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• das letzte: Antirassismus
Die radikale Linke der Bundesrepublik stritt letztes Jahr um das zentrale Thema
materialistischer Gesellschaftskritik: das Verhältnis des Allgemeinen zum
Besonderen bei der Kritik kapitalistischer Verhältnisse: Wie verhält
sich die allgemeine Kritik an vermittelter Ausbeutung und Unterdrückung zu
ihren speziellen historischen und nationalen Ausprägungen? Bezüglich
dieser Fragen standen sich anlässlich der Wendefeierlichkeiten die
Berliner Gruppe Theorie-Organisation-Praxis (TOP) und die Leipziger
INEX, die Initiative gegen jeglichen Extremismusbegriff gegenüber.
Deutschland hätte sich, so TOP, trotz seiner nationalsozialistischen
Vergangenheit, weitgehend modernisiert, ein Blick auf historische und nationale
Besonderheiten erübrige sich daher weitgehend(1). Hingegen ist INEX
vielmehr daran interessiert, auch die konkrete Form und spezifische
ideologische Verfasstheit im heutigen Deutschland zu verstehen und zu
kritisieren (Broschüre, S.36). Deutschland hätte sich zwar
einerseits liberalisiert, stünde aber andererseits immer noch in
nazifaschistischer Kontinuität. Das erzwinge eine antikapitalistische
und antideutsche Ausrichtung. Bei der Durchführung der Problematik
rennt die Gruppe aber in Fallstricke, die ihre antideutsche Kritik
fragwürdig werden lassen. Das soll im folgenden Text anhand der
INEX-Positionen zu nationaler Mobilisierung (1), zum Gegenstand antideutscher
Kritik (2), zu Ideologie (3), zur Extremismustheorie (4), zu den
Hartz-IV-Gesetzen (5) und zur Kontinuität deutscher Geschichte (6) gezeigt
werden, vertieft durch Überlegungen zu Rassismus und Antirassismus (7).
Die These des Textes: INEX verfehlt eine antideutsche Kritik wesentlich (8).
Der Text versteht sich zugleich als eine grundlegende Einführung in die
materialistische Ideologiekritik anhand ausgewählter Modelle.
1. Nationalistische Mobilisierung?
Bereits mit dem ersten Satz der Broschüre Nie wieder Revolution
für Deutschland Zur linken Kritik an den Wendefeierlichkeiten ist
der Grundstein des INEX-Malheurs gesetzt: Das Jahr 2009 steht im Zeichen
einer nationalistischen Mobilisierung. Gefeiert wird die deutsche Nation
(
). Alles Folgende kann nach einem solchen Satz nur falsch sein. Mag man
sich vom Kitsch der Kerzenhalter, Menschenrechts- und Demokratiefetischisten
genervt fühlen um eine ganze Armada von nationalistischem
Jubelrausch handelt es sich dort beim besten Willen nicht. Auf welchen
Volksfesten wurde die deutsche Überlegenheit behauptet? Welche
Staatsbankette propagierten Hass auf andere Nationen? Welche
Diskussionsrunden formulierten imperiale Kriegshetze, welche
Denkmäler forderten ein Großdeutschland` in den Grenzen
von anno dazumal? Lobten Kulturveranstaltungen die faschistische
Vergangenheit? Gab es Festreden anlässlich deutscher
Eroberungskriege? Nichts von alledem. Keine der Veranstaltungen im Wendejahr
war primär nationalistischen, gar völkischen Charakters(2). Wenn
das Deutschland im Jahre 2009 (Broschüre, S. 2) ist, dann
geht davon keine Gefahr aus. Von einem aggressiven völkischen
Nationalismus fehlt jede Spur.(3)
INEX denke nicht von großer Theorie` aus, so ein Vertreter der
Gruppe auf einer Diskussionsveranstaltung, vielmehr ginge es um Diskursanalyse.
Wann schaut man sich endlich mal irgendeinen, wenigstens einen, blöden
Diskurs an?
2. Was ist Deutsch?
Die GenossInnen von der INEX wissen im Grunde selbst von der
Ungefährlichkeit der heutigen Bundesrepublik: In der Tat, das
heutige Deutschland ist nicht das Vierte Reich` und gewiss nicht das
größte Übel unter der Sonne (Broschüre, S. 2).
INEX verlagert den Drehpunkt antideutscher Kritik auf das geographisch
umgrenzte Territorium der Bundesrepublik Deutschland und verharmlost so die
Gefahr des deutschen Wesens, die angesichts der drohenden atomaren Bewaffnung
des Iran, des Schulterschlusses der Schurkenstaaten Kuba, Venezuela, Syrien,
Iran und Nordkorea, der vor antisemitischem Hass schier kollabierenden
islamischen europäischen Community und ihrer Gesinnungsfreunde aus nahezu
allen politischen Lagern. Was sind das für Antideutsche`, die den
Gegenstand ihrer Kritik nicht als das größte Übel
unter der Sonne betrachten? Das Antideutsche ist ihnen nicht der Ausgangspunkt
des Denkens, sondern je nach Bedarf anzuwendendes Anhängsel einer
ansonsten ganz anderen Denkweise . INEX sind nur dann antideutsch, wenn sie auf
Biodeutsche` blicken. Aber antideutsche Kritik ist keine Frage des
Standorts. Auch eine Kritik an der Armut brasilianischer Landarbeiter muss
antideutsch sein. Sie ist entweder universell gültig oder prinzipiell zu
verwerfen.
Deutsch` ist ein Bekenntnis. Es umfasst einen Modus kapitalistischer
Akkumulation, eine Weise sich zum Staat zu verhalten und die Krisenlösung
zu bewerkstelligen: sich mit Haut und Haar verschreiben, das Leben des Staates
und des Wachstumsprozesses als das Eigene anerkennen. Antideutsche Kritik als
Lehre aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bedeutet
nicht Nie wieder Krieg!` und auch nicht einfach Nie wieder
Deutschland!`, sie lautet: Nie wieder negative Aufhebung des
Kapitals!`(4).
Antisemitismus erscheint in der Broschüre traut und einvernehmlich neben
Rassismus, gleich jener linken Flugblattmanier, sich dienstbeflissen gegen
Rassismus, Antisemitismus und Sexismus` zu positionieren, ohne
herauszuarbeiten, was das eine und was das andere bedeutet, außer dass es
um Diskriminierung` jeweils verschiedener Teile der Bevölkerung, gar
um Othering` und ähnlich grunzdummes Gerümpel geht. Vom
deutschen Nationalcharakter konstatiert INEX ohne Umschweife, ihm wäre
seine Freiheit und Demokratie rein äußerlich. Eine deutsche,
postnazifaschistische Variation von Demokratie und Freiheit ist den
Herausgebern keinen Gedanken wert. Und dann auch noch der Terror
kapitalistischer Verwertung! Was macht der dort so hübsch und nett neben
Rassismus und Antisemitismus? Warum müssen wir dies von jenen lesen, die
uns etwas vom wir werden es gleich sehen seltsamen
Eigenleben der Ideologien erzählen wollen? Um die INEXsche
Begriffsverwirrung zu komplettieren? Ein Versuch linksradikaler
Diskursverschiebung? Ein Betätigungsfeld diverser symbolischer
Politiken`? Oder stellt man schlicht und ergreifend, entgegen allem bekundeten
Willen, alles auf eine Ebene`. Man kann ja immer noch den bösen und
verteufelten wertkritischen Ableitungsmarxisten` vorwerfen, alles
gleich` zu machen`. Nicht wahr, ihr lieben Apostel der Vielfalt und
Differenz?(5)
3. Die Ideologien und ihr geheimnisvolles Eigenleben
Gegenüber TOP wird von INEX der zentrale Stellenwert der Ideologien
betont. Allein einen Begriff davon vermisst man bei ihnen. Stattdessen wird
Ideologien ein gewisses Eigenleben zugesprochen und zwar bis
heute (S. 3).
Ideologien sind eigenständige Reflexionen der Welt im Kopf von
Theoretikern. Als falsche drücken sie eine Verkehrung aus. Als notwendige
enthalten sie einen Wahrheitskern. Der Liberalismus des 19. Jhd. spiegelte die
Gesellschaft individualistisch falsch wider und enthielt dennoch gerade das
Versprechen von Wohlstand und Glück für Alle. Insofern war das gute
alte Basis-Überbau-Schema immer falsch, da es Ideologien als abgeleitete
Gebilde zu erfassen bestrebt war. Ein begrenztes Recht kommt ihm lediglich
nachträglich zu: wenn im Nationalsozialismus der Antisemitismus zu einer
Ideologie ganz anderer Qualität mutiert. Mit ihm halten sich die Deutschen
in der Krise zusammen. Die gemeinsame Überzeugung ermöglichte im
Nationalsozialismus Gesellschaft. Unter den Nazis wurde die Krise für die
Dauer des ewigen Deutschland zum zusammenschweißenden Moment
hypostasiert (Horkheimer). Nicht die Ideologien haben ein gewisses
Eigenleben, sondern der Gesellschaft ist jetzt ein Eigenleben vor der
nunmehr übermächtigen Ideologie zuzusprechen, insofern jene selbst im
Nazifaschismus nichts umstandslos im Antisemitismus aufgeht. Die Wehrmacht mag
tatsächlich auch von militärischen Eroberungsplänen
motiviert gewesen sein, den ganzen Wahnsinn des Kriegs vielleicht nicht nur
der Vernichtung wegen geführt haben, es gab auch wirklich
Kapitalisten mit Profitmotiv, auch eine Bürokratie, die um die
Karriere ihrer Angehörigen besorgt war(6). Aber ein Eigenleben der
Ideologien erledigt sich mit der Nazibarbarei. Sobald die deutsche
Krisenlösung forciert wird, ist Ideologie bestimmend.
4. Extremismus von lechts und rinks
Das Hauptbetätigungsfeld der INEX ist der Kampf gegen einen Begriff, den
des Extremismus. Durch dessen Verwendung würden Linke, Nazis und
Islamisten völlig zu Unrecht auf eine Ebene gestellt. Dazu INEX: Die
Möglichkeit radikaler Gesellschaftskritik (...) wird unter das
Damoklesschwert des Extremismusverdachts gestellt (CEE IEH #174, S. 47). An
anderer Stelle: Wenn Nationalsozialismus und so genannter Kommunismus im
selben Bausch und Bogen verworfen werden, geschieht das immer unter Verweis auf
das eigentlich Gute (...): die nationalstaatlich verfasste,
bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, bevorzugt in der Form der
repräsentativen Parteiendemokratie (Broschüre, S. 20). Letztere
hält INEX denn auch generell für einen ideologischen
Rückschritt gegenüber der Idee einer Assoziation, in der die freie
Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist
(Broschüre, S. 7). Aus kommunistischer Perspektive sind parlamentarische
Verhältnisse denen in der DDR vorzuziehen, da sich im Parlamentarismus der
Entscheidungsspielraum des Individuums vergrößerte.(7)
INEX spricht gern über die Nähe der Mitte zum rechten Rand. Über
die Überschneidungen zwischen der radikalen Linken und Rechten wird jedoch
geschwiegen. Aber die in der Extremismusformel enthaltene Gleichsetzung
von sich als links verstehenden Aktivisten mit Nazis (...) verharmlost Nazis
(...) (CEE IEH #174, S. 48f). Gemeinsamkeiten sind zahlreich und fangen mit
Hass auf Israel und die USA lediglich an. Gemein ist Linken wie Rechten
häufig ein direktes, ideologisch deutsches Demokratieverständnis.
Anstelle vermittelter Herrschaft sollen die da unten` das Sagen bekommen.
Gegen derartigen Extremismus von links und rechts sind vermittelte
Verhältnisse allemal verteidigenswert.(8) Ein Begriff des Kommunismus muss
dem gerecht werden und darf nicht hinter den vermittelten Charakter
repräsentativer Demokratie zurückfallen. Das trifft auf die meisten
Linken nicht zu, weshalb sie durchaus in einem Atemzug mit rechten Extremisten
nennbar sind. Darauf muss reflektieren, wer voreilig den Begriff des
Extremismus für erledigt hält. Die Extremismustheorie ist daher, so
bringt es Sören Pünjer auf den Punkt, gegen ihre
verfassungspatriotischen Liebhaber zu verteidigen. Wohlgemerkt: gegen sie,
denn auch die politische Mitte ist in Deutschland von den GRÜNEN und der
SPD bis zur CDU/CSU von einem autoritären deutsch-ideologischen
Demokratieverständnis durchdrungen. Die Extremismusforscher unterlassen es
sträflicherweise, ihre Theorie auf sich selbst anzuwenden.
Aus der Sicht des ihn prägenden Staates ist der Begriff Extremismus
allerdings allemal sinnvoll. Der Staat ist, mit Verlaub, nicht für die
Förderung linker Projekte, sondern für deren Bekämpfung
zuständig(9). Ein tiefer Widerspruch des INEX-Projektes tritt an dieser
Stelle zu Tage: Man will zutiefst radikal sein und dafür vom Staat
gefördert werden. Man will extrem sein, aber ja nicht so genannt werden.
Man kämpft darum, vom Feind Number One als nett anerkannt zu werden und
trotzdem radikal daher plappern zu dürfen.
5. Kapital, Staat und Arbeit Verschärfung der gesellschaftlichen
Widersprüche?
Auch beim Thematisieren der Hartz-IV-Gesetze kann INEX die konkrete Ausformung
deutscher kapitalistischer Wirklichkeit nicht erfassen. Sie schreiben:
Durch die Hartz-IV-Gesetzgebung wurde die soziale Spaltung
verschärft und Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit wurden
verstärkt wahrnehmbar (Broschüre, S. 28). Wo es spannend werden
könnte, klingt INEX so statisch wie TOP, der Gegenstandpunkt oder Michael
Heinrich.
Hartz-IV ist eine kostenaufwendige staatliche Interventionsmaßnahme.
Diese Gesetze zeigen die Kontinuität postfaschistischer Verhältnisse.
Der Staat agiert mit ihnen erfolgreich gerade gegen eine soziale
Spaltung. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Lohnarbeit und Kapital
hat sich mit diesen Gesetzen weder objektiv noch subjektiv verschärft.
Niemandes Proletarität im Sinne eines revolutionären
Klassenbewusstseins erwacht im Angesicht der Abschaffung des Rechtsanspruchs
auf Sozialhilfe.
Stattdessen wird an den Staat appelliert, Arbeitsplätze zu schaffen, an
das Kapital, das vorgeblich scheue Reh, auszubilden, einzustellen, zu
investieren, sich nicht aus der Verantwortung zu ziehen (denn Eigentum
verpflichtet, so steht es schon im Grundgesetz) und der ganze Kram. Das
Hartz-IV-Gesetzespaket wird von Sarah Wagenknecht (Die LINKE) bis zu Holger
Apfel (NPD) im Sinne eines volksgemeinschaftlich gedachten Sozialpaktes
kritisiert. Wirft etwa die LINKE Guide Westerwelle vor, Klassenkampf von oben
zu betreiben(10), so zielt diese Kritik implizit darauf, dass Westerwelle die
Volksgemeinschaft untergraben würde, aber nicht auf ein erwachendes
Klassenbewusstsein.
Hartz-IV steht nicht wesentlich für eine verschärfte
Lohnknechtschaft, nicht für eine Intensivierung kapitalistischer
Ausbeutung und nicht für eine Steigerung der Profitrate. Die Gesetze
dienen primär der Zementierung von Herrschaft, sie zielen auf die
Unterwerfung der (zukünftigen) Arbeitslosen unter staatliche Willkür,
auf die Verbreitung von Angst und Schrecken durch Politik(11), was eine
Zuspitzung der Ausbeutung, das massenhafte Herabdrücken der Löhne und
die soziale Degradierung großer Bevölkerungsschichten nicht aus-,
sondern explizit einschließt. Der Kern von Hartz-IV ist dies alles aber
nicht, sondern viel schlimmer: Die Empfänger von staatlichen
Transferleistungen werden unter Hartz-IV zu rechtlosen Wesen(12). Der Staat
dieser Gesetze bedient im Neumannschen Sinne Momente des Behemoth er
schaltet die rechtliche Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft
aus(13).
Die Hartzgesetze drücken aus, worum es INEX gehen sollte, eine
deutsche Spezifik`. Nur liest man dazu nichts bei ihnen. Die Gruppe ist
am schwächsten, wo im linken Diskurs ihre Stärken verortet werden.
Ihr fehlt der Blick für die nationale Besonderheit Deutschlands, ein
Verständnis von Ideologie, mithin ein Begriff vom Postfaschismus. Im
Nationalsozialismus wurde der Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital unter
Federführung des Staates eingeschmolzen. Letzterer entwickelte sich zu
einem Schutzpanzer(14), der alle gesellschaftliche Gruppen in der
totalitären Volksgemeinschaft integrierte. Alle rechtliche Vermittlung
zwischen Individuen und Gesellschaft wurde ausgehebelt. Nach der
militärischen Zerschlagung des Nazifaschismus wurde über dieser
Gesellschaft ein Rechtsstaat installiert. Postfaschismus bedeutet, dass offener
Faschismus nicht mehr nötig ist(15). Es reicht, das entsprechende Register
zu ziehen, um den einst durch den Faschismus hergestellten Frieden erneut zu
aktivieren. Mit Hartz-IV reagiert der postfaschistische Staates auf den ihn
erfassenden Strudel der Krise.
Die Position der INEX zu Hartz-IV verkennt die postfaschistische
Kontinuität. Ihr Blick auf die kapitalistische Gesellschaft ist statisch.
Die kapitalistische Produktionsweise erscheint ihnen über alle
Veränderungen hinweg als Gegensatz von Arbeit und Kapital, irgendwie
vermittelt durch den Staat. Dran gepappt gibt es Ideologien samt ihrem
Eigenleben. Außerdem ist das in Deutschland alles irgendwie
anders, wegen Rassismus, Antisemitismus, autoritärem Nationalcharakter und
so. Was das miteinander zu tun haben soll, bleibt großes INEX-Geheimnis.
Die kapitalistische Gesellschaft ist keine stets gleiche Grundstruktur. Mehr
als das es sich um verschleierte Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse
handelt, lässt sich über sie nicht sagen. Wie diese erscheinen,
unterliegt nicht nur historischem Wandel, sondern zielt direkt auf das Wesen
dieser Gesellschaft.
6. Die gebrochenen Kontinuitäten Deutschlands
INEX bestreitet eine gelungene Modernisierung Deutschlands und will zeigen,
dass hierzulande Modernisierung eine gespaltene ist und dass sie noch
immer keinen Grund liefert, sich von einer antideutschen Position zu
verabschieden (Broschüre, S.3). Warum sollte sie? Gäbe es eine
erfolgreiche Modernisierung, bestünde kein Grund für antideutsche
Kritik, das ist die Crux, die diesen Ansatz so falsch macht.
INEX stellen sowohl die vollkommene liberale Normalisierung als auch das
Ereignis Friedliche Revolution` in Frage (Broschüre, S.35).
Für INEX ist undenkbar, dass die vollkommene liberale
Modernisierung der Grund für antideutsche Kritik sein könnte. Ist
die Urteilskraft zu schwach, muss die Realität verbogen werden. Kann man
den postfaschistischen Charakter der Modernisierung nicht erklären, macht
man sich munter ans Zerpflücken gesellschaftlicher Zusammenhänge:
Die eigene Positionierung wird, angesichts einer Analyse, die weder die
Kontinuität postnazistischer Elemente beiseite schiebt, noch
kapitalistische Modernisierungstendenzen und Liberalisierungsprozesse leugnet
oder feiert, zwangsläufig zur Gratwanderung. Linke Kritik und Politik mag
das komplizierter machen. Doch die einfachen Antworten sind selten die besten
(Broschüre, S.36). Einiges ist vom Nationalsozialismus laut INEX erhalten
geblieben: Rassismus, Antisemitismus, autoritärer Charakter, Nazis auf den
Straßen. Anderes wurde modernisiert. Kritik macht eine derartige
Zurechtstückelung der Wirklichkeit nicht komplizierter, sondern
schlicht unmöglich. Politik lässt sich damit trefflich
betreiben. Man hat sich zu entscheiden: entweder Kritik oder Politik.
Politik jedweder Spielart, ganz besonders linke, ist nur als
Gegenstand von Kritik tauglich.
Kontinuität und Wandel geht INEX schief an. Sie klatschen zusammen, was
sie vordem eifrig zerpflückten. Von Dialektik weithin keine Spur. Aber
gerade in den Brüchen der historischen Entwicklung vollzieht sich der
Wandel. Man fragt sich bei der Lektüre: Wo ist die behauptete
Gratwanderung? Dass man sowohl im Kapitalismus als auch in Deutschland
lebt? Ich hätt`s fast vergessen. Die Kontinuität
postnazistischer Elemente verbirgt sich in den
Modernisierungstendenzen. Das ist INEX wohl nicht kompliziert genug.
INEX kann die Modernisierung nicht als Kontinuität fassen. Deutschem
Liberalismus fehlt jegliches Glücksversprechen. Er liefert den
autoritären Staat gratis und ist postfaschistischer Neoliberalismus, mit
dem Nazifaschismus als selbstverständlicher Grundlage. Happiness
und wealth sind ihm so fremd wie Guido Westerwelle ein Grundrecht auf
die soziale Hängematte.
Eine gründliche Modernisierung vollzog Deutschland bereits im
Nationalsozialismus(16). Nichts Modernes war der Nazibarbarei fremd. Sie war
Mythos auf hochmoderner Basis. Sein Fortleben vollzieht sich nicht gegen die
Modernisierung, sondern in ihr und mit ihr.
Nicht nur ist der Bruch als Kontinuität, sondern auch die Kontinuität
als Bruch zu fassen. Dass es immer noch Nazis, Rassismus, autoritäre
Charaktere klassischen Zuschnitts und ewiggestrige Auschwitzleugner gibt, ist
ein Bruch, der eine Kontinuität des deutschen Faschismus in ihrem Wirken
behindert. Die modernisierte postfaschistische Gesellschaft schämt sich
ihres Rassismus und der Nazis, sie ist durch und durch Multi-Kulti, Antira und
kosmopolitisch, aber nichts desto trotz oder besser: gerade deswegen: deutsch
bis auf die Knochen. Wo nicht modern, ist sie nicht deutsch.
7. Kontinuität des Rassismus oder des Antirassismus?
Die Problematik von Kontinuität und Wandel zeigt sich besonders deutlich
am Thema Rassismus. Es gibt auch heute noch Menschen, die aus der Hautfarbe
oder anderen körperlichen Merkmalen intellektuelle und psychische
Eigenschaften und daraus eine positive oder negative Diskriminierung ableiten
bestimmt nicht die autonomen Nationalisten, aber vielleicht die
Dorfdeppen aus Schnurpsheim, jedenfalls keine gesellschaftlich relevanten
Kräfte, so dass es auch nur im Ansatz legitimiert scheinen könnte,
die Bundesrepublik als einen rassistischen Staat` zu bezeichnen(17) und
daraus auch noch eine Kontinuität zum Nationalsozialismus abzuleiten. In
staatlichen Verlautbarungen finden wir (scheinbar) ganz Anderes als Rassismus:
die Bundeszentrale für politische Bildung, Organ der postfaschistischen
Gesellschaft, doziert in einem Arbeitsblatt für Schüler zur
antirassistischen Bildungsarbeit: Rassen gibt es nicht. Aber es gibt
Rassismus. Preisfrage: Wer verkörpert die Kontinuität und wer
den Wandel: Bundeszentrale oder Schnurpsheim? Antirassismus oder Rassismus? Ist
Schnurpsheim kontinuierlich deutsch, die Bundeszentrale liberal und
demokratisch modernisiert?
Der Antirassismus steht in nazifaschistischer Kontinuität. Aber war nicht
Nazideutschland mit seiner Judenverfolgung ein rassistischer Staat? Es handelte
sich bei der nationalsozialistischen Gesellschaft um eine
Krisenbewältigung in Form ihrer Ablenkung auf die angebliche
Gegenrasse`. Gegen den krisenhaften Zerfall proklamierten und
praktizierten die Nazis das Zusammenschweißen der Deutschen zur arischen
Rasse gegen das jüdische Feindbild. Daran ist nichts rassistisch`
und nichts biopolitisch`(18). Die Rassenforschung` der Nazis
erklärt sich nicht aus Rassismus, sondern strikt aus Antisemitismus. Ohne
Zweifel spielte der Rassismus im Nazifaschismus eine entscheidende Rolle. Es
handelte sich allerdings bei ihm nicht um jene die Gesellschaft als solche
konstituierende Ideologie. Diese Rolle kommt einzig dem Antisemitismus zu.
Der Nazifaschismus war im Kern nicht rassistisch, sondern antisemitisch und er
trug auch wesentlich antirassistische Komponenten: Eine ihrem Ursprung nach
aufklärerische, die Menschen zwar klassifizierende, hierarchisierende,
aber sie damit immerhin als Menschen anerkennende Kategorie Rasse musste ihm
Probleme bereiten. Dass alle Menschen sein sollen, war ihm zutiefst zuwider. Er
erklärte sie daher, ganz wie die heutigen poststrukturalistischen
Antirassisten, zu einem Produkt von Konstruktionsprozessen. Die Bezeichnung der
Nazibarbarei als rassistisch ist verharmlosend, da sie den Naziunstaat samt
seiner systematischen Ermordungspolitik auf eine Stufe etwa mit dem ehemaligen
südafrikanischen Apartheitsregime oder der Ausgrenzung von Afroamerikanern
in den Südstaaten der USA bis in die 60er Jahre stellt, und leugnet seine
Kontinuität.
8. Eingreifendes Denken gegen deutsche Ideologie
Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen bei der Kritik
kapitalistischer Verhältnisse ist zu erfassen. In den Worten von INEX
klingt das so: Es geht darum die konkrete Form und spezifische
ideologische Verfasstheit zu verstehen und zu kritisieren (Broschüre, S.
3).
An der Bestimmung der Wendefeierlichkeiten als nationalistisch zeigt sich
zunächst, dass INEX keinen Begriff vom Nationalismus vorzuweisen hat.
Zu Unrecht beschränkt INEX die antideutsche Kritik auf das staatliche
Deutschland.
Ideologien spricht INEX ein Eigenleben vor der Gesellschaft zu. Aber die
Gesellschaft in ihren tragenden Kategorien ist heute selber Ideologie.
INEX verkennt, dass die Extremismustheorie wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen
links und rechts ausdrückt, insbesondere ein besonderes, deutsches
Verständnis von Demokratie, das auf der Ausschaltung gesellschaftlicher
Vermittlung gründet. Die Extremismustheorie ist vor ihren
verfassungspatriotischen Freunden zu verteidigen (vgl. Sören Pünjer,
a.a. O.) und gegen sie zu wenden.
Mit den Hartz-IV-Gesetzen zog die rot/grüne Bundesregierung ein typisches
postfaschistisches Register. Sie stehen für gewaltförmige Integration
und volksgemeinschaftliche Integration mittels Verbreitung von Angst und
Schrecken durch Politik. Für INEX reduzieren sie sich klassisch
marxistisch auf eine Zunahme der sozialen Spaltung und eine Verstärkung
des Klassengegensatzes, und ein weiteres Mal scheitert die Gruppe am Aufzeigen
postfaschistischer Kontinuität.
Die fortwirkende nazifaschistische Kontinuität zeigt sich gerade am
modernisierten Deutschland, welche die INEX einem anderen, faschistischer
Tradition verhafteten Deutschland entgegensetzt. Für die Gruppe reduziert
sich das besondere Deutsche letztlich auf archaische Überreste, die die
Modernisierung überstanden haben. Damit em-pfiehlt sich INEX als
Stichwortgeber der postfaschistischen Modernisierung Deutschlands.
Weder ist Deutschland ein rassistischer Staat, noch gar zeigt sich darin eine
Kontinuität zum Nazifaschismus. Der Nationalsozialismus hatte wesentlich
antisemitischen Charakter. Ihn als rassistisch zu bezeichnen ist ein zentrales
Moment seiner Verkennung und Verharmlosung. Eine heutige Bezeichnung des
Rassismus als angeblicher NS-Kontinuität führt zum Verkennen der
nazifaschistischen Verbrechen.
Die besondere deutsche Form kapitalistischer Vergesellschaftung besteht im
Verinnerlichen von Staat und Kapital. Die Widersprüche der
kapitalistischen Gesellschaft, durch die die Ware sowohl als Gebrauchswert wie
auch als Wert, der Mensch sowohl als Individuum als auch auf Subjekt auftritt,
treiben sie in die Krise. Deutsche Ideologie versucht diese Widersprüche
real zu verschleiern.
Daher ist Ökonomiekritik nach Auschwitz Ideologiekritik. Die
tragenden Formen der Ökonomie: Wert, abstrakte Arbeit, Geld und Kapital,
erscheinen nach dem Nazifaschismus als sich selbst verschleiernde
Ausdrücke gesellschaftlicher Verhältnisse.
Sie sind ideologisch, weil unter dem Banne des Werts wirklich von
den Produkten abgesehen wird, denn der Wert ist eine gesellschaftlich erzeugte
und praktisch wirksame Verallgemeinerung. Aber, und das ist entscheidend: Erst
aus der Perspektive von Auschwitz zeigt sich sein ideologischer Charakter: In
der liberal-kapitalistischen Produktionsweise wurde zwar bereits real von
Individuen und Produkten abstrahiert, dabei aber die Spannung zwischen sinnlich
existierendem Produkt bzw. sinnlichem Individuum einerseits und der
gesellschaftlich hinter den Rücken und durch den Kopf der Akteure
durchgeführten Abstraktion andererseits gerade ausgehalten. Der
Tausch abstrahiert von den Individuen ohne sie verschwinden zu machen. Ja er
bringt die Individuen und ihren Reichtum in der Abstraktion überhaupt erst
als konkrete hervor! Ohne Wert kein Gebrauchswert und ohne bürgerliche
Subjektivität keine Möglichkeit zur Entfaltung von
Individualität. Erst nachdem die Produkte universal als Waren erschienen,
konnten sie von den Menschen als solche gedacht werden, die als Gebrauchswerte
prinzipiell allen Menschen zugänglich sein müssen. Erst die
Subjektform des einzelnen Menschen machte es möglich, die Menschen
grundsätzlich als Individuen anzusehen, ihnen die Perspektive
völliger Freiheit (Adorno, vers une musique informelle(19)) zu
eröffnen.
Aus dieser liberalen, kapitalistischen entstand eine andere Gesellschaft. In
diesem Produktionsverhältnis des Todes (ISF) wurden die Menschen
selbst zu Abstraktionen und das brachte die Wahrheit über diese
Gesellschaft in schrecklichster Weise ans Tageslicht(20).
Vielen gilt deutscher Faschismus fälschlich als vormodern.(21) Bereits
Nazideutschland war aber hochgradig moderne Konsequenz der kapitalistischen
Gesellschaft(22). So wie der Liberalismus den mörderischen Staat als letzte
Konsequenz in der Tasche zu stecken hat(23), ist der Nationalsozialismus die
Vollstreckung der liberalen Ideologie. Hier spitzt sich zu, was dem Keime nach
bereits vorhanden war. Der einfache Warentausch, die Grundformel
fetischistischer Verkehrung: x Ware = y Ware B, das von Marx zur Gleichung
zusammen gezurrte liberale Denken, ist Auschwitz in Keimform(24). Der
nationalsozialistische Terror, das heißt: Gerade nicht der liberale
Kapitalismus, ist der Vollzug des Fetischismus. Indem der Fetisch der Ware sich
zum Fetischismus der gesamten Gesellschaft ausweitet, ist die Marxsche Kritik
vollkommen bestätigt und zugleich glattweg widerlegt. Im
Nationalsozialismus erfolgte die völlige Zertrümmerung aller in der
bürgerlichen Gesellschaft naturgemäß gewachsenen
Zusammenhänge, der Klassen, Nationen, Verbände und Familien, in die
die Individuen, wie ungerecht und hierarchisch auch immer, eingebettet waren.
Sie wurden aus den Zusammenhängen, in denen sie sich überhaupt erst
zu Individuen formten, herausgerissen, dadurch vollends vereinzelt und als
Individuen zerstört. Als aufgelöste und zertrümmerte, durch und
durch vom Wert durchwirkte, wurden sie mit aller Gewalt und aufgrund freier
Entscheidung in die Synthese der totalitären Volksgemeinschaft gepresst.
In der Krise schwand den bekennenden Deutschen der Boden unter den
Füßen, das Schlimmste also, was Deutschen passieren kann. Dem
steuerten sie entgegen, indem sie sich zur Identität der in sich homogenen
Volksgemeinschaft zusammen zu schmieden versuchten, indem sie die Juden in den
Tod schickten.(25)
Diese spezifisch deutsche Form kapitalistischer Vergesellschaftung ist
universalisierbar und wurde universalisiert. Es besteht keine Veranlassung, sie
als auf das staatliche Deutschland begrenzt zu erachten.
Eingreifendes Denken, also Kritik, zielt darauf, den totalitären
Zusammenhang, der aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgegangen ist,
aufzubrechen. Kritik in diesem Sinne ist das explizite Gegenteil von Politik.
Sie will niemanden zu irgendetwas mobilisieren`, sondern ist bestrebt
beim Einzelnen Erfahrungen freizusprengen, was eher noch einer Demobilisierung
gleichkommt. Sie möchte mit einem Denken, dass so abstrakt wie
möglich ist, Zugang zu verschütteten Gefühlen eröffnen, die
so konkret wie möglich sind. Sie redet in verschwurbelten Begriffen wie
Wert- und Subjektform und hofft damit darauf, erfahrene Angst anzusprechen. Sie
zielt auf Leiden, die erlebt wurden etwa bei der teils erzwungenen teils
freiwilligen Eingliederung in Kollektive, bei dem Gefühl, dass das eigene
Leben ungenutzt und unbefriedigt vorbeistreicht und irgendwann vorbei ist oder
bei der Ausgrenzung von gesellschaftlichem Reichtum. In diesem Sinne ist sie
bestrebt, der Kunst verwandter zu sein als der Politik oder der Wissenschaft.
Martin Dornis