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Wer sich vor dem Kinobesuch einige Rezensionen über den Film Jud
Süß Film ohne Gewissen durchgelesen hatte, konnte ahnen,
dass dies kein guter Film sein würde nicht nur, weil es ein
deutscher Film ist, sondern weil schon die Rezensionen nichts über den
Film aussagen konnten. So bestätigte sich auch meine Vorahnung man
ärgert sich nach der Vorstellung schlicht über die Zeit- und
Geldverschwendung, denn es bleibt völlig unklar, was der Film vermitteln
will.
In Jud Süß Film ohne Gewissen geht es um die
Entstehung des gleichnamigen NS-Propagandafilms Jud Süß aus
dem Jahr 1940. Jener wurde leicht abgewandelt nach dem Buch Jud
Süß von Lion Feuchtwanger(1) gedreht und sollte die antisemitische
Hetze im Deutschen Reich weiter anstacheln. Den Soldaten an der Front, den
Wärtern in den KZs und den Mädels vom BDM an der Heimatfront sollte
die Verfolgung und der Mord am europäischen Judentum durch den
Propagandafilm Jud Süß erleichtert werden. Nach dem 2.
Weltkrieg wurde der Film verboten und darf auch heute nur kommentiert gezeigt
werden. Vom Lieblingsprojekt des Propagandaministers Joseph Goebbels bekommt
das Publikum des aktuellen Kinofilms jedoch gar nichts Authentisches mit, weil
in Jud Süß ein Film ohne Gewissen sämtliche
Szenen des Originalfilms nachgespielt wurden. Dadurch wird der komplette Film
enthistorisiert, was insofern passend ist, da das gesamte Setting des
Nationalsozialismus ohnehin beliebig wirkt. Die gesamte Handlung könnte
auch zu Zeiten Barbarossas oder in der Weimarer Republik spielen eben
wie in einem ganz normalen Film über einen ganz normalen Teil der
deutschen Geschichte. Somit entledigt sich der Film auch der Aufgabe,
moralische oder politische Botschaften zu vermitteln. Genau das müsste er
jedoch, da es eben ein deutscher Film über den Nationalsozialismus ist. An
der Abwesenheit dieses Selbstverständnisses kann recht gut eine Variante
des heutigen Umgangs mit dem NS in Deutschland abgelesen werden: Es ist genau
die scheinbare Beliebigkeit des Nationalsozialismus und die bewusst
unmoralische Haltung gegenüber der teilweise erschütternden Handlung
des Originalfilms Jud Süß von Veit Harlan, die nach Phasen
des Revanchismus, dem anschließenden Schuldeingeständnis und der
aktiven Aufarbeitung im Umgang mit dem NS folgt.
Um das Publikum ins Kino zu locken, treten sehr viele bekannte deutsche
Schauspieler auf, die man aus allen möglichen deutschen Produktionen
kennt. Man verbindet mit diesen Gesichtern Unterhaltungsfilmchen wie Der
Baader-Meinhof-Komplex, Sonnenallee oder auch Der bewegte Mann.
Da die Schauspieler allesamt und dies völlig zu Recht
niemals international Karriere gemacht haben, spielen sie auch hier die Rollen,
die sie immer spielen: sich selbst. Und weil man sie so gut kennt, fühlt
man sich auch ein bisschen heimelig. Dadurch geht ein Stück Distanz
verloren, die bei einem Film über den Nationalsozialismus durchaus
angebracht wäre. Zudem wirken die Rollen wie auf einer Theaterbühne
inszeniert, wodurch der Film irreal wirkt und beim Zuschauen die Gewissheit
relativiert, dass wir es hier mit einer realen Begebenheit zu tun haben. Der
historische Originalfilm Jud Süß wurde aber wirklich gedreht,
fand über 20 Millionen Zuschauer und vermittelte durch seine offen
antisemitische Fratzenhaftigkeit den Deutschen, was das scheinbar einzig
Richtige gewesen sei: die Ermordung des europäischen Judentums.
Zugleich Drama und Farce
Im Mittelpunkt des aktuellen Machwerks Jud Süß Film
ohne Gewissen aber steht lediglich die Entstehung des Originals mitsamt der
vielen kleinen Tragödien und Erfolgsgeschichten, die damit in Verbindung
gebracht werden. Fernab dessen, dass die Erzählstränge des Films nur
schlecht miteinander verbunden sind, tauchen auch einige Figuren auf, deren
Bedeutung unklar bleibt, so zum Beispiel die Tochter des Hauptdarstellers in
Jud Süß Film ohne Gewissen Ferdinand Marian. Die-se
Tochter wird in der Schule mit antisemitischer Propaganda indoktriniert und
trägt diese mit ins Elternhaus, dennoch wird sie hartnäckig als
kleiner, unschuldiger Engel inszeniert. Ab der Mitte des Films taucht sie
schlicht nicht mehr auf und es bleibt offen, warum sie überhaupt
eingeführt wurde. Andere Figuren hingegen bleiben dem Zuschauer den ganzen
Film über erhalten und erscheinen mit einer derart hohen Frequenz, dass
sie fast schon wie ein Running Gag wirken. Eine Portion historisch
unterfütterter Dramatik wird nur mit der erfundenen Figur des
jüdischen Schauspielers Adolf Deutscher eingeführt, weil an seiner
Person die Entrechtung, Deportation und Haft von Millionen von Juden
exemplarisch gezeigt wird dennoch verkommt die grausame
Vernichtungspolitik der Nazis hier zu einer lediglich unschönen
Nebensächlichkeit. Das Ghetto, in das Deutscher gebracht wird, erscheint
vergleichsweise human und als er am Ende aus dem KZ kommt, sind er und seine
Leidensgenossen zwar leicht frustriert, aber doch wohlgenährt. Deutscher
soll wohl das schlechte Gewissen des Hauptakteurs Marian darstellen. Der Film
pocht jedoch implizit immer wieder darauf, dass Marian objektiv
betrachtet kein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Goebbels
drängt ihm die Rolle für den Propagandafilm Jud Süß
immer wieder auf, worauf er zuerst entschieden ablehnt. Er hält zu seiner
Ehefrau, die aufgrund ihrer jüdischen Großmutter nicht mehr als
Schauspielerin auftreten darf, obwohl er am Ende wegen ihr erpressbar wird und
die Rolle in Jud Süß doch annimmt. Er versteckt seinen
Schauspielkollegen Deutscher und rettet ihn anfangs vor dem Ghetto. Und er
versucht, aus seiner Rolle als Josef Süß Oppenheimer das
Menschlichste herauszuholen. Trotz all dieser dramaturgischen Schachzüge,
die seine Mitschuld relativieren sollen, bleibt Marian doch ein egozentrischer,
unsensibler Typ, der seine Frau betrügt und sich darum sorgt, ob er nun
für immer den Juden spielen muss. Dennoch fällt es dem Zuschauer
schwer einzuschätzen, ob er ein Täter oder ein Opfer des NS ist.(2)
Genau dies scheint mit dem Film unterschwellig beabsichtig zu werden: Man kann
kein klares Urteil über das Schicksal und Handeln einzelner Deutscher
fällen. Die zuschauende Person kann sich ihr eigenes Urteil über die
Rollen im Film bilden und diese frei interpretieren. Manch einer wird es lustig
finde, wenn Moritz Bleibtreu alias Joseph Goebbels seine Reden schreit, andere
finden es vielleicht beschämend, weil der Inhalt so ehrlich und grausam
ist. Aber mit den Rollen wird kein Urteil über die historischen Personen
gefällt. Die Beurteilung obliegt dem Kinopublikum den Einwand, dass
einem deutschen Publikum ohnehin meist nicht über den Weg zu trauen ist,
muss man an dieser Stelle eigentlich gar nicht mehr äußern, so
selbstverständlich ist er.
Eine weitere Komponente der Entschuldungsstrategien des Films ist zudem dessen
Frauenbild: Außer der Ehefrau von Marian sind alle Frauen
machtsüchtige, intrigante Personen, die mit jedem politisch wichtigen Mann
ins Bett steigen. Sie sind es auch, die in dem Film offen antisemitisch
handeln: Es ist die Hausangestellte von Marian, die Deutscher denunziert und
sich später in den besetzten Gebieten das Eigentum der deportierten Juden
unter den Nagel reißt. Es ist die Frau irgendeines Ghettokommandanten,
die Marian verführt. Sie lässt ihm beim Sex den Text der
Vergewaltigungsszene aus dem 1940 gedrehten Jud Süß aufsagen.
Anscheinend soll hier der Antisemitismus als psychologisches Phänomen
begründet werden, weil Nazis besonders die Frauen mit den
Juden Sex haben oder an deren angeblich ausgeprägten perversen
Sexualität(3) teilhaben wollten. Die Szene wird jedoch so lächerlich
und fremdbeschämend dargestellt, dass man über einen möglichen
tieferen Gehalt nicht nachdenken mag. Ähnlich irritierend ist die
Inszenierung der Behinderung Goebbels fast immer wird er mit seinem
Gehfehler gezeigt. Soll hier etwa vermittelt werden, dass die Nazis doch gar
nicht ernst zu nehmen sind, wenn sie Behinderte umbringen, aber eigentlich ja
selbst Behinderte in ihren Reihen dulden?
ohne moralische Belehrung und Zeigefinger.
Der Film Jud Süß Film ohne Gewissen ist zwar kein
bewusst inszeniertes geschichtsrevisionistisches Machwerk, aber es wird an dem
Film deutlich, wie heute mit der deutschen Geschichte, dem Nationalsozialismus
umgegangen wird. Der NS wurde zu einem beliebigen und normalen Teil der
Geschichte; es bedarf keiner besonderen Erzählweise, keiner moralischen
Wertung mehr, ab jetzt darf auch mal gelacht werden.(4) Anscheinend sind alle
traurigen, erschütternden Geschichten erzählt und so widmet sich die
deutsche Filmindustrie fortan den banalen Geschichten und Biographien, und dies
noch nicht einmal besonders gut.
Die moralische Uneindeutigkeit der Personen, insbesondere des Hauptdarstellers
Marian, eröffnet wiederholt die Thematisierung nach Schuld und Unschuld
der deutschen Persönlichkeiten im NS. Dass Marian nicht eindeutig als
Täter identifiziert wird, ist gewollt, weil der Film keine politischen
moralischen Urteile abgibt. Und genau das ist das schwierige an dem Film, dass
er zwar den NS als Bühne benutzt, aber nicht gewillt ist, über das
Thema etwas aussagen zu wollen oder zu müssen. Im Gegenteil, einige
Dimensionen des NS werden zwar erwähnt, aber gleichzeitig in den
Hintergrund gerückt. Mit der Uneindeutigkeit der Figuren könnten man
leben (oder aber es wäre schön, wenn das Publikum zumindest angeregt
würde, sich eine eigene Meinung zu bilden), aber das Setting und die
Darstellung erlauben keine angebrachte moralische Einordnung der Personen und
der Handlung.
Zurecht wurde der Film auf der Berlinale ausgebuht, aber es finden sich auch
positive Bewertungen zum Film.(5) Die Dresdner Neuste Nachrichten
schreiben bspw.: Ein Melodram mit sanften satirischen Anstrich ohne
moralische Belehrung und Zeigefinder. Prinzipiell kann es natürlich sehr
gut sein, über die Nazis zu lachen, aber dieser Film erlaubt einem noch
nicht einmal ein Schmunzeln, zudem versucht der Film eben auch grausame
Realität darzustellen und die Art und Weise des Versuchs lässt einem
jedes Lachen im Halse stecken bleiben. Die Tatsache, dass die Abwesenheit
jeglicher moralischer Belehrung in einem Land, das sich seit 60 Jahren
von der moralischen Keule Auschwitz drangsaliert fühlt,
gleichbedeutend ist mit der Abwesenheit jeglicher moralischer Bewertung
und darüber hinaus der Umstand, dass dies Freude und Erleichterung
auslöst, sagt alles über den Film aus.
Es gab auf der anderen Seite auch viele negative Stimmen zum Film, die gleich
von Geschichtsrevisionismus gesprochen haben. Damit wird es sich aber zu
einfach gemacht und man wird auch dem Film nicht gerecht. Ein guter und
angemessener Umgang mit dem Film wäre, wenn einfach niemand drüber
reden würde, weil er einfach nur schlecht ist aber revisionistisch
ist er nicht.
Als kleine Randgeschichte aus dem wahren Leben, die den Umgang mit der
deutschen Geschichte ganz gut beschreibt, sei noch erwähnt, dass der
Schauspieler Robert Stadlober, der im Film einen jungen SS-Mann spielt und in
der Rolle den jüdischen Schauspieler Deutscher aus seinem Versteck
verhaftet, sich im engen Kreise Goebbels bewegt und groß Karriere in den
besetzten Gebieten machen will, vor wenigen Wochen gemeinsam mit Thomas
Ebermann im Conne Island aus den Tagebüchern Mihail Sebastians gelesen
hat. Robert Stadlober spielt bei einem vielleicht etwas kruden, aber mindestens
schlechten Film über den NS mit, der keinerlei Aussage hat und deshalb
lieber nie produziert worden wäre, und gleichzeitig liest er aus den
Tagebüchern eines jüdischen Intellektuellen, die so erschreckend
ehrlich die brutale Realität in den 30er und 40er Jahren in Europa
beschreiben. Robert Stadlober wollte bestimmt nur seinen Teil zur Aufarbeitung
der deutschen Geschichte beitragen, aber an dieser Stelle wird die Beliebigkeit
mit dem Thema deutlich. Das hat der Robert bestimmt auch nicht böse
gemeint, sondern ist Resultat der letzten 60 Jahre Geschichtsaufarbeitung,
welche am Ende aus den Deutschen Täter und Opfer zugleich gemacht hat.
Wenn man allein die Dimension des Holocaust betrachtet, kann dies nicht so
stehen bleiben. Die Deutschen wollten die Vernichtung des europäischen
Judentums, sie haben gejubelt, sie haben profitiert und sie haben geschossen,
nicht nur die SS und die Gestapo, sondern auch Erwin und Trude Müller von
nebenan. Aber dieser Teil wurde beim ständigen Sprechen über die
deutschen Opfer auch wieder vergessen und ein Robert Stadlober stolpert noch
nicht einmal über seine vermeintliche Ausgewogenheit. Dies ist der
eigentliche Skandal und nicht der neue Film Jud Süß
Film ohne Gewissen, welcher gerne der meistdiskutierteste Film des Jahres
geworden wäre.
Mandy Mercedes