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Wenn Adorno über Jazz geschrieben hat, muss er zumindest aufgebracht
gewesen sein. Kennt man seine philosophischen Schriften und liest zum ersten
Mal den Artikel Über Jazz, so wundert man sich über die Gewalt
der Sprache und über Adornos offensichtliche Abneigung gegenüber dem
beschriebenen Gegenstand. Während sich die einen genau darüber die
Hände reiben, weil sie Jazz nie leiden konnten und lieber zu Electric
Island gehen, sehen andere hierin einen Beweis für die schon immer
behauptete Ignoranz und den Eurozentrismus des Musiksoziologen. Während
Adorno sicherlich in seinen kühnsten Albträumen nicht erahnt
hätte, dass es mal so etwas wie Electric Island geben könnte und
seine musiktheoretische Kritik des Jazz sicherlich umso schärfer für
jede folgende Pop-Musik gelten muss, ist der Anlass für diesen Artikel
eher die Auslegung der anderen. Die musiktheoretischen, -soziologischen
und auch psychoanalytischen(1) Theorien des Kritischen Theoretikers gelten vielen
als Inbegriff einer dekadenten, bildungsbürgerlich geprägten
Kulturkritik, die sich, vom Standpunkt der Hochkultur aus, über die
Kultur der Massen auslasse und sogar rassistisch über die
häufig afro-amerikanischen Protagonisten des Jazz herziehe.
Ich will im Folgenden versuchen, an die Kritik Adornos heranzuführen um
verständlich zu machen, warum er zwar tatsächlich weit davon entfernt
war, ein Jazzkenner zu sein, aber gerade dadurch schärfere Gedanken zur
popular music und ihrer Liebhaber formulierte. Und natürlich will ich
ausführen, warum gerade diejenigen, die den Jazz seiner angeblichen Exotik
wegen feiern und Adorno Rassismus unterstellten, die tatsächlichen
Rassisten sind.
Kunst und Kulturindustrie
Als unbedingte Vorraussetzung für die folgenden Betrachtungen muss
festgehalten werden: als Unterhaltungsmusik verstanden, grenzt Adorno den Jazz
ab von der Kunstmusik. Ob diese Unterscheidung tatsächlich legitim ist,
d.h. ob es nicht überhaupt essentieller wäre, einen Begriff von Kunst
in historischen, ästhetischen und gesellschaftstheoretischen Dimensionen
zu entwickeln, um nicht immer so uneindeutig mit diesem nebulösen Wort zu
hantieren, soll nicht Inhalt dieses Beitrags sein. Dazu bräuchte es
mindestens einen eigenen Artikel. Aber die hier zunächst erstmal gesetzte
Unterscheidung ist wichtig, denn nur im Kontext der von Adorno formulierten
Kritik der Kulturindustrie der marktorientierten Produktion und
Distribution von Kulturprodukten als Waren macht die Kritik des Jazz
Sinn. Adorno dazu im Aufsatz Zeitlose Mode. Zum Jazz: Im Jazz
liegen Mechanismen, welche in Wahrheit der gesamten gegenwärtigen
Ideologie, aller Kulturindustrie angehören, obenauf (GS Bd. 10.1, S.
129). Nur in der Betrachtung seines Verständnisses von Kunst,
Kulturindustrie, Soziologie oder der Aufgabe von Gesellschaftskritik im
Allgemeinen, sehe ich einen Zugang, auch Adornos Kritik des Jazz adäquat
darzustellen. Auf einen Begriff von Kunst will ich mich daher in diesem Artikel
vorwiegend negativ beziehen.
Adorno macht jedoch stark, dass in der Kunst Erkenntnis durch die Form der
Werke vermittelt ist, nicht wie bspw. in der Philosophie durch ihren Inhalt.
Die immanenten Formgesetze eines Werkes, also die Funktion der Teile im Bezug
auf ihr Ganzes, haben also auch an sich eine Aussage. Die verantwortliche
Kunst richtet sich an Kriterien aus, die der Erkenntnis nahe kommen: des
Stimmigen und Unstimmigen, des Richtigen und Falschen (GS Bd. 14, S.14).
Musik, bzw. auch Kunst im Allgemeinen kann daher als mehr oder weniger
unbewusste Geschichtsschreibung verstanden werden, welche vermittelt durch die
Gestalt des Komponisten Aussagen über die Verfasstheit des Individuums in
der Gesellschaft zulässt. Dies leistet sie dort am Besten, wo sie sich
weitestgehend dem vereinnahmenden bzw. manipulativen Zugriff der Gesellschaft
entzieht. Historisch war dies erstmals möglich mit der Loslösung der
Musik aus dem Sakralen und dem mit der Moderne aufkommenden Status des
Komponisten als autonomes Marktsubjekt. Diese Autonomie im Warentausch, wie sie
sich in Europa seit dem 16. Jh., am drastischsten wohl aber mit der
Industrialisierung im 18. und 19. Jh. durchsetzte, gewinnt aber eine neue
Qualität mit der Entwicklung des Kapitalismus zu einer Massengesellschaft
zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Der aufkommende Fordismus, die Verwendung tayloristischer Maßnahmen wie
des Fließbands auch in der Produktion von Kulturprodukten und nicht
zuletzt das Aufkommen neuer Technologien wie dem Radio, der Schallplatte, der
Fotokopie, dem Kino und später auch dem Fernsehen machten es nun
möglich, kulturelle Güter wie Musik o.ä. einer breiten Masse
anzubieten. Erstmals war nun auch der Bereich außerhalb der Sphäre
der Produktion und materiellen Reproduktion weitestgehend vom Warentausch
bestimmt. Von Freizeit im heutigen Sinn kann also hier überhaupt erst die
Rede sein.(2)
Kunstwerke gaben durch die Möglichkeit ihrer industriellen Fertigung
zwangsweise ihre Individualität auf (Bsp.: eine sinfonische
Aufführung ist immer anders, eine Schallplatte klingt immer gleich).
Problematisch für die kompromisslose Verwirklichung eines immanenten
Formgesetzes in der Kunst war nun nicht mehr nur der ökonomische Zwang,
welcher den freien Künstler dazu zwang, seine Erzeugnisse auf dem Markt
darzubieten, sondern die von vornherein restlose Übertragung
ökonomischer Kriterien auf den Entwurf und die Produktion von
Kulturprodukten wie Film oder Musik. Während zuvor ein sich als freies
Marktsubjekt verstehender Künstler noch die Möglichkeit hatte, seinem
Kunstwerk einen individuellen Charakter zu verleihen, wird in der
Kulturindustrie offen die Besonderheit der Waren durch die Planung ihrer
profitablen Vermarktung, ihr Gebrauchswert durch ihren Tauschwert ersetzt. Der
kritische Gehalt von Kunst wird in ihrer Massenproduktion aufgelöst und
die individuellen Besonderheiten durch reproduzierbare Effekte, durch
bloßes Spektakel ersetzt. Indem das Detail sich emanzipierte, war
es aufsässig geworden und hatte sich, von der Romantik bis zum
Expressionismus, als ungebändigter Ausdruck, als Träger des
Einspruchs gegen die Organisation aufgeworfen. Die harmonische Einzelwirkung
hatte in der Musik das Bewußtsein des Formganzen, die partikulare Farbe
in der Malerei die Bildkomposition, die psychologische Eindringlichkeit im
Roman die Architektur verwischt. Dem macht Kulturindustrie durch Totalität
ein Ende. Während sie nichts mehr kennt als die Effekte, bricht sie deren
Unbotmäßigkeit und unterwirft sie der Formel, die das Werk ersetzt.
(GS Bd 3, S. 146f.).
Die Kritische Theorie der Kulturindustrie und daher auch die des Jazz muss also
in erster Linie als Kritik der Warenform, ihrer gesellschaftlichen Wirkung und
Geltung, sowie deren Erscheinungsformen gelesen werden. Sie
ausschließlich als Kulturkritik misszuverstehen verkennt ihren
eigentlichen Ursprung und Gehalt. Dieses Missverständnis, welches m.E. der
meisten Kritik an Adornos Denken zugrunde liegt, gründet meist in der
Unkenntnis oder Ignoranz gegenüber der Marxschen Wertkritik als Kritik der
abstrakten Arbeit und ihrer synthetisierenden und gesellschaftsbestimmenden
Funktion; eine Kritik, zu der die Kritische Theorie immer engen Bezug hatte.
Der Begriff der Kulturindustrie ist m.E. deswegen von so großer
Bedeutung, weil mit der warenförmigen Durchdringung der Freizeit, also
eigentlich ihrer historischen Entstehung überhaupt, die ehemalige
niedere Kultur (im Gegensatz zur Hochkultur) eine qualitative
Veränderung erfuhr. Vor allem im Bezug auf die sog. leichte Musik. Die
Befriedigung bestimmter Bedürfnisse also z.B. das nach Tanz und
Amüsement wurde durch das Aufkommen industriell gefertigter
Massenwaren umgeleitet, bzw. bestimmte Bedürfnisse wurden überhaupt
erst geweckt. An die Stelle traditioneller Vermittlung also
beispielsweise dem örtlichen Tanzabend oder familiären Musizieren
trat die der Kulturindustrie entsprungene Schallplatte. Das Aufkommen
des Jazz fällt mit dieser Wandlung historisch zusammen und er ist
sozusagen die erste Musik, welche primär warenförmig erschien und
nicht mehr nur in vormodernem Milieu auftrat.
Die Geburt des Jazz aus dem Geiste der Prostitution
Adornos erste längere Arbeit Über Jazz, 1936 unter dem
Pseudonym Hektor Rottweiler in der Zeitschrift für Sozialforschung
veröffentlicht, beginnt mit den Worten: Die Frage, was unter Jazz zu
verstehen sei, scheint der eindeutig definitorischen Antwort zu spotten. (GS
Bd 17, S. 74). Dass seine Kritik also schwerlich auf alle heute dem Jazz
zugeordneten Genre bezogen werden kann, ist selbstverständlich.
Musikalisch beschreibt er vorwiegend den frühen New Orleans, Dixieland und
Chigago Jazz und den
Swing, aber auch der Bebop und Cool Jazz, also erste
Vertreter des Modern Jazz, dürften ihm wenn auch spärlich
bekannt gewesen sein(3). Zum Free Jazz oder späteren Formen freier
Improvisation gibt er keine Auskunft. Wenn also im Folgenden von Jazz die Rede
ist, so bewegt sich die Eingrenzung des Begriffs in diesem Rahmen.
Seine angebliche Unkenntnis des Materials, also der Subgenre und
Spezifikationen des Jazz, wurde Adorno oft vorgeworfen. In einer Replik auf
Adornos in der Zeitschrift Merkur erschienenen Artikel Zeitlose
Mode. Zum Jazz (GS Bd 10.1 S. 123ff.) schreibt im Juni 1953 (ebenfalls im
Merkur) Joachim Ernst-Berendt, dass die Unterscheidung zwischen
kommerzialisiertem Jazz und echte[m] (...) grundlegend für jede
Beschäftigung mit dem Jazz sei(4). Dazu Adorno, der die Gewichtung dieser
Unterscheidung als Wesensunterschied angreift: das Prinzip, die
rhythmische Verfahrensweise ist im raffinierteren Jazz und in der
ordinären popular music dasselbe. Über einer unveränderlich
durchgehaltenen Zählzeit werden, dort mehr, hier weniger, Synkopierungen
ausgeführt und dann wieder ,zurückgenommen`, in dem gleichsam
kollektiven Grundmetrum aufgehoben. (...) In beiden Gattungen (...) hat der
fundamentale Rhythmus das letzte Wort (a.a.O.). Diese Charakteristik ist
für Adorno wesentlich. Er spricht seltsamerweise nur von Synkopen und
nicht vom Off-Beat, welcher im Jazz dominanter ist. Der Off-Beat ist der
klassischen Musiktheorie unbekannt, weswegen er diesen wahrscheinlich als
Synkope im Kleinen deutet(5). Doch die rhythmischen Variationen halten ja im Jazz
tatsächlich die zugrunde liegende Zählzeit aufs strengste ein,
strenger noch als im älteren Blues. Die Betonung bis dahin unüblicher
Zählzeiten, z.B. seit dem Ragtime 2 und 4, wird ja auch oft als Parodie
der Militärmusik (bzw. deren Betonung auf 1 und 3) mit ihren eigenen
Mitteln angesehen, so wie ja auch die ersten Jazzbands in New Orleans sich aus
der Instrumentierung klassischer Marching Bands zusammensetzten.
Diese völlige Anerkennung eines starren Metrums, aus der Marschmusik
kommend, deutet Adorno im Sinne der Durchsetzung des modernen Verhältnis
Arbeit-Freizeit. In der Tat fällt die Betonung eines festen
Zeitmaßes in der Musik ja auch historisch zusammen mit der Entstehung
moderner Arbeitsverhältnisse, die nicht nur erstmals die Menschen an einen
vorgegebenen Arbeitstakt von Maschinen gewöhnten, sondern auch eine
Abstraktion vom konkreten Arbeitsprozess möglich machte eine
wichtige Prämisse um Arbeitskraft abstrakt vergleichen, als Ware berechnen
und tauschen zu können. Der Beat kann als musikalischer Ausdruck
der fordistischen Mobilmachung der Gesellschaft gesehen werden: Der
Jazzmusiker, der zwischen den markierten Taktteilen seine abenteuerlichen
Sprünge machte, der die Akzente verschob und mit kühnen Glissandi die
Töne verschleifte er jedenfalls doch hätte der
Industrialisierung enthoben sein sollen; sein Reich galt als Reich der
Freiheit; hier war offenbar die starre Wand zwischen Produktion und
Reproduktion gesprengt, die ersehnte Unmittelbarkeit wiederhergestellt (GS
Bd 18, S. 796). Worte wie hätte, galt oder offenbar
lassen keinen Zweifel daran, dass nach Adorno also die Züge des Jazz
eine Subjektivität [charakterisieren], die gegen eine Kollektivmacht
aufbegehrt, die sie doch selber ,ist`; darum erscheint ihr Aufbegehren
lächerlich und wird von der Trommel niedergeschlagen wie die Synkope von
der Zählzeit. (
) Das eigentlich Entscheidende am Jazz-Subjekt ist,
daß es sich, trotz seines individuellen Charakters, überhaupt nicht
selbst gehört (
) Das ,Zerfetzen der Zeit`(6) durch die Synkope ist
ambivalent. Es ist zugleich Ausdruck der opponierenden
Scheinsubjektivität, die gegen das Maß der Zeit aufbegehrt, und der
von der objektiven Instanz vorgezeichneten Regression. (GS Bd 17, S.77f.).
Ähnliches gilt für die genormte melodische Improvisation, welcher ja
ein klares Akkordschema zugrunde liegt, dass zwar mit dirty notes,
absichtlich zu tief angesetzten Stimmungen, chromatischen Anspielungen u.a. das
den Akkorden zugrunde liegende Material auflockert, sich aber im Wesentlichen
den harmonischen Spielregeln des Okzident fügt (einzig Anleihen in der
Harmonik des Blues können als neu gelten). Selbst sog. falsche
Töne (z.B. eine Quarte zu einem Maj7-Akkord, oder eine erhöhte None
in einem Dom7-Akkord),(7) die zuweilen in Improvisationen eingesetzt werden,
erzielen ihre Wirkung gerade durch ihre Falschheit im Gegensatz zur
zugrunde liegenden und anerkannten Konsonanz, bzw. Selbst die
vielberufenen Improvisationen, jene hot-Stellen und breaks, haben bloß
ornamentale, nie konstruktive und formsetzende Bedeutung. (GS Bd 17, S. 82).
Nirgends sind in ihm [dem Jazz] Dissonanzen und Effekte wie die dirty
notes funktionell-harmoniebildend, sondern stets bloß stimulierende
Zusätze zur traditionellen Harmonik. (GS 10.2 S. 807) Das Material der
allermeisten Jazz-Standards ist ja auch den Musicals oder den Schlagern, wie
man damals gesagt hätte, entlehnt und in acht- oder viertaktige Perioden
mit klaren harmonischen Symetrieverhältnissen geordnet.
Rhythmus im Blut
Diese Parodie des Metrums und der Harmonik bei gleichzeitiger Unterwerfung
unter deren Formgesetze wurde hingegen oft und wird teilweise auch noch heute
durch den Anteil angeblich afrikanischer Ursprünge im Jazz erklärt,
da seine Entwicklung ja von der afro-amerikanischen Bevölkerung der
Südstaaten in den USA ausging. Adorno bestritt dies bereits in den 30er
Jahren und erklärte das Spannungsverhältnis Beat/Off-Beat aus der
Sklaverei und der Disziplinierung durch die modernen Arbeitsverhältnisse,
unter denen die schwarze Bevölkerung unvergleichlich mehr leiden musste:
Wieweit der Jazz überhaupt mit genuiner Negermusik zutun hat, ist
überaus fraglich (
) Soweit bei den Anfängen des Jazz, beim
Ragtime vielleicht, von Negerelementen die Rede sein kann, dürfte es
weniger um archaisch-primitive Äußerungen als um die Musik von
Sklaven sich handeln (...); keine Archaik gibt es im Jazz denn die aus Moderne
mit dem Mechanismus der Unterdrückung gezeitigte. Nicht alte und
verdrängte Triebe werden in den genormten Rhythmen und genormten
Ausbrüchen frei: neue, verdrängte, verstümmelte erstarren zu
Masken der längst gewesenen. (GS Bd 17, S. 82ff.).
Die falsche, aber geläufigere Zuordnung des Jazz zu angeblichen
afrikanischen Wurzeln der Musiker dürfte aber nicht gerade wenig zum
Erfolg des Jazz beigetragen haben, da dies vor allem für seine
weißen Jazzliebhaber eine Art romantische Konnotation mit sich brachte.
Der Jazz wurde als exotisch und sich der modernen Arbeitsdisziplin widersetzend
empfunden. Duke Ellington hat mit seinen Jungle Style Partys das Trugbild
angeblicher Exotik adäquat aufgegriffen und letztlich die rassistische
Rezeptionshaltung der Weißen damit bedient. Doch der Jazz entsprang nicht
dem Dschungel, sondern den Bordellen New Orleans. Die falsche Exotik sollte ein
Bedürfnis der vom Fordismus gehetzten Massen befriedigen: Die
Society hat ihre Vitalmusik, wofern sie sie nicht von Anfang an nach Maß
herstellen liess, nicht von Wilden, sondern von domestizierten Leibeigenen
bezogen. (GS Bd 17, S. 83).
Ich finde es unumgänglich hier auf den unhinterfragten Gebrauch des Wortes
Neger bei Adorno hinzuweisen. Definitiv hätte er sich um die
kollektivistische und diskriminierende Konnotation des Wortes Gedanken machen
können, nur wäre es falsch, ihm hier Rassismus zu unterstellen. Sein
Anliegen ist ja eben nicht, die afro-amerikanische Bevölkerung als
besonders und exotisch hinzustellen, sondern eben diese Auffassung als
Degradierung dieser Menschen zu Repräsentanten einer angeblich genuinen
Kultur zu kritisieren. Der Brisanz des Themas wegen hier ein längeres
Zitat: [Ich möchte] die Neger gegen ihre Entwürdigung
verteidigen, die ihnen widerfährt, wo man ihre Ausdrucksfähigkeit
für die Leistung von Exzentrikclowns mißbraucht. (...) Ist es nicht
eine Beleidigung der Neger, die Vergangenheit ihres Sklavendaseins seelisch in
ihnen zu mobilisieren, um sie zu solchen Diensten tauglich zu machen? (...) Der
Jazz ist schlecht, weil er die Spuren dessen genießt, was man den Negern
angetan hat (...) Ich habe kein Vorurteil gegen die Neger, als daß sie
von den Weißen durch nichts sich unterscheiden als durch die Farbe (GS
Bd 10.2, S.808f.).
Recycle
Das oben beschriebene, ambivalente Einspannen angeblich vormoderner,
rebellierender oder scheinexotischer Momente in ein musikalisch zutiefst
modernes Korsett (rhythmisch, harmonisch, ästhetisch im Allgemeinen) ist
der Charakter der Kulturindustrie, genauer: der Warencharakter par excellence.
Nicht zufällig fällt der Siegeszug des Jazz historisch in eins mit
dem der Schallplatte. Er war die erste weltweit rezipierte Popmusik der
Geschichte und als solcher natürlich auf dem Markt mit Problemen
konfrontiert, wie sie sich in jedem Versuch ergeben, Waren gewinnbringend zu
produzieren und zu verkaufen. Im Buhlen um den Absatz seiner selbst sind
alle Formelemente des Jazz durch die kapitalistische Forderung nach seiner
Tauschbarkeit völlig abstrakt vorgeformt. (...) Die urtümlichen
Züge an ihm sind die warenhaften: die starre, gleichsam, zeitlose
Unbewegtheit in der Bewegung, die maskenhafte Stereotypie, das Ineins von
wilder Erregtheit als dem Schein des dynamischen und Unerbittlichkeit der
Instanz, die über solche Erregtheit herrscht. Vor allem aber das Gesetz,
das eines des Marktes so gut ist wie eines der Mythen: er muß
gleichzeitig stets dasselbe sein und stets das Neue vortäuschen. (GS Bd
17, S. 82 u. 84)
Da den konkreten Waren auch den Kulturprodukten im Prozess der
Wertverwertung nur der konkrete, sinnliche Teil des Formwandels des Kapital
zukommt, sie also im prinzipiell endlosen Kreislauf G-W-G` nur den Zweck haben,
den in der Produktion erpressten Mehrwert zu erwirtschaften, ist ihr
Gebrauchswert nur Mittel zum Zweck, den Tauschwert zu realisieren.
Wie an keiner Musik vor dem Jazz wohl aber an beinahe jeder nach ihm
lässt sich dieses Prinzip anhand der musikalischen Form
nachvollziehen. Er wird von der Funktion beherrscht und nicht von einem
autonomen Formgesetz. (
) Jazz ist nicht, was er ,ist` karg und mit
einem Blick zu durchdringen ist sein ästhetisches Gefüge bei sich
selber , er ist, wozu man ihn braucht. (GS Bd 17, S. 76 u. 77).
Die oft gelobte Tendenz des Jazz, andere Genre auch die älterer,
sog. Klassischer Musik sich einzuverleiben und zu verwerten, kann also
auch gedeutet werden als die Tendenz des Marktes, noch nicht durch den
Warentausch vermittelte Gebiete territorial und sozial zu
erschließen. Am Beispiel der Musik von Duke Ellington, der Adorno zufolge
Debussy als seinen Lieblingskomponisten nannte, wird folgendes beschrieben:
Am auffälligsten ist der impressionistische Einfluß in der
Harmonik. Nonenakkorde, Sixte ajoutée und andere Mixturen, wie der
stereotype blue chord, parallele Verschiebung von Akkorden und was immer der
Jazz an vertikalen Reizen zu bieten hat, ist von Debussy entlehnt. Aber auch
die Behandlung der Melodik, gerade in den konsequenteren Stücken, hat
impressionistische Modelle. Die Auflösung in kleinste, nicht dynamisch
entwickelte, sondern statisch wiederholte Motivformeln, die einzig rhythmisch
umgedeutet werden und um einen unverrückbaren Mittelpunkt zu kreisen
scheinen, ist spezifisch impressionistisch. Aber sie wird vom Jazz um ihren
Formsinn gebracht. (GS Bd 17, S. 90)(8)
Die Verbindung eigener Musik mit Ungewohntem zum Zwecke des besseren Absatz
muss keineswegs immer Intention der Komponisten und Protagonisten gewesen sein
(auch wenn dies nicht nur in der eingreifenden Funktion der Plattenfirmen oft
der Fall war und ist). In der Analyse und Deutung seiner gesellschaftlichen
Funktion hat dies aber für den Jazz keine primäre Bedeutung.
Selbst das Gestrige muß vom Jazz erst harmlos gemacht, aus seinem
historischen Zug herausgelöst werden, ehe es marktfähig wird. Auf dem
Markt fungieren die impressionistischen Zutaten als Reiz. (GS Bd 17, S. 91)
Nur vor dieser Interpretation macht die Kritik am Jazz Sinn, als Kritik einer
Warenform. Nicht die für Adorno in der Rezeption eines Kunstwerkes
ausschlaggebenden immanenten Formgesetze des Werkes das Verhältnis
der Teile zum Ganzen und das zugrunde liegende musikalische Material
haben im Jazz den Vorrang, sondern seine Darstellung und Funktion (welche eben
nicht, wie vor-kulturindustrielle Hochkultur, eigenen Gesetzten folgt,
sondern denen des Marktes).
Adorno aber eine generelle Feindschaft zum Jazz zu unterstellen ist in vieler
Hinsicht falsch. Er kritisierte nicht, dass Menschen sich amüsieren
wollen, und sei es in Form des Warenkonsums, sondern die Verklärung des
Jazz als Kunst. Kunst hatte für ihn nur als Avantgarde eine Berechtigung
und nur einige wenige Zeitgenossen ließ er als wirkliche Künstler
gelten (Arnold Schönberg oder Samuel Beckett zum Beispiel). In einem
Interview sagte er einmal: