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• leserInnenbrief: Brief an die Leser_innen
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• das letzte: Stuttgart 21 Widerstand wird zum demokratischen Fanal!
Kaum ein Thema wird in der deutschsprachigen Öffentlichkeit so kontrovers
diskutiert wie die Frage des zukünftigen Umgangs mit Atomenergie.
Atomausstieg: Ja oder nein, und wenn ja wann? Es gibt verschiedene
Meinungen zu dieser Frage. Doch scheint den meisten klar zu sein, dass es sich
bei der Atomtechnologie um eine Risikotechnologie handelt: Tschernobyl ist
vielen ein Begriff und steht stellvertretend für die Gefahren, die der
Umgang mit radioaktiven Stoffen birgt. Es herrscht eine mehr oder weniger
bewusste Angst vor der Kernschmelze Tschernobyl könnte sich
schließlich wiederholen.
Neben diesem innerdeutschen Atomkonflikt, der mittlerweile schon einige
Legislaturperioden währt, scheint nur eine politische Debatte die
deutschen Gemüter über alle gesellschaftlichen Lager hinweg so zu
bewegen und aufzuwühlen: der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Truppenabzug: Ja oder nein, und wenn ja wann? Es gibt verschiedene
Meinungen zu diesem Thema. Doch scheint den meisten klar zu sein, dass es sich
bei Afghanistan um eine gefährliche Region handelt: Kundus ist vielen ein
Begriff und steht stellvertretend für die Gefahren, die die
(militärische) Auseinandersetzung mit Islamisten birgt. Wer hier vor wem
oder was Angst hat, ist aber keineswegs so klar wie bei den atomaren
Schreckensszenarien, die der ausgebrannte Reaktor in der Ukraine
symbolisiert.
Der einleitende Hinweis auf die deutsche Atom- und Afghanistanfrage soll klar
machen, dass es sie gibt: die breiten Debatten über zukunftsrelevante
Fragen und deutsche Außenpolitik. Und nicht wenige, die hier den
sofortigen Atomausstieg propagieren, können sich dort mit der bestenfalls
naiven Parole Bundeswehr raus aus Afghanistan! anfreunden.
Es ist auch kein Geheimnis, dass beide Debatten in höchstem Maße
emotional aufgeladen sind und in den meisten Fälle die notwendige
analytische Nüchternheit vermissen lassen: Geht es um Atomkraftwerke und
Afghanistan, wird es schon mal lauter.
Beunruhigende Stille macht sich hingegen breit, wenn es um den Iran geht. Wo
bleibt die längst überfällige Debatte? Liegt es an der
Unwissenheit, am Desinteresse oder ist es Kalkül? Fest steht, dass kaum
über die deutsche Rolle im iranischen Atomkonflikt gesprochen wird.
Sicher, die Wortkombinationen Atomkonflikt mit dem Iran und
umstrittenes Atomprogramm sind einigen mittlerweile geläufig. Wie
brisant dieser Konflikt aber tatsächlich ist, ist den wenigsten
auch nur annähernd bewusst, und die deutsche Iranpolitik im Gegensatz zum
Afghanistan-Einsatz alles andere als öffentlich umstritten. Diesem
katastrophalen Umstand entgegenzuwirken und die bitter nötigen
Diskussionen mit anzustoßen, ist der Anspruch des kürzlich
erschienenen Sammelbandes Iran im Weltsystem, herausgegeben von Stephan
Grigat und Simone Dinah Hartmann(1).
Das Buch versammelt Analysen der aktuellen iranischen Innen- und
Außenpolitik vor dem Hintergrund globaler Macht-, Markt- und
Abhängigkeitsverhältnisse. Den Studien gelingt es dabei, die
internationalen Zusammenhänge wie etwa die iranisch-chinesischen
Beziehungen so zu veranschaulichen, dass klar wird, dass es sich beim
Iran-Konflikt keineswegs um eine auf den Nahen und Mittleren Osten
beschränkte Auseinandersetzung handelt. So wird im hervorragenden Artikel
von Ely Karmon etwa die iranische Bündnispolitik in Lateinamerika in den
Fokus gerückt und Ilan Berman fragt Was Moskau von Teheran will.
Diese Mehrdimensionalität des Konflikts zu vergegenwärtigen, ohne
dabei die existenzielle Bedrohung des israelischen Staates aus dem Blick zu
verlieren, ist eine der großen Leistungen dieses Sammelbandes.
Wenn nun von der iranischen Innen- und Außenpolitik die Rede ist,
muss klar sein, dass es sich bei der Islamischen Republik Iran eben
nicht um einen normalen staatlichen Akteur handelt. Sicher, es gibt keine
normalen Staaten, alle sind im strengen Sinne einzigartig. Um aber die
Spezifik des (wirtschafts-)politischen Systems des Iran herauszustellen, reicht
es nicht aus, einfach nur von einem Regime zu sprechen, so als ob sich
dieser Terminus selbst erklären würde. Die beinah inflationäre
Verwendung des Regime-Begriffes scheint mir die tatsächlichen Sachverhalte
vielmehr zu verschleiern als aufzuklären. Von Regime zu reden ist
angesagt, schließlich schwingt dabei irgendeine Art Kritik mit, zumindest
wirkt es denunziatorisch. Diese Begrifflichkeit aber eben nicht zur leeren
Floskel verkommen zu lassen und zu benennen, was sich im Falle der
Islamischen Republik dahinter verbirgt und von anderen Analysten viel zu
oft ausgeblendet wird, ist eines der Ziele der neuen Studie. Der bereits 2008
von Hartmann und Grigat herausgegebene Band Der Iran Analyse einer
islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer(2) leistete in
dieser Hinsicht schon wichtige Vorarbeit und so finden sich an verschiedenen
Stellen Verweise darauf. Die damaligen Erkenntnisse zu erweitern und diese zu
aktualisieren, gelingt Iran im Weltsystem besonders im Abschnitt
Transformation im Iran. Darin werden mindestens drei relevante
Transformationen bzw. Transformationsversuche analysiert.
Von dem Versuch der nachholenden Säkularisierung sprechen Fathiyeh
Naghibzadeh und Andreas Benl, wenn sie die Bestrebungen der iranischen
Freiheitsbewegung charakterisieren, den totalitären Gottesstaat
(23) in eine säkular(e) Demokratie (ebd.) zu transformieren.(3) Die
aktuellen Transformationsbewegungen der Protestierenden müssen dabei als
Reaktion auf die inneriranische Repression und Eskalationsdynamik der
Machthaber (28), die nach den Pseudo-Wahlen vom Juni 2009 vollends zur
Kenntlichkeit kam, verstanden werden.
Die Freiheitsbewegung warf, so die AutorInnen, im Zuge der sich zusehends
radikalisierenden Proteste die reformislamistischen und damit regimekonformen
Losungen ihrer selbsternannten Führer Mousavi und Karrubi schnell
über Bord. Denn schließlich zwang die mittlerweile
ungeschminkt(e) Diktatur der Revolutionswächter unter der
Führung Khameneis (29) die Opposition dazu, die zentralen
ideologischen und strategischen Fundamente der Islamischen Republik: die
Herrschaft des Klerus und seines Terrorapparates, Geschlechterapartheid,
Antisemitismus, Antiamerikanismus und das Atomwaffenprogramm (31), radikal
anzugreifen(4) und sich von der naiven Option einer Reform des Unstaates zu
verabschieden.
Damit sind die zwei anderen zentralen Entwicklungen schon angesprochen, die
Beachtung finden müssen: der enorme Machtzuwachs der
Revolutionswächter (auch Pasdaran oder Revolutionsgarden genannt) und das
Atomwaffenprogramm, welches von ihnen vorangetrieben wird.(5)
Denn wer bei der Analyse der heterogenen, führerlosen Proteste nicht in
blinde Transformationsromantik verfallen will, dem muss klar sein, mit welchen
enormen Herausforderungen und Gefahren diese Emanzipationsbewegung konfrontiert
ist. Ein Haupthindernis sind eben die hochgerüsteten, vom damaligen
Revolutionsführer Khomeini ins Leben gerufenen Pasdaran und deren
schlagkräftige Bassidji Milizen.
In Die Pasdaran auf dem Vormarsch zeichnet Jonathan Weckerle daher
einerseits die (ideologische) Genese dieser Elitekrieger nach und verdeutlicht
andererseits, wie sich die Machtverhältnisse zugunsten der Wächter
der Islamischen Revolution in letzter Zeit verschoben haben. Der sich
seit 1979 entwickelnde Racket-Pluralismus und die sich daraus ergebende
dynamische Konkurrenz verschiedener Banden und Institutionen um die
Herrschaft im iranischen Unstaat ist, so Weckerle, zunehmend einer
Militärdiktatur (41) gewichen. Dieser Machtzuwachs der Pasdaran
muss reflektiert werden, um die Chancen einer ernsthaften Säkularisierung
und Demokratiesierung des Irans einschätzen zu können.
Schließlich konnten Vertreter dieser sich selbst als revolutionär
und gleichzeitig konservativ (Bewahrung der Ideale Khomeinis) verstehenden
Organisation in allen gesellschaftlichen Bereichen wichtige Positionen
besetzen. Und da diejenigen im Ernstfall bzw. Ausnahmezustand ihre
Vorstellungen durchsetzen und ihre Macht absichern können, die über
die größten Gewaltmittel verfügen, kommt der unter
Präsident Ahmadinejad forcierten Pasdaranisierung der iranischen
Gesellschaft entscheidende Bedeutung zu.
Es reicht eben nicht, vom Iran als (Mullah)-Regime zu sprechen, so als
ob es bloß darum ginge, im Zuge einer friedlichen Reform bzw. Revolution
unbewaffnete Kleriker aus der Moschee zu jagen.
Mit den Pasdaran, die militärische, wirtschaftliche und
khomeinistisch-propagandistische Macht miteinander vereinen, haben es
emanzipatorische Kräfte im Iran und anderswo mit einer höchst
gefährlichen Bande zu tun, die das selbstzerstörerische
Martyrium einer (ideologischen) Selbstentwaffnung vorziehen wird. Die
Ideologie und Praxis dieser finanzstarken, khomeinistischen High-Tech-Armee
stellt daher nicht nur inneriranisch die größte Hürde für
jegliche Form der Emanzipation dar, sondern hat durch die Kontrolle über
die iranischen Energiesektoren und die Raketen- und Atomprogramme eine enorme
außenpolitische Relevanz.
Die Pasdaran und ihre apokalyptischen Kleriker(6) transformieren nicht nur die
Islamische Republik mittels ihrer Zweiten Islamischen Revolution
in eine von khomeinistischen Reinheitsidealen geprägte Tyrannei, sondern
schicken sich an, ihren Wahn mithilfe einer aggressiven Außen- und
Bündnispolitik in alle Welt zu exportieren, mit dem Anspruch diese vom
satanischen Unglauben, westlicher Arroganz und dem
US-zionistischen Imperialismus zu erlösen.
Erst vor diesem Hintergrund wird annähernd klar, was die Wortkombination
Atomkonflikt mit dem Iran überhaupt bedeutet. Schließlich
sind es die überzeugten Khomeinisten der Revolutionswächter, die
neben einem Raketenprogramm ein weitverzweigtes Nuklearprogramm vorantreiben
und sich damit die Möglichkeit verschaffen, ihren apokalyptischen Wahnsinn
Realität werden zu lassen. Diese Transformation hin zu einem
Atomwaffen(un-)staat ist das primäre (außenpolitische) Ziel der
iranischen Führung und stellt die größte Gefahr für das
ohnehin schon prekäre Kräftegleichgewicht in der Region, aber auch
der Welt dar. Eine atomare Bewaffnung würde nicht nur eine Intervention
von außen, bspw. die Unterstützung der iranischen Opposition
verunmöglichen, sondern wäre andererseits eine existenzielle
Bedrohung für Israel und all jene, die von den iranischen Gewalthabern zu
Todfeinden erklärt werden. Die atomare Transformation der
Islamischen Republik muss, darin sind sich die Autorinnen und Autoren
einig, verhindert werden. Die Fragen lauten: Wie und vor allem Wann?
Wäre das Atomprogramm, wie es immer heißt, tatsächlich
umstritten, müsste es international, aber besonders in Deutschland
eine ernsthafte Debatte über die deutsche Iranpolitik geben. Noch gibt es
die Möglichkeit, das Regime zu schwächen, noch ist es von
europäischen und insbesondere deutschen Hochtechnologien, Maschinen und
Ersatzteilen abhängig, noch kann nicht-militärisch politischer und
ökonomischer Druck ausgeübt werden.(7) Die Betonung liegt auf
noch. Die khomeinistische Militärdiktatur verfügt noch nicht
über Atomwaffen, noch besteht die Möglichkeit zu Sanktionen und
anderen Interventionen, deren negative Auswirkungen nicht so ohne weiteres
etwa durch eine intensivierte iranisch-chinesische Kooperation
kompensiert werden könnten.
Illusionslos muss konstatiert werden: Die iranische Opposition ist allein zu
schwach, um der Pasdaranisierung und dem Atomprogramm effektiv
entgegenzutreten, ihr mutiger Protest wurde brutal niedergeschlagen ihre
Transformationsversuche sind bisher gescheitert. Und ohne einen entschlossenen
Kurswechsel der westlichen Staaten und Deutschlands wird sich die iranische
Nuklearwaffe nicht friedlich verhindern und die radikale Entkhomeinisierung des
Irans nicht verwirklichen lassen.
Um die Gedanken vom Anfang aufzugreifen: Klar, Debatten um die Sicherheit von
Atomkraftwerken sind wichtig und auch über die Afghanistan-Strategie
lässt sich streiten. Dass es aber niemanden zu stören scheint, dass
deutsche Unternehmen und PolitikerInnen mit dazu beitragen, dass
vernichtungswütige Islamisten nicht nur Atomkraftwerke, sondern Atombomben
bauen, Israel mit der Zerstörung drohen und iranische Oppositionelle und
Andersdenkende systematisch unterdrücken, foltern und ermorden, ist
erschreckend. Dass die fatale, historische Rolle, die Deutschland im
brisantesten Konflikt der Gegenwart spielt, so gut wie überhaupt nicht
debattiert und kritisiert wird, lässt wenig Gutes hoffen.
Das Buch Iran im Weltsystem ist nicht nur deshalb eine notwendige
Intervention ein weiterer Anstoß zur Debatte, die sich nicht mit
Verbalradikalismen zufrieden geben darf. Denn den Worten und Bekundungen muss
entschlossene notfalls auch unilaterale(8) (wirtschafts-)politische
Praxis folgen.
Wie schon erwähnt: Nicht nur das Schweigen der Anti-Atom-Bewegung, die
sich ansonsten lautstark zu Wort meldet, sich symbolträchtig
(Atomkraft? Nein Danke) und mitunter spektakulär in Szene setzt,
ist beschämend. Sicher, langfristig müssen erneuerbare Energien die
Atomkraft ersetzen, doch kurzfristig gilt es mit allen Mitteln zu verhindern,
dass unberechenbare iranische Islamisten in den Besitz von Atomwaffen kommen.
Deutschland, als wichtigster westlicher Handelspartner des Iran, spielt dabei
eine entscheidende Rolle. Die Devise muss daher in Bezug auf die deutsche Iran-
und Sanktionspolitik Abwarten? Nein Danke! lauten.
Die Singularität, d.h. die einzigartige Konstellation, die die
beschriebenen Transformationen im Iran konstituieren, und die globalen
Gefahren, die von der Kombination aus antiwestlichem Furor, antisemitischem
Vernichtungswahn und atomaren Massenvernichtungswaffen ausgehen,
unmissverständlich zu benennen und in den Blickpunkt des deutschsprachigen
Publikums zu rücken, ist der große Verdienst dieser Studie
deren Gegenstände, wie die Herausgeber schreiben, so beschaffen sind,
dass sich eine rein publizistische Beschäftigung mit ihnen von
selbst verbietet.
Paul Sandkorn