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The same proce­dure as last year...

Über die Naziszene in Leipzig, die Drecksnester drumherum und die notwendige Intervention

Wie im letzten Jahr an gleicher Stelle eine Einschätzung der Naziaktivitäten in Leipzig und im Leipziger Umland, sowie die Reaktionen der Leipziger radikalen Linken darauf.(1)
Für die letzten Jahre muss rückblickend eine Zunahme der Naziaktivitäten und -organisierung festgestellt werden. Die Gegenaktionen der radikalen Linken waren dahingehend zum Teil erfolgreich, z.B. wenn Naziaufmärsche in Leipzig behindert werden sollten. Eine gemeinsame Strategie oder Vorgehen der radikalen Linken gegen die zunehmende Stärke der Nazis in Sachsen scheint es aber aktuell nicht zu geben, obwohl die aktionsorientierte Mobilisierung gegen Naziaufmärsche innerhalb der Linken weiterhin die erfolgreichste von allen Aktionsformen ist.
Dies klingt für viele nach dem typischen „Alarmismus“ von Antifa-Texten. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass sich rückblickend in den letzten Jahren vor allem in der Umgebung von Leipzig eine Situation entwickelt hat, die zunehmend an die 90er Jahre erinnert. Die parolenhaft vorgetragene Floskel der „national befreiten Zonen“ muss in vielen Regionen nicht mehr deklariert werden. Sie ist dort bittere Realität.
Die radikale Linke in Leipzig hat 2009 ihren inhaltlichen Schwerpunkt gezielt auf die „Wendefeierlichkeiten“ gesetzt und damit im weitesten Sinne Gesellschaftskritik betrieben. Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit dieser Thematik war in dieser Intensität notwendig und rückblickend eine der erfolgreichsten Kampagnen der letzten Jahre. Allerdings scheint es aktuell so, dass für einen großen Teil der radikalen Linken die Nazis in Sachsen nur eine Randnotiz wert sind. Dass dies nicht so sein sollte, soll im folgenden Artikel erläutert werden.

Für die Nazistrukturen in Sachsen muss konstatiert werden, dass die Organisierung der Nazis gefestigt wurde. Die Kooperation der Freien Kameradschaften mit der NPD entwickelt sich mehr und mehr zu beiderseitigem Vorteil. Auf der einen Seite stehen die Freien Kameradschaften, die strukturell und personell in die „demokratisch legitimierten“ Strukturen der NPD in Sachsen und bundesweit integriert werden. Dies führt unter anderem dazu, dass Nazis aus Sachsen bei der Landtagsfraktion angestellt werden und mit ihrer Tätigkeit „für die Sache“ ihren Lebensunterhalt bestreiten. Mit ihrer Aktivität innerhalb von Parteistrukturen tragen sie zur inhaltlichen Verschiebung politischer Positionen und damit zu einer Radikalisierung bei. Diese „demokratisch legitimierten“ Strukturen bieten den Freien Kameradschaften eine gewisse Sicherheit vor staatlicher Repression. Die NPD-Jugendorganisation JN wird von „Freien Kräften“ dominiert. Ein Trend der bereits in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt zu beobachten war. Nicht zufällig wurden in näherer Vergangenheit vier neue „Stützpunkte“ der JN in Sachsen gegründet. Für die NPD sind steigende Mitgliederzahlen, insbesondere die Integration jüngerer Mitglieder sowie deren Engagement in den dörflichen und kleinstädtischen Regionen, von besonderem Interesse. Sie ermöglichen ein breiteres Fundament für die politischen Positionen der NPD in den ländlichen Regionen und eine demokratische Mitbestimmung in den Stadt- und Regionalparlamenten. Nicht zu vergessen die deutlich gestiegene finanzielle Ausstattung der NPD durch den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag. Diese Entwicklung lässt sich exemplarisch in Leipzig und Umland darstellen. Die Odermannstrasse – als „neuer“ Organisations- und Treffpunkt der lokalen aber auch regionalen Nazistrukturen – ist das Parteibüro des NPD-Landtagsabgeordneten Winfried Petzold. Seit der Existenz dieses Büros fungierte es nicht nur als Ausgangspunkt für verschiedene Angriffe in der näheren Umgebung, sondern auch als Treffpunkt der lokalen Nazistrukturen. Somit dient es letztlich dazu die Szene und damit die einzelnen Mitglieder näher an die festen Strukturen zu binden. Weiterhin dient das Büro auch als Organisationspunkt für lokale Aktionen in den angrenzenden Wohnvierteln, ebenso wie bei bundesweiten Demonstrationen. Erst Ende Januar 2010 fand zudem ein Treffen der vor allem ostdeutschen Naziszene statt, welches dazu diente einen „braue Schutztruppe“ zu gründen und funktionsfähig zu machen.(2)

Diese zunehmende Organisation der Freien Kameradschaften und der NPD geht an Leipzig nicht spurlos vorüber. Ein guter Indikator für die Gefährlichkeit einer lokalen Naziszene lässt sich an ihrer Bewegungsfreiheit, der fehlenden Sanktionierung ihrer Aktionen und dem Bedrohungspotential in den angrenzenden Stadtteilen ablesen. Seit einiger Zeit gibt es das Portal chronikL.E.(3), dessen Ziel „eine möglichst umfassende Dokumentation neonazistischer, rassistischer und diskriminierender Aktivitäten im Raum Leipzig“ ist. Ein Blick auf die Dokumentationen aus dem Jahre 2009 präsentiert eine Reihe von Aktionen der Nazis in und um Leipzig mit einem Schwerpunkt in Leipzig-Lindenau. Die Palette reicht von mehrfachen Attacken auf das Büro der Linken, Konzerte mit Frank Rennicke in der Odermannstrasse (bundesweit bekannter Nazi-Liedermacher), Vorträge mit Axel Reitz (bundesweit bekannter Nazi-Aktivist), Angriffe auf vermeintliche Linke in der Umgebung der Odermannstrasse oder auf linke Projekte. Weiterhin der Einzug von zwei NPD-Kandidaten in den Leipziger Stadtrat oder dem Erringen von 16 Mandaten für die NPD in den Kommunalparlamenten im Leipziger Umland. Hinter den Stadtgrenzen von Leipzig sieht die Situation noch schlechter aus. Delitzsch, Colditz, Wurzen, Döbeln, Eilenburg..., die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, fast flächendeckend fanden Propagandaaktionen, Naziaufmärsche und zahlreiche Angriffe auf Nicht-Rechte statt. Negativer Höhepunkt im vergangenen Jahr war der Angriff von Nazi-Hooligans auf Spieler und Fans des Fußballvereins Roter Stern Leipzig in Brandis.

Wie kann dieser Entwicklung wirksam begegnet werden? Menschen aus dem Leipziger Umland (Wurzen, Colditz, Delitzsch) zu empfehlen in die größeren Städte umzuziehen, ist im Einzelfall sinnvoll und absolut nachvollziehbar. Dies bedeutet aber auch eine Kapitulation vor der Präsenz und Dominanz der Nazis in diesen Regionen. Die „national-befreiten Zonen“ sind längst und für die nächsten Jahre bedrohliche Realität. Andererseits ist es unmöglich in diesen Regionen ohne antifaschistische Strukturen vor Ort die Situation zu beeinflussen. Oftmals gelingt nicht einmal die Thematisierung von Naziangriffen. Vorhandene lokale alternative, antifaschistische Strukturen versuchen durch die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft vor Ort den Nazis etwas entgegenzusetzen. Eine Zusammenarbeit mit Gruppen und Vereinen, die aufgrund ihrer inhaltlichen Positionen in Leipzig kaum in Frage kommen würde. Aus Sicht der lokalen AntifaschistInnen ist diese Kooperation notwendig und sinnvoll, sind diese doch die einzigen AnsprechpartnerInnen und mögliche UnterstützerInnen. Doch der Wunsch nach einer Skandalisierung der Situation vor Ort tritt dank der regionalen Medien alá LVZ, DNN und Sächsischer Zeitung nicht ein. Reaktionen kommen viel zu spät, wie z.B. bei einem antiziganistisch motivierten Anschlag in Klingenhain(4) oder gar nicht. Wie kann es in Delitzsch, Colditz etc. noch schlimmer werden, wenn täglich Nicht-Rechte attackiert, in ihren Wohnungen überfallen, auf dem Weg zur Arbeit oder Party zusammengeschlagen werden, wenn sich Nazis mit den Opfern fotografieren lassen und anderen Psychoterror ausüben. Wenn selbst diese Zustände nicht zum Skandal taugen, bleibt einzig eine Intervention von außen.
Zudem hat sich die gesellschaftliche Diskussion in Sachsen verlagert, weil mal wieder der „Linksextremismus“ als Thema entdeckt wurde. Darunter fallen per Definition Situationen in denen sich Menschen gegen Nazis verteidigen, Kapitalismus- und Demokratiekritik, oder aber auch angemeldete Demonstrationen oder die Arbeit verschiedenster Projekte und Institutionen. Die Gruppe INEX hat mit ihrer aktuellen Erklärung(5) wiederholt deutlich gemacht, wozu die Extremismusformel dient und warum es notwendig ist diese öffentlich zu kritisieren. Kein Widerspruch zur Extremismusdebatte scheint dabei zu sein, dass der sächsische Demokratiepreis an explizit linke Projekte geht.(6) Wer sollte auch sonst ausgezeichnet werden? Eine wirksame Zivilgesellschaft nach bundesdeutscher Tradition, was man auch immer davon hält, gibt es außerhalb der größeren Städte im Osten auch 20 Jahre nach der Wende nicht.

Zusammengefasst heißt das, die Linke und nicht nur die Antifa muss zwangsläufig in Leipzig gegen Nazistrukturen wie die Odermannstrasse und deren Etablierung aktiver werden. Ansonsten droht eine weitere Einschränkung von Freiräumen nicht nur in diesen Stadtteilen. Solidarische Unterstützung für Projekte und Läden in allen Stadtteilen, von Atari über die Bunte Platte bis zum Conne Island, aber auch vor allem kulturelle Projekte wie das ZORO und die Gieszerstraße sowie diverse Haus- und Wohnprojekte ist dringend geboten. Nur wo es eine funktionierende linke politische und kulturelle Struktur gibt, ist es für Nazis schwieriger sich zu organisieren und aktiv zu werden.
Es muss auch, wenn nötig, die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Gruppen gesucht werden – wobei die eigene politische Zielrichtung wahrnehmbar und erkennbar bleiben muss. Dafür gibt es andere Rahmenbedingungen in den dörflichen Regionen und Kleinstädten, in denen die Zivilgesellschaft, so regressiv sie aus Leipziger Sicht auch sein mag, der oder die einzige Verbündete gegen die Nazistrukturen vor Ort ist. In Leipzig können deshalb auch andere Kriterien an die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen gestellt werden, dies ist aber nur deshalb möglich, weil in den größeren Städten die Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Handeln größer sind.
In den Stadtteilen in denen Nazis aktiv sind muss das Ziel sein, deren Aktionsräume einzuschränken und ihr agieren unmöglich zu machen. Grundlage dafür ist es, den von Nazis besetzten Freiraum zurückzugewinnen. Wo Linke ihre Freiräume ausbauen, geraten Nazis in die Defensive.
Nicht zuletzt ist angesichts der aktuellen Debatte um Linksextremismus mit einer starken Repression durch staatliche Strukturen gegen die linke Szene und deren Projekte zu rechnen – trotz der Vergabe des Sächsischen Demokratiepreises an linke Projekte. Der Versuch die gesellschaftliche Diskussion zum Thema „Extremismus“ und „Gewalt“ zu beeinflussen, sollte aber trotzdem und genau deshalb unbedingt weitergeführt werden.

clark g

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Anmerkungen

(1) red. Anmerkung: Der Autor berichtete bereits Anfang 2009 über die Naziaktivitäten in Sachsen und Leipzig, http://www.conne-island.de/nf/162/3.html

(2) Dieser „Schutztrupp“ soll zukünftig Naziaufmärsche absichern und ist dem Selbstschutz Sachsen-Anhalt entlehnt, http://www.bnr.de/content/braune-schutztruppe

(3) http://www.chronikle.org

(4) Es kam zu einem Brandanschlag auf das Wohn- und Arbeitsgelände einer Sinti-Familie – http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/meldungen/brandanschlag-sachsen

(5) red. Anmerkung: siehe aktuelle Ausgabe des CEE IEH oder: http://inex.blogsport.de/2010/02/09/gemeinsam-gegen-jeden-extremismus-nicht-mit-ns/

(6) 2008 AJZ Bunte Platte und Treibhaus Döbeln, 2009 Roter Stern Leipzig.

23.02.2010
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