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Thomas von der Osten-Sacken, Oliver M. Piecha, Alex Feuerherdt: Verratene Freiheit - Der Aufstand im Iran und die Antwort des Westens, 280 Seiten, Verbrecher Verlag: 2010, ISBN: 978-3-940426-51-2
Die Ereignisse, die sich ab Juni 2009 im Iran zugetragen haben, stellten mit
einer nie zuvor erreichten Radikalität die alte islamfaschistische Ordnung
in Frage. Zum ersten Mal seit langem trat eine Bewegung in der so genannten
Islamischen Welt an, die nicht etwa im Namen höherer Autoritäten,
etwa des wahren Islam oder der großarabischen Nation, sondern weit eher
für das Recht auf eine vom Tugendterror unbehelligte Individualität
auf die Straßen strömte. So groß das Interesse in der
Weltöffentlichkeit anfangs auch war, so schnell verschwand das Thema
wieder von der Bildfläche, als die Revolution ausblieb. Um dem Vergessen
entgegen zu wirken und über aktuelle Entwicklungen in der Islamischen
Republik zu berichten, haben sich einige Blogger unter der Adresse
http://freeirannow.wordpress.com zusammengetan. Drei von ihnen, Thomas
Osten-Sacken, Alex Feuerherdt und Oliver M. Piecha, haben zudem im März
einen Sammelband im Verbrecherverlag herausgegeben, in welchem verschiedene
Aspekte des Aufstands behandelt werden. So zumindest das auf dem Cover des
Buchs gegebene Versprechen, über dessen (Nicht-)Einlösung noch zu
sprechen sein wird.
Aus alt mach neu
Bei den Beiträgen handelt es sich sowohl um Innenansichten der Theokratie
als auch um kritische, bisweilen polemische Einwürfe wider das Versagen
des Westens in Anbetracht der Revolte. Was zunächst interessant klingt,
entpuppt sich bald als das Gegenteil: die Wiederkehr des Immergleichen.
Mehrfach werden bereits gedruckte Texte recylcelt, ohne dies an irgendeiner
Stelle zu kennzeichnen. So war der Text von Tjark Kunstreich teilweise
identisch bereits in der Bahamas #58 zu lesen. Fatiyeh Naghibzadeh
schrieb bereits im Iranbuch von Stephan Grigat und Simone Dinah-Hartmann
(2008; vgl. CEE IEH #160) Zu Geschichte und Struktur des
Geschlechterverhältnisses im Gottesstaat Iran. Ihr neuer Artikel
heißt, man ahnt es bereits: Freiheit ist keine Metapher. Zu
Geschichte und Struktur des Geschlechterverhältnisses im Iran. Gerhard
Scheit variiert ohnehin oft dieselben Gedanken, die dadurch natürlich
nicht falsch werden. Scheits Artikel im Sammelband scheint mir seinen
Diskussionsbeitrag in der Jungle World (# 29/2009) mit
Versatzstücken seiner letzten Bücher zu synthetisieren. Zieht man
dann noch das banale Geleitwort von Henryk M. Broder ab und ignoriert
freundlicherweise den überflüssigen Beitrag von Hannes Stein, der im
Wesentlichen aus dem direkten Zitat eines eigenen Artikels aus der WELT
besteht, dann schmilzt der Sammelband beträchtlich zusammen.
Was hat euch bloß so ruiniert?
In der Kürze liegt die Würze, könnte man einwenden. Leider
beschränkt sich das Ärgernis aber nicht auf die nach meiner
Auffassung unredliche Recyclingpraxis der Herausgeber, was bemerkt, wer sich
den verbliebenen Texten unter inhaltlichen Gesichtspunkten zuwendet. Hier
schlägt sich an vielen Stellen eine der wichtigsten Fehlentwicklungen
nieder, die die Antideutsche Szene seit einigen Jahren prägen: die Aufgabe
von kommunistischer Gesellschaftskritik zugunsten von Kampagnenpolitik,
geschäftiger Soliarbeit und Nahostexpertise.
Die damit einhergehenden Probleme lassen sich besonders gut an einem Begriff
zeigen, welcher dem Sammelband den Namen gibt. Es geht um die Freiheit.
Sie spielt in den meisten Beiträgen eine zentrale Rolle. Alle
Autorinnen wollen, fordern und verteidigen sie. Leider unterbleibt aber eine
nähere Bestimmung dieses Schlüsselbegriffs. Hier sei nur ein
zufällig ausgewähltes Zitat angeführt, das die Tendenz zum
Verzicht auf eine theoretische Auseinandersetzung mit wichtigen Begriffen
veranschaulicht.
In ihrer Einleitung schreiben die Herausgeber:
Allen Beteuerungen zum Trotz wollen diese Freunde des Friedens, des
Dialogs und der Beschwichtigung die Menschen im Nahen Osten ja gar nicht in
Freiheit und Demokratie leben sehen. (
) Der Mensch soll doch gar nicht
frei sein; eine unerhörte Perspektive wäre das, selbst im Rahmen
einer liberalen, bürgerlichen, parlamentarischen, föderalen
Demokratie. Schon gar nicht soll er das im Nahen Osten! Und so erklären
die vermeintlich größten westlichen Nahostexperten ebenso wie die
autochthonsten Regionaldiktatoren in einem einzigen, ununterscheidbaren
Singsang, die Menschen dort unten` wünschten angeblich nichts
sehnlicher, als eine uniformierte Masse zu sein, deren allergrößter
Wunsch es sei, einem Führer zu folgen und zu einem allmächtigen Gott
zu beten. Nur: Warum sollten Menschen das dauerhaft ohne Zwang tun wollen?
(S.25f.)
Zweierlei wird hier deutlich:
Erstens lassen die Autoren ein adäquates Verständnis von
Ideologie vermissen. Sie können es sich gar nicht vorstellen, dass
Menschen sich zur Volksgemeinschaft im permanenten Abwehrkampf gegen
Verräter und Volkschädlinge zusammenschweißen wollen.
Weder die Ideologie des Islamismus (Khomeinismus) in ihrer Sinnstruktur, noch
die in den Subjekten wirkenden psychologischen Triebkräfte, die eine
Annahme dieser Ideologie sinnvoll und attraktiv für die Einzelnen
erscheinen lassen, kommen so in den Blick. Auf den Nationalsozialismus
übertragen kommt man mit einer solch plumpen Repressionstheorie
(Zwang) nur zum ordinärsten Revisionismus und auch der Blick auf
die Iranische Gesellschaft wird dadurch mehr verstellt als erhellt. Es mag ja
sein, dass heute die Mehrheit der iranischen Bevölkerung den Terror der
Rackets ablehnt. Warum sie ihn erst installiert und dann 30 Jahre lang getragen
haben, bleibt in Aufsätzen wie diesem aber notwendig unverständlich
und muss als Problem ignoriert werden.
Zweitens zeigt sich, dass der von Feuerherdt et al. verwandte
Freiheitsbegriff im Wesentlichen ein liberaler ist, der jedoch als
allgemein-menschlich und daher auch nicht weiter erklärungsbedürftig
hypostasiert wird. Doch ist die Bedeutung des Freiheitsbegriffs keineswegs so
selbstverständlich, wie die Autoren suggerieren, wenn sie behaupten:
nichts hassen die Apologeten des Sozialismus des 21.Jahrhunderts`
so sehr wie das Wort Freiheit und seine eigentliche Bedeutung. Alles
können sie irgendwie assimilieren. Nur dieses Wort, diesen Begriff nicht.
(S. 26; Hervorhebung von mir). Diese Behauptung einer eigentlichen, angeblich
unmittelbar augenscheinlichen Bedeutung des Begriffs ignoriert die Tatsache,
dass selbstverständlich auch die Antiimperialisten einen Freiheitsbegriff
haben: Die Freiheit der Völker von Imperialisten und Zionisten.(1)
Diese Unschärfen werden den Herausgebern spätestens im Aufsatz von
Ali Schirasi zum Verhängnis, der die Vorläufer der Grünen
Bewegung von 2009 zum Gegenstand hat. Bei ihm heißt es: Die Zeit
nach dem Krieg [gemeint ist der Zweite Weltkrieg; J.K.] gab der
Freiheitsbewegung und dem politischen Leben im Iran dann einen gewaltigen
Aufschwung; es entstanden zahlreiche Zeitungen und Parteien, die das gesamte
politische Spektrum von faschistischen Gruppierungen bis hin zu kommunistischen
Parteien umfassten.(206f; Hervorhebung von mir) Diese Bewegung wird nun in
ihren Höhen und Tiefen skizziert, sie wächst, lief ins
Leere, lebte wieder auf und siegt schließlich, wobei
dieser Sieg 1979 gleichbedeutend mit ihrem Untergang gewesen
sein soll. Merkwürdig, nicht? Die heutige Freiheitsbewegung
kämpft an gegen die damals siegreiche Freiheitsbewegung, die
gleichzeitig aber auch untergegangen sein soll. Hier offenbart sich die Gefahr
einer unkritischen Begeisterung für leere, agitatorische Schlagworte, die
grundsätzlich nicht mehr sein müssen als empty signifiers,
bedeutungsleere Zeichen.(2) Auf diesem Wege kann weder der Charakter der
historischen Anti-Shah-Bewegung kritisch untersucht werden das
bedeutete, mit ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner, dem Antiimperialismus ins
Gericht zu gehen(3) , noch geraten die Ambivalenzen der aktuellen
Freiheitsbewegung in den Fokus. Deren Mangel, ein Defizit an
programmatischer Klarheit, wird von den Herausgebern stattdessen im
vitalistischen Jargon der Autonomen (anarchisch, unmittelbar,
jugendlich, brachial ) als Ausweis besonderer Radikalität
verklärt (27f.). Und dies, obwohl beispielsweise Esther Marian in einem
hervorragenden Interview in der Zeitschrift Prodomo (#13) bereits auf
den ambivalenten Charakter der Bewegung aufmerksam gemacht hat, der sich nicht
zuletzt in einer zweideutigen Haltung zum islamistischen Erbe
äußert.
Bei der Analyse der iranischen Bewegung führt diese nachlässige
Begriffsarbeit zu blinden Flecken. Wird zusätzlich in Betracht gezogen,
dass die Autoren sich an ein Publikum richten, das bereits in
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften lebt, dann schlägt diese
Praxis in offene liberale Ideologie um. Wenn Michael Rubin erklärt,
Warum der Neokonservativismus Recht hatte und hat (75) und Hannes Stein
jubelt: Osteuropa ist frei (239), ohne dass der Doppelcharakter der
Freiheit im Kapitalismus noch irgendwie Erwähnung fände, sind die
Grenzen des guten Geschmacks zwar weit überschritten, doch dafür
steht die antifaschistische Volksfront auf festen Beinen.
Die Dynamisierung der Krise und der objektive Faktor der Revolution
Nach aller Kritik an der Gesamtkonzeption des Bandes möchte ich
abschließend noch auf einen Lichtblick hinweisen. In ihrem Text zum
Zerfall im Unstaat Iran machen Osten-Sacken, Feuerherdt und Lars
Leszczensky einige revolutionstheoretische Überlegungen Hannah Arendts
für eine Einschätzung der Lage im Iran und der Erfolgsaussichten der
Grünen Bewegung fruchtbar. Arendt ist der Auffassung, dass
Revolutionen nicht möglich sind, wo die Autorität des bestehenden
Staatswesens auch nur einigermaßen intakt ist, was unter modernen
Verhältnissen heißt, dass Polizei und Armee zuverlässig sind.
(
) Revolutionen sind die Folge des politischen Niederganges eines
Staatswesens, sie sind niemals dessen Ursache. (zit.n.149) Ausgehend von
dieser These sehen die Autoren vom potentiellen Subjekt einer
revolutionären Umwälzung ab und wenden sich den objektiven
Bedingungen zu, unter denen diese Revolutionäre zu handeln gezwungen sind.
Es wird von ihnen untersucht, ob die politischen Strukturen der islamischen
Republik bereits soweit erodiert sind, dass ein Umsturz möglich geworden
ist. Wie Gerhard Scheit bestimmen sie diese dabei als Herrschaft des
Bandenwesens, in der die Gewalt nicht von einem homogenen, bürokratischen
Gewaltapparat, sondern vielmehr von einer unüberschaubaren, in
ständiger Veränderung begriffener Gemengelage rivalisierender Rackets
ausgeht. Für Scheit, der sich vor allem an einer theoretischen Bestimmung
der Herrschaftsform Behemoth abarbeitet, für welche die
Islamische Republik lediglich das prominenteste Beispiel darstellt, sind die
ständige Unruhe, die Verschiebungen in der Tektonik der Macht
Wesensmerkmale des Behemoth. Die empirische Verlaufsform der
Zusammenstöße im iranischen Establishment untersucht er jedoch kaum.
Ihnen gilt das Interesse von Feuerherdt & Co. Diese bleiben nicht bei der
Feststellung einer Art Ontologie der Krise im Behemoth stehen, sondern
konstatieren eine qualitative Verschärfung in den Auseinandersetzungen
innerhalb des Establishments, die sie von einer Dynamisierung der Krise im
iranischen Racketstaat sprechen lässt. In dem Bild, das sie zeichnen,
sehen wir also keine Protestbewegung im Kampf mit einem monolithischen
staatlichen Machtblock, vielmehr erschüttert der Kampf um Pfründe und
Einfluss das Regime längst von innen in seinen Grundlagen.
So ist es angesichts der aktuellen politischen Fronten keineswegs mehr
angemessen, vom Iran als Ajatollahregime zu sprechen, wenn man
berücksichtigt, dass neun der elf Großajatollahs in offener
Opposition zur Khamenei-Ahmadinedschad-Clique [stehen] (163). Man kann sich
denken, welche Bedeutung dieser eklatante Mangel theologischer Legitimität
für einen Führer hat, der sich permanent als Sprachrohr Gottes
aufspielt. Für die Protestbewegung eröffnen diese autodestruktiven
Züge des Regimes einerseits die Chance eines Regime Change, insofern
Delegitimation und Destabilisierung die objektiven Bedingungen der
Möglichkeit dafür hervorbringen; andererseits birgt die Verfasstheit
des Unstaats jederzeit die Gefahr, zum Spielball im Kampf rivalisierender
Rackets zu werden.
Auch wenn der Sammelband hier und da interessante, neue Überlegungen wie
die von Feuerherdt et al. bietet, überwiegt bei mir alles in allem die
Enttäuschung. Über den Aufstand selbst, die Akteure, ihre Programme,
Parolen, Organisationsformen, Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit,
Kampfmittel usw. erfährt die interessierte Leserin nämlich beinahe
nichts. Wer sich dagegen einen ersten Überblick über einige Aspekte
der Islamischen Republik Iran verschaffen möchte, kann hier zwar
fündig werden, sich jedoch auch ebensogut einige Artikel von Scheit,
Osten-Sacken & Co im Internet durchlesen und die 14 Euro für das Buch
stattdessen an STOP THE BOMB spenden.
Johannes Knauss