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Im Oktober 2009 überfiel eine große Gruppe von Nazischlägern auf dem Sportplatz von Brandis die Spieler und Fans des linksalternativen Fußballvereins Roter Stern Leipzig (RSL). Der gastgebende Verein FSV Brandis war an diesem Überfall mitschuldig. Das Spiel wurde kurz nach Anpfiff abgebrochen und unverständlicherweise später wiederholt begleitete von einer Demonstration gegen Naziumtriebe im Leipziger Umland. Lediglich ein halbes Jahr später musste erneut ein Spiel des Roten Stern abgebrochen werden, diesmal aufgrund antisemitischer Gesänge der Fans des Dorfvereins SV Mügeln-Ablaß 09. Davon abgesehen finden sich bei den meisten Auswärtsspielen des Roten Stern Nazis ein.
Als der Verein vor einem Jahr aus der Leipziger Stadtliga in die nächst höhere Liga aufstieg, war die Befürchtung, in der durch Dorfvereine geprägten Bezirksklasse permanent auf Nazis zu treffen, groß und gewiss. Ein Jahr RSL-Auswärtsfahrten nach Brandis, Mügeln, Delitzsch, Oschatz und co bestätigen diese Befürchtung und Gewissheit. Ein besseres gesellschaftliches Abbild als unterklassigen Fußballsport lässt sich für Ostdeutschland kaum finden. Dieses zeigt vor allem eines deutlich: Der Osten ist und bleibt zutiefst provinziell, rechts und durchdrungen von Naziideologien.
Der DFB kommt weltoffen daher, die Mehrheit seiner 6 Mio. Mitglieder nicht
Nur allzu gerne weisen die großen Sportverbände ihre
antirassistischen Miteinander-Sportprojekte vor. So hat der Deutsche
Fußball Bund (DFB) und die deutsche Sportpolitik im Allgemeinen in den
letzten Jahren mehr Projekte zur Untermalung ihrer angeblichen Weltoffenheit
angekurbelt, als es dafür ernsthafte Abnehmer gibt. Solche Projekte
können kritisch betrachtet werden, weil es dabei nur um Imagepolierung
gehen mag oder weil Sport an sich seinen ganz eigenen Platz in der Konstitution
von modernem Nationalbewusstsein findet. Sie können aber auch als positiv
empfunden werden, da es die somit freigesetzten Gelder Initiativen und Vereinen
leichter machen, sich gegen rechte und antidemokratische Tendenzen im Sport und
damit in der Gesellschaft zu wenden. Im Jargon der Sportverbände und der
deutschen Sportpolitik wird das Prädikat rechts
selbstverständlich durch extremistisch oder gewaltbreit
ersetzt. Aber mal Abgesehen von Kritikpunkten, die sich am Antirassimus- und
Anti-Gewalt-Konzept der deutschen Sportförderung finden lassen, gibt es
mindestens im Osten ganz nüchtern betrachtet ein großes Problem des
Konzepts: Während die großen Profivereine und auch der ein oder
andere kleinere Sportverein in der Stadt an ihrer Weltoffenheit fast ertrinken
mögen, fehlen im Breitensport die Abnehmer des Ansatzes. Die düsteren
Dorfsportvereine, geprägt durch autoritäre Vereinsstrukturen,
bestimmt durch Männerklüngel und besucht durch Nazis, haben
natürlich kein Interesse sich mit den Ideologien kritisch auseinander
zusetzten, die genau durch sie selbst reproduziert werden. Da helfen auch noch
so viele Antirassismus-Projekte nichts und werden es auch in Zukunft nicht tun.
Den zuständigen Dachverbänden und sportpolitischen Einrichtungen auf
Bundesebene Ignoranz und Blindheit auf dem rechten Auge anzudichten ist naiv,
viel naiver aber noch ist es, an die heilenden Kräfte von
Antirassismus-Projekten auf dem Sportplatz zu glauben.
Ohne euch gäbe es hier keine Probleme
20 Minuten dauert es von Leipzig aus mit dem Auto ins Muldental, dem
Lieblingsausflugsziel zahlreicher Rentnerbusse, Leipziger Wochenendsportler und
Nazi-Wandergruppen. Was tagsüber und in Abwesenheit der dortigen Einwohner
tatsächlich ein ganz netter Fleck ist, wird in Gegenwart der
Ortsansässigen zur Hölle für all jene Menschen, die es wagen
ihre Stimme gegen rechte Tendenzen zu erheben, bzw. die mit dem nationalen
Konsens vor Ort nicht d'accord gehen. Das Leipziger Umland ist in diesem Punkt
sicher nicht grauenhafter als zahlreiche andere ländliche Regionen im
Osten(1). Ereignisse wie der Spielabbruch des Bezirksklassespiels zwischen dem
Roten Stern Leipzig, der als antifaschistisch geprägter Sportverein
selbstverständlich gegen Nazis mobil macht, und dem SV
Mügeln-Ablaß 09 am 24. April kehren den rechten Konsens vor Ort
lediglich besonders hervor. Natürlich ließen sich an diesem Punkt
leider auch zahlreiche andere Naziübergriffe als Beleg anbringen
die Naziumtriebe in Colditz, Mügeln und Wurzen sind bekannt. Der
Lokalpolitik oder z.B. den Sportvereinen(2) Hilflosigkeit im Umgang mit Nazis
vorzuwerfen wäre vermessen und vor allem verharmlosend, denn der Umgang,
den diese Institutionen mit rechten Übergriffen finden, ist skandalös
und indiskutabel. Das bekannteste Beispiel stellt Mügelns
Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) dar, der 2007 nach der Hetzjagd des
Mügelner Dorfmobs auf migrantische Bewohner Mügelns, die mutigerweise
auch am Stadtfest teilnehmen wollten, dem Vorfall die braune Krone aufsetzte
(Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen.(3)
Entgegen der Wahrheit klagen wir uns selbst vor aller Welt als Hort des
Rechtsextremismus an.(4)). Das Fußballspiel am 24. April in Mügeln
wurde wegen Gesängen wie Ein Baum, ein Strick, ein Judengenick,
Hier regiert der nationale Widerstand oder dem U-Bahn-Lied, die
allesamt von einer breiten Melange Mügelner Fans gesungen wurden, vom
Schiedsrichter abgebrochen. Was die Verantwortlichen des SV
Mügeln-Ablaß 09 dazu zu sagen hatten, ist wenig
überraschend. Vereinspräsident G. Deuse: So lange ich beim
Spiel war, habe ich keine Nazi-Sprüche gehört.(5) Wenn überhaupt
Nazis im Mügelner Fanblock gewesen seien (!), dann zum ersten Mal, betonte
die Vereinsführung aus Mügeln. In gleicher Manier argumentierte der
Verein FSV Brandis nach dem Nazi-Überfall auf den Roten Stern
Leipzig im Oktober 2009. Damals sprach ein Brandiser Offizieller von
Außerirdischen, die man in Brandis beim Fußball noch nie
gesehen habe. Ein Vereinsmitglied und Ordner des FSV Brandis kannte die
Aliens offensichtlich dann aber doch und öffnete ihnen, den
Außerirdischen, das Tor zum Stadion und damit zum Gewaltexzess. Die
negative Brisanz rechter Vorfälle liegt oft nicht allein in den Taten an
sich, sondern an den Reaktionen der zuständigen Funktionäre und
LokalpolitikerInnen. Die fast an Debilität grenzende Negierung von
Übergriffen, die Verharmlosung von Nazisprüchen und -taten und die
Schuldzuweisung an die Opfer der Taten (Die stellen sich immer nur als
Opfer dar, es sind aber immer zwei Seiten(6)), machen die Angelegenheiten meist
noch ekelhafter. Das mag im Fall des Roten Stern etwas egal sein, denn
Spieler und die meisten Fans setzten sich Sonntagnachmittag einfach ins Auto
und verlassen den braunen Landstrich in Richtung Großstadt. Für
Jugendliche, die ein Problem mit dem rechten Konsens haben, aber aus
irgendwelchen Gründen in dennoch in seinen Hochburgen leben müssen,
wird es da schon schwieriger. Sie müssen sich Montagmorgen mit ekelhaften
Nazigestalten gemeinsam in dieselbe Schlange beim Bäcker stellen und
Freitagabend 17:10 den letzten Bus nach Leipzig, Dresden oder vielleicht noch
Döbeln und Rosswein erwischen, um irgendwie ohne Nazis tanzen gehen zu
können. Darüber hinaus müssen sich alternative Jugendliche dem
Vorwurf, Nazigewalt allein durch ihre Anwesenheit zu provozieren, aussetzen.
Das Erklärungsmuster zuständiger LokalpolitikerInnen nach
Naziübergriffen bleibt stets gleich: Nazis gäbe es im Ort eigentlich
nicht und wenn sie doch mal kommen, werden sie durch die Anwesenheit ihre
Gegner angelockt. Interpretiert bedeutet das: Nicht Nazis sind das Problem,
sondern Menschen, die gegen die rechten Hegemonie aufmucken. Das ist
selbstverständlich grober Unsinn und Leute, die einer solchen
Erklärung nachhängen, müssen sich den Vorwurf der Verharmlosung
und Relativierung rechter Gewalt gefallen lassen.
Überdimensional viele Nazi-Nazis gibt es in den Orten des Leipziger
Umlands sicherlich nicht. Es ist ganz einfach die Dorfbevölkerung, die
ihre Nazifratze nach außen kehrt, wenn z.B. der Rote Stern aus
Leipzig am Wochenende zum Fußballspiel kommt. Und wenn dann Sonntagmittag
die ersten Bierbecher geleert worden sind, stimmt auch ein großer Teil
des restlichen Fanblocks in die Gesänge sich offen bekennender Nazis
ein.
Auf die Demokratie verlassen?
Im Umgang mit Nazigewalt und -hegemonie die Zusammenarbeit mit Bullen und Staat
zu suchen, ist für einige Antifas nach wie vor schwer vorstellbar und
wenig akzeptabel. Andere Linke, die in den letzten Jahren ein arg
ausgeprägtes Vertrauen in Demokratie und Rechtssystem entwickelt haben,
empfehlen genau diese Zusammenarbeit. Die Vorfälle bei den erwähnten
Spielen des RSL zeigen sehr deutlich, dass eine Beantwortung dieser
Fragestellung schwierig ist und sehr differenziert betrachtet werden muss.
Repressionsmaßnahmen des Staates zu fordern ist richtig und notwendig,
sich alleinig auf diese zu verlassen ziemlich naiv. Ebenfalls richtig in der
Auseinandersetzung mit rechter Alltagskultur ist das Unterstützen
Demokratie fördernder Strukturen, aber auf breiter Basis gibt es die im
Osten fast nicht, was sie wiederum als Mittel gegen rechte Hegemonie ziemlich
zahnlos dastehen lässt. Außerdem sind viele Kräfte, die sich
beispielsweise in Sachsen zur Demokratie zählen, dumm und wenig
demokratisch, denken wir da z.B. an Mügelns Bürgermeister G. Deuse
oder den sächsischen Innenminister Markus Ulbig. Letzterer fand zum
Spielabbruch in Mügeln folgende Worte: Das hat mit Fußball
nichts mehr zu tun. Die verbalen und gewaltsamen Auseinandersetzungen rund um
das Spiel zeigen, dass der Fußball von rechten und linken gewaltbereiten
Extremisten benutzt wird.(7) Kaum besser könnte ein sächsischer
Innenministers seinen engen politischen Horizont in einem Satz darlegen. Denn
erstens ist es die Aufgabe einer wehrhaften Demokratie, wie sie sicher
auch Herr Ulbig gern betont, auf Nazisprüche und Nazitaten hinzuweisen.
Die so genannten linken Extremisten vom RSL haben also genau das
gemacht, was Herr Ulbig sicher gerne von seinen Parteifreunden in Mügeln
erwarten würde und wofür der RSL 2009 den
Sächsischen Demokratiepreis erhalten hat. Und zweitens war und ist
das durch die antisemitischen Fangesänge in Mügeln zur Schau
gestellte Weltbild, nicht nur das Weltbild von ein paar 15-30-jährigen
männlichen, arbeitslosen Lackierern, sondern von einem weitaus
größeren Kreis Mügelner Bürger geduldet und
verharmlost z.B. von der ortsansässigen FDP um G. Deuse und dem
Sportverein. Folgen wir also Herrn Ulbig in seiner Bestimmung vom
politischen Extremismus, kommen wir zu dem Ergebnis, dass in Mügeln
die Mitte extrem ist extrem antidemokratisch und extrem
naziaffin.
Auf den Rechtsstaat verlassen?
Für die meisten SympathisantenInnen des RSL überraschend fiel
das Sportgerichtsurteil bezüglich der Verhandlung über den
Spielabbruch in Mügeln aus. Das Leipziger Sportgericht(8) sprach dem
Roten Stern den Sieg zu und verdonnerte den SV
Mügeln-Ablaß 09 zur Zahlung einer unglaublich horenden Geldsumme
250 Euro kostet es im Leipziger Fußballbezirk, die gegnerischen
Fans und Spieler verbal mit der U-Bahn nach Auschwitz zu schicken.(9) Dieses
Urteil ist nicht überraschend, weil es dem Verein aus Mügeln
unglaublich sanft gegenübertritt, nein das ist schon die ganze Härte,
die das Leipziger Sportgericht zu bieten hat. Es ist also dahin gehend
überraschend, dass sich das Gericht überhaupt dazu durchringen
konnte, eine deutliche Bestrafung auszusprechen. Denn weitaus anders hatte das
Sportgericht des Leipziger Fußballverbands in der Verhandlung über
den Spielabbruch in Brandis entschieden. Trotz einiger z.T. schwer verletzter
Fans des RSL erdreistete sich das Sportgericht nicht nur dazu, das Spiel
erneut anzusetzen, sondern darüber hinaus auch noch dazu, das Spiel am
selben Ort stattfinden zu lassen also an dem Ort, an welchem Wochen
zuvor 50 bewaffnete Nazihools ihrem Hass freien Lauf ließen.(10) Dabei
hätten es die selbstgesteckten Statuten des Leipziger
Fußballverbands rechtlich zugelassen, das Spiel für den Heimverein
FSV Brandis als verloren zu werten, entgegen der Fakten wollte das
Gericht aber eine Mitschuld des FSV Brandis nicht erkennen. Der Rote
Stern Leipzig sollte also erneut in Brandis zum Spiel antreten. Über
einen möglichen Boykott des Wiederholungsspiels wurde im Umfeld des
Vereins zwar nachgedacht, aber schlussendlich entschied sich der Verein
dafür, den Nazis nicht klein bei zu geben und verband den Antritt zum
Wiederholungsspiel mit einer Demonstration gegen Naziaktivitäten im
Leipziger Umland.(11) Eine z.T. verständliche Entscheidung, dennoch aber
hätte ein Boykott des Wiederholungsspiels den Skandal neben dem Sportfeld
unterstreichen können.
Weder in Brandis noch in Mügeln reagierte die Polizei angemessen.
Während die Polizei im Fall von Brandis mit Hinweisen über den
geplanten Überfall der Nazischläger auf den RSL ausgestattet
war, allerdings nur ein Handvoll Streifenpolizisten zum Spiel aborderte, waren
in Mügeln über 130 Polizisten im Einsatz, welche aber keine Versuche
unternahmen, gegen die antisemitischen Hasstiraden der Mügelner Fans
einzuschreiten. Das Ausbleiben einer Intervention wurde damit gerechtfertigt,
später anhand von Videoaufzeichnungen die rechten Krakeeler ausfindig zu
machen und der Gerichtsbarkeit zuzuführen ein völlig
aussichtloses Unterfangen. Ihr ignorantes Verhalten gegenüber einer
rechten Alltagshegemonie im Osten teilt die Polizei mit dem Leipziger
Sportgericht, dem sächsischen Innenminister und den meisten
LokalpolitikerInnen. Verlassen kann man sich in der Aufarbeitung rechter Gewalt
schon eher auf die schwarzen Roben, welche natürlich nur nach
polizeilicher Ermittlungsarbeit ins Spiel kommen. Die ersten Nazischläger
aus Brandis sitzen fest hinter schwedischen Gardinen und warten auf ihre
Mittäter die werden ihnen hoffentlich folgen.
Die größte Ignoranz Nazis im Fußball gegenüber ist aber
den Fußballfans selber zu attestieren. In aller erster Linie
natürlich den Fans fast jeden x-beliebigen Dorf- oder auch Stadtvereins.
Auch aber den Fans, die eigentlich sensibilisiert sein sollten. Zum
Wiederholungsspiel FSV Brandis Roter Stern Leipzig kamen 700 Fans
des Roten Stern, zur unmittelbar vorher stattfindenden und vom Red
Star Supporters Club angemeldeten Demo gerade einmal jedeR Zweite.
Peinlich.
Bruno