Das ist doch alles nicht so einfach...
Die Homogenität der Leipziger Linken
Die Unterrepräsentanz von MigrantInnen und Leuten nichtweißer
Hautfarbe, die LS attestiert und Hannes aufgreift, nehme ich auch wahr. Die
nachgestellten Erklärungen beider beruhen auf einem Trugschluss bei der
Interpretation kausaler Zusammenhänge statistischer Erkenntnisse. Deshalb
kann die tatsächliche Antwort auf die Frage nach dem Warum nur lauten: Aus
dem tatsächlich komplexen sozialen Gefüge resultieren verschiedene
Milieus, die sich hinsichtlich ihrer Alterszusammensetzungen,
Einkommensstrukturen, sozialen Status, Bildungshintergründe etc.
statistisch beschreiben lassen. Die Linke fällt nun aber eher durch eine
hohe AkademikerInnen- und AbiturientInnenqoute, einen hohen Anteil an Leuten
aus Vorstädten und/oder gutbürgerlich situierten Familien oder eine
große Anzahl an LeserInnen geisteswissenschaftlicher Werke auf. Dass
diese Katalysatoren für das sich Einfinden in linken Zusammenhängen
bei MigrantInnen eher seltener zu finden sind und somit auch die Schnittmenge
mit linker Szene klein bleibt, ist hier völlig klar. Auch total egal
bleibt dabei der Linguistic Turn, er wirkt sich nicht auf die Situation von
MigrantInnen aus und geht denen salopp gesagt auch meistens ziemlich am Arsch
vorbei.
Zum Begriff Bürger_in mit Migrationshintergrund, der in der Linken
kursiert, kann ich nur anmerken: Ich verwende diesen Begriff nicht und stehe
ihm eher ablehnend gegenüber, denn er ist ein Ordnungskriterium, um
Migration statistisch zu erfassen, als Begriff untauglich und oft unklar und
bleibt die Erklärung schuldig, warum ich als Nachkomme eines Einwanderers
jetzt auch erfasst werde. Schlicht von MigrantInnen, besser noch ImmigrantInnen
zu sprechen war in meinen Augen nie problematisch.
So gibt das Statistische Bundesamt in
Bevölkerung mit Migrationshintergrund Ergebnisse des
Mikrozensus 2005 Fachserie 1 Reihe 2.2 2005 zu bedenken:
Dabei wird das Phänomen Migration durch das Konzept der
Bevölkerung mit Migrationshintergrund konkretisiert. Dieser Begriff
ist in Wissenschaft und Politik seit langem geläufig und wird trotz seiner
Sperrigkeit auch im allgemeinen Sprachgebrauch immer öfter verwendet. Er
drückt aus, dass zu den Betroffenen nicht nur die Zuwanderer selbst
d.h. die eigentlichen Migranten gehören sollen, sondern auch
bestimmte ihrer in Deutschland geborenen Nachkommen. Allerdings sind sich die
verschiedenen Quellen keineswegs einig, ob alle Zuwanderer und alle Nachkommen
einzubeziehen sind, oder wenn nicht, welche Kriterien zur Abgrenzung der
Einzubeziehenden heranzuziehen sind. In der Mehrheit der Fälle lassen die
Quellen den Begriff sogar vollständig undefiniert. Im Mikrozensus kann der
Migrationshintergrund ohnehin nur synthetisch, d.h. als abgeleitete Variable
bestimmt werden, da es aus naheliegenden Gründen nicht möglich war,
den Betroffenen die Frage zu stellen Haben Sie einen
Migrationshintergrund, und wenn ja, welche Ausprägungsform? In der
Bestimmung der abgeleiteten Variablen konnten überdies auch nur die
erhobenen Informationen Berücksichtung finden.
Definitorische Abgrenzung
Bei der Bestimmung wurden die Angaben zur Zuwanderung, zur
Staatsangehörigkeit und zur Einbürgerung verwendet; diese liegen
für den Befragten und für seine beiden Eltern vor. Dadurch lässt
sich nicht nur der Migrationshintergrund bestimmen, sondern die Menschen mit
Migrationshintergrund lassen sich noch weiter untergliedern. Dabei galt es als
wünschenswert, wo immer möglich, jene Personengruppen
identifizierbar zu erhalten, die seit jeher in der amtlichen Statistik mit
Bezug auf Migration genannt werden, wie z.B. Ausländer,
Eingebürgerte, Vertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler oder
Asylbewerber. Ebenso galt es als zweckmäßig, die Definition so
umfassend wie nötig und so eng wie möglich zu gestalten. Berechtigte
Fragen sollten nicht deshalb unbeantwortet bleiben müssen, weil die
betroffenen Bevölkerungsgruppen hinausdefiniert wurden,
andererseits sollten auch nur jene Menschen eingeschlossen werden, bei denen
sich zumindest grundsätzlich ein Integrationsbedarf feststellen
lässt. Es war von Anfang an erkennbar, dass sich nicht alle Anforderungen
gleichzeitig erfüllen lassen würden.
Das N-Wort(1) und andere Anstößigkeiten
Der Sprech vom Farbigen ist problematisch. Farbige impliziert: Es
gibt da uns, die Gewöhnlichen, sog. Weiße, die sich nicht als solche
wahrnehmen, und noch die anderen, Farbigen (das meint nicht-Weiße).
Wenn jemand jetzt auch vermeidet von Schwarzen o.ä. zu sprechen,
dann halte ich das für OK. Es ist halt die persönliche Entscheidung
im Sprachgebrauch, auf Hautfarbe und damit das ständige
darauf-aufmerksam-Machen zu verzichten, es sollte m.E. aber auch keine Norm
darstellen. Darauf Rücksicht zu nehmen, dass niemand dauerhaft und stetig,
sofern sie/er eine hat, auf seine Hautfarbe aufmerksam gemacht werden will, ist
völlig in Ordnung. Das verkorkste Beispiel der Diskosituation
heranzuziehen find ich jetzt nicht so gut. Die Schlussfolgerung lässt sich
nämlich auch drehen, denn es zeigt natürlich die Schwierigkeiten
eines überkorrekten Sprachgebrauchs, zugleich aber auch, dass Hautfarbe
selbst als rein visuell wahrgenommene Eigenschaft so vorrangig wird, das jede
sonst akkurate Beschreibung, die darauf verzichtet Hautfarbe zu benennen,
unbrauchbar wird. Und das ist sicherlich nicht unproblematisch.
Die Behauptung, das N-Word kann herzlich gemeint sein und auch so aufgenommen
werden, kann tatsächlich zutreffen. Wenn jemand aufgrund seiner Hautfarbe
z.B. als N bezeichnet wird, empfinde ich das persönlich irgendwo immer als
rassistisch bzw. rassifizierend. Selbst wenn sie oder er jetzt dabei mithilft,
es gibt auch Frauen, die mit dem Hintern wieder einreißen, was andere in
Jahren erkämpft haben und täglich erkämpfen. Ist halt kein
Vorwurf, der jetzt diese Leute als Kollaborateure hinstellen soll. Alle sind
irgendwo und irgendwie erzogen und sozialisiert und benehmen sich dann
dementsprechend, das kann aber für andere ziemlich scheiße sein.
Jauchzen, Jubel, Schimpfen?
Zum Schimpfworttabu ist zu sagen, dass niemand irgendwo hingeht, weil dort die
für ihn üblichen Schimpfwörter geduldet sind. Und niemand geht
wohin, weil dort energisch versucht wird, diskriminierenden Sprachgebrauch zu
vermeiden. Wer Fußball spielen will, geht zum örtlichen
Fußballklub, und wer linke Politik machen will, halt zur jeweiligen
Linken.
Davon abgekoppelt sind Schimpfwörter und deren intensive Verwendung in
vielen Fällen eng mit einer real erlebbaren Gewaltproblematik verbunden,
die oft nicht auf verbale Entgleisungen begrenzt ist, sondern sich zum Teil in
physischen und anderen psychischen Übergriffen äußert. Es
rückt das Problem der political correctness in weite Ferne, wenn ich daran
denke, dass die Gemeinten sich ernsthaft aufs Übelste beschimpfen. Die
haben halt reale Probleme, gegen die die Forderung nach politisch korrektem
Sprech wie ein Luxus wirkt bzw. ein Problem anderer Leute ist. Das behält
aber auch seine Berechtigung, denn alle empfinden das halt in Abhängigkeit
von ihrer Situation unterschiedlich. Das der linguistic turn vielen
Menschen aber völlig unbekannt bleibt, liegt daran, dass es denen mit
gutem Recht total egal ist, wie man sie bezeichnet oder ob sie nun mitgenannt
bzw. -gemeint sind.
Sich in Affektkontrolle zu üben, heißt sich der eigene Sozialisation
und Erziehung bewusst zu sein und über diese hinaus zu denken und zu
handeln. Das kann schwer fallen und bedarf gewisser Anstrengung, ich sehe
dennoch nicht, dass dies ein Plädoyer dafür sein kann, sich darauf
auszuruhen, wie einer/einem der Schnabel gewachsen ist, womit ich nicht
anerkenne, dass es ein hinreichendes Argument dafür sei, die Forderung
nach politisch korrektem Sprachgebrauch zu überprüfen oder gar zu
negieren. Schnäbel wachsen erst wirklich anders, wenn sich auch das
Bestehende anders verhält, denn sonst stolpern wir von einer
Euphemismus-Tretmühle in die nächste, denn wir denken halt nicht in
Worten, sondern in Begriffen, deren negative Konnotation bleibt. Keine Sprache
kann damit irgendwie Bestehendes zum Guten ändern, aber dessen
Auswirkungen zum weniger Schlechten. Es macht halt manche Leute
(un)froh.Außerdem sensibilisiert die Sensibilisierung der Gesellschaft
für das Dilemma des generischen Maskulinums, welches sprachhistorisch
gewachsen ist und als Form Ausdruck des binären
Geschlechterverhältnisses ist, zugleich in Anbetracht dessen, was Sprache
ist, für die patriarchale Verfasstheit eben der Gesellschaft, aus der sie
erwächst.
Die Nachteile an der Sache mit dem _In
Der Kritikpunkt am Gendern, es stelle die geschlechtliche Identität in den
Vordergrund, ist berechtigt, ich sehe das aber als in Anbetracht einer
Männliches als Norm abbildenden Sprache als das kleinere Übel. Das
zum Beispiel Fachbereiche von LehrerInnen nicht so energisch unterschieden
werden, liegt sicherlich lediglich daran, dass die LehrerInnen dieser
Fachrichtungen sich nicht in einem gewaltförmigen
Herrschaftsverhältnis gegenüberstehen. Niemand wird aufgrund der
Fächer, die sie/er unterrichtet, Opfer von Diskriminierung oder sogar
Gewalt. Deswegen ist die Frage danach einfach nur völlig absurd. Die
ständige Benennung der Geschlechteridentität oder besser das
explizite (mit)Nennen der nicht-männlichen ist wichtig, um die
biologistische Unterstellung, unsere Spezies sei in zwei Typen, nämlich
männlich und weiblich, eingeteilt, deutlich zu machen und ihrer
Wirkungsmächtigkeit Rechnung zu tragen, also auch diejenigen zu nennen,
für die vorgesehen war, nicht genannt zu werden. Es kommuniziert nicht
Geschlechterteilung und läuft damit nicht dem dekonstruktivistischem
Gedanken entgegen, sondern untergräbt die Idee von Geschlecht, die Mann
und Frau kennt, wobei Mann die Norm und alles andere nicht erwähnenswert
und -würdig sei.
Die 20-jährige mit Piepsstimme (tief und brummig sollte sie sein!?)
empfinde ich nicht als albern, sondern als Ressentiment. Weiterhin ist mir
schleierhaft, was die hier konstruierte Emanzipationshierarchie, herangezogen
um ihrem Einwand die Berechtigung zu nehmen, zu suchen hat. Zu behaupten, eine
20-Jährige habe einer 50-jährigen nichts zu sagen und dürfe ihre
Befindlichkeiten nicht äußern sowie etwas einfordern, weil die
Ältere ihren Mann raus gehauen hat, selbstbewusst auftritt und ihrem Chef
die Meinung geigt, ergo emanzipierter sei, ist eher fragwürdig als
schlüssig.
Das Scheitern der politisch korrekten Bezeichnungen
Es ist nicht gültig, den Betroffenen komplett abzusprechen, die mit
Sprache verbundenen Unterdrückungsmechanismen als Leid zu empfinden und
berechtigt zu sein, vehement dagegen wirken zu wollen, stattdessen sogar
vorzuschlagen, sich doch mal um die wirklichen, richtigen Probleme zu
kümmern und die Wurzeln anzupacken. Political Correctness in der Sprache
wird niemals die Verhältnisse ändern, sondern bleibt Umgangsform und
auch -norm in einer Linken, irgendwie doch auch ein Szeneding und einigen
Leuten halt wichtig. Ob die nun kapieren, dass es dem Kapital gleich ist, was
sich die doppelt Freien jetzt untereinander an den Kopf knallen, ob und welches
Geschlecht sie haben oder ob jetzt auch ein morgentlicher,
viertelstündiger Eiertanz irgendwo zum guten Ton gehört, ist halt
auch deren Problem. Vielleicht interessieren sich einige dieser Menschen,
außer vielleicht attitüdenhaft und stylegemäß auch gar
nicht dafür, dass der ganze Laden (so nenne ich ihn irgendwie ganz gern)
mal vernünftig wird. Warum dann aber die Vehemenz? Weil es viele Menschen
mit Diskriminierungserfahrungen gibt, aber auch andere, die das einfach
ankotzt. Dazu gehört eben eine Sprache, in der sich diese
Verhältnisse manifestieren und die diese Verhältnisse reproduziert
und manifestiert. Das auf das bloße Bedürfnis zu reduzieren, sich in
der Sprache einen Szenecode schaffen zu wollen, ignoriert
Unterdrückungserfahrungen und die Idee der (Wieder-)Aneignung, die
dahintersteht. Das Problem ist nicht die Forderung in linken
Zusammenhängen nach einer nichtdiskriminierenden und -unterdrückenden
Sprache, sondern Negation und Kleinreden von Unterdrückungs- und
Diskriminierungspraxen durch Menschen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit
zur hegemonialen Gruppe (männlich, weiß, hetero, in
gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen...) diese weder erleben
noch wahrnehmen.
Ferrand
Anmerkungen
(1) Besonders in Medien und Inhalten der pop. Kultur üblicher
Ausdruck um dem Begriff Nigger eine Bezeichnung zu verleihen.