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Metaphysik scheint ein abseitiges, lediglich einem Sonderbereich der Philosophie
zugehöriges Thema zu sein. Und doch hat die Rede von der Metaphysik im
Theoriekosmos einer an die Kritische Theorie und Karl Marx anschließenden
Linken eine gewisse Präsenz. Das war der Anlass für diesen
zweiteiligen Einführungsartikel. Weil für eine umfassende Darstellung
besser ein einschlägiges Buch konsultiert werden sollte, hat der erste
Teil dieses Textes ganz bewusst eigene Schwerpunkte gesetzt. Deswegen stand
Metaphysik vor allem als Natur- und Welterkenntnis im Vordergrund. Im zweiten
Teil soll versucht werden, weiter in die entsprechenden Theoriediskussionen
einzuführen und zwar entlang des Begriffs der Real-Metaphysik. So selten
der Begriff als solcher verwendet wird, es verbirgt sich dahinter ein Problem,
das weit umfassender ist, es als es zunächst den Anschein hat. In der
Folge wird also behandelt, wie sich Menschen zu metaphysischen Formen in
Beziehung setzen und inwiefern die Begriffe der Metaphysik zur Beschreibung von
Gesellschaft nützlich sind.
Metaphysischer Horror
Als metaphysischen Horror hat der 2009 verstorbene Philosoph Leszek
Kolakowski einmal das inzwischen gut zwei Jahrtausende dauernde Suchen der
Philosophen nach einem letzten Grund beschrieben, genauer gesagt, das
Erschrecken und Staunen über die Sphären in die man sich dabei
begibt.(1) Horror metaphysicus deswegen,
weil es ein Bedingungsverhältnis gibt, zwischen der Rede vom Absoluten,
dem Selbst und dem Nichts bei dem jeder der drei Begriffe in der Reflexion
zerfällt und nur qua Gewaltstreich festgehalten werden kann. Hier handelt
es sich mitnichten um ein Problem, das sich nur innerhalb endloser
Büchermeter abspielt, sondern auch um die letzten Fragen unserer Existenz.
Das Bedürfnis nach Antworten auf diese Frage scheint sich bis zum heutigen
Tag nicht stillen zu lassen.
Die Sehnsucht nach dem Absoluten, der Wunsch nach Identität mit einem
übergreifenden Ziel oder Prinzip, blitzhaft zusammenschießend in der
Tat oder dem Ereignis, ist in der Moderne ein zentrales und
geschichtsträchtiges Element revolutionärer Politik.
Eindrücklich dargestellt hat dies André Malraux in seinem Roman
La Condition Humain aus dem Jahr 1946. In einem Gespräch zwischen
den beiden chinesischen Revolutionären Tschen und Kyo sinniert letzterer:
Er hatte oft genug den Worten seines Vaters gelauscht, um zu wissen,
daß, wer so gierig das Absolute sucht, in Wirklichkeit nur die Sensation
sucht. Sehnsucht nach dem Absoluten, Sehnsucht nach der Unsterblichkeit, also
doch Angst vor dem Tode. (...) Aber wie jeder Mystiker spürte auch Tschen,
daß ihm das Absolute nur in der Glut des Augenblicks greifbar werden
konnte.(2) Im Laufe des Buches wird Tschen bei einem
Selbstmordanschlag ums Leben kommen. Kyo entscheidet sich in Gefangenschaft
für den Freitod durch eine Giftkapsel.
Das ist eine ganz eigene Art der realen, wirklich gewordenen Metaphysik. Es
wird versucht, das über allem stehende Ziel, die große Sache,
innerweltlich zu verwirklichen und damit teilzuhaben an grundlegenden
Wesensstrukturen der Existenz. Natürlich handelt es sich hier um etwas
anderes als das Verständnis von Real-Metaphysik, das wir später
untersuchen werden. Aber es weist uns den Weg auf ein Verständnis von
Metaphysik, in dem dieser Begriff in einem politischen Sinne kritikabel wird.
Denn die politische Gewalt, die Malraux hier in Szene setzt, zeichnet sich
durch ein bestimmtes Verhältnis von innerweltlichem Handeln und der
Verwirklichung eines quasi überzeitlichen Absoluten aus. Im Moment der Tat
verschwindet für die Akteure jeder konkrete historisch-politische Bezug.
Alles zieht sich zusammen auf einen Punkt, an dem durch eine bestimmte Praxis
in diesem Falle der Wille, für die Revolution zu sterben
beansprucht wird, etwas Absolutes zu realisieren oder daran teilzuhaben. Bei
den Charakteren in La Condition Humaine wird der metaphysische
Zugang zur Welt ganz bewusst vollzogen: Für Tschen und Kyo ist die Welt
nur dann sinnvoll, wenn sie im Rahmen existenzieller und damit unhistorischer
Begriffe (Absolutes, Unsterblichkeit oder moderner: Emanzipation, Freiheit)
begriffen wird. Eine metaphysische Theorie oder Weltbild kann also in dem Sinne
real sein, dass die Handelnden sich an den, in der Theorie gesetzten, letzten
Zielen orientieren, sie als wirkliche Ziele begreifen und sie deshalb in
bestimmtem Sinne auch in die Wirklichkeit setzen.
Die Trennung zwischen dem, was als metaphysisch und was als real gilt, ist aber
keineswegs leichtfertig zu ziehen. Glaubt man etwa an die Emanzipation der
Menschheit oder an den Kommunismus, dann hat man dafür erst einmal kaum
Anhaltspunkte in der Realität, man kann seinen Glauben, weil es ein
Glauben ist, nicht so begründen, wie man begründen kann, dass man
Hunger hat. Man nimmt gewissermaßen Kredit bei der Metaphysik in der
Hoffnung, dass die Welt doch so eingerichtet werden kann, dass die Menschen
sich frei entfalten können. In dem Sinne ist Metaphysik auch nicht einfach
zu verdammen. Sie ist vielmehr Teil des menschlichen Lebens und zum Guten wie
zum Schlechten brauchbar. Etwas anderes ist jedoch das Problem der
Real-Metaphysik unabhängig davon ob ihr tatsächlich dieser
Name gegeben wird. Der Sache nach haben wir es immer dort mit ihr zu tun, wo
man davon spricht, dass sich menschliche Verhältnisse und Beziehungen so
verselbständigen, dass sie analog traditionell metaphysischer
Problemstellungen beschrieben werden können. Was damit gemeint ist, soll
im nächsten Abschnitt verdeutlicht werden.
Real-Metaphysik
Ein paar wenige Worte vorab: Vielleicht findet sich einmal ein kritischer
Geist, der ein kleines Büchlein über das Präfix real
schreibt; er könnte damit einiges Aufhellendes zutage fördern. So
haftet dem Wörtchen real in einigen seiner Verwendungen
paradoxerweise das Echo gerade des Nicht-realen, d.h. des Unechten oder
Uneigentlichen an. Ist nicht Realpolitik die den Umständen
abgerungene Einsicht, dass es eben jetzt an der Zeit sei dies zu tun und
nicht das, worauf es eigentlich ankäme? So zumindest ist die
Redeweise in der radikalen Linken: Realpolitik gilt allerhöchstens als
Abglanz der echten Politik der kommunistischen Revolution. Ganz
ähnlich sieht es bei dem Begriff Realsozialismus aus. Und
heißt eine linksradikale Zeitschrift nicht im Untertitel
Zeitschrift gegen die Realität? Von welchem Standpunkt aus ist
dieses gegen formuliert? Bedeutet es, dass man sich selbst
außerhalb der Realität befindet? Man kann sich nur außerhalb
der Realität befinden, wenn die Realität nicht alles ist, wenn es
noch eine andere Instanz gibt, die die Realität wenn nicht
praktisch, so doch wenigstens theoretisch zu korrigieren vermag.
Was als Unwort erscheint warum sollte man bei etwas offensichtlich
Existierendem noch einmal betonen, dass es auch real sei?
erschließt sich also erst, wenn man es als Gegenbegriff liest. Der
Realsozialismus ist vielleicht der historisch existierende, aber keinesfalls
der, den wir (wer auch immer das sei) wollen.
Wie steht es nun mit der Rede von der Real-Metaphysik? Ist der Begriff
nicht eigentlich auch ein Unwort? Schließlich zeichnet sich die
Metaphysik doch gerade dadurch aus, dass sie nicht real im unmittelbaren
Sinne des Wortes ist. Werfen wir einen flüchtigen Blick in die Geschichte
der Philosophie, dann haben wir es an den wenigen Stellen, da das Wort
auftaucht ebenfalls mit einem Abgrenzungsbegriff zu tun, wobei das
Präfix real hier gerade das Authentische und Echte gegenüber
einer verwässerten, defizitären Form hervorheben soll.(3)
Im Kontext der Neuen Marx Lektüre, zu der man hier auch Robert Kurz
hinzuzählen kann, wird ebenfalls von Real-Metaphysik gesprochen oder
zumindest dem Problem nach behandelt. Hier kehrt sich die Sache um und der
Begriff der Metaphysik bekommt eine kritische Wendung.(4) Ging es in der
Philosophie um einen von der sinnlichen Welt unterschiedenen Bereich
philosophischer Reflexion, der die Bedingungen des Denkens wie die
Konstitutionsprinzipien der Welt enthalten sollte, wendet sich diese Art der
Kritik gegen die Verselbständigung objektiver Formen.
Aber der Reihe nach. Um den Kontext zu verstehen, in dem in der Kritischen und
der Marxschen Theorie von Metaphysik die Rede ist, vergegenwärtigt man
sich am besten die historischen Bezüge in denen diese Schriften stehen.
Die Frage nach einer realen Metaphysik wird dabei brisant im Zusammenhang mit
der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft.
Wir können hier selbstverständlich nicht alle Feinheiten der
Diskussion nachzeichnen und formulieren nur die gröbsten Umrisse.
Auseinanderzuhalten sind dabei zwei Ebenen der Analyse: zum einen die immer
präsente Kritik an der Metaphysik als Affirmation bestimmter
Verhältnisse und ihrer dualistischen Struktur (Wesen und Erscheinung
fallen auseinander) als falsche Analyse des Gegenstandes. Zum anderen aber
und hier kommt die Rede von der Real-Metaphysik ins Spiel die
Benutzung der metaphysischen Methodik zur Analyse der kapitalistischen
Produktionsform. In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts beginnt der junge Marx
seine Analyse der modernen Gesellschaft zu entwickeln. Er tut dies in
Auseinandersetzung mit dem Autor, der für ihn die bislang beste Analyse
der politischen Verhältnisse vorgelegt hat und das ist Hegel. Marx` Kritik
an Hegel ist zu weiten Teilen eine klassische Kritik der Hegelschen Metaphysik.
Hegel analysiert die politischen Verhältnisse deswegen nicht adäquat,
weil er mit den falschen Voraussetzungen beginnt. Hegel geht nicht von den
Menschen, den Individuen und den Verhältnissen in denen sie stehen aus,
sondern von Allgemeinbegriffen, die gewissermaßen nur Zusammenfassungen
oder Abstraktionen der Verhältnisse des Menschen sind. Damit sind zwei
schwerwiegende Konsequenzen verbunden. Zum einen gerät Hegel immer wieder
in Gefahr, die Gesellschaft falsch zu analysieren, da er das Ergebnis seiner
Analyse die allgemeinen Begriffe schon vorgebildet hat. Zum
zweiten hat die Hegelsche Analyse die politische Konsequenz, dass die
allgemeinen Begriffe zu ewigen Begriffen werden. Marx hingegen betont, dass sie
zeitgebunden sind und einen historischen Charakter haben. Zur Erläuterung
ein Beispiel: Hegel spricht immer wieder davon, dass Staaten, Religionen oder
Verfassungen etwas täten. Marx hingegen betont, dass Staaten, Religionen
oder Verfassungen gar nichts tun, Handelnde sind einzig und allein die
Menschen. Man muss von diesen ausgehen, wenn man Gesellschaften analysieren
will.
So weit die Marxsche Kritik, hier scheint allerdings schon eine Schwierigkeit
auf, der sich Marx auch bewusst war. Denn Individuen oder Menschen sind keine
leeren Blätter von denen man einfach ausgehen kann. Sie sind, das ist ein
Allgemeinplatz, durch die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt, in
denen sie leben und aufwachsen. Dennoch sind es einzig und allein die Menschen,
die diese Verhältnisse produzieren und reproduzieren, wenn eben auch nicht
und das ist für den Begriff der Real-Metaphysik entscheidend
in einer ihnen völlig transparenten Form. Sie kennen die Konsequenzen
ihrer Handlungen nicht, wissen also nicht, was sie tun. Marx Hoffnung ist nun
und oben haben wir versucht anzudeuten, dass diese Hoffnung in gewissem
Sinne auch metaphysisch, außerweltlich ist , dass sie ihre
Handlungen transparent gestalten können. Dies ist aber nicht der heutige
Zustand und auch nicht der, den Marx vorfindet, und so stellt sich ihm das
drängende Problem, wie er die kapitalistische Produktionsform analysieren
kann. Er tut dies letztlich nach einigem Ringen, indem er die metaphysischen
Redeweisen benutzt, die er etwa bei Hegel vorfindet.
Den metaphysischen Gehalt der Marxschen Schriften kann man in zwei Stufen
charakterisieren. Für die erste Stufe springt man am besten direkt in die
Marxsche Analyse der grundlegenden Begriffe von Wert und Wertform. Bekanntlich
denkt Marx zu Beginn des Kapitals über das Verhältnis zweier Waren
Rock und Leinwand nach und darüber, wie es
möglich ist, dass zwischen diesen beiden ein Gleichheitsverhältnis
besteht. In aller Kürze kann gesagt werden, dass das
Gleichheitsverhältnis zwischen Rock und Leinwand in ihrem
ökonomischen Wert besteht, Rock und Leinwand besitzen also eine ihnen
gemeinsame Eigenschaft, den Wert. Diese Eigenschaft macht es überhaupt
erst möglich, sie gleichzusetzen, denn, wie Marx betont, alle anderen
Eigenschaften, die Rock und Leinwand zukommen, lassen eine solche Gleichsetzung
nicht zu. Nun ist diese Eigenschaft aber eine besondere Eigenschaft, sie ist
nicht (unmittelbar) sinnlich oder praktisch wahrnehmbar. Man kann sie als
gesellschaftliche Eigenschaft bezeichnen. Sie ist, wie Marx sich
ausdrückt, etwas Allgemeines. Es existiert nun folgende Situation:
Rock und Leinwand sind gleichgesetzt aufgrund einer banal
ausgedrückt unsichtbaren Eigenschaft, auf Grund des Werts. Gelingen
kann diese Gleichsetzung aber nur, wenn anstatt der unsichtbaren,
gesellschaftlichen Eigenschaft eine andere Eigenschaft zu Gleichsetzung
herangezogen wird. Der Wert benötigt quasi eine Stimme, einen Ausdruck.
Dies ist im Falle von Rock und Leinwand entweder die Quantität der
Röcke oder die Quantität der Leinwand. Marx formuliert bewusst in
einer metaphysischen Sprache: Diese Verkehrung, wodurch das
Sinnlich-Konkrete nur als Erscheinungsform des Abstrakt-Allgemeinen, nicht das
Abstrakt-Allgemeine umgekehrt als Eigenschaft des Konkreten gilt,
charakterisiert den Werthausdruck. Sie macht zugleich sein
Verständniß schwierig. Sage ich: Römisches Recht und deutsches
Recht sind beide Rechte, so ist das selbstverständlich. Sage ich dagegen:
Das Recht, dieses Abstraktum, verwirklicht sich im römischen
Recht und im deutschen Recht, diesen konkreten Rechten, so wird der
Zusammenhang mystisch.(5)
Das Besondere am Wertausdruck ist also, dass die mystische Formulierung
Der Wert tut das und das bzw. Der Wert drückt sich aus einen
erkenntnisfördernden Gehalt hat. Dies allein ist erst einmal noch nicht so
ungewöhnlich. Man kann eine Menge an Beispielen finden, in denen eine
solche Sprechweise benutzt wird und sinnvoll ist. Viele Eigenschaften
können sich nicht durch sich selbst ausdrücken. Etwa die Länge.
Auch beim Messen der Länge findet eine Verkehrung statt. Auch hier haben
wir eine Praxis, in der eine allgemeine Dimension Gegenständlichkeit
gewinnt. Ein Stück Holz oder Plastik etwa, verkehrt sich in ein Lineal, da
nur noch die abstrakte Eigenschaft Länge für die Benutzerin
des Lineals eine Rolle spielt. Der sinnlich-konkrete Gegenstand Lineal
wird zur Erscheinungsform eines Allgemeinen und Abstrakten. Ich kann sagen:
Die Länge verwirklicht sich im Lineal., anstatt: Die
Länge ist eine Eigenschaft dieses Stückes Holz.
Man kann diesen Prozess der Vergegenständlichung eines Unsinnlichen auch
durch den Abstraktionsbegriff zu fassen suchen. Dies ist deshalb wichtig, wie
wir gleich sehen werden, da es Marx um die Destruktion der Eigenschaft
Wert geht und nicht um ihre Analyse. Destruieren kann man aber nur
etwas, was nicht ewig ist, so wie man nur das zerstören sollte, was nicht
gut ist. Dies wirft die entscheidende Frage auf, wie es denn überhaupt zur
Verselbständigung kommt. Die Marxsche Antwort auf diese Frage operiert mit
einem eigentümlichen Abstraktionsbegriff, der nun skizziert werden soll.
Weiter oben hatten wir kurz erwähnt, dass Marx Hegel vorwirft, falsche
Abstraktionen zu bilden und in Folge die falschen Allgemeinbegriffe zur Analyse
der Gesellschaft zu benutzen. Diese Art von Abstraktionen sind Abstraktionen
wie sie Wissenschaftler oder Philosophen benutzen, es sind Denkabstraktionen.
Die Art von Allgemeinheit wie sie das Lineal oder das Geld repräsentieren
können nun auch als Abstraktionen beschrieben werden, sie entstehen aber
nicht durch das Denken allein, sondern durch unser Alltagshandeln.(6)
Es sind in diesem Sinne praktische Abstraktionen oder reale
Abstraktionen, die als Ergebnis einer Praxis handlungswirksam werden.(7) Man kann dies am Lineal verdeutlichen. Das Lineal
entsteht dadurch, dass man misst, d.h. Gegenstände ihrer Länge nach
vergleicht, einen Gegenstand dabei aussondert und diesen für alle weiteren
Meßvorgänge verwendet. Hat man das Lineal (oder den Wert) als etwas
analysiert, das gemacht wurde, dann eröffnet sich die Möglichkeit zu
sagen: Es geht auch anders. Bleibt man jedoch dabei stehen, nur die statischen
Eigenschaften des Lineals (hier ist das Willkürliche der Maßstab,
als das metrische System) zu benennen, dann verschleiert man den
Prozesscharakter der Entstehung des Lineals (oder des Geldes/ Wertes) und
affirmiert ihn der Tendenz nach. Natürlich kommt der Vergleich zwischen
Lineal und Geld an eine Grenze, denn die Länge ist so weit wir wissen eine
natürliche Eigenschaft der Dinge, der Wert hingegen nicht.
Nun zur zweiten Stufe des metaphysischen Gehalts der Marxschen Schriften: Ein
weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Wert und Länge oder zwischen
Wertausdruck (Geld) und Lineal, ist der, dass die kapitalistische
Produktionsweise durch die Wertform nicht vollständig beschrieben wird.
Beim Lineal ist die Geschichte hier zu Ende und außer bei
Linealfetischisten oder Wetterhäuschenfanatikern findet der nächste
entscheidende Schritt, die Verselbständigung dieses Mittels
nicht statt. Der Begriff der Verselbständigung des Geldes, bzw. dessen was
es ausdrückt, des Wertes, ist es aber, der dazu führt, dass man
innerhalb der Marxschen Theorie von der Herrschaft des Allgemeinen, des Wesens,
der gesellschaftlichen Strukturen es gibt hier viele Begriffe und es
wird sich viel darüber gestritten, welcher am besten passt
über das Besondere spricht.
Marx sagt über die konkrete Entstehung der Verselbständigung nicht
viel. Er benennt aber die Praxen die dafür verantwortlich sind. Der
objektive Wert entsteht durch die wiederkehrende Verwendung des Tauschmittels
Geld, also durch den systematisch betriebenen geldvermittelten Austausch. Der
Zwang zur Akkumulation von Kapital (hier ist Marx aber noch undeutlicher)
ergibt sich durch die Konkurrenz. Wir haben es in beiden Fällen mit
kollektiven Handlungsformen zu tun, d.h. mit menschlichen Beziehungen, durch
deren ständige Betätigung sich die Herrschaft der allgemeinen Formen
ergibt.
Kommen wir noch einmal auf den Begriff des Realen zurück. Real ist
die Metaphysik im Marxschen Sinne, weil sie Prozesse beschreibt, die auf unser
Leben Auswirkungen hat. Der Unternehmer muss Profit erwirtschaften, wenn er
denn Unternehmer sein möchte. Der Konsument muss diesen Preis bezahlen,
wenn er denn dieses Produkt kaufen möchte. In diesem Sinne sind wir
menschlichen Beziehungen und Verhältnissen unterworfen und diese
Beziehungen lassen sich durch ein begriffliches, theoretisches System
beschreiben, wie es mit dem Marxschen Kapital vorliegt. Prinzipiell ist dieser
realen Metaphysik aber zu entkommen, nämlich dann, wenn man nicht kauft,
nicht verkauft oder nicht Unternehmer wird. Einiges spricht einem Ausweg jedoch
auch entgegen: die Ohnmacht des Einzelnen, der Fetischismus, d.h. die
Verschleierung der Gewordenheit der gesellschaftlichen Formen und nicht zuletzt
die Frage nach einer besseren Alternative darauf können wir hier
nicht weiter eingehen.
Wir haben hier die Frage nach der Realmetaphysik in sehr allgemeiner Form
dargestellt und alle Debatten, die im Detail um sie geführt werden
außen vor gelassen. Deutlich sollte jedoch geworden sein, dass die Rede
von der Real-Metaphysik im Wesentlichen problematisierend ist. Sie zeigt
Leerstellen anderer Theorien auf wie es Hans-Georg Backhaus seit Jahr
und Tag anhand eines wirtschaftswissenschaftlichen Beitrags nach dem anderen
tut und beschreibt diese mit Begriffen der traditionellen Metaphysik,
die wiederum kritisch gewendet werden. Dabei geht es um die Kritik einer
Gesellschaft, der ihre eigene Reproduktion, das Prinzip was ihr sowohl Krise
als auch Stabilität verleiht, nicht unmittelbar einsichtig ist und die
damit den Schein der Ewigkeit und Unveränderbarkeit erhält. In dieser
Konstellation erkennt die Kritik eine sich wiederholende Problemstellung der
traditionellen Metaphysik, nur wird diese nicht affirmativ verhandelt, sondern
im Hinblick auf ihre Abschaffung. Im Vergleich zu einer Wahrnehmung der Natur
als von Geistern und Seelen durchwirktes Gebilde war die Metaphysik selbst ein
Stück Vergeistigung und Entmythologisierung. Ähnliches soll nun noch
einmal durch die Kritik der gesellschaftlich hergestellten Real-Metaphysik
geschehen. Nicht nur sollen die grundlegenden Prinzipien der Gesellschaft zu
Bewusstsein kommen, sondern auch eine Überhöhung der
Produktivkräfte zu einer quasi-metaphysischen absoluten Potentialität
anders gesagt als unhintergehbares Mittel für gesellschaftlichen
Fortschritt soll kritisiert werden; darin liegt der politische Kern der
Diskussion.(8) Damit argumentiert diese Kritik im Sinne
der Aufklärung. Sie strebt zum einen Historisierung an: Bewusstseins- und
Gesellschaftsformen sind nichts ewiges, historisch bedingt. Zum anderen beruht
die Aufklärung auf einem Ideal der Transparenz: Was die Gesellschaft
konstituiert und wie sich das Besondere mit dem Allgemeinen vermittelt, soll
einsichtig und damit in letzter Instanz kontrollierbar sein.(9) Doch dies scheint
zunehmend hinter den exegetischen Debatten zu verschwinden. Ebensowenig
behandelt der Diskurs über die Real-Metaphysik die Frage, wie eine solche
Gesellschaft frei von Intransparenz, frei von Verselbständigungen
auszusehen hätte. Das mag auch mit einer zunehmenden Akademisierung
zu tun haben, obgleich sich die Diskussionen mehrheitlich außerhalb der
Universitäten abspielen.(10) Dass auch diese Einführung dazu nichts
beiträgt, sei zugestanden.
Abschließende Worte
Wozu also die Beschäftigung mit der Metaphysik? Trotz seiner Betonung des
metaphysischen Horrors hat Leszek Kolakowski auch in präziser wie
entwaffnender Lakonik die Metaphysik zunächst einmal an die Irrelevanz
erinnert, die ihr auf den ersten Blick zuzukommen scheint.(11) Was wirklich ist und was nicht, was
hinter der Welt sei, ob diese überhaupt existiere oder ob nicht
jeweils nur das eigene Ich jedes Menschen wirklich sei: all diese Fragen sind
praktisch so gut wie belanglos. Wer auf einen Baum zufährt und dem
Unfalltod entgehen möchte, wird nicht anders können, als eben diesen
Baum als ganz manifest wirklich anzunehmen und auszuweichen. Je
komplexer jedoch die Zusammenhänge umso weniger schlagend ein solcher
Einwand. Mit anderen Worten: Die Metaphysik ist keinesfalls gegenstandslos. Nur
gilt es ihre jeweiligen Zusammenhänge genauestens zu trennen. Wie im
ersten Teil des Artikels gezeigt wurde, spricht einiges dafür, dass
rationale Naturerkenntnis nicht ohne Metaphysik auskommt(12) und dass ein
moderner Wissenschaftsbetrieb durchaus metaphysische Abgründe
hat.(13) Wie im zweiten Teil versucht wurde zu zeigen, gibt es auch eine Art und
Weise der Begründung politischen Handelns aufgrund metaphysischer
Annahmen. Das ist nicht zuletzt eine sehr deutsche Tradition, wie sich bspw. an
der metaphysischen Überhöhung des Begriffs Kultur zeigen
ließe, der in der deutschen Geschichte ganz bewusst in Abgrenzung zu
einem pragmatischen, innerweltlichen Politikverständnis formuliert wurde.
Am deutlichsten wird dies jedoch an religiöser, mit metaphysischen
Weihen versehenen Gewalt. In ihr liegt nicht nur die Tendenz zur Entgrenzung
und der Verschleierung tatsächlicher politischer Konflikte, sondern auch
eine enorme Herausforderung für eine westliche Aufklärung. Denn der
Absolutheitsanspruch einer auf religiöser Offenbarung beruhenden Wahrheit
steht der Moderne diametral entgegen. Und dann ist da noch ein als
Real-Metaphysik beschriebenes gesellschaftliches Produktionsverhältnis,
das auf Kategorien beruht, die auf wundersame Weise ein Eigenleben entwickeln.
Nicht nur, dass den Menschen ihr eigenes Handeln um Umgang mit Ware und Geld
nicht einsichtig ist, wird hier problematisiert, sondern auch, dass dieses
verselbständigte System objektiver Formen beständig Krisen produziert
und strukturell dafür sorgt, dass der produzierte Reichtum und seine
Verfügbarkeit in keinem gerechten Verhältnis stehen. Es mag sich mit
all dem nur vermittelt Politik machen lassen. Doch ein Denken, das sich
davon nicht an die Kandare nehmen lässt, wird Metaphysik zumindest ernst
nehmen müssen.
Walter Schrotfels, Martin Eichler