Deutlich auf der Seite des Guten
Über den neuen und ersten Gedichtband von Georg Kreisler
In Deutschland und Österreich wurde er lange auf seine satirisch-sarkastischen Chansons reduziert, doch dieses Bild von Georg Kreisler müsste sich spätestens seit dem Ende seiner öffentlichen Interpretationen dieser Lieder gewandelt haben. Nach zahlreichen Romanen, Essays, Satiren und Inszenierungen eigener Theaterstücke und Opern ist nun erstmals ein Gedichtband von ihm beim Verbrecher Verlag erschienen. Ernst genommen mit der Trennung der Kunstformen und der Spaltung von Kunst und kompromissloser Kritik hat es Kreisler hingegen nie. Kaum jemand vermag es, diese Distanzlosigkeit so zum Ausdruck zu bringen wie eben Georg Kreisler aus den richtigen Gründen. Zusammen mit seiner Frau Barbara Peters stellte er am 21. März diesen Jahres sein neuestes Buch, den Gedichtband Zufällig in San Fransisco Unbeabsichtigte Gedichte, im Centraltheater in Leipzig vor. Eine Auseinandersetzung mit dem Autor und seinem neusten Werk.
Georg Kreisler gibt es gar nicht. So zumindest der Titel einer Biographie von
2007 über den vermeintlichen Grantler mit den bösen Liedern, der sich
in Interviews oft lediglich als Schriftsteller bezeichnet, eigentlich aber
Musiker, Kabarettist, Komponist, Satiriker, Intellektueller und vieles mehr
ist. Er hat meines Erachtens heutzutage noch eine andere Relevanz für den
deutschsprachigen Kulturbetrieb, als dass er lediglich die soeben genannten
Professionen ausübt. Er ist ein Humanist und in gewisser Weise ein
Zeitzeuge, der den Finger in die nationale und ja, spießbürgerliche
Wunde legt.
Das Vaterland, das Militär, dazu das liebe Geld und wenn es
nicht so hässlich wär, wie schön wär diese Welt!
(Außenpolitik)(1)
Georg Kreisler wurde als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und dessen
Frau Hilde 1922 in Wien geboren. 1938, nach dem Anschluss
Österreichs an Deutschland, wurde ihm aufgrund seiner jüdischen
Herkunft die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt und er
musste mit seiner Familie über Genua und Marseille in die USA emigrieren.
So entkam er jedoch glücklicherweise den Vernichtungslagern der Nazis.
Georg Kreisler hätte es also eigentlich schon gar nicht mehr geben sollen.
Unberufen, er hat bis heute die österreichische Staatsbürgerschaft
nicht wiedererlangt, gibt es ihn noch, er ist jetzt 88 Jahre alt und in seinem
Schaffen frappierend aktuell. Er thematisiert wie kein zweiter
deutschsprachiger Künstler eine Vielzahl von Missständen der
Einrichtung der Welt, die im Kulturbetrieb längst in Vergessenheit geraten
zu sein scheinen.
Der Jude ist ja ein Fremder, kein Österreicher, und natürlich auch
kein Deutscher. Unter den Nationalsozialisten war der Jude kein Fremder,
sondern ein Fremdkörper. Das ist ein großer Unterschied.
Um Georg Kreisler zu verstehen, muss man die Erfahrungen seiner frühen
Lebensjahre betrachten. Die Alltäglichkeit des Antisemitismus im Wien
seiner Kindheit und Jugend und der dann folgende, tödliche Judenhass der
Nazis (Das war eine ganz andere Art von Antisemitismus, als wir ihn
vorher erlebt hatten
(2)), prägten und prägen bis heute das Schaffen
Georg Kreislers. Sie sind unter anderem Motiv seiner Kunst und finden auf
vielfältige Weise darin Ausdruck. Nicht nur in seinem neuen Buch, dem
Gedichtband mit Vor-, Zwischen- und Nachwort, spricht er in den Versen und den
Texten über diese Erlebnisse, wie z.B. in
Vergangenheit und
Gegenwart oder
Bismarcks Geheimnis. Auch schon in seinen Liedern,
z.B. in
Schlag sie tot oder in
Nur kein Jud, thematisiert er sehr
direkt, jedoch niemals platt, den Antisemitismus, die Sündenbocksuche, die
Entgrenzung, die Gewalt gegen Minderheiten, den Nationalsozialismus, den
Nationalstolz und die Verdrängung der deutschen und österreichischen
Vergangenheit durch die Deutschen und Österreicher
. Ist er heute
gefragt, redet er in nahezu jedem Interview über die Gründe für
seine Emigration auch ohne direkte Vorlagen und begründet so
sein Schaffen und sich selbst u.a. mit dem Bruch, den der NS in der
Zivilisationsgeschichte und seinem Leben hinterließ.
Und auf einmal Hitler! Die Welt war über Nacht verrückt geworden.
Kreisler beharrt z.B. im Zwischenwort seines Gedichtbandes auf diesen
plötzlichen Turn, auf der Massenpsychose und ihren Rätseln.
Rätsel, die sich auftun und bleiben, wenn etwas sehr Großes,
Übermächtiges und Schlimmes über Einen kommt, wenn dieses
Hereinbrechen aber an vielen Stellen unverständlich bleibt und die
Gründe dafür im Verborgenen liegen. Er führt zum Beispiel die
Rätsel an, welche die wichtigsten politischen Ereignisse der Jahre 1914
und 1938 für ihn aufgeben und welche für ihn vor allem auf der Ebene
des Individuellen liegen. Selbst Intellektuelle befürworten 1914 den
Krieg, der von Deutschland und Österreich ausgeht, sie feiern die Nation
und loben den Größenwahn. Personen wie Thomas Mann, Georg Hauptmann,
Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern, Max Planck und Max
Reinhardt und selbst Sigmund Freud der spätere Begründer der
Massenpsychologie, die er wohl aus einer ähnlichen Fragestellung heraus
entwickelte, wie es Kreisler jetzt tut alle waren sie kriegsbegeistert.
Das konstatiert Kreisler desillusioniert.
Selbst 1938 wurden in Österreich, so Kreisler weiter,
plötzlich die nettesten Leute überzeugte Nationalsozialisten
und das ohne Not und offensichtliche Gründe, den Leuten ging es nicht
schlecht. Für diese Phänomene fehlt ihm bis heute eine ausreichend
begründete Erklärung. Er spricht an dieser Stelle gar von Mythos.
Es sind Gedichte die ich geschrieben habe, um zu wissen was ich denke, siehe
oben.
Eines dieser Gedichte, das dem Buch wohl seinem Titel gab, ist
Schwache Stunden
Am Strand von San Fransisco hat der Mond
bisweilen eine blütenweiße Farbe,
und wer dann zufällig in San Fransisco wohnt,
den schmerzt auf einmal eine alte Narbe.
Das hängt zusammen. Denn der Mond ist blaß,
scheint über mich persönlich nachzudenken,
und mit der Zeit schmerzt mich dann noch etwas,
vielleicht im Kopf, vielleicht in den Gelenken.
Natürlich sagen nüchterne Personen,
ich red mir das nur ein, ich phantasiere,
es gäbe seltsame Assoziationen,
da kriegt man plötzlich Schmerzen in der Niere
Das geb ich zu. Ich habe schwache Stunden,
da glaub ich fest, dass ich in San Fransisco bin.
Die gehen vorbei. Dann ist der Mond verschwunden
und nimmt die Schmerzen mit, wer weiß wohin.
In Verbindung mit seinen Gedanken über den Mythos kommen wir an dieser
Stelle der Unabsichtlichkeit auf die Schliche, die Kreisler im Untertitel des
Bandes andeutet. Denn unbeabsichtigt bedeutet demnach auch ein Verweis auf die
Einrichtung der Welt, der das Individuum ohnmächtig gegenübersteht,
in der es so gut wie keinen Einfluss auf das hat, was passiert bzw. zu haben
scheint. Und zwar indem es sich seinen Platz in der Welt nicht einfach
aussuchen kann, sondern ihn durch schwer zu beeinflussende Prozesse zugewiesen
bekommt, in denen es verloren scheint. Eine Erfahrung, die er auch später
durch fehlende Anerkennung als Künstler in Amerika und bei seiner
Rückkehr nach Europa machen musste. Gedichte helfen Kreisler dabei, die
Welt abzubilden, sie sind da, weil die Welt da ist. Das heißt, die
Gedichte, die er schreibt, seine Texte allgemein, fallen ihm quasi zu, er
hält die Welt um ihn herum in seiner Wahrnehmung künstlerisch fest.
Es sind dabei nicht Kreislers Texte, die bitterböse sind, sondern es ist
die Realität und im Fokus stehen oft Deutschland und
Österreich, denn darüber hat er das meiste geschrieben, das sind die
Orte, an denen seine Kunst passiert. Und hier singt und schreibt er über
die Kleinbürgerlichkeit, über Spießigkeit und Kurzsichtigkeit
der Menschen und der Politik und darüber, dass sich Geschichte wiederholen
kann. Kreisler sagt, er habe einmal das Kapital von Marx durchgearbeitet, und
auch das ist ganz stark zu spüren. In vielen Gedichten im vorliegenden
Band findet sich der kapitalismuskritische Zug, den das Lied
Meine Freiheit
Deine Freiheit so gekonnt zum Ausdruck bringt. Beispielsweise
Ein
Geschäftsmann weiß Rat, in dem er zwar sehr klassisch
kapitalistisch die Skrupellosigkeit des Marktes und seiner Akteure anprangert,
aber eben auch das Spiel thematisiert, in dem dies stattfindet. Hier ein paar
Auszüge:
Man muß die Dinge riechen, dann riecht man, wie sie kriechen,
dann riecht man sich zu ihnen, und dann kann man verdienen.
Und bist du gut gekrochen, verrenkst du
deine Knochen,
musst beugen sie und biegen, um noch mehr abzukriegen
Und siehst du Hindernisse in der Geschäftskulisse,
dann musst du alle töten, zertreten und
verlöten.
Bewerbe Konsumenten und brate Konkurrenten!
Sie schmecken ganz passabel mit einer
spitzen Gabel.
Und steht dir ein Kollege in irgendeinem Wege,
dann musst du ihn zerbrechen, erwürgen und erstechen.
Und wirst du langsam älter, vernichte die Gehälter
und köpfe dein Gesinde und streu es in die Winde!
Und setze dich zur Ruhe auf deiner edlen Truhe!
Hab keine Angst vorm Tode! Dein Tod ist nicht in Mode.
Auch wenn diese Auszüge sehr direkt erscheinen, direkt in der Botschaft,
der Beschreibung und in der Positionierung, gilt es noch zu verstehen, woher
Kreisler die Legitimation für seinen Standpunkt bezieht. Dazu dieses
Zitat:
Nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben, hat Adorno gesagt. So ein
intelligenter Mensch und so ein Unsinn! Als ob Auschwitz oder Gedichte auf
unserem Mist gewachsen wären!
Das Darüberstehen, oder das Danebenstehen ist für Kreisler
essentiell, denn das Fremdsein sei ein Wesen seiner Kunst genau so wie die
Überspitzung. Fremd sei den Menschen auch die Möglichkeit der
Einflussnahme, zumindest denen, die nicht das unmenschliche Zahn um Zahn, das
Du oder Ich mitspielen. Er zählt sich nicht zu diesen Menschen, er steht
auf der richtigen, der (scheinbar) ausweglosen Seite und das ist auch gut so,
denn nur so kann er künstlerisch seinen Standpunkt vertreten, wie er es
tut. Er sieht sich als Teil derer, die den Mythos anerkennen, sich mit ihm
wohlfühlen` und sich bemühen, die Rätsel durch Erkenntnis
zu lösen, die er ihnen aufgibt. Aber er verabscheut dabei logisches
Denken, er sagt gar, dass logisch denkende Menschen ihre Mitmenschen und die
Kunst für überflüssig halten. In diesem Sinne sieht Kreisler
Gedichte auch als Geheimnisse, deren Substanz nicht einfach offen liegt.
Gedichte werden im Dunkeln geboren, wo man sie nicht gleich sieht. Erst
im Licht beginnen sie zu lächeln, wie die Menschen. Ganz im Gegenteil zu
der Musik Richard Wagners. Kreisler schreibt dazu: Jemand wie Richard
Wagner, dessen Aufgabe es war, böse Menschen zu erzeugen, war schon da,
bevor er anfing zu komponieren. Seine Musik ist ein gutes Beispiel für ein
verratenes Geheimnis, das zu einem Feind geworden ist, einem Feind alles Guten.
Seine Opern sind bis heute nichts als ein gutes Geschäft, rational,
berechnend, langweilig und patriotisch. Aus Irrationalem wie der Kunst kann man
nichts Rationales machen und schon gar nichts Nationales. Hier schlägt
also für Kreisler Vernunft in Irrationalität um.
Dies sind meine privaten Analysen, denn ich verliere oft mein Gleichgewicht,
und dann zerplatzt was, tief in meinen Drüsen, wie eine Seifenblase
oder ein Gedicht (Ich, ganz Privat)
Womit Kreisler indirekt benennt, wofür er steht und mit welchen Formen er
dies zum Ausdruck bringt. Formen des ästhetischen und rhetorischen
Widerstands. Er meint die Subversion, die Provokation und den
Tabuverstoß, die er aber im heutigen Kulturbetrieb aus
Aufmerksamkeitserzeugung und Selbstwillen ins Absichtslose gedriftet sieht.
Absurdität und Naivität, eine wohltuend vortheoretische Neugier
fallen mir ein, wenn ich Kreislers Gedichte lese. Oft groteske, entworrene
Konstruktionen, die ihren Sinn zwischen scheinbarer Flapsigkeit und
Infantilität verstecken. Gedichte, die aufreizen und sich mit Albernheit
verdecken. Ihr Ziel ist der Aufschrei und die Erkenntnis, nicht der Trost und
nicht die einfachen Lösungen. Kreisler konstatiert eher eine Art
Beklemmung und Ausweglosigkeit mit den vielen kleinen und großen
Ausweglosigkeiten und paradoxen Enttäuschungen. Fast schon so, als ob es
keinen Punkt gibt auf den man sich zurückziehen und ausruhen kann, weder
in der Vergangenheit noch in der Gegenwart oder Zukunft. Weder mit irgendeiner
Heimat noch der Musik, der Literatur und der bildenden Kunst, nirgends. Nicht
einmal in Israel, wohin der nach eigenen Worten ständig auf gepackten
Koffern sitzende einst fuhr, um sich auch dort nicht wohl zu fühlen
was nicht heißt, dass er es nicht politisch verteidigen würde.
Die Demokratie und das Vaterland loben, dazu sind wir da, und nicht nur die da
oben. Ach öffnet das Tor! Laßt uns alle hinein! Wir sind doch nicht
da, um kritisch zu sein. (Die Nation)
Georg Kreisler kann sich noch immer nicht vorstellen, etwas zu
schreiben, was ohne Protest ist. Gegen das Gegenwärtige, gegen
Selbstverständlichkeiten und Sicherheiten. Exemplarisch dafür das
Gedicht
Ins Stammbuch.
Jede neue Erkenntnis kommt zu spät.
Man soll bei alten Erkenntnissen bleiben,
kann sie verniedlichen oder umschreiben
und die neuen leugnen, so lange es geht.
Mit alten Erkenntnissen geht man
spazieren,
eine neue Erkenntnis ist allen peinlich.
Denn die Menschen sind intolerant und kleinlich,
und neue Erkenntnisse irritieren.
Umdenken ist ein gefährliches Wort.
Man kann es hegen, aber nicht pflegen,
sondern nur kurzfristig überlegen,
und am nächsten Morgen ist es wieder fort.
Der heimatlose Kunstvagabund, die Wanderniere, der Narr, der weiß, dass
er einer ist, der Anarchist ist in der Kunst zu Hause, die für ihn immer
politisch ist. Insofern ist er auch noch immer leidenschaftlich und im
Vergleich mit ähnlichen Künstlern seines Genres kann er als radikal
bezeichnet werden. Wobei er so feinsinnig übertreibt, dass gleichzeitig
die Grenzen zwischen Ernst und Humor verschwimmen, sich aber der kritische
Gehalt dabei nicht auflöst, sondern durch diese Mischung verstärkt.
Gut zu sehen in Gedichten wie
Ablehnung.
Hüte dich vor Kompromissen!
Das sind keine Leckerbissen.
Meide jede Konzilianz,
denn die nagt an der Substanz.
Wenn's der Sache ähnlich sieht,
denke an den Unterschied!
Laß dich nie auf Schlichtung ein!
Aussöhnung kann teuer sein.
Ausgespuckt und hingeschmissen
sind ein sanftes Ruhekissen.
Kreisler fühlt sich noch immer unverstanden und das ist er auch, zumindest
in den Breiten des deutschsprachigen Mainstream. Innerhalb dessen bleibt er
noch immer die Ausnahme. Er wird noch immer auf sein berühmtes
Taubenvergiften reduziert und gilt den großen Institutionen noch
immer als verquer. Wenn das in diesem Zusammenhang bedeutet, dass er subversiv
sei, nimmt er das sicher auch im hohen Alter noch als Kompliment. Seine
Gedichte jedenfalls sind so vielfältig wie sein Leben, wie die Anekdoten,
die es noch über ihn zu erzählen gäbe. Sie sind so kompromisslos
kritisch wie humanistisch und von der Einsicht geprägt, dass die Ideen
seiner Kunst kaum auf die Sphären von Politik und Alltag übertragbar
sind. Sie sind dabei aber nicht mutlos und verzweifelt, ebenso wenig wie Georg
Kreisler es ist. Das Buch ist voller Beweise.
Norma Tief
Georg Kreisler: Zufällig in San Francisco Unbeabsichtigte Gedichte, erschienen 2010 im Verbrecher Verlag. 128 Seiten, 19 Euro.
Anmerkungen
(1) Alle vor einem Absatz gestellten kursiven Zitate und in diesem Text angeführten Gedichte stammen aus dem zu besprechenden Buch.
(2) Kreisler im Interview mit konkret:
http://www.georgkreisler.de/gk_02c_e02.html.