• Titelbild
• Editorial
• das erste: Was die LVZ Sonntagabend vom Tatort lernen könnte...
• Fear and loathing im Moseltal
• Runes, Hang the Bastard, Coldburn
• 65daysofstatic
• Einen aufs Haus
• MODESELEKTION Vol. 1
• Shrinebuilder
• Pantéon Rococó
• Blood Red Shoes
• Trilingual Dance Sexperience
• dd/mm/yyyy, Women, Baths
• »You are stronger than you think«
• »Freunde im Groove«
• Casper
• Rise and Fall, Nails, Harms Way
• Winds of Plague u.a.
• Veranstaltungsanzeigen
• kulturreport: Campy Panzerluft und antisemitischer Kitsch
• ABC: G wie Gewalt
• review-corner film: Jud Süß Ein Film ohne Anspruch
• Linker Irrtum, schwerer Irrtum
• Konzentriertes Ressentiment
• Das ist doch alles nicht so einfach...
• doku: Oben bleiben. Weiter gehen.
• doku: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie Scheiße ist Deutschland?
• Anzeigen
• das letzte: Viel Spaß für wenig Geld
Es war ja gut gemeint. Die Intention von Hannes Gießlers Das Erste: Linke Sprache, schwere Sprachen des CEE IEHs #179 möchte ich ja gar nicht in Frage stellen. Die Wahllosigkeit und das Ressentiment in der Argumentation schon. Eine Replik.
Zu den drei Thesen Gießlers.
Ich verstehe mich nicht als Anhängerin des linguistic turn;
zumindest bin ich nicht der Meinung, dass Sprache allein wirklichkeitsbildenden
Charakter hat, dazu sind materielle Verhältnisse einfach zu wichtig, der
Diskursbegriff zu verwischend. Dennoch bin ich der Meinung: Es ist gut, es ist
schön, eine Blase zu schaffen, in der einzelne sich weniger diskriminiert
fühlen als in der Mainstreamgesellschaft (zur 1. These Gießlers),
auch durch korrekte Sprache, wenn dies nur immer reflektiert wird. Denn
diese Blasen man kann das auch Freiräume nennen stärken
die Möglichkeit zur Kritik an der Gesellschaft und erhöhen nicht
zuletzt auch den Genuss des Alltags, indem sie etwa die Unversehrtheit der
Einzelnen und die Freiheit im Geiste erweitern. Wenn ich mich etwa beim
abendlichen Nachhausekommen nicht als begutachtetes Stück Fleisch
fühlen muss, nur weil ich ein Bier trinken war und in der Bar als
Frau kategorisiert und behandelt wurde oder wenn ich nicht zum fünften
Mal auf einer Party das Gerücht aus der Welt schaffen muss, ich kenne mich
mit Ananas aus, nur weil manche meinen Namen nicht buchstabieren können,
so ist das ein enormer Spaßgewinn (oder zumindest Frustvermeidung).
Das Sprache bewusstseinsbildend und insofern auch wirlichkeitsformend
ist, möchte ich gar nicht in Frage stellen. Doch bin auch ich der Meinung,
dass Sprache nicht alles ist, bzw. politisch korrekte Sprache nicht
unvermittelt korrekte Verhältnisse herstellt. Umso verwunderlicher
erscheint es mir, dass umgekehrt gerade politisch korrekte Sprache im
Stande sein soll, Menschen aus (linken) Zusammenhängen
auszuschließen, da sie umständlich oder eingebildet
klingt (2. These Gießlers).
Und letztendlich ist mir die affektkontrollierte Stimmung (3. These
Gießlers) in einem der spießigen Bioläden Schleussigs oder
Connewitz` zwar auch unerträglich. Aber wenn ich wählen muss zwischen
einem kleinen Imbiss in einem Biorestaurant in Kreuzberg oder einer Currywurst
im Stammlokal der Frauenwitze reißenden Fußballcrew des Roten
Sterns, so steht mir der erste Ort offen, der zweite nicht, wenn ich mich am
Ende nicht ohnmächtig und schlecht fühlen will.
Aber noch einmal von vorne.
Feministisch und anti-rassistische Argumentation reloaded.
Über was reden wir hier eigentlich? Über das Bedürfnis,
Menschen endlich wieder so nennen zu können, wie es uns zuerst ins Hirn
kommt? Also, Zitat Gießler, herzlich Fotze oder Schwuchtel
zu sagen? Was fällt hier auf? Es gibt keine solche Bezeichnung für
den weißen, westlichen, heterosexuellen Deutschen. (Fast ein wenig
traurig ist es, dass dieser nur bei seinem Namen und nicht, was doch viel
herzlicher wäre, mit einer ordentlichen Beschimpfung begrüßt
werden muss.) Der, danke Robert Kurz, MWW(1) wird nicht bezeichnet nach
Geschlecht, sexueller Orientierung oder Staatsangehörigkeit irgendeines
Vorfahren. Dieser ist das Subjekt, er hat Eigenschaften, diese zählen. Er
hat etwa einen Beruf, Hobbies, kurze Haare, lange Haare, Hip Hop-Klamotten oder
anderes. Er ist massenhaft vertreten in der linken Szene Leipzigs und er will
das Problem nicht bei sich suchen müssen, wenn die Anderen in der
Szene fehlen, sich also augenscheinlich in seiner Nähe nicht wohl
fühlen. Lieber macht er, was in Deutschland Usus ist(2): Er verkehrt das
Täter-Opfer-Verhältnis. Viele Migranten kennen den
linguistic turn nicht, sie müssen ausgeschlossen bleiben aus linken
Zusammenhängen, weil ihnen der manierliche Umgang nicht gegeben
ist oder schlicht und ergreifend auf den Sack geht. Ihnen mangelt es also
an Manierlichkeit und Wissen. Das Problem, wie auch immer gut gemeint hier
Gießlers Ursachenforschung sein mag, ist also wieder bei den Migranten zu
suchen (oder, wahlweise, auch bei Frauen oder Juden, wie seine Einleitung
suggeriert?). Interessant ist das Bild des Migranten, das hier gezeichnet wird:
Es ist jemand, der in engen Räumen lebt, gerne Kampfsport macht und nicht
auf die Uni geht. Die Rechnung: Ausländer können nicht gut
Deutsch kommen in der Bildung nicht weit sind in der
Unterschicht ist so linear aber nicht zu machen. Die Frage kann auch lauten:
Wieso ist Deutschen aus ärmsten Verhältnissen Anfang des 20.
Jahrhundert in den USA und Chile der berufliche Aufstieg und Zugang zu Bildung
möglich gewesen? Wieso gibt es auch in der EU Länder, in denen
türkische Jugendliche nicht im Regelfall auf der Hauptschule landen? Denn
abgesehen davon, dass es diese Schulform in anderen Ländern nicht gibt,
sind die Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund in anderen
Ländern ja tatsächlich besser wie wir spätestens seit der
PISA-Studie wissen. Liegt das wirklich daran, dass die Belgier etwa weniger
politisch korrekte Sprache verwenden? Und außerdem: Wie ist das
denn mit dem Durchschnittsmann der antideutschen Szene? Ist er nicht mit 90%
Wahrscheinlichkeit (klein-)bürgerlicher Herkunft? Worüber reden wir
also? Statistisch sind weniger Arbeiterinnen und Arbeitslose in der
progressiven Linken als Bürgerliche. Da in Deutschland Migranten
öfter in der Unterschicht landen, bedeutet dies, dass weniger Migranten in
der Linken sind als sie proportional zur Mehrheitsgesellschaft sein
müssten. Ja, das ist ein Problem, bedarf aber eines anderen Fokus als den
auf gegenderte Sprache meine These lautet, dass diese Sprache Leute
weder aus der Szene fernhalten noch sie besser integrieren wird. Weg vom
linguistic turn, hin zu den Klassenverhältnissen!
Ein paar Nachdenklichkeiten.
Hannes Gießler befindet die Bezeichnung eines Lehrers als Lehrer für
genauso diskriminierend wie beispielsweise die Belegung eines Jenaer
afrodeutschen Jugendlichen mit Begriffen, die eine einschlägige
rassistische Geschichte haben. Bei kurzem Nachdenken springt jedoch ins Auge,
dass Eigenschaften, die man sich im Laufe seines Lebens aneignet, nicht
dasselbe sein können wie zugeschriebene Eigenschaften, gegen die man sich
von Geburt an wehren muss. Wir leben glücklicherweise nicht mehr in einer
Ständegesellschaft, in der Verfolgung, Kerker oder Schlimmeres drohen,
sollte sich eine Bauerntochter entscheiden, in die Stadt zu ziehen und
Krankenschwester (aka Hexe) zu werden. Dieses Argument ist so
offensichtlich, dass es mir fast überflüssig erscheint, es zu nennen.
Doch da Gießlers Text folgendermaßen argumentiert: Dass
die Differenz von Grundschullehrern und Gymnasiallehrern [
] in der
Bezeichnung die Leher_innen' hinten runter fällt, stört ja auch
niemanden. Warum also ist gerade die geschlechtliche Identität so wichtig,
dass man sie neuerdings überall mit erwähnen muss?, scheint ein
erneutes Bemühen um eine kohärente feministische Argumentation
nötig. Ich möchte sie darum gerne beantworten.
Es gibt (zugespitzt) zwei Möglichkeiten des feministischen /
antisexistischen Umgangs mit der Frage nach der Bezeichnung nach Geschlecht:
Entweder das gender issue ist ein Diskurs, der durch Macht gezeichnet
und sprachlich de/konstruierbar ist und der/die Einzelne muss sich darum immer
fragen, wie er/sie selbst an der diskursiven Produktion von Wissen beteiligt
ist. Dann wird mensch versuchen, möglichst wenige Zuschreibungen
sprachlich festzuklopfen, besonders nicht solche, die auf gender und sex
zielen. Nach dieser Idee wäre es dann wichtig, nicht Lehrer zu
sagen, sondern Lehrer_innen, weil damit die Möglichkeit anderer
Geschlechter erst diskursiv geschaffen wird, anstatt alles (wie es etwa die
These des Ein-Geschlecht-Modells für die vorbürgerliche
Gesellschaft besagt(3)) unter das eine, das männliche Geschlecht zu
subsumieren. Dies ist eine feministische Meinung, wenn auch nicht ganz
meine.(4)
Oder und das ist die zweite Möglichkeit man versteht das
Geschlechterverhältnis als gesellschaftliches Verhältnis. So ist zwar
Sprache in ihrem bewusstseinsbildenden Charakter zu hinterfragen. Aber die
Unterdrückung der Frau lässt sich dann nicht durch
Sprachdekonstruktionen lösen, sondern muss in ihrer Materialität
durch die gesellschaftliche Tat aufgehoben werden. Um diesen Akt der
menschlichen Emanzipation überhaupt zu erwirken, ist die politische
Gleichstellung der Frau und mehr zu erkämpfen(5) (es ergeht sich also
nicht in Haupt- und Nebenwiderspruch). Geschlecht wird jedoch nicht durch
individuelle Bezeichnungen allein als Kategorie an Wichtigkeit verlieren.
Vielmehr ist zu befürchten, dass die Nichtnennung des Geschlechts von
Menschen auch die Möglichkeit der Kritik am Geschlechterverhältnis
verhindert. Darum also, um die Frage oben ein zweites Mal zu beantworten, ist
es wichtig, nicht Lehrer zu sagen, wenn man Lehrerinnen meint,
denn Geschlecht als eine Kategorie, nach der ein heftiges Machtgefälle
existiert, zu verschweigen, befördert nur dessen Verschleierung.
Anders gefragt: Wozu genau ist gegenderte und sog. politisch korrekte
Sprache da? Gießlers Text suggeriert, sie sei zur Integration von
MigrantInnen und (anderen) Frauen etc. da (jedoch, das ist ja sein
wackelig konstruierter Hauptpunkt, nicht erfolgreich, sondern
kontraproduktiv). Und natürlich ist es wichtig, andere nicht durch
Bezeichnungen zu verletzen. Aber zuallererst ist diese Sprache dazu da, bewusst
zu machen, dass nicht normal ist, was uns als normal vorgesetzt wird: Dass es
nicht cool ist, Fam. Hans Rüdiger Meier auf den Brief zu schreiben,
weil darin Annegret und auch Kleinpeter unter den Papa subsumiert werden. Dass
Grundschullehre vor allem von Frauen gemacht wird und es also bescheuert
klingt(6), wenn es baden-württembergischen Referendaren nicht erlaubt
ist, Kopftücher in der Schule zu tragen, weil das am Problem vorbei geht.
Dass wiederum Diktatoren zu 99% Männer sind, und linke Texte sich
hier das Gendern besser verkneifen sollten. Dass jemand, die sich als
people of color (poc) sieht und nicht als fremd und anders (wer tut das
schon?), das Recht hat, im täglichen Umgang nicht diskriminiert (i.S.v.
anders benannt, anders behandelt) zu werden, sondern so, wie sie sich sieht.
Dies sollte nach einem halben Jahrhundert Emanzipationsbestrebungen von
Schwarzen (z.B. in den USA), in denen es u.a. auch um jene Bezeichnung ging, an
der Gießler sich erfreut, möglich sein.
Das Deutsche spinnt zugegebenermaßen und netterweise im Bezug auf
Artikel; viele, die diese Sprache nicht von Geburt auf lernen, verzweifeln
leider daran (es ist der Tisch, aber die Tür etc.). Dies heißt
jedoch nicht, dass die deutsche Sprache einfach durcheinander sei und nicht
sexistisch, so wie es Gießler als Konsequenz daraus behauptet. Im
Gegenteil ist gerade diese Sprache nach Aussage der in Fußnote 3
genannten habilitierten Feministin besonders patriarchal(7).
Durch gegenderte Sprache kann jedoch die sprachliche
Unsichtbarkeit und Ohnmacht von Frauen und queers behoben werden, was umgekehrt
wiederum sicherlich auch Einfluss auf unsere Gesellschaft hat. Das Gendern von
Sprache soll aber nicht nur selbstreflexiv Sprache geschlechtlich öffnen,
dies wäre ja von vorneherein redundant. Es soll reale Verhältnisse
problematisieren, in denen es eben eine Promotionsordnung mit
Doktoranden gibt, jedoch in einer Edeka-Stellenanzeige explizit nach
einer Kassiererin gesucht wird. Denn generisches Maskulinum und
rassistische Ausdrücke sind ja nicht nur in der Sprache vorhanden: Sie
spiegeln die patriarchale und rassistische Welt wider, in der wir leben.
Schlussfolgerung
Bewusstes Gendern und das Nichtfestlegen auf irgendwie nicht-biodeutsches
Aussehen können helfen, der Mainstreamgesellschaft oder dem
bürgerlichen Subjekt bewusst zu machen, dass es sich als das Normale und
das Andere als die Ausnahme sieht. Dabei hilft es nicht, alles in einen Topf zu
stecken und mal schön provokant zu verrühren. So sollte nicht
vergessen werden, dass Frauen keine Minderheit sind. Und dass Deutsche
jüdischer Konfession aufgrund politisch korrekter Sprache aus der linken
Szene ausgeschlossen bleiben, ergibt auch keinen Sinn (noch nicht einmal als
falsches Argument). Zudem können Bezeichnungen, wie ich sie hier nicht
wiederholen will, verletzen, sie können an all die rassistischen
Situationen erinnern, die einem Afrodeutschen in seinem Leben widerfahren sind.
Das ist kein Spaß und erst recht nicht herzlich! Dass viele Menschen sich
selbst auch irgendwann, da sie auch in diese Gesellschaft geboren sind,
rassistisch oder sexistisch behandeln, ja häufig auch homophob, ist
wiederum ein anderes Thema es heißt Ideologie.
Kurz zusammengefasst fallen die Thesen Gießlers also bei näherem
Hinschauen substanzlos in sich zusammen: Denn einerseits wird hier
(korrekter) Sprache verdammt viel Macht zugesprochen, also sehr
idealistisch in der Position des linguistic turns verharrt, wobei genau
diese Position eigentlich verachtet wird. Materielle Verhältnisse werden
andererseits sträflich vernachlässigt: Aus welchem Milieu, welcher
Schicht jemand kommt, welche Voraussetzungen man zum Großteil mitbringen
muss in die linke und antideutsche Szene, wird nicht historisch-materialistisch
und kritisch-theoretisch, sondern erfahrungsbezogen und im schlechtesten Sinne
meinungsbetont untersucht. Psychoanalytische Elemente der Problematik (das
Beispiel des Bioladens und der Affektkontrolle) werden zwar angedacht, aber der
Analogieschluss wer aus schwierigeren Verhältnissen kommt, hat es
schwerer mit der Selbstkontrolle geht so linear nicht auf und also verliert
sich auch dieser interessante Aspekt in Küchentischpsychologie hinter dem
Schutzschild der Polemik und der eigenen Erfahrung.(8) Oder, wie eine Freundin
von mir sagte: Es ist nicht provokant oder besonders kritisch, ein Thema
oberflächlich und ein bisschen polemisch zu behandeln, da das von denen,
die nicht davon betroffen sind, sowieso entweder vergessen, belächelt
und/oder abgelehnt wird. DAS ist kontraproduktiv.
Korrekte Sprache kann hässlich klingen, was ihr (auch von Gießler)
oft vorgeworfen wird. Tatsächlich sind viele erste wackelige Versuche im
Umgang mit dieser Sprache, die versucht, weniger diskriminierend zu sein,
häufig nicht sehr hübsch anzusehen. Dieses Argument ist so wenig neu
wie frei von Ideologie. Ich möchte ihm entgegenhalten, dass etwa 90% aller
Spiegelartikel in schlechtestem, hässlichstem Jargon verfasst sind und
dass ein kreativer Umgang mit (gegenderter/ politisch korrekter) Sprache
einfach eine Frage der Eloquenz des Autors ist. Und der Autorin.
Diese mit Kreativität zu üben und herzlich zu sein jenseits von
Stammtischsprüchen und Klischees, dazu fordere ich alle auf, die immer
noch wie ihre Szeneväter in den 70ern jegliche Fehlbarkeit von sich
weisen. Mit (ideologie)kritischer Differenziertheit reale Verhältnisse und
also auch Sprache auseinander zu nehmen, wo dies von Nöten, andererseits
manches auch zu bewahren, das uns lieb und teuer ist(9), bleibt die Aufgabe jeder
emanzipatorischen Linken und sollte nicht einfach über Bord geworfen
werden.
Virginia Spuhr (Redaktionsmitglied outside the box)