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Die herrschende Wirtschaftswissenschaft ist trotz eines nahezu
unüberblickbaren Vorrats an Theorien und Erklärungsansätzen
(welche versuchen die herrschende Wirtschaftsweise und ihr Funktionieren zu
erklären bzw. wesentliche Züge zu modellieren) immer noch nicht in
der Lage, das herrschende Elend als ein aus kapitalistischen
Produktionsverhältnissen resultierendes zu begreifen. Dass dies angesichts
der mangelnden gesellschaftstheoretischen und methodischen Grundlagen des
Faches nicht weiter verwundert, soll im Folgenden einführend dargestellt
werden. Dazu werden einige zentrale Grundannahmen des totalen
Gleichgewichtsmodells der volkswirtschaftlich orientierten Denkschule der
Neoklassik (oder auch Neuklassik) vorgestellt. Ziel soll es hierbei sein, einen
kleinen Einblick in die Theorien zu geben, die dabei halfen und leider immer
noch helfen, Kapitalismus als allumfassende Gesellschaft der Warenproduktion
(welche eben nicht auf die Befriedigung der Bedürfnisse von Menschen
ausgerichtet ist) durchzusetzen, und sein Bestehen als beste aller vorhandenen
Optionen anzupreisen.
Klassik, Neoklassik und Vulgärökonomie Der Markt
rückt ins Zentrum, die Produktion wird unwichtig
Die Neoklassik ist keine Erweiterung oder Vollendung der klassischen
politischen Ökonomie, wie man auf den ersten Blick vielleicht denken
könnte. Sie fällt vielmehr hinter die Klassik zurück, welche
noch durch die Frontstellung zur vorkapitalistischen Ordnung geprägt war.
Sie steht in einem anderen Kontext und markiert einen Bruch mit dem
theoretischen Feld der klassischen politischen Ökonomie. Folgt man der
Zuschreibung, welche Karl Marx in seinem Hauptwerk Das Kapital vornimmt,
kann man die Neoklassik als legitime Fortsetzung der Vulgärökonomie(1)
begreifen, welche Marx der klassischen Politischen Ökonomie
gegenüberstellte, obwohl er diese hartnäckig kritisierte(2):
Um es ein für allemal zu bemerken, verstehe ich unter klassischer
politischer Ökonomie alle Ökonomie seit W. Petty, die den innern
Zusammenhang der bürgerlichen Produktionsverhältnisse erforscht im
Gegensatz zur Vulgärökonomie, die sich nur innerhalb des scheinbaren
Zusammenhanges herumtreibt, [und] im übrigen aber sich darauf
beschränkt, die banalen und selbstgefälligen Vorstellungen der
bürgerlichen Produktionsagenten von ihrer eigenen besten Welt zu
systematisieren, pedantisiren und als ewige Wahrheiten zu proklamieren.
(Marx, 1867, S. 95 Fußnote 32).
Während die klassische politische Ökonomie (deren bekannteste
Vertreter Adam Smith und David Ricardo waren) noch den kapitalistischen
Produktionsprozess als zentrale Grundlage für das Entstehen und die
Verteilung von Reichtum identifiziert und noch eine objektive Arbeitswertlehre
verfolgt, an der Marx wenigstens in Form von Kritik anknüpfen kann, bricht
die Vulgärökonomie (zu denen bspw. Jean Baptiste Say und Thomas
Robert Malthus gehörten)(3) mit dieser Vorstellung und legt die Grundlagen
für den grandiosen Erfolg(4) der Neoklassik, indem sie eine subjektive
Nutzentheorie formuliert. Einer der ersten technisch orientierten
Nutzentheoretiker war bspw. Hermann Heinrich Gossen (1810 1858). Er
erklärt den Wert eines Gutes mithilfe des zusätzlichen Nutzens,
welcher durch den Konsum einer weiteren Einheit des betreffenden Gutes
gestiftet wird. Der Preis dieses Gutes hängt dann von dem Nutzen, den es
stiftet, ab und der Nutzen wieder vom Preis. Dieser Zirkelschluss dient dann
später letztendlich dazu, eine langfristig wirkende Tendenz der
Volkswirtschaft hin zu einem allgemeinen Gleichgewicht auf allen
Märkten (Güter-, Arbeits- und Geldmarkt) zu belegen. Dieses
Gleichgewicht, was jegliche Möglichkeit für das Entstehen und
Existieren einer systematischen Krise von vornherein ausschließt und
Krisen nur als kurzfristig und exogen (von außen) verursacht begreifen
kann, wird in diesem Denkmodell über das freie Spiel der Marktpreise
erklärt, das alle Märkte langfristig ins Gleichgewicht bringen wird.
Gerade das Verstehen des Aufstiegs der Nachfolger Ricardos am Ende des
neunzehnten Jahrhunderts, welcher an drei Orten unabhängig voneinander
für den Durchbruch der subjektiven Wertlehre sorgte und damit den
Grundstein für die heutige Wirtschaftswissenschaft legte(5), ist bei dem
Versuch, diesen Ansatz zu verstehen, von entscheidender Bedeutung. Daher soll
im Folgenden das Modell des allgemeinen Gleichgewichts im Rahmen
vollständiger Konkurrenz etwas näher erläutert werden, um
klarzumachen wie hier der Eindruck von vermeintlich natürlichen
Eigenschaften des Marktsystems und einem automatischen Hang zum Gleichgewicht
entstehen kann, und somit Gesellschaft nicht als soziales Verhältnis von
Menschen, sondern als sich automatisch verwaltendes Naturereignis begriffen
wird. Dies lässt sich dann auch an den Methoden ablesen: Die
Gesetze des Tausches ähneln den Gleichgewichtsgesetzen eines Hebels, wie
sie durch das Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten bestimmt sind.
(Jevons, The Theory of Political Economy; zitiert nach Grossman, 1941,
S.45)
Die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts im System vollständiger
Konkurrenz
Die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts versucht das Entstehen der
Marktpreise (auf Güter- und Arbeitsmarkt) zu erfassen. Dabei wird
untersucht unter welchen Bedingungen auf Märkten die Nachfrage(6) gleich dem
Angebot(7) ist. Produktion spielt hierbei keine Rolle. Dort wo sich Angebot und
Nachfrage schneiden, besteht ein Marktgleichgewicht und es herrscht ein
Gleichgewichtspreis (siehe Abbildung Marktgleichgewicht). Da Angebot und
Nachfrage immer nur durch die Preise bestimmt werden (hoher Preis: niedrige
Nachfrage der Haushalte nach Gütern und andersrum niedriger Preis:
hohe Nachfrage der Unternehmen nach dem Produktionsfaktor Arbeit) findet die
Marktökonomie automatisch immer wieder ins Gleichgewicht. Dort wo sich
Angebot und Nachfrage decken, herrscht der sogenannte
Gleichgewichtspreis. Liegt nun der aktuelle Marktpreis über (unter)
dem Gleichgewichtspreis, so herrscht ein Angebotsüberschuss
(Nachfrageüberschuss) und die Anbieter sind daher gezwungen, ihre Waren
billiger (teurer) anzubieten und die Anbieter (Nachfrager) ziehen sich
teilweise aus dem Markt zurück, während neue Konsumenten (Anbieter)
angelockt werden. Angebot und Nachfrage nähern sich somit automatisch an
und der Marktpreis tendiert zum Gleichgewichtspreis. In einem aktuellen
Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre (welches übrigens nicht nur zur Analyse
von wirtschaftlichen Fragen empfohlen wird) wird folgendes festgehalten:
In einem System vollkommener Konkurrenz führt das
egoistische` Handeln der Einzelnen insgesamt zu einem guten`
Ergebnis. Freie Märkte sind also eine wunderbare Sache. (Wiese, 2002,
S. 274)
Versucht man nun diese Behauptung zu widerlegen bzw. zu zeigen, dass sie nicht
auf reale Verhältnisse anwendbar ist, stößt man schnell auf
Probleme. Mit der Feststellung allein, dass es sich hier im Grunde um ein
unrealistisches und sich selbst erklärendes Modell handelt, da es
Planerfüllung und totale Harmonie vorgaukelt, hat man nämlich noch
längst nicht gezeigt, dass dieses nicht theoretisch konsistent ist. Auch
mit dem bloßen Hinweis auf die Missstände in der Welt ist es nicht
getan. Es gibt in diesem Modell einfach keine von der
Bedürfnisbefriedigung unfreiwillig Ausgeschlossenen, wie sie zu Hauf im
kapitalistischen Elend existieren. Es reicht ein Hinweis des Modellbauers auf
die magischen Annahmen(8) aus, um jegliche Kritik ins Leere laufen zu lassen. Die
Annahmen garantieren nämlich das Zustandekommen des Gleichgewichts und
helfen dem Modellbauer dabei, sich gegenüber jeglicher Kritik zu
immunisieren und das Funktionieren des Systems (meist handelt es sich um ein
mathematisch formuliertes Systems von Sätzen und
Gleichgewichtsbedingungen)(9) zu gewährleisten. Daran ändert auch die
Feststellung nichts, dass die lange Frist, in der sich laut der
Neoklassik das System immer im Gleichgewicht befindet, nichts mit der heutigen
Realität zu tun hat. Freilich haben zwar nahezu alle Ökonomen seit
der Entstehung des Kritischen Rationalismus (dessen Hauptvertreter ist Karl R.
Popper) schon mal gehört, dass es das Ziel jeder Wissenschaft sein sollte,
falsifizierbare(10)8Hypothesen aufzustellen, um seine Hypothesen angreifbar zu
machen und sich der Kritik auszusetzen und die eigenen Begriffe und ihr
Funktionieren auf Plausibilität überprüfen zu lassen. Doch was
ist nun, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um Konstruktionen handelt, deren
Gültigkeit von vornherein nicht überprüft werden kann, da es
sich um nicht beobachtbare Phänomene handelt? Die durchaus vorhandene und
scheinbar gewaltige Kritik am Mainstream-Ökonomismus und seinem Denken in
Gleichgewichten hat jedenfalls noch nicht dafür gesorgt, die
Deutungshoheit einzuschränken, geschweige denn, den Ansatz der totalen
Harmonie gänzlich zu verwerfen. Es sind immer Hilfshypothesen
ausdenkbar, durch die eine Änderung der Theorie im ganzen vermieden werden
könnte. (Horkheimer, 1937 S. 211 f.) Daran wird sich auch trotz
Weltwirtschaftskrise in Zukunft wohl nichts ändern. Es ist ja auch nicht
die Aufgabe einer Wissenschaft, sich selbst abzuschaffen. Kritik hätte
sich die Gesellschaft in ihrer warenproduzierenden Gestalt zum Gegenstand zu
machen und deren Widersprüche immer wieder aufs Neue aufzudecken.
Fortsetzung folgt
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Verwendete Literatur
Grossman, Henryk (1941): Marx, die klassische Nationalökonomie und das
Problem der Dynamik, Franfurt am Main, 1969.
Heinrich, Michael (1999): Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der
politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und
klassischer Tradition, 4. korr. Auflage, Münster, 2006.
Horkheimer, Max (1937): Traditionelle und kritische Theorie, 5 Aufsätze,
6. Auflage, Frankfurt am Main, 2005.
Marx, Karl (1867): Das Kapital, 1. Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin, 1962.
Wiese, Harald (2002): Mikroökonomik Eine Einführung in 376
Aufgaben, Berlin, 2002.