Konzentriertes Ressentiment
Während der anglo-amerikanische Leserbriefschreiber, wenn er seine
Absonderlichkeiten an die Öffentlichkeit bringt, deren Medien dafür
schätzt, dass sie ihm die Möglichkeit gewähren, noch den
krudesten Unsinn unter ihrer Obhut zu verbreiten, sie also tatsächlich als
vierte Gewalt achtet, die auch das ihr Widersprechende duldet, zeichnet sich
der deutsche dadurch aus, dass er seine Zeitung, an der er klebt wie die Fliege
am Fliegenpapier, zugleich aus tiefstem Herzen hasst. (Magnus Klaue)
In der vorletzten Ausgabe gab es ein
Erstes von Hannes Gießler, das die
linke Sprachkritik zum Thema hatte. Wie in privaten und semi-öffentlichen
Kreisen vernommen werden konnte, hat jener Text bei sehr vielen Leuten ein
diffuses Unbehagen hervorgerufen, das in Textform zu gießen sie jedoch
leider unterließen
(1). Leider? Oder müsste es nicht doch eher
heißen: zum Glück? Denn eine Person meldete sich dann doch
noch in der letzten Ausgabe zu Wort. Es war Autorin Lou Sander, die uns einen
Tag vorm Redaktionsschluss folgenden
Leserinbrief zukommen ließ:
Liebe Leser_innen,
hat mal jemand anders von Euch Zeit und Nerven, Hannes Gießler / der CEE
IEH-Newsflyer-Redaktion zu erklären, warum Schwarze Menschen es nicht cool
finden, wenn weiße Typen sie Nigger nennen, warum sich nicht alle
Professorinnen angesprochen fühlen, wenn der kleine Hannes sie
Professor nennt und dass Menschen, die sich mit Bedeutungskonstruktion
durch Sprache und mit Benennungspraktiken auseinandersetzen, durchaus auch die
Kritik der politischen Ökonomie auf dem Schirm haben?
Ihr habt`s aufgegeben? Kann ich auch verstehen.
Solidarische Grüße,
lou sander
Dazu einige Anmerkungen.
Zunächst ist es bemerkenswert, dass Lou Sander meint, die Position der CEE
IEH-Redaktion umstandslos mit der Gießlers identifizieren können.
Warum? Offensichtlich weil wir seinen Artikel gedruckt haben. Es kommt Sander
anscheinend gar nicht komisch vor, dass wir nach dieser Logik auch ihre bei uns
veröffentlichten Positionen
(2) teilen müssten, wovon zumindest die hier
Schreibenden weit entfernt sind. Diese freimütig von z.B. uns
eingestandene Distanz zu Sanders Positionen impliziert aber nicht, wie sie zu
glauben scheint, dass wir im Umkehrschluss unsere Namen vorbehaltlos unter H.
Gießlers Text setzen würden. Es drängt sich der Eindruck auf,
dass Sander sich in etwas verfangen hat, dass ihr selbst ein guter Begriff sein
müsste: einer binären Matrix.
An explizit ihrem Vorgehen zeigt sich wieder einmal, dass diejenigen, die am
lautesten nach Differenzierung schreien, dazu am wenigsten in der Lage sind.
Auf dieses Kuriosum wurde aber andernorts schon einmal hingewiesen
(3).
Das CEE IEH ist durch eine relative Liberalität im Umgang mit Meinungen
(4),
die von den in der Redaktion vertretenen abweichen, bekannt. Diese
Liberalität veranlasst Sander nicht etwa, ihr sorgfältig gepflegtes
Ressentiment gegen das zweiköpfige Monster Hannes Gießler/CEE
IEH-Newsflyer-Redaktion zumindest rudimentär zu kaschieren sagen
wir einmal durch Argumente zum Beispiel. Nein, stattdessen wird ungeniert und
mit den billigsten Mitteln rumgepöbelt: der kleine Hannes
das ist nicht nur eloquent und geistreich, sondern reflektiert zugleich mehrere
Dekaden der Kritik am Mackertum. Dabei werden Gießler dann Aussagen
unterstellt, die mehr über die schlechten Absichten der Autorin als
über den vermeintlich in Rede stehenden Text verraten.
So heißt es bei ihm:
Meine zweite These ist: Der Ton macht die Musik. Wenn man als Schwarzer
in seiner Clique mit den Worten Na alter Nigger, was geht bei dir heute`
empfangen wird, kann das herzlicher gemeint sein und klingen, als wenn ein
eingebildeter Gockel verächtlich die Worte Mitbürger mit
Migrationshintergrund` über seine Zunge gleiten lässt oder ein Linker
mit besonnener Miene umständlich die Wendung Bürger_innen mit
Migrationshintergrund oder Menschen, deren äußere Merkmale andere,
weniger reflektierte Menschen glauben lassen, sie hätten einen
Migrationshintergrund` heraus bugsiert.
Und Sander macht daraus im Handumdrehen:
(
) hat mal jemand anders von Euch Zeit und Nerven, Hannes
Gießler / der CEE IEH-Newsflyer-Redaktion zu erklären, warum
Schwarze Menschen es nicht cool finden, wenn weiße Typen sie
Nigger` nennen (
)
In diesem einen Satz stecken nicht weniger als vier Verfälschungen:
Gießler hat nicht behauptet, dass [alle] Schwarze[n] Menschen
(5) (1)
es cool finden(2) wenn weiße (3) Typen (4) sie
Nigger nennen. Als erstes fragen wir uns, warum aus der Clique in
Gießlers Text bei Sander weiße Typen geworden sind? Wo
kommen die auf einmal her? Und selbst wenn bei Gießler weiße
Typen, also Männer, gemeint wären, dann offensichtlich nicht
irgendwelche dahergelaufenen Rassisten, wie Sander suggeriert, indem sie seine
Aussage generalisiert und entkontextualisiert. Das Gedankenexperiment aus dem
Text bezieht sich eindeutig auf eine sehr konkrete Situation im Freundeskreis,
wo daher persönliche Anerkennungsstrukturen bereits vorausgesetzt sind.
Hannes Gießler will also keineswegs dem weißen
Durchschnittsdeutschen das Recht vindizieren, Afro-Deutsche unbekannterweise
als Nigger zu titulieren. Sander insinuiert aber unverschämterweise
in ihrem Brief, dass die CEE IEH-Redaktion und den Autor genau dieses
rassistische Bedürfnis nach Enthemmung umtriebe. Ob es Schwarze gibt, die
die Nigger-Anrede unter den genannten Bedingungen in Ordnung finden,
vermögen wir nicht zu beurteilen. Sollte das nicht der Fall sein, ist der
Wortgebrauch selbstverständlich auch in diesen Fällen zu unterlassen
und ggf. zu sanktionieren. Lou Sander hat hier aber gar keine Bedenken,
stellvertretend für die Anderen, von ihr als schwarz
markierten Menschen zu sprechen, und weiß, was die eben so cool finden
und was nicht. Sie rassifiziert sich eine Welt zurecht, in der stets und unter
allen Umständen die Hautfarbe zu entscheiden hat, wie man sich zueinander
verhält und nicht etwa Freundschaft oder ein sarkastisch-distanzierter
Umgang mit Beleidigungen. Es bleibt ein Rätsel, warum in dieser Welt
weiß klein geschrieben wird, aber eben Schwarze Menschen
ihre Hautfarbe in großen Lettern vor ihrem Menschsein tragen. Will Lou
Sander damit andeuten, dass weiße Typen sowieso Menschen sind,
aber bei einer dunkleren Hautfarbe besser noch darauf hingewiesen werden
sollte, dass es sich um Menschen handelt, weil das ja in der Vergangenheit
wissenschaftlich umstritten war?
Es ist aufgrund des Pragmatismus zur sprachphilosophischen Binse geworden, dass
semantische Bedeutungsgehalte durch spezifische lebensweltliche
Gebrauchskontexte beeinflusst werden. Vielleicht hat sich Lou Sander damit noch
nicht beschäftigt? Das wäre ja nicht schlimm. Musste sie aber deshalb
gleich einen garstigen Vorwurf formulieren, um das Argument politisch
korrekt aus dem Weg zu räumen? Für dieses Vorgehen, jemandem
explizit zu unterstellen, er würde rassistische Praktiken fördern
oder verharmlosen, gibt es einfache Beschreibungen: Denunziation, Verleumdung,
Unterstellung oder Rufmord wären nur einige davon.
Ähnlich steht es mit dem Professorinnen-Beispiel. Hannes Gießler hat
überhaupt nicht darüber gesprochen, ob sich alle
Professorinnen angesprochen fühlen, wenn er Professor sagt. Von
Professoren und Professorinnen war vielmehr gar nicht die Rede. Gießler
hat mittels eines persönlichen Beispiels gezeigt, dass die
Abstraktionsleistung, alle Leute, die den Lehrberuf ausüben, durch das
Wort Lehrer sprachlich zu symbolisieren, eben auch
rückwärts funktioniert: Wenn man Lehrer sagt, kann man an
Lehrerinnen denken. Die Tatsache, dass das Symbol grammatisch männlicher
Form ist, bedeutet demzufolge nicht, dass in seiner Verwendung die durch es
bezeichneten Frauen im Bewusstsein der Sprecher verschwinden. Was ist gegen
dieses Argument einzuwenden? Nichts. Man könnte aber, gegen Hannes
Gießler, ergänzen, dass dieser Sachverhalt eine offensive
sprachliche Repräsentationspolitik nicht notwendigerweise
überflüssig macht, dass symbolische Ordnungen nicht nur funktionieren
sollen, dass Mit-Gemeint-Sein unzureichend ist, dass sich in Sprache
patriarchale Herrschaft sedimentiert usw. usf. Man kann aber auch einfach, wie
Lou Sander, irgendeine ganz andere Aussage daraus machen, die irgendwie
sexistisch klingt. Das ist ja auch viel bequemer und erspart einem den
mühsamen Weg des Denkens und der Diskussion.
Abschließend sei noch darauf aufmerksam gemacht, nach welchem nur allzu
bekannten Muster der Leserinnenbrief gestrickt ist. Es werden hier, ganz
binär und manichäisch, zwei klar abzugrenzende Gruppen konstruiert:
die (potentiell) Rassistischen einerseits und die politisch Korrekten
andererseits. Endlich mal wieder was eindeutiges: Gut und Böse. Die
Bösen sind hegemonial, na klar. Die beherrschen den Diskurs, sitzen an den
Hebeln der Macht im CEE IEH, haben alle die gleiche Meinung wie ihr
mächtiger Vormund Hannes Gießler und sind wahrscheinlich
weiße Typen, darauf kommt's an! Auf der anderen Seite haben wir
den Widerstand, die Leser_innen, hier lebt die Vielfalt. Die sind zwar
auf der richtigen Seite, die aber leider verworfen und marginal. Ihre Versuche,
per Gegendiskurs zu landen, waren bis jetzt immer vergeblich. Dabei hat man es
schon so oft versucht! Na ja und Lou Sander hat irgendwie auch keine Lust und
Kraft mehr. Aber sie weiß bestimmt, dass ganz viele hinter ihr stehen,
dass sie für die schweigende Mehrheit der Reflektierten steht. Ihr
habt`s aufgegeben? Kann ich auch verstehen. Der Klügere gibt nach.
Die Wahrheit sieht anders aus. Zwar regen sich viele auf. Dass sie es aber
aufgeben, zu diskutieren, würde zunächst einmal voraussetzen, dass
sie damit jemals ernsthaft begonnen hätten. Lou Sander schmiert
stattdessen denen Honig ums Maul, die nur unter Gleichgesinnten am Stammtisch
zetern, und suggeriert, dass man sich bereits voll in der Diskussion mit der
leiderleider starrsinnigen CEE IEH-Redaktion und dem leiderleider unbelehrbaren
Hannes Gießler verausgabt habe. Und sie suggeriert das sogar noch in
einem Fall, in dem man sich tatsächlich bisher nur privat echauffiert hat.
Was für ein schlechter Witz!
Wer sich auf der Grundlage von Gerüchten, Lügen und
Szenebefindlichkeiten zu einer kuscheligen Gemeinschaft der Empörten
formieren will: bitte! Man kann niemandem zum eigenständigen Denken
zwingen. Das ist aber noch kein Argument gegen die Thesen von Hannes
Gießler
(6). Wer linke Sprachregelungen lieber als verdinglichte
Errungenschaften abnickt, als einen bewussten Umgang mit ihnen zu
befördern, wer eine Gegennorm akzeptiert und auf Nachfragen mit
irrationalen und verleumdenden Unterstellungen kontert, statt eigene
Überzeugungen argumentativ zu rechtfertigen, der muss kritisiert werden.
Wer wirklich etwas zu sagen hat, der soll einen Text schreiben. Und wer
schweigt, stimmt zu.
Chris / Bruno/ Johannes Knauss / sisyphos (Mitglieder der CEE IEH-Redaktion)
Anmerkungen
(1) Dieser Text wurde geschrieben, bevor die in diesem Heft abgedruckten
Antworten auf Hannes die Redaktion erreichten.
(2) u.a. Nie wieder Antira im CEE IEH #177 (
http://www.conne-island.de/nf/177/20.html)
(3) Vgl. Halli Galli in CEE IEH #161 (
http://www.conne-island.de/nf/161/19.html)
(4) Ja, MeinungEN, im Plural. Eine hybride Identität ist für uns eben
kein Fremdwort, sondern gelebte Praktik.
(5) Lou Sander schreibt nicht alle, aber ihr Anliegen hätte gar
keinen Sinn, würde sie in diesem Satz mit Schwarze Menschen nur
irgendwelche beliebigen konkreten Personen meinen.
(6) Wirkliche Argumente und Auseinanderetzungen sind so zum Beispiel in den in
diesem Heft gedruckten Antworten auf Hannes Gießler zu lesen.