
jetzt das gesamte Arsenal des Herrenwitzes in Anschlag gebracht. Dieses steht
in seiner Verdruckstheit der Verfolgungshysterie in nichts nach und wird auf
die Eiferer genauso zurückfallen wie auf die schweigende Mehrheit, der das
Patriarchatsgeschwafel längst bis obenhin steht, die sich aber feige
duckt. Feige gegenüber einer angemaßten Hegemonie, feige
gegenüber der eigenen Hilflosigkeit in der großen Frage: Lust. Denn
es ist nicht bloß die Auswirkung des gesamtgesellschaftlichen,
antifeministischen roll-back, die sich in der Szene, gerade unter jungen
Männern, langsam als Tabubruch abzeichnet: Der Kerl, der Sexmagazine liest
und sich dabei einen herunterholt wird durch sein Tun keineswegs automatisch
unsympathisch. Das öffentliche Eingeständnis, mehr noch, das
Bekennertum dazu berechtigt weder zur Rüge noch zum gewalttätigen
Überfall, wie vor kurzem in Friedrichshain geschehen. Man hätte sich
von unserem Prahlhans lediglich etwas weniger Hausbackenes gewünscht als
das mit Siegessicherheit Vorgetragene: So tun es doch alle. Das Entzücken
jedoch über manch 17jährigen Jüngling, zum Beispiel aus der AAB,
wird einem sofort verleidet durch roh männerbündlerisches Verhalten,
das von fetten Fotzen schwallt(4), wenn eine Polizistin einmal nicht dem
Typus der ranken, sportlichen Berliner Prügelbulette entspricht. Das ist
die Reaktion, die sich als Tabubruch an der Hysterie derer
augenzwinkernd rechtfertigt, die allen Ernstes an der Selbstbefriedigung
Anstoß nehmen oder ihr Bilderverbot auferlegt. Sie tun nicht, was alle
tun, sondern verlangen Schlimmeres: Das, was im religiösen Internat alle
zu tun hatten, nämlich die Hände auf der Bettdecke lassen. Wenn
Männer ihren inneren Politkommissar mit ins Bett nehmen, wie Thomas
hinterher fragte er mich, ob ich das als Vergewaltigung ansehe ,
wird Vorbereitung und Ausführung des Sexualakts für die Beteiligten
zum peinigenden, Angst- statt Lustschweiß produzierenden Erlebnis. Der
wilde Ausbruch in verrohte Stechermentalität muß da angelegt sein.
Lust
Verbannt im Giftschrank der Seele wuchert die Lust. Sie tritt per se aggressiv,
grenzüberschreitend, ungesittet auf. Wie sollte sie anders sein, wo doch
schon das Krähen des Kindes nach wollüstiger Aufmerksamkeit
keineswegs unaggressiv ist oder das versunkene An-den-eigenen-Zehen-Lutschen
eben kein besonnenes oder soziales Verhalten vorstellt? Die ganze
Triebgeschichte eines jeden, Männlein wie Weiblein, ist von Kindesbeinen
an eine Geschichte frustrierter Allmachtphantasien, schreckerregender
Vorstellungen, Versagungenen und Entsagungen, aber auch einer Lust, die sich
ständig gegen die ihr mit einigem Recht übrigens
auferlegten Verhaltensformen wehrt. Das Spiel schließlich wird zur Form
lustvollen Agierens, ohne zumindest unter aufgeklärteren
Verhältnissen als sie momentan in der Interim herrschen
sofort Strafe fürchten zu müssen. Erwartet jemand ernsthaft,
daß das Verbotene und vordergründig Gezähmte dieses Spiel nicht
bestimmt: die Freuden der Passivität wie der Furor der
Überwältigung? Nur Lügner oder große Zuchtmeister ihrer
Libido können von sich behaupten, im Liebesspiel nicht schon Figuren der
Überwältigung mit der begehrten Person gespielt zu haben, oder so
etwas könne keinen Spaß machen. Besser an seine kindlichen und
jugendlichen Doktorspiele und an manche mit Schulgdgefühl belastete
Erfahrung des Erwachsenenlebens sollte sich derjenige erinnern, der von sich
behauptet, er habe in Phantasie und im Liebesspiel nicht manches Mal die
große Überrumpelung, das Genommenwerden vom wilden Mann, der
durchaus von einer Frau gespielt werden kann, nicht schon lustvoll durchlebt.
Keinen nachvollziehbaren Grund gibt es auch dafür, warum Schwulen oder
Lesben diese Grauzone des Spiels mit masochistischem
Es-mit-sich-geschehen-Lassen und sadistischer Gewalt fremd oder dieses
eine exklusive Domäne der Männlichkeit sein solle. Gerade
dieser Stereotyp von der besonderen und naturgegebenen Moralität der Frau
so wie also seit den 70er Jahren ökopaxfeministisch schwadroniert
wurde und wird erscheint wie eine politisch-korrekte Variante des
Gebärmaschinen-Feminismus der katholischen Kirche (wenngleich diese per
definitionem die homoerotische Variante des genannten Stereotyps Nur
Frauen-Liebe ist wahre Liebe zugunsten der Mutterliebe verwerfen dürfte).
Hier wie dort wird ein passives Frauenbild kultiviert, das die Lust, das
Gemeine, den Schmutz nur als von außen kommende Anfeindung des reinen,
sanften, engelsgleichen Wesens kennt.
Die genannten Figuren im Liebesspiel mit Vergewaltigung umstandslos zu
identifizieren geschieht absichtsvoll, denn bekanntlich stößt
Vergewaltigung, also der bewußte Bruch fremden Willens unter
Ausübung von Gewalt oder ihrer Androhung zum Zweck der Benutzung eines
Körpers zur Befriedigung der eigenen Lust, in linken Kreisen nirgends auf
Zustimmung. Dem Täter wird seine Handlung bei Anzeige vor den
Strafbehörden oder Information des Umfelds Bestrafung und/oder
Ausschluß einbringen. Weil das Hab dich nicht so, ich dachte, du
bist emanzipiert der späten 60er längst nur noch in der
Kino-Retrospektive gesagt wird, meint die Vergewaltigungsdebatte in der linken
Szene längst etwas anderes. Das ganze redundante Pochen auf die
Definitionsmacht soll die Grenze zwischen dem herkömmlichen
Bild von Vergewaltigung wie Eine FrauenLesben Gruppe aus Berlin sich
unfreiwillig ehrlich ausdrückt und ganz anderen Formen der
Grenzüberschreitung, von der Anmache bis zum wie es auf
Amtsdeutsch heißt geduldeten Geschlechtsverkehr, gezielt
verwischen helfen
Die genannten Formen des sexuell motivierten Übergriffs aber schillern
mehr, als es denen lieb sein kann, die sie anklagend ins Feld führen. Die
alltägliche aggressive Anmache als ausgesprochen penetrante Form
eines Verführungsversuchs, der auf das Einverständnis des begehrten
Objekts schon nicht mehr abzielt, ist völlig intolerabel und
tatsächlich ein Gewaltakt, der die Bewegungsfreiheit von Frauen in der
Öffentlichkeit gelinde gesagt einschränkt, hat aber deswegen mit
Verführung nichts zu tun (was selbstverständlich für die
Duldung unter Drohung nicht minder gilt). Die Abscheu vor der Anmache
meint jedoch mehr als die nur allzu begründete Angst vor
gewalttätigen Übergriffen. In ihr schwingt häufig die
Selbststilisierung zum Opfer von Angriffen aus der feindseligen, penetrierenden
Außenwelt mit, wodurch unfreiwillig die klassische Geschlechterrolle der
Frau reproduziert wird: Wo Männer- und Frauenzusammenhänge sich auf
die Brandmarkung jeder Anmache einigen, spricht aus ihnen
geschlechtsunabhängig die Angst vor der eben zur Sexualität
gehörenden Genzüberschreitung, die man sich selber aktiv nicht
zutraut und passiv nicht erleben will: Rigider Selbstschutz, der die
Zurückweisung eigener Annäherungsbemühungen genauso
fürchtet wie fremdes Begehren.
Verdrängung und Verfolgung
Was aber führt eine ganze Szene seit 20 Jahren und mehr dazu, niemals
strafbewährte Übergriffe, Verführungen also, zu sanktionieren,
Pamphlete zu verfassen, in der Anlageschrift, Verurteilung und
Vollstreckungsanweisung aufs Mal enthalten sind? Selbst dann, wenn sie wirklich
als die Unbestechlichen unter sich wüteten, bis sie sich in einen Haufen
apathischer Subjekte verwandelt hätten, die sich unter Sexualität nur
noch Angst- oder Abscheu-Erregendes vorstellen können, selbst dann, wenn
sie zu einer Klosterbrüder und -schwesternschaft mutiert sind, die ihre
durch Verzicht und Verfolgung teuer erkaufte Unfehlbarkeit in einer lauwarmen,
aber ewigwährenden Gemeinschaft zu etablieren wissen, selbst dann werden
sie das Unreine, das Verlangen, die Begierde und die Aggression nicht ausrotten
können. Das heimlich Begehrte und Ersehnte, aber autoritär
Verdrängte führt seine wüsten Veitstänze in den
Anklageschriften und Verurteilungen auf, die stets von dem Vorsatz geleitet
sind, so stillgelegt wie man selber möge die Welt außen herum sein.
Wenn zum Beispiel Verführung als Lustmachen apostrophiert wird, das
in keinster Weise o.k sei, wie im Berliner Outing geschehen, dann
muß, wenn eine ganze Gruppe das mitträgt, notwendig und
regelmäßig die Sau durchs Dorf getrieben werden. So maßlos wie
der unterdrückte Trieb ist, so maßlos wird der verdrängende
Verfolger.
Als wiederholten sich die eingeübten Verhaltensweisen des ganz normalen,
öffentlichen Umgangs mit Sexualität und Gewalt, wird auf der
Grenzlinie von Kitsch und Obszönität formuliert, wobei das
Unbewußte das offizielle Bilderverbot über dem Sexuellen
unterläuft. Wenn z.B. in der Interim Nr. 500 zustimmend eine
Barabara Kavemann zitiert wird: Zentral für das Erleben von Gewalt
ist das persönliche Empfinden von einer Grenzüberschreitung, von
einer Enteignung des Körpers und der Seele, von einer Beschneidung der
Persönlichkeit, bis nur noch ein Rumpf übrig ist, verrät die
Bildersprache, die mit keineswegs zufälligen Analogien zu
Zwangsprostitution, Verstümmelung der Genitalien und Zerstückelung
des Körpers, wie ihn sonst nur splatter-Videos präsentieren,
arbeitet, viel über die Seelenverwandschaft zum klassischen Inquisitor
oder Zensor. Eine verwandte Sprache kennt man aus den periodisch auftretenden
Mißbrauchs und Vergewaltigungsserien der Regenbogenpresse: Interim
und Schlüsselloch bieten beide ein lustvoll ausgemaltes Szenario
einer durch brutale Aggression zerstörten Schuldlosigkeit, Reinheit und
ergötzen sich am Ausgeliefertseins der vergewaltigten Frau oder des
Mädchens. In diesem obsessiven Vergnügen scheint der Wille zur Tat
auf, der sich umstandslos in furchtbares Strafbedürfnis verwandelt.
Körper
Die eigentlich inhaltslose, rein kulturalistische Abgrenzung von hie Szene da
Mehrheitsgesellschaft, zieht Nahrung aus dem scheinbaren Widerspruch zwischen
marktschreierischer Ausstellung attraktiver Körper in den Massenmedien und
dem bereits in den offiziellen Witz eingegangenen Hang der Alternativen
zu Verhüllung und Verhäßlichung. Dieser ist aber dem
gesellschaftlichen Trend zur Enthüllung und gleichwohl asexuellen
Fit-For-Fun-Kultes verwandter, als es scheint.
Die Mehrheitsgesellschaft verordnet sich schweißtreibendsten Hedonismus.
In seinem zeichen gleichen sich die Geschlechter in der vom Kulturbetrieb
veranstalteten Transformation des Körpers zur Ware an. Dem Druck, sich dem
Ideal annähern zu müssen, kann längst auch kein Mann mehr
entgehen. Das zweifelhafte Privileg, sich gehen zu lassen, brandmarkt die
Loser, die sich vielleicht schon deshalb, am deutlichsten in den USA, gleich
selber sichtbar entwerten: Sie werden fett. Dem Druck, Leistungsfähigkeit
zu zeigen, also auch in Sachen sexueller Attraktivität dauernd im Kurs
stehen zu müssen, korrespondiert nicht nur die dauernd abfallende
wirkliche Lustkurve. In den 60er und 70er Jahren als die feministische Bewegung
mit einigem Recht auf die einseitig auf den weiblichen Körper abzielende
Vermarktung zum reinen Objekt hinwies, beinhaltete die gleiche Vermarktung noch
einen Rest von Utopie: Sie transportierte die wenn auch verdinglichte Huldigung
der Schönheit, weckte mehr als die unmittelbare Begierde das quälende
Bewußtsein von der Unerfüllbarkeit der eigenen Sexualität.
Damals noch im Widerstreit mit der Moral bürgerlicher Askese stehend und
in der sexuellen Revolution einen scheinbar fortschrittlichen Ausbruch
verheißend, stand die Präsentation des nackten (weiblichen)
Körpers jedenfalls noch im Zwiespalt von Lusterweckung und
Anpassungsdruck. Die Ausnahme wurde zur Regel, die Dauerkonkurrenz im
Schönheitswettbewerb beider Geschlechter, hat die Schönheit als
Versprechung fast völlig entwertet, und mit ihr die Lust. Nachdem alle
Tabus gebrochen sind und man sich im Fernsehen gepflegt über sogenannte
Perversionen unterhalten kann, kämpfen die einen hausbacken um den Erhalt
der ehelichen Sexualität von deren durchaus gesundheitsfördernder
Funktion man sich einiges verspricht. Andere überbieten Beate Uhses
Konzept Appetit kann man sich woanders holen gegessen wird zu
Hause durch die noch hausbackenere Praxis, bei entsprechenden Vereinen sich
ein anderes Ehepaar ähnlichen Alters und gesellschaftlicher Stellung
zwecks Partnertausch und Gruppensex vermitteln zu lassen. Solches Tun
bestätigt, daß die anderen genauso langweilig sind wie man selber,
und fällt damit hinter die Versprechungen noch des ödesten Pornofilms
zurück. Andere dagegen haben sich den Kick jenseits von Eheleben und
Swinger-Club gesichert und vervollkommnen die Bemühung um die allseitige
Sexualisiertheit durch den konsequenten Verzicht aufs immer wieder
enttäuschende Objekt; sie betreiben zumeist schmerzverursachende
Autoerotik in ihren vielfältigen Betriebsformen. Eine solche Abschottung
gegen frustrierende Außenerfahrung, gar mit den Qualen der Liebe, der
Grenzauflösung, treibt auch die autonomen Sittlichkeitsapostel um: In der
Askese des Fitneßstudios wie in der der geschwätzigen Moralität
erfährt sich das Selbst als unversehrtes und unversehrbares. Letzterer
Variante von Askese kommen nur zwei Dinge in die Quere: Eines von
außen das sogenannte Patriarchat und eines von
innen die Verliebtheit.
Patriarchat
Die Angleichung der Geschlechter in der Ungeschlechtlichkeit des keinen
physischen oder sozialen Ballast mehr duldenden Konkurrenzkampfes hat der
traditionellen Familie und ihren Rollenzuweisungen den Garaus gemacht. Die
Erkämpfung der Gleichheit aber hat den Verzicht auf das Besondere,
die bedrohliche Eigenmächtigkeit des Sexus, gefordert. Der
Feminismus der Szene ist nicht mehr wie zu Simons de Beauvoirs Zeiten
Avantgarde einer gesellschaftlichen Bewegung zur Überwindung der
repressiven Ungleichbehandlung von Mädchen und Frauen, vielmehr scheint er
eine Veranstaltung zur Niederhaltung der Ansprüche, die der
verdrängte Sexus periodisch und nahezu übermächtig dem
souverän sich wähnenden Subjekt auferlegt.
Vieles von dem was de Beauvoir in ihrem Standardwerk Das andere
Geschlecht in den späten 40er Jahren beschrieb und kritisierte, ist in
den Metropolen fast restlos verschwunden und derzeit nur bei manchen
migrantischen, insbesondere islamischen Communities anzutreffen: die Bindung
der Mädchen und Frauen ans Haus, das Verbot sexuelle Erfahrungen auch vor
der Ehe zu machen, die Reduzierung auf die Gebärerin. Vieles von dem, was
Beauvoir forderte, ist erfüllt, ohne daß Erfüllung sich
einstellen wollte: gleichberechtigte Bildungsschancen, der allgmeine Zutritt in
die männliche Domäne des Berufslebens bis hinauf zu
Führungspositionen, das Verschwinden des Eheknasts traditionellen
Zuschnitts. Man kann die immer noch nicht durchgesetzte völlige
Gleichstellung der Geschlechter beklagen, daß die Entwicklung ungebremst
auf diese Gleichberechtigung zueilt, läßt sich einfach nicht
widerlegen. Daß das Patriarchat im Beauvoirschen Sinne heute noch
existiere und eine ganz perfide Säule des metropolitanen Systems sei, wird
zwar unverdrossen behauptet, aber niemals nachgewiesen. Tatsächlich sind
sich die Geschlechter bis auf den genitalen Unterschied immer gleicher geworden
und trotzdem bleibt die gesellschaftliche Gewalt, die immer auch die
Vergewaltigung mit einbeschließt, bestehen.
Was sich da gegen Frauen wendet ist nicht Ausdruck eines den Kapitalismus
begründenden besonderen Ausbeutungssverhältnisses, sondern ein
Ausdruck des gesellschaftlichen Unglücks der warentauschenden
Gesellschaft, die Individuation verlangt, ohne Individualität zu
ermöglichen. Wenn Linke den kritischen Anspruch formulieren, bestimmte
private Gemeinheiten, die Männer Frauen antun, oder bestimmte, zumeist bei
Männern auftretende unangenehme Verhaltensweisen nicht einfach hinnehmen
zu wollen, dann ist das mit der Leier vom ewigen, bestenfalls
sozialisationsbedingt unterschiedlichen Geschlechtscharakter der Männer
hier und der Frauen dort nicht zu haben. Mehr als die Setzung bestimmter
Standards untereinander, die im wesentlichen verhindern helfen sollen,
daß nicht jedes Verhalten als Privatangelgenheit hingenommen wird und die
im Beziehungskrieg Geschädigten frühzeitig Aufmerksamkeit und
Unterstützung erfahren, ist nicht möglich. Die Voraussetzung für
Festlegung solcher Standards ist die für alle verbindliche theoretische
Arbeit, die nicht auf die Schaffung guter Menschen, sondern auf die Abschaffung
der auch im Einzelnen wirksamen falschen Verhältnisse zielt.
Die linke Mehrheit begnügt sich damit, die Restbestände der immer
schon problematischen Patriarchatsdiskussion mit gerade einmal drei
Schlagworten gegen sexuelle Gewalt, gegen patriarchale
Unterdrückung und die Definitionsmacht über Vergewaltigung
liegt bei der Frau zu verwalten. Als wollte man sich der ohnehin nur
noch kulturalistisch definierbaren Szenezugehörigkeit durch rigiden
Ausschluß von Fehlverhalten und Tätern versichern, konzentriert sie
sich leidenschaftlich nur auf das eine: Vergewaltigung. Statt nun aber
dieses Thema nüchtern vor dem Hintergrund der befremdlichen Zumutungen des
Eros zu behandeln, vollzieht die Szene mit ihrem autoritären Dauerbrenner
Vergewaltigung in, wenn auch völlig verrückter Weise die
vollzogene Gleichberechtigung der Geschlechter im Zeichen der Desexualisierung
aller Körper nach. Schon in mancher Vorgängerdiskussion, etwa der
Porno-Debatte, wurden die Grenzen vernünftiger Kritik überschritten,
traten Relikte prüden Eiferertums zu Tage: Nicht die Vermarktung der Lust
und der Körper etwa wurde in aufhebender Weise kritisiert, sondern der
zugleich hochmoderne Rückzug in eine ältere Vergesellschaftungsstufe,
die der ihr Verfallsdatum lange überschritten habenden engen
bürgerlichen Moral der innerweltlichen Askese, vollzogen. Regressive
Gleichheit bedeutet so: Zwar sind die Täter immer Männer, die
Ankläger dagegen sind alle.(5)
Das verärgert zwar Frauengruppen immer aufs Neue und verunsichert und
sensibilisiert die entsprechenden Männergruppen. An der Tatsache,
daß die Mehrheit der Linken die genannten Kritikpunkte entweder immer
brav ins Spiegelstrich-Glaubensbekenntnis aufnimmt oder sich mit keinem Wort
den Kampagnen entgegenstellt, ändert das nichts. Längst hat sich der
selbstbezüglich-desexualisierte Konsens der Mehrheitsgesellschaft
eingeschlichen, der das dem Selbst fremde Objekt nicht mehr leidet und sich in
Selbstbestimmung gefällt, wie es die Linke seit Jahren vorgesagt
hat. Mein Körper gehört mir, einst wichtiges Schlagwort der
Anti-218-Kampagne und als Schlagwort gegen Benutzungsrechte in Ehe oder
Beziehung einsichtig, meint längst weit mehr. Im individualistischen
Pochen auf die körperliche Integrität steckt eine ganz andere Losung:
Ich gehöre mir oder, vielleicht klassisch, aber noch
überzeugender: Der Einzige und sein Eigentum.
Verliebtheit
Normalerweise ist uns nichts gesicherter als das Gefühl unseres
Selbst, unseres eigenen Ichs. Dies Ich erscheint uns selbständig,
einheitlich, gegen alles andere gut abgesetzt. Laut Freud eine
Selbsttäuschung, denn: Daß dieser Anschein ein Trug ist,
daß das Ich sich vielmehr nach innen ohne scharfe Grenze in ein
unbewußt seelisches Wesen fortsetzt, das wir als Es bezeichnen, dem es
gleichsam als Fassade dient ... Nur in einem Zustand, einem
außergewöhnlichen zwar, den man aber nicht als krankhaft verurteilen
kann, wird es anders. Auf der Höhe der Verliebtheit droht die Grenze
zwischen Ich und Objekt zu verschwimmen. Allen Zeugnissen der Sinne entgegen
behauptet der Verliebte, daß Ich und Du eines seien, und ist bereit,
sich, als ob es so wäre, zu benehmen. (Freud 1994, 33) Weil einem der
eigene Körper, die eigene Perönlichkeit eben nicht mehr ganz
gehören soll, wenn Liebe in ihrer materiellen Gestalt, der entfalteten
Sexualität zum Höhepunkt kommt; weil im Gegenteil die
Unmöglichkeit der völligen vereinigung über kurze Augenblicke
hinaus als schmerzlich empfunden wird; weil also in der ausgelebten
Sexualität der Mensch sich ausliefert und eben kein höheres Ziel
kennt, ist das Gerede von der Autonomie und der unbedingten
Selbstbestimmung bedenklich. Sich auszuliefern um der Lust willen, die
man am anderen hat und darum an sich selbst hat, berührt alle Grenzen, die
Realitätsprinzip und Zivilisation als Selbstschutz aufgerichtet haben. In
der Liebe erscheint der Ichpanzer eine kurze Weile lang wie geborsten und die
Liebenden wähnen sich aus dem Sicherheitstrakt Ich entlassen. Sich
auszuliefern aus freien Stücken, dem Realitätsprinzip eine kurze
Weile den Laufpaß zu geben, im bewußt erlebten ozeanischen
Gefühl aufzugehen ohne die Errungenschaften von Zivilisation aufzugeben,
deren höchstes das Zwangsgehäuse Ich eben ist: das ist Erfüllung
und könnte Vorschein sein. Was Freud redlich, aber mit Sorge beschreibt,
denn unheimlich ist ihm alles, was jenseits seines normalerweise liegt,
ist den Antisexisten schon kein Nachdenken mehr wert. Dem schrankenlosen Ich,
das seine Schwäche einpanzert, setzen sie die Gewalt
gegenüber, solchermaßen für jedes persönliche Scheitern,
Leiden, Unglücklichsein eine ominöse Penetration des in sich ruhenden
Selbst durch die in ein abstraktes Schlagwort verwandelte Außenwelt
verantwortlich machend. Diese als Patriarchat plus Staat und
Kapital gesetzte Außenwelt wird mit dem stumpfen Recht einer
individuellen Persönlichkeit, die gegen alles andere gut abgesetzt
ist, abgewehrt. Auf der Höhe der Verliebtheit droht, Freud zufolge.
die Grenze zwischen Ich und Objekt zu verschwimmen. Freud selber hielt
es mehr mit der in vernünftigen Bahnen verwalteten Triebregungen, als mit
den Wagnissen des Aufgehens im Anderen, hoffend, eine Mitte aus Triebverlangen
und gelungener Sublimierung zur Stärkung des Ichs und damit der
Zivilisation könne Schlimmeres verhüten.
Das Schlimmere ist eingerteten. Der von Freud als Normal-Zustand
angesehene relativ Ich-starke, zur Objektbeziehung befähigte Mensch ist am
Verschwinden. Die Pathologien hören auf als Ausnahmeerscheinung an einer
gesellschaftlichen Normalität meßbar zu sein. Damit scheint
es so zu sein, daß die Höhe der Verliebtheit zugleich die
Absturzstelle in die Pathologie sein muß, samt der dazugehörigen
Höllenangst davor. Diese Angst vor der Grenzüberschreitung, die man
nicht wagt, produziert die Halluzination der Fährnisse, die aus der
verdrängten Lust sich nähren, und endet schließlich bei der
wirklichen Begegnung mit dem anderen Körper, dem Objekt der Begierde,
katastrophisch. Dem zu entgehen, kann nur über das typisch
sozialdemokratische Projekt der Sexualhygiene gelingen: Die Antwort auf das
nicht gewagte Risiko ist die Desexualisierung der Sexualität, die
Binnenmoral des Reihenhausbewohners und damit die des
Todesstrafenforderers.
Das, was man im szeneeigenen Sexualitätsdiskurs aufgegeben hat, die
Verführung, die Beunruhigung, bleibt als Gefahrenmoment zurück. Der
entsinnlichte Mensch bezieht sich positiv auf die Gemeinschaft derer, die ihm
gleich sind und die er wegen der wechselseitig auferlegten Versagung so
verabscheut wie sich selber. Er formt Erotik in desexualisierte Nähe um
und wird mit dem selbst produzierten namenlosen Unglück auf
Tätersuche gehen müssen.
Es klammert sich der Einzelne an die Fiktion der Subjektivität, die ihm so
abstrakt gerät wie Rechtsnormen, womit über die Substanz schon
das letzte Wort gesprochen ist. Sich seiner selbst nur noch in der Abwehr jedes
identitätsstörenden Angriffs von außen versichernd, die
konstitutive Wechselwirkung des Ichs durch die Objektfixierung langsam
abstreifend, in nunmehr bloß noch regressiver Art sich ins ozeanische
Gefühl des um seine selbstreferentielle All-Sinnlichkeit ringenden
Säuglings zurückfliehend, konstituiert sich der neue Mensch. Zur
Gewalt, zum unglaublichen Wagnis, wird jede rückversicherungsfreie
Bewegung auf einen anderen zu; als persönliche Katastrophe wird nicht nur
der Sprung ohne Sicherheitsnetz erfahren, den kaum einer mehr wagt, sondern
schon die bloße Ahnung der abgedichtete Panzer könnte von
außen Schaden nehmen.
Die Angst vor dem Leiden potenziert sich in der Angst vor dem Leiden in der
Liebe. Die Lust weiß, daß sie wagen muß, will sie zum
Höhepunkt kommen, das schwache Ich aber baut der Katastrophe vor. Die
immer unerotischere Formalisierung des Umgangs der Geschlechter miteinander,
das beständige Sich-Wappnen, erschwert nicht unbedingt das, was man als
eine Beziehung zu verharmlosen gelernt hat, es untergräbt aber
nachdrücklich das triebhafte Erlebnis und sinnt unfreiwillig auf die
Liquidierung der Lust zugunsten von Beziehungen, die mit den schon
anrüchigen Vokabeln Zuneigung und Nähe, die der
Sexualisierung von Bedürfnissen (OllaFa, S.6) entgegengesetzt
werden, lauwarm belegt sind. Die Bedürfnisse sind aber nicht sexualisiert
sondern durchaus sexueller Natur. Der in der Szene geachtete
Männerrundbrief, ein Selbstverständigungsmagazin autonomer
Männergruppen bringt es in seiner 12. Ausgabe im Mai 1999 genauso komisch
wie bedrohlich auf den Punkt: Ich denke, es ist nötig, mehr zu
reflektieren, was Sexualität und sexuelle Phantasien für uns bedeuten
(...) Dafür würde ich anregen, es einmal zu probieren, für
längere Zeit keine Sexualität auszuleben, erstmal vielleicht nur
nicht mit anderen, aber ich meine auch mit euch selbst. Und zu beobachten, was
das mit euch macht. Und wenn das nicht vorstellbar ist für euch, dann
finde ich es wichtig, zu erkennen, daß ihr in einem Suchtmuster gefangen
seid, und da wünsche ich mir dann einen bewußten Umgang mit (...)
Wenn ihr in einer Beziehung lebt, warum das so schwierig ist mit der
Vorstellung, diese ohne Sexualität weiter zu führen (...) Und wie ist
das mit euren sexuellen Phantasien, mit denen es euch auch nicht gut geht, die
andere als Sexualobjekte erscheinen lassen, seid ihr bereit, auch diese
vollständig aufzugeben? (...) (Hervorhebungen im Original)
Schutzräume
Einen Schutzraum hat man zunächst Häuser und Einrichtungen genannt,
in die vergewaltigte und mißhandelte Frauen sich vor ihren Peinigern
flüchten können. Zu diesem Konzept gehört die Stiftung einer
Atmosphäre relativer Geborgenheit auch für die geschundene Seele. Das
Unmaß von Angst und Streß, das oft jahrelang erlitten wurde, soll
zunächst durch eine Phase der Entspannung abgelöst werden, in der die
Frauen nicht nur frei von Männern sind, sondern auch frei von den
Herausforderungen des täglichen Lebens. Diese Auszeit wird als
Voraussetzung dafür angesehen, allmählich wieder Selbständigkeit
zu gewinnen und sich die Welt zurückzuerobern. Die beabsichtigte
Wiederherstellung des völlig erschütterten Ichs mißlingt
häufig und die Nähe zwischen Geborgenheit und Infantilität wird
gerade in der künstlichen Welt des Schutzraumes deutlich, wenn sich der
Wille zur Überwindung der Wohlfühl-Phase nicht einstellen will.
Schutzraum ist jedoch zugleich auch ein im Szenesprech negativ besetzter
Begriff, der Anwendung findet, wenn ein geouteter Vergewaltiger nicht
sofort von seinem Umfeld verstoßen wird. Im selben Atemzug taucht
strahlend positiv der gleiche Gedanke auf, wenn man sich auf seine einst
erkämpften Häuser, Infoläden, Kneipen bezieht und sein Umfeld
als Freiraum abfeiert, dessen Bewohner sich als Zusammenhänge
definieren. Schon diese Selbstbezeichnung gemahnt an Blutsbande; wie diese
dienen solche Zusammenschlüsse nicht einem objektiv-bestimmbaren und damit
auch diskutierbaren Ziel, wodurch sie sich übrigens negativ von jedem
Sport- oder Hobbyverein der Normalbürger unterscheiden. Als Zusammenhang
etabliert sich eine Wohlfühlgemeinschaft Überforderter und
Enttäuschter, die sich gegen die Anforderungen des Denkens und des
Handelns abschotten. Unter sich aber dulden sie keine Schutzräume für
abweichendes Verhalten; mehr noch, um den identitären also inhaltslosen
Zusammenhang stets aufs Neue zu befestigen, sind sie genötigt, den
Schutzraum für den Vergewaltiger auch dann auszuräuchern, wenn es
keine Vergewaltigung gab. Ziel der autoritären Veranstaltung ist Erhalt
und Festigung des identitären Schutzraums per se, des eingepanzerten Ich,
das zu schwach ist, die Andersartigkeit und Eigenmächtigkeit der
Außenwelt zu ertragen oder gar sich an ihr zu entwickeln. Ein solches Ich
hat mit dem, was der Begriff einstmals meinte nur noch die Außenfassade
gemein. Weil es blankes Nichts und absolutes Prinzip zugleich ist, muß es
stammeln. Es grenzt sich kollektiv als Zusammenhang gegen patriarchale
Denkstrukturen ab und behauptet sein Recht, jederzeit und allseits respektiert
seine Meinung zum besten zu geben. In der Figur von der patriarchalen
Denkstruktur ist das Zentrum der Vergewaltigungsdebatte aufbewahrt. Als
geistige Überwältigung erscheint der abstrakte und unpersönliche
Charakter des reflektierten Gedankens, der sich das Recht herausnimmt, ohne
Ansehen der eigenen wie der anderen Person einen gesellschaftlichen Zustand zu
analysieren, dessen Teil alle Diskutanten selber sind. Gegen diese Zumutung
wird die Meinung in Anschlag gebracht, die einer bloßen Haltung
entspringt, für die der Zusammenhang einsteht. Solche Meinung fordert
gerade, weil sie nicht begründet ist, gegen den reflektierten Gedanken
hysterisch Respekt für sich ein. Diese Schwäche des Meinens wird
durch Authentizität auszugleichen versucht: Wofür ich mit
meiner ganzen Person, also letztlich mit meinem Körper, einstehe, ist der
Maßstab des Absoluten. Schon in Anreden wie brothers and sisters
wird der Wunsch nach einem familiären Zustand wie ihn sich das in seinem
primären Narzißmus gekränkte Kind wünscht, deutlich. Um
seiner selbst willen, das heißt, wie man eben ist, will man für voll
genommen werden, ja geliebt werden ohne Risiko, ohne Mühe, ohne
Anstrengung. Das Pochen auf die Anerkennung der nicht am Außen
gemessenen, eigenen Meinung(6), die aus dem Bauch zu kommen hat, erinnert
fatal an das frustrierte Kind, dem kein Lob für das zuteil wird, was ohne
großes Dazulernen aus seinem Bauch kam und im Töpfchen
landete. Denkfaulheit und Sexualabwehr ruhen auf dem selben infantilen
Fundament.
Literatur:
Adorno,T.W. 1964: Meinung, Wahn, Gesellschaft, in: ders.: Eingriffe,
Frankfurt
Freud, S. 1994: Das Unbehagen in der Kultur, Frankfurt
Justus Wertmüller/Uli Krug
(Bahamas 32/2000)