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Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, Piper: 2009, 353 Seiten, ISBN: 978-3-492-24822-8
Die CEE IEH-Redaktion zeigt im Juli den Film Fritz Bauer Tod auf
Raten. Der Film handelt von einer Persönlichkeit, die u.a. 1960 Adolf
Eichmann in Argentinien aufspürte und ihn so der Gerichtsbarkeit Israels
zuführte. Aus diesem Anlass lohnt es sich, einen Blick in das
aufschlussreichste Buch über diesen wahrscheinlich prominentesten
Fang Bauers zu werfen, welches nicht nur bei seiner Erscheinung für
Aufsehen sorgte, sondern auch bis heute noch ausreichend Diskussionsbedarf
bietet. Denn Eichmann in Jerusalem Ein Bericht von der Banalität
des Bösen von Hannah Arendt ist nicht nur ein Prozessbericht, sondern
lieferte zum damaligen Zeitpunkt vollkommen neue Erkenntnis über einen
NS-Verbrecher, wie Eichmann einer war.
Hannah Arendt erwähnt Fritz Bauer in ihrem Buch Eichmann in
Jerusalem nicht. Die konsequente Berichterstattung des Prozesses um die
Person Adolf Eichmann in Jerusalem lässt lediglich am Ende des Buches den
Raum, um die Umstände, unter denen Eichmann in Argentinien gefasst und
nach Israel überführt wurde, zu erläutern.
Adolf Eichmann beschließt kurz nach Ende des 2. Weltkrieges, sich seiner
selbst nie eingestandenen Schuld zu entziehen und flieht aus der
Lüneburger Heide im Jahr 1950 mit der Geheimorganisation ehemaliger
SS-Mitglieder ODESSA nach Argentinien. Die anfänglichen Vorsicht
seinen Namen zu ändern, auszuwandern und sich von der Ehefrau in
Deutschland als verstorben melden zu lassen weicht in den 50er Jahren
immer mehr offensichtlichen, auf seine eigentliche Identität hinweisenden
Handlungen. So wird zwar den leiblich Kindern Eichmanns (von denen das
Älteste bei seiner Flucht immerhin schon 9 Jahre alt war) bei ihrer
Einreise mit der Mutter 1952 erzählt, die Mama wäre jetzt mit dem
Onkel ihres Vaters zusammen, gleichzeitig bekommt das in Argentinien geborene
Kind den Nachnamen Eichmann. Warum Eichmann mit der Zeit immer unvorsichtiger
wurde, lässt auch Arendt nur spekulieren.(1)
Adolf Eichmann wird also in Folge seiner Unvorsichtigkeit im Mai 1960 in einem
Vorort von Buenos Aires entführt und nach neun Tagen Aufenthalt am
Flughafen Buenos Aires nach Israel ausgeflogen.
Mit der Anklage Adolf Eichmanns am 11. April 1961 in Jerusalem beginnt der
Prozess um einen Naziverbrecher, welcher der erste in Israel geführte sein
sollte.
Die Rolle seines Lebens
Die Geschichten um jene Prozesstage sind vielfältig und lang. Sie
enden nicht mit dem Angeklagten, sondern gehen über ihn hinaus. Betrachtet
wird der Verteidiger Eichmanns, der Erfahrung mit der gerichtlichen
Verteidigung von Naziverbrechern hat. Oder der Staatsanwalt, der, so Arendt,
mit einem eingeschränkten und voreingenommenen Bild von Eichmann in die
Verhandlungen geht. Es ist die Geschichte der israelischen Richter, die
wiederum mit einer ausdauernden Konsequenz versuchten, Eichmann nicht vor dem
Urteil zu verurteilen. Und letztendlich ist es auch die Geschichte eines Landes
und eines Volkes, welches versucht, nicht ungerechterweise eine gerechte Strafe
für jemanden zu finden, der mehr Ungerechtigkeit begangen hatte, als
jemals gerecht bestraft werden könnte.
Hannah Arendt versucht in ihrem Buch nicht von der Person Adolf Eichmann
abzuschweifen und hegt dennoch den Anspruch die historischen Umstände
immer mit zu beleuchten. Sie schafft einen präzisen Blick auf die Person
hinter der Panzerglasscheibe im Gericht, versucht nicht nur zu urteilen und zu
verstehen, sondern auch den Ursachen auf den Grund zu gehen, um die Person als
menschliches Wesen und nicht als ein vorher von den Medien verschrienes Monster
zu begreifen.
Adolf Eichmann zu begreifen kann nicht leicht gewesen sein. Die zentrale Frage
des Prozesses war herauszufinden, in welchem Maße Eichmann schuldig an
der Ermordung von Millionen von Jüdinnen und Juden war. Die Verteidigung
unter Vorsitz von Dr. Robert Servatius versuchte die Unschuld Eichmanns zu
beweisen, in dem sie vor allem mit dem Argument zu Gericht zog, er hätte
nur Befehle im Sinne eines Soldaten und im Sinne des damalig gültigen
Rechts ausgeführt. Arendt beschäftigt sich daraufhin lange mit genau
dieser Frage, nach Schuld und Unschuld derjenigen, die ausgeführt haben,
was ihnen als Gesetz galt. Dass jeder Mensch darüber hinaus natürlich
ein moralisches Verständnis von Recht und Unrecht haben muss und der
befehligte Mord und die Vernichtung von Millionen Menschen nicht dazu
gehören, ist unumstritten, auch für Arendt. Sie zweifelt die Schuld
Eichmanns nicht an, beharrt aber darauf, dass genau diese Umstände nach
Schuld genauestens untersucht werden müssen, um den Ansprüchen eines
Rechtsstaates gerecht zu werden und vor allem den voreingenommenen
Pressemeinungen über Eichmann entgegen zu wirken.
Adolf Eichmann wird von Hannah Arendt als Mensch beschrieben, der keinen
Schulabschluss schaffte, nur auf Wohlwollen eines Bekannten der Familie einen
Job bekam und schließlich, 1932, in die österreichische NSDAP
eintrat. Eichmann beginnt seine Nazikarriere in Deutschland 1934 in der
Abteilung Gegnerforschung und -bekämpfung, bis er schließlich
ab 1935 für die Organisation und den Ablauf der Ausreise der Juden
verantwortlich war. Eine Aufgabe, die ihn bis in das Gericht mit Stolz
erfüllte. Seinem Verständnis nach, und auch im Sinne der
Verteidigung, half er so den Juden, trug also zu ihrer Rettung bei.(2) Was in
Anbetracht der tatsächlichen Gegebenheiten eine die Opfer absolut
verhöhnende Äußerung ist. Und doch ist es genau das, was Arendt
versucht zu beschreiben, um die Person Eichmann zu begreifen. Das von Arendt
als komisch an der Person Eichmann bezeichnete, spiegeln genau solche
Aussagen wieder, denn er hat tatsächlich daran geglaubt, den Juden
geholfen zu haben, er hat tatsächlich geglaubt, die Madagaskar-
Lösung sei im Sinne der zionistischen Idee, und er im Grunde ein Zionist
gewesen. Tatsächlich scheint Adolf Eichmann der einzige SS-Mann gewesen zu
sein, der sich mit den Büchern Herzls intensiver auseinandersetzte als mit
den Büchern der Nazis. Denn seine beflissene Arbeitsmoral schrieb ihm vor,
sich mit den Themen seiner Arbeit auseinanderzusetzen. Und so las er, um die
Juden zu verstehen, Theodor Herzls Judenstaat.(3) Dies deutet zwar auf
seine anfängliche Überzeugung hin, hält ihn jedoch nicht davon
ab, in seinen letzten Jahren bis 1945 im Reichsicherheitshauptamt die
Deportationen und Ermordung der vor allem osteuropäischen Juden
anzuweisen.
Sein Streben nach einer Karriere in den obersten Diensträngen scheint das
Einzige zu sein, was Eichmann nicht aus seinem Gedächtnis löschte. In
der Tat war sein schlechtes Gedächtnis eine Hürde bei den
Prozessen. Arendt bedauert dies vor allem ob des Wissens, welches nur Eichmann
bzw. seine Abteilung besaß und nun der Nachwelt nicht mehr
zugänglich ist. So erinnert sich Eichmann mit akribischer Genauigkeit an
Tage und Daten, die unmittelbar mit seiner Karriere zu tun hatten,(4) bringt aber
andere Ereignisse vollkommen durcheinander und muss teilweise von der
Staatsanwaltschaft bzw. seinem Verteidiger an dokumentierte Ereignisse erinnert
werden. Und selbst dann blieben einige in den Untiefen seines
Gedächtnisses hängen.
Adolf Eichmann, ein beflissener Bürokrat, der als Hanswurst(5) zwar
zu seinem Bedauern nie zu denen gehörte, die mit Hitler zu Abendbrot
aßen, der Befehle auf Grund des Umstandes, dass es Befehle waren,
ausführte, und unfähig schien, Recht und Unrecht moralisch zu
unterscheiden.
Die von Arendt als Banalität des Bösen bezeichnete
Identität Eichmanns ist es, welche das Buch zu einem besonderen Buch
über einen Naziverbrecher macht. Banal sind Eichmanns
Äußerungen zu den Geschehnissen in den Konzentrationslagern, banal
seine Beschreibung, bei einer Liquidierung 100er Juden dabei gewesen sein zu
müssen (die Qual lag in seinen Augen bei ihm und nicht etwa bei den
Hingerichteten), banal seine Versuche im Gericht, darauf hinzuweisen, dass er
immer auf der Suche nach einer politischen Lösung der
Judenfrage war. Banal ist einfach Eichmanns Charakter, nichts
Besonderes, nichts Monströses, nichts Ungeheuerliches spiegelt sich in
seinem Wesen wieder. Ein Mann, der so normal (was allgemein als normal
betrachtet wird) ist, dass Arendt fast erschrocken über diese Erkenntnis
schreibt. Es sitzt nicht etwa ein sadistischer, mit aller Vehemenz den
Antisemitismus verfechtender Angeklagter hinter der Glaswand im Gericht,
sondern eine Allerweltsexistenz, die jede/r sein könnte.
Das Buch in der Kritik
Die Aufzeichnungen, die Arendt 1961 beim Prozess in Jerusalem anfertigte,
veröffentlichte sie vorerst als einzelne Prozessberichte in The New
Yorker. Die spätere Zusammenfassung zu einem Buch resultierte
sicherlich aus der großen, vor allem negativen Resonanz, die die Berichte
in Israel und USA hervorriefen. Insgesamt lässt sich diese Kritik in drei
Punkten zusammenfassen: Die Kritik an den Äußerungen Arendts zum
Prozessablauf allgemein, die Kritik an ihrer Frage nach Eigenschuld des
jüdischen Volkes und die Kritik an ihrer Interpretation von der
Banalität des Bösen.
Hannah Arendt war eine der Personen, die sich öffentlich gegen den
Eichmann-Prozess bekannte: Mit ihrer Meinung, es müsse ein internationaler
Gerichtshof über Eichmann urteilen, sowie der konkreten Kritik am
geführten Prozess selbst stand sie zwar nicht allein, ihre
Äußerungen erregten aber dennoch Aufsehen, da sie die internationale
Presse in scharfen Äußerungen und in offensichtlichen Ressentiments
überbot. Ihre Interpretation, Ben Gurion habe den Prozess als
Schauprozess inszeniert und im Hintergrund den von Arendt ohnehin als
fehlbesetzte angesehenen Staatsanwalt als Marionette geführt, war
überspitzt formuliert. Die im Zusammenhang damit bis heute diskutierte
Frage, ob Israel als Land der Opfer nicht zu parteiisch wäre, um
einen Prozess gegen einen Naziverbrecher zu führen, ist zwar unter
Umständen berechtigt, die Frage, inwiefern Deutschland als Land der
Täter dann aber Prozesse führen konnte, bleibt ungeklärt. Der
Wunsch nach einem internationalen Gerichtshof mag zwar begründet sein, in
anbetracht der Tatsache aber, dass niemand außer Israel bereit war,
diesen Prozess zu führen, ist er nicht verständlich. Denn sicher ist,
dass Israel bei der Einberufung eines internationalen Gerichtshofes Eichmann
kaum in Jerusalem hätte halten können. Da sich unabhängig davon
die Staaten (Deutschland und Argentinien), die rechtlich für Eichmann
verantwortlich gewesen wären, da er deren Staatsbürgerschaft
besaß (bzw. besessen hatte), nicht für eine Auslieferung
interessierten, und schon gar kein Interesse daran hegten, einen Prozess
anzustreben, sollte der Umstand, dass Eichmann überhaupt der Prozess
gemacht wurde, über der Frage, wer diesen Prozess führte, stehen.
Eine von Arendt lange diskutierte Frage ist die nach der Mitschuld der Juden.
Arendt kommt darauf zu sprechen, da Eichmann in seinen ersten Jahren im
Reichsicherheitshauptamt eng mit der so genannten Judenverwaltung
zusammenarbeitete. Die von Arendt als dunkelstes Kapitel in der ganzen
dunklen Geschichte beschriebene Situation, dass Juden lange Zeit an ihrer
eigenen Ausbeutung mitarbeiteten, Gesetze respektierten und die wenigsten sich
in Revolten zur Wehr setzten, ist natürlich nicht von der Hand zu weisen.
Zugleich ist die Empörung auf Seiten der jüdischen Bevölkerung,
die Arendt damit auslöste, absolut verständlich. Denn obwohl diese
Frage auch in den 1950er Jahren in Israel kontrovers diskutiert wurde,(6) kann
Arendt durchaus Empathielosigkeit vorgeworfen werden, wenn sie eben nicht auf
die moralischen Dilemmas und strukturellen Zwänge eingeht, denen sich die
jüdischen Vertretungen während des NS ausgesetzt sahen.
Die Darstellung Arendts von der am Beispiel Adolf Eichmann beschriebenen
Identität der Banalität des Bösen wurde lange Zeit
missverstanden. Die Kritik, es handele sich dabei um eine Bagatellisierung des
NS, ist absolut unzutreffend, da es Arendt nicht darum ging, zu zeigen, wie
banal der Nationalsozialismus ablief, sondern dass die direkt ausführenden
Kräfte keine Sadisten, keine offensichtlichen Monster sondern einfache,
geradezu banale Menschen waren. Diese Erkenntnis, bei aller Kritik an dem oft
anmaßenden Ton der Autorin, den historischen Fehlern in ihrer Darstellung
und den starken Verurteilungen ist die wichtigste Errungenschaft Arendts. Zu
erkennen, dass das vermeintlich Normale das Böse zum absoluten Unrecht und
zum monströsen Verbrechen in sich birgt, ist eine der Hauptstärken
des Buches Eichmann in Jerusalem.
Ohne Fritz Bauer hätte dieses Buch nicht geschrieben werden können.
Denn wenngleich vielleicht eine andere Person Eichmann aufgespürt
hätte, so ist der Umstand, dass der Prozess in Israel durch ein
israelisches Gericht durchgeführt wurde, ein entscheidender Punkt in
Arendts Interpretation und Darstellung des Geschehens. In diesem Sinne gilt es
nach oder vor der Lektüre des Buches, sich den Film zu Fritz Bauer im
Conne Island anzusehen, um nicht zu vergessen, dass überhaupt erst die
Mühen und Anstrengungen der Menschen, die auch 15 Jahre nach Ende des NS
für die Verurteilung von Naziverbrechern kämpften, Arendt die
Möglichkeit für solch ein Buch gaben.
Charl Ote