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Aktuelle Termine

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Aktuelles Heft

INHALT #179

Titelbild
Editorial
• das erste: Linke Sprache, schwere Sprachen
„Dumbshit“
Future Islands
„Live-gespielte Clubmusik“
»Voller Entsetzen aber nicht verzweifelt«
Keith Caputo & Band
The Chap, Bachelorette
Burning Fight Tour
Who Knew
Tanzstern Galactica
Benefizdisco
Dark Tranquility, Insomnium
electric island
Rassismus? Kein Problem für Dich?
Das Geschlecht des Situationismus
Veranstaltungsanzeigen
• review-corner buch: Geschichtsstunde mit Maos Gespenstern
Revolutionärin im Dienst des Kindes
Why Theory?
• doku: Redebeitrag des Bündnis gegen Antisemitismus
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• das letzte: Der mit dem Alien tanzt

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Linke Sprache, schwere Sprachen

Aufkleber

I) Menschen mit Migrationshintergrund

Mit leicht erhobenem Zeigefinger warnte Lou Sander davor, „dass die Linke in Leipzig weiter so homogen bleibt wie eine ostdeutsche Kleinstadt“ (CEE IEH #177). Migranten und Leute nichtweißer Hautfarbe fühlen sich hier nicht richtig wohl. Die Frage ist: Warum? Dabei ist man in der linken Szene mehr als anderswo bemüht, Menschen nicht mit falschen Bezeichnungen vor den Kopf zu stoßen. Man sagt nicht Ausländer oder Migrant, sondern „Bürger_in mit Migrationshintergrund“, man spricht keinesfalls mehr von „Farbigen“, sondern von „Schwarzen“, aber selbst das versucht man zu vermeiden, da man keinen Menschen auf seine Hautfarbe festlegen und reduzieren will. Wenn Person A in einer linken Disko Person B erklären will, dass sie eine Person, nämlich den Schwarzen auf der Tanzfläche, hübsch findet, vermeidet sie die hierzulande leichte Variante: „Na der hübsche Schwarze, der gerade tanzt“, und wählt die schwierigere Variante: „Na der dort mit dem blauen T-Shirt, siehst du nicht.“ B: „Man, hier sind hundert Leute, zeig doch mal in die Richtung.“ A: „Man, ich kann doch nicht direkt drauf zeigen, das bekommt der doch mit.“ B: „Na meinst du den Großen mit dem Basecape.“ A: „Nein, igitt, den doch nicht. Ich meine den, der eher links dahinter ist.“ B: „Ach, du meinst den Sch..., eh den mit den schwarzen Haaren?“ A: „Genau!“
Es wird sich in der Linken wirklich angestrengt, politisch korrekt zu reden. Mir selbst ist es mal passiert, dass ich in linken „Sozialpädagog_innenzusammenhängen“ auf einem Plenum auf den strukturellen Antisemitismus hingewiesen wurde, der in meiner Sprache zugange sei. Man dürfe nicht, wie ich, von „Juden“ reden. Ich solle besser von „Menschen jüdischer Religion“ sprechen oder mit den Fingern Anführungsstriche signalisieren, wenn ich „Jude“ sage. Denn sonst würde ich die Juden als Volk konstruieren und das sei strukturell antisemitisch. „Und ihr wollt die Juden jetzt also dekonstruieren“, hatte ich fast dagegen gehalten, mir dann aber gedacht, dass ich in diesen Kreisen weiter mein Geld verdienen will – also habe ich devot noch mal nachgefragt, wie ich das mit den Fingern und den Anführungszeichen denn genau machen solle.
Schimpfwörter, die in anderen Milieus, z.B. in Fußballnachwuchsmannschaften, an der Tagesordnung sind: „Neger“, „Schwuchtel“, „Jude“, „Fotze“, sind in linken Kreisen völlig undenkbar. Und das hat natürlich sein Gutes. Die Frage ist nur, warum in Fußballnachwuchsmannschaften der Anteil an Migranten trotzdem höher ist. Da gibt man sich als Linker so viel Mühe! Und die „Schwarzen“, die „Migrant_innen“ und „Menschen mit jüdischem Familienhintergrund“ halten sich trotzdem weniger dort auf, wo sie politisch korrekt bezeichnet werden. Warum?
Die erste These dazu von mir ist: Viele Menschen mit Migrationshintergrund kennen den „Linguistik Turn“ nicht. Als solcher wird in der Geisteswissenschaft die Hinwendung zur Sprache und ihre Deutung als Bildnerin von Wirklichkeit bezeichnet. Da die meisten Migranten nicht um diese in akademischen Kreisen festgestellte Bedeutung von Sprache wissen, ist es für sie weniger von Bedeutung, wie sie genannt werden. Meine zweite These ist: Der Ton macht die Musik. Wenn man als Schwarzer in seiner Clique mit den Worten „Na alter Nigger, was geht bei dir heute“ empfangen wird, kann das herzlicher gemeint sein und klingen, als wenn ein eingebildeter Gockel verächtlich die Worte „Mitbürger mit Migrationshintergrund“ über seine Zunge gleiten lässt oder ein Linker mit besonnener Miene umständlich die Wendung „Bürger_innen mit Migrationshintergrund oder Menschen, deren äußere Merkmale andere, weniger reflektierte Menschen glauben lassen, sie hätten einen Migrationshintergrund“ heraus bugsiert. Meine dritte These: Die politisch korrekte Sprache bedarf einer großen Übung in Affektkontrolle. Man kann nicht sprechen, wie einem der Schnabel gewachsen ist, sondern muss jedes seiner Worte überlegt und auch in Hinblick auf die gerade üblichen Standards wählen. Die Beherrschung und Verdrängung der Affekte ist jedoch eine Frage der Übung und der Verhältnisse, in denen man groß geworden ist. Wenn man aus besseren Verhältnissen kommt, also aus gutem Hause stammt, in einer bürgerlichen Wohngegend aufgewachsen ist, das Gymnasium besucht hat, in der örtlichen Jungen Gemeinde oder in der Schülervertretung aktiv war, wird man in die Affektkontrolle eher eingeübt sein, als wenn man sich zuhause auf beengtem Raum und im Ghetto durchsetzen lernen musste und das Aushalten und Ausleben von Affekten zur Bewältigung des Alltags gehört. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen hochgeschraubt. Aber wer schon mal im Naturkostladen eingekauft hat, wird vielleicht nachvollziehen können, was ich meine: die Mütter mit ihrem Jutestrickbeutel, die ihr Kind behutsam im Wiegetuch an ihren Körper gepresst tragen, jedes Lebensmitteletikett mit ruhigem Blick fixieren, als wäre es ein Buch, nicht durch den Laden rufen, sondern die zehn Schritte, fast auf Zehnspitzen, bewusst zum Verkäufer gehen, um mit diesem ein intensives Gespräch über das aktuelle Käseangebot zu führen, in einem Tonfall, der in Kunstausstellungen oder Kirchen angemessen ist. In solchen Situationen steigen in mir große Aggressionen auf; so als würden sich all die Affekte, denen es diesem Naturkostladen in Hinblick auf für mich gewohnte Verhältnisse mangelt, in mir sammeln und bündeln.
Mitunter verkrampfe ich auch in linken Plena – dann, wenn dort zu oft von „Menschen mit ... Hintergrund“ gesprochen und dabei das Wort „Menschen“ weich und herzlich betont wird, jede Berufsbezeichnung und jedes anschließende Relativpronomen „gegendert“ daherkommt, jedes Wort als Produkt eines politischen Geistesapparates über die Lippen stolziert. Das Gebot der Normierung der Sprache macht mich fertig, vielleicht gerade deswegen, weil ich das erwünschte Niveau der Affektkontrolle, zumindest an der sprachlichen Oberfläche, zu halten imstande bin: aber nur unter Anstrengung.
Wie muss es dann erst Leuten gehen, die in rauen Verhältnissen groß geworden sind. Und da sogenannte bürgerliche Verhältnisse, die eine privilegierte soziale Situation voraussetzen, in Deutschland einer Schicht vorbehalten sind, die aus autochthonen Deutschen besteht, wird man Migranten dort, wo sich die besseren Verhältnisse in der Sprache und überhaupt im Umgang spiegeln, weniger zahlreich vorfinden als beispielsweise im Kampfsportverein. Das kann natürlich kein Plädoyer dafür sein, linke Verhältnisse prekäreren Verhältnissen anzuähneln. Aber die Linken sollten zumindest mitdenken, dass ihre gut gemeinte Sprache am Ende vielleicht nicht dem intendierten Ziel dient, Migranten zu integrieren, sondern versehentlich dem Ziel, eine bestimmte soziale, akademische und pädagogische Elite zu reproduzieren, aus der Menschen ausgeschlossen bleiben müssen, weil ihnen der manierliche Umgang nicht gegeben ist oder schlicht und ergreifend auf den Sack geht.

II) LehrerInnen und Lehrer_innen

Besonders wichtig ist es in der linken Szene, die Sprache zu „gendern“. Damit auch jene, die der linken Szene nicht angehören und auch keinen pädagogischen, akademischen und staatlichen Berufen, in denen sich „Gender Mainstreaming“ durchgesetzt hat, nachgehen, wissen, was gemeint ist, sei hier aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements zitiert: „Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer `Rolle des Verantwortungstragens' (Arzt/Ärztin) von einer `Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens' (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die `beratende Arzt/Ärztin' zum/zur `entscheidenden Arzt/Ärztin'. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde.“(1)
Als ich ein Kind war, hat niemand „gegendert“. Ich war unbelastet. Wenn ich zuhause gefragt wurde, ob ich lieb zu den Lehrern war, tauchten vor meinen Augen all die Lehrer auf. Es waren Frauen. Nach zehn Jahren Sozialisation in linker Szene und Sozialpädagogenkreisen denke ich mehr und mehr an männliche Lehrer, wenn ich „Lehrer“, an Lehrerinnen, wenn ich „Lehrerinnen“, und an Lehrerinnen und Lehrer, wenn ich „Lehrerinnen und Lehrer“ höre. Was die deutsche Grammatik an sich nicht vorsieht, hat die Linke vollbracht: die Identifikation des grammatikalischen Genus mit dem biologischen Geschlecht. Im Grunde stimmt das Genus in der deutschen Sprache nicht mit dem Geschlecht überein: „das Kind“ statt „der“ oder „die Kind“, „das Mädchen“ statt „die Mädchen“ (Sg.), „der Löffel“ statt „das Löffel“, „die Sonne“ statt „das Sonne“ usf. „Für die Nichtübereinstimmung von Genus und Geschlecht ist ‚das Geschwister' ein besonders anschaulicher Fall: grammatikalisch ein Neutrum, vom Wortstamm her weiblich und in der Bedeutung übergeschlechtlich.“(2) Ähnlich verhält es sich mit Berufsbezeichnungen: „die Lehrer“ meint an sich nicht, dass darunter nur männliche Lehrer inbegriffen seien. Erst Linke haben das Missverständnis zur Regel gemacht, das Genus mit dem Geschlecht zu identifizieren. Und wenn dies erst mal geschieht, dann gibt es schwerlich ein Zurück. Umso öfter man Texte liest, in denen „gegendert“ wird, umso stärker stellt sich der Zusammenhang von Genus und Geschlecht her. Unter der Bezeichnung „die Lehrer“ sammeln sich vor dem inneren Auge plötzlich nur noch Lehrer mit männlichem Geschlecht.
Das Problem von solcherart „gegenderter“ Sprache ist mit den Jahren vielen Feministen offenbar geworden: Die geschlechtliche Identität spielt sich in den Vordergrund. Dabei wollte man oder „mensch“ doch die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Nunmehr ist deren Trennung umso wichtiger geworden: Jedes Relativpronomen bekommt plötzlich zwei Geschlechter, die „den/die LeserIn, der/die den Text liest“, anspringen. Die Differenz der Geschlechter wird zur ständig geäußerten Tatsache. Das ist ein Graus für eine neue Generation von Feministen, die sich der Queer-Theorie verpflichtet fühlen und auf Queerpartys Bärte ankleben und Lidschatten auftragen, um mit diesem theoretisch fundierten Konzept der Performance Rollenklischees zu hinterfragen und zu verwirren. Diese neue Generation behauptet mehr oder minder, dass nicht nur die Klischees von Frau und Mann sozial konstruiert sind, sondern auch die biologischen Geschlechter. Wenn man von „LehrerInnen“ redet, dann reproduziere man die Vorstellung von zwei Geschlechtern. Also schreiben die Queer-Feministen nicht „LehrerInnen“, sondern „Lehrer_innen“, wobei „_“ den Raum für jene lassen soll, die sich weder als weiblich noch als männlich definieren. Klar gibt es Leute, denen ihr Geschlecht keinen Pfifferling wert ist, die ohne eindeutiges Geschlecht auf die Welt gekommen sind oder ihr biologisches Geschlecht ablehnen und sich sogar umoperieren lassen. Die Frage ist nur, warum man gerade diese Tatsache sprachlich in den Vordergrund rücken sollte. Dass die Differenz von Grundschullehrern und Gymnasiallehrern, die von Deutsch- und Sportlehrern oder die von Lehrern in einem Angestellten- und solchen in einem Beamtenverhältnis in der Bezeichnung „die Leher_innen“ hinten runter fällt, stört ja auch niemanden. Warum also ist gerade die geschlechtliche Identität so wichtig, dass man sie neuerdings überall mit erwähnen muss?
Wahrscheinlich wird den „Queer-Feminst_innen“ bald bewusst werden, dass das „Gender-Gap“, also dieses „_“ zu kurz greift, beziehungsweise an der falschen Stelle verwendet wird. Nehmen wir wieder die Bezeichnung „Lehrer_innen“. Das Gender-Gap suggeriert an dieser Stelle, dass die Mannigfaltigkeit geschlechtlicher Identitäten, von der die Queer-Theorie ausgeht, zwischen der männlichen und der weiblichen Identität zu verorten ist; es reproduziert die binäre Logik der Geschlechter in dem Sinne, dass die beiden Geschlechter die Pole sind, zwischen denen alles Weitere noch Platz hat. Ich aber würde von mir behaupten, dass ich außerhalb der Logik von Mann und Frau stehe. Es gibt daher, um mir gerecht zu werden, nur eine Alternative (von mir hiermit patentiert): das Double-Gender-Gap. „Lehrer_innen_“, also mit einem zweiten „_“ jenseits von Mann und Frau, müsste es heißen, damit auch ich mitgenannt und nicht vergessen werde.
Letztlich scheitern alle sprachlich korrekten Bezeichnungen an einem Problem, das Nietzsche in „Über Lüge und Wahrheit im außermoralischen Sinne“, dem m.E. schönsten Text in der Geschichte der Philosophie, erörtert hat. Begriffe machen Einzeldinge und Einzelwesen kommensurabel und identisch und gleiten, wenn sie für bare Münze genommen und nicht als durchschaut werden, über alle Differenzen hinweg. Natürlich ist es ein richtiges Anliegen, die Differenzen trotzdem in der Sprache widerzuspiegeln. Bloß sollte man sich dabei nie einbilden, Begriffe finden zu können, die ihre Natur, also die Tatsache, dass sie Verschiedenes verallgemeinern, abgeschüttelt haben. Die Lösung des Problems, so interpretiere ich Nietzsche, liegt nicht in der Suche nach den passenden Begriffen, sondern in dem Eingeständnis, dass Begriffe Metaphern für die Wirklichkeit sind. Auch durch den Begriff „Lehrer_innen“ werden sich einige, die damit bezeichnet werden sollen, eher veralbert als erkannt fühlen – einfach weil er geschlechtliche Identitäten in den Fokus rückt. Noch alberner wird es, wenn die korrekten Begriffe offensichtlich nur Staffage sind. Wenn eine 50-Jährige, die selbstbewusst auftritt und vielleicht vorgestern erst ihren Mann vor die Tür gesetzt oder ihrem Chef die Meinung gegeigt hat, von einer 20-Jährigen Linken mit Piepsstimme gemaßregelt wird, weil sie „wir Lehrer“ sagt, dann ist das grotesk.

III) Als weiblich und männlich wahrgenommene Menschen

Ein weiteres Problem, das auf die Sprache fixierte „Queer-Aktivist_innen“ haben und minder-elegant lösen, offenbart sich, wenn sie über Sexismus und die Unterdrückung der Frau sprechen und schreiben. Wenn Frauen unterdrückt werden, muss es sie auch irgendwie geben. Dann heißt es: „Menschen, die als weiblich wahrgenommen werden, werden unterdrückt.“ Nun, mir geht es nicht darum, mich über das Problem der Unterdrückung und geschlechtlicher Rollenbilder lustig zu machen. Worüber ich mich lustig mache, ist das Unvermögen, Bezeichnungen etwas lockerer zu nehmen. Man könnte ja auch sagen: „Frauen werden unterdrückt“, ohne sich als Frau auf den Begriff Frau reduziert zu fühlen. Es würde ja auch kein Linker, der eine Grippe hat, äußern, er müsse zu einem „als Arzt wahrgenommen Menschen“ oder zu einem „Menschen mit ärztlichem Hintergrund“. Man geht „zum Arzt“ und weiß zurecht, dass der Arzt damit leben können wird, dass er in einem bestimmten Kontext auf seinen Beruf festgelegt wird, ohne dass zugleich erwähnt wird, dass er ein Mensch ist. So sollte es auch mit Frauen und Migranten sein. Man ist nicht nur Frau oder nur Migrant, wenn man in einem bestimmten Zusammenhang so bezeichnet wird. Wenn über die Unterdrückung der Frau gesprochen wird, dann ist in diesem Moment die Kategorie Frau die treffende. Und wenn man die Asylgesetzgebung erörtert, dann sind die davon betroffenen Menschen Migranten, unabhängig davon, ob sie in einem anderen Kontext Liebende, Fußballer, Popper oder Mütter sind.
Offensichtlich werden die Probleme, die in dieser Welt existieren, wenn man Frau oder Migrant ist, auf der Ebene der Sprache bekämpft. Doch so wenig dort ihre Ursachen liegen, so verzweifelt wirkt dort der Versuch ihrer Lösung. Menschen, die im Mittelmeer ersaufen, weil sie unbedingt nach Europa wollen, scheitern nicht am Rassismus in der Sprache, sondern daran, dass die Europäer ihren Reichtum, etwa das Gesundheitssystem, nicht mit Millionen Afrikanern teilen wollen, die mit gutem Grund nach Europa wollen. Womöglich ist an den Grenzen und Asylrechten, die diese Migration verhindern, nicht nur die Sprache nicht schuld, sondern nicht mal der Rassismus. Das illustriert die Südgrenze der USA, die von schwarzen und weißen Polizisten gegen Eindringlinge bewacht wird.
Auch „Queer-Aktivist_innen“ setzen sich vornehmlich mit Sprache auseinander, kaum aber mit den religiösen, historischen und sozialen Wurzeln der Rollenbilder. Dass die Sprache nicht so entscheidend ist, wie suggeriert wird, lässt sich am Beispiel der englischen Sprachraums andeuten. Die englische Sprache ist wesentlich geschlechtsneutraler und trotzdem unterscheiden sich die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern nicht so wesentlich, dass sie die Vehemenz, mit der in der linken Szene mitunter „gegendert“ wird, rechtfertigen könnten. Die Frage ist: Warum diese Vehemenz? Meine Vermutung: Mit der Sprache kann die eigene politische Identität sichtbar gemacht werden. Buttons, Aufnäher, Aufkleber, ein bestimmter Kleidungsstil, Musik und viele Plakate und Graffitis im eigenen Kiez waren in der linken Szene immer viel zu wichtig. Solche Zeichen sollen den eigenen Kosmos markieren, sie dienen der Abgrenzung nach außen und der Identifikation nach innen, d.h.: einer klaren Identität. Dieser kommt eine Szene-Sprache gelegen. Einzelne, die mit gutem Beispiel voran gehen wollen, können sie grne sprechen, wird sie eingefordert, wird sie zum Problem.

Hannes Gießler

Anmerkungen

(1) Zit.n.: http://www.bruehlmeier.info/sprachfeminismus.htm

(2) ebd.

29.08.2010
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