• Titelbild
• Editorial
• das erste: Was die LVZ Sonntagabend vom Tatort lernen könnte...
• Fear and loathing im Moseltal
• Runes, Hang the Bastard, Coldburn
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• Einen aufs Haus
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• Pantéon Rococó
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• dd/mm/yyyy, Women, Baths
• »You are stronger than you think«
• »Freunde im Groove«
• Casper
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• Winds of Plague u.a.
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• kulturreport: Campy Panzerluft und antisemitischer Kitsch
• ABC: G wie Gewalt
• review-corner film: Jud Süß Ein Film ohne Anspruch
• Linker Irrtum, schwerer Irrtum
• Konzentriertes Ressentiment
• Das ist doch alles nicht so einfach...
• doku: Oben bleiben. Weiter gehen.
• doku: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie Scheiße ist Deutschland?
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• das letzte: Viel Spaß für wenig Geld
mit
Joachim Bruhn (Freiburg)
Clemens Nachtmann (Graz)
Lars Quadfasel (Hamburg)
Sonja Witte (Bremen)
Erst zwanzig Jahre Mauerfall, nun zwanzig Jahre ‚Wiedervereinigung’ – die Bundesrepublik feiert sich selbst als Siegermacht der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und die Linke, zumal die antinationale und antideutsche, protestiert dagegen – und das ebenfalls seit zwanzig Jahren.
Dies nehmen wir zum Anlass, mit dieser Konferenz nach dem gegenwärtigen Stand kommunistischer Kritik an Deutschland und nach dem Verhältnis zur Geschichte als Geschichte des Gegenstandes Deutschlands und der seiner Kritik zu fragen. Angesichts der aktuellen Lage der deutschen Nation – den Entwicklungen der vergangenen Jahre in Innen- und Außenpolitik, der Kulturindustrie und Gedenkpolitik, Militäreinsätzen, Sozialreformen, Event- Multikulti-Nationalismus der letzten zwei Fußballweltmeisterschaften – stellt sich der Linksradikalen eine alte Frage neu: Haben wir es hier mit Aspekten nationalsozialistischer Kontinuitäten im Postnazismus oder mit der allgemeinen Logik von Staat, Nation und Kapital, mithin keiner ‚deutschen Besonderheit‘, zu tun? Alt – und damit, wie wir meinen, keineswegs notwendig falsch – erscheint das Festhalten an der These des ‚deutschen Sonderwegs‘, neuer die Verbreitung der Überzeugung, über Deutschland im Besonderen gar nicht mehr sprechen zu müssen und zwar vor dem Hintergrund einer realen ‚Normalisierung‘ der deutschen Nation. Was heißt es für materialistische Kritik, wenn die reale historische Situation letzterem Argument Recht zu geben scheint?
Nach 1989 wurde allerlei gegründet (Gruppen, Zeitschriften, Bündnisse etc.), noch mehr wurde zuvor allerdings zerdeppert. So dass die meisten derer, die seinerzeit dafür, dass Deutschland sein Maul halten solle, gemeinsam auf die Straße gegangen sind, heute die Straßenseite wechseln werden, wenn sie einander begegnen. In die Brüche gegangen sind seither, zumindest in bestimmten Zusammenhängen, eine Reihe damals noch linker ‚Essentials’ (so nannte man das mal): der Staat in den richtigen Händen als Mittel zum guten Zweck, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und damit zusammenhängend die Lehre vom antiimperialistischen Befreiungskampf, die bezogen auf Israel stolz Antizionismus genannt wird. Derlei Grundüberzeugungen teilte die Linke, und sie teilt sie zum Teil bis heute mit dem damaligen Parteikommunismus des Ostblocks. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass dessen Zusammenbruch und die Liquidation der DDR auch für die sich ‚undogmatisch’ dünkende Linke einen Schock bedeutete.
Die weiteren Etappen sind bekannt: Während des Irakkriegs 1991 verabschiedete sich u.a. die Zeitschrift „konkret“ angesichts der Bedrohung Israels durch deutsches Giftgas vom Antizionismus, nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center kam dann in der radikalen Linken als Reaktion auf grassierende Verschwörungstheorien und mehr oder minder offene Schadenfreude nicht weniger Linker - es habe eben schon die Richtigen getroffen – die Kritik an Antiamerikanismus und islamischem Antisemitismus hinzu. Seit 2001 hat es in kaum einem linken Zusammenhang keinen Streit um Antisemitismus und Antiamerikanismus gegeben. Folge seither ist, dass das Palituch unter Autonomen gravierend an Popularität eingebüßt hat, sie bevorzugen heute Israel-Buttons. Das paradoxe Ergebnis ist, dass sich sogenannte antideutsche Positionen innerhalb und außerhalb der Linken verbreitetet haben, chic wurden (siehe Egotronic), zugleich jedoch die Frage „Was deutsch ist“ (Joachim Bruhn) in den Hintergrund getreten ist.
Offenbar ist es schwieriger geworden, besagte Frage zu beantworten. Das mag daher rühren, dass seit den Tagen der „Nie-wieder-Deutschland“-Kampagne immer die Annahme einer Faschisierung, der Errichtung eines Vierten Reichs mitschwang, was seinerzeit sowohl ein Ausläufer der Faschismus-Theorien der Siebzigerjahre war, als auch gut zur Atomkriegs-Apokalyptik der Achtzigerjahre passte. Eine Antwort jedenfalls, die allein eine Identität von Nationalsozialismus und postnationalsozialistischer Demokratie beweisen will, gerät in Erklärungsnöte, wenn sich keine faschistische Massenbewegung und auch kein Staat, der diese konsequent mobilisiert, ausmachen lassen. Unter anderem darauf zielten die vielgescholtenen Einlassungen von Wolfgang Pohrt anlässlich der Einheits-Feierlichkeiten 2003.
Wir möchten mit der Konferenz die Frage „Was ist deutsch?“ in diesem Sinne aufgreifen. Wir haben den Eindruck, dass sich eine Art Selbstverständlichkeit eingeschliffen hat, in der der Gegenstand aus dem Blick gerät – stattdessen wird die Frage „Was ist antideutsch?“ gestellt und eine Identitätskrise(1) beschworen. Die mag es geben, interessiert uns aber für sich genommen nicht, vielmehr, welche Bedeutung diese Krise in Bezug auf den Gegenstand der Kritik hat. Was heißt es, wenn in der Tat ein historischer Punkt erreicht zu sein scheint, an dem die jahrzehntelangen Bemühungen deutscher Politik, Deutschland von den ‚Folgen’ des Nationalsozialismus zu kurieren’, erfolgreich waren? Bis vor einigen Jahren gab es Skandale, Debatten, Phänomene, an denen sich der Umgang mit dem Nationalsozialismus als Konflikt darstellte und u.a. Gegenstand antideutscher Kritik war. Was aber, wenn es nichts gäbe – zumindest nicht in der gewohnten Form –, an dem sich etwas Ausdruck verschaffte: keine Wehrmachtsausstellungen, keine Walsers, keine schlechten deutschen Filme, in denen Opa Hitler seine Lieben tyrannisiert, keine Nation, die, nach seinem Untergang mit der Betonung gebeutelt aber geläutert sich gen Wiedervereinigung aufmachte, wenn niemand, der ernst genommen wird, öffentlich die Schuld am NS relativierte und Fischers ‚nicht trotz, sondern wegen Auschwitz’ sich soweit durchgesetzt hätte, dass sich niemand mehr länger darauf berufen würde.
Hier deutet sich eine Verschiebung an, die eine Reflexion verlangt. Denn die ‚Krise der antideutschen Bewegung’ spiegelt, so vermuten wir, in gewisser Weise diese Veränderung, weil in der Kritik nicht eingeholt, wider. Dies zeigt sich an einem Auseinanderklaffen von Positionen: Dem gebetsmühlenartigen Alarmismus in Teilen der Antideutschen, durch den teilweise der Eindruck entsteht, als ginge vom Urteil der weitgehenden Identität von Nationalsozialismus und postnazistischem Deutschland bzw. Islamismus eine beruhigende, nahezu befriedigende Wirkung aus. Diesem steht der Antinationalismus wie z.B. dem des „Ums-Ganze“-Bündnisses gegenüber. Verfolgt wird eine post-autonome Bewegungspolitik, in der Staat, Nation und Kapital im Allgemeinen „scheiße“ gefunden werden, hingegen Deutschland als Spezialfall der allgemeinen kapitalistischen Schweinerei zur Nebensächlichkeit und Israelsolidarität für passé erklärt wird. Beides verstehen wir als Reaktionen, die sich selbst als solche nicht bewusst sind, auf ein – gar nicht neues, mithin in der allgemeinen Logik des Kapitals angelegtes – Verschwinden der Bedeutung von Geschichte, einer zunehmenden Irrealisierung der Bedeutung von Auschwitz als handhabbarem Faktum sei es in der Kulturindustrie oder der Realpolitik.
Auf der Konferenz wird sich Lars Quadfasel mit der Geschichte und Kritik der Antideutschen befassen, während Clemens Nachtmann seine Kritik des postnazistischen Deutschlands angesichts der Veränderungen der letzten Jahre reformulieren wird. Sonja Witte wird sich mit dem Verhältnis von deutschem Nationalismus, Kulturindustrie und Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzen und Joachim Bruhn wird zeigen, inwiefern die sogenannten keynesianischen Krisenlösungsprogramme der letzten Jahre Teil der autoritären Transformation des Staates sind.
Antinationale Gruppe Bremen