• Titelbild
• Demokratie mühsam
• das erste: The same procedure as last year...
• Mouse on the Keys & Rocket Science
• BLISSTRAIN 2010
• Swollen Members
• 20 Years Hardwax Special
• Smoke Blow
• Agnostic Front
• »in the end, i want you to cry«
• Fantasietriologie
• Katatonia
• Benefizdisco
• Madball
• War from a Harlots Mouth
• Legacy of Blood-Tour
• Veranstaltungsanzeigen
• review-corner platte: Zur Problematik der Kleinen Glücksmomente im Großen Falschen
• cyber-report: Übersetzungsfehler? Selber Schuld!
• doku: Der Humbug der Wahlen
• doku: Gemeinsam gegen jeden Extremismus? Nicht mit uns!
• Anzeigen
• das letzte: Das behinderte Kind von Gewalt und Politik
Die Ankündigung des Bundesfamilienministeriums, zwei Millionen Euro
für Projekte gegen Linksextremismus und Islamismus bereit zu stellen,
signalisiert, dass die gegenwärtige Bundesregierung stärker als ihre
VorgängerInnen dazu bereit ist, den Extremismusansatz auch in der
Förderpolitik umzusetzen. Angesichts der Beteuerung, mit 24 Millionen Euro
an der Finanzierung von Programmen gegen Rechtsextremismus festzuhalten,
wirkt die Höhe der zusätzlichen Mittel eher symbolisch. Doch dies
sollte nicht über den Kontext der Maßnahme hinwegtäuschen: Wie
in der Bundespolitik, so lässt sich auch auf Landesebene, sei es in
Berlin, Hamburg oder Sachsen, eine Verschärfung des staatlichen
Antiextremismus feststellen. In diesem Zusammenhang werden nicht nur die
Gefahren eines angeblichen Linksextremismus beschworen, sondern ganz konkret
die Spielräume politischen Handelns eingeschränkt. Zwar regt sich bei
Teilen der Zivilgesellschaft Protest gegen die befürchtete
Veränderung staatlicher Förderprogramme gegen Rechts. Doch dieser
Protest drückt sich einmal mehr um eine konsequente Kritik am
Extremismusbegriff herum. Stattdessen reproduziert er dessen Logik und nimmt
die daraus resultierenden politischen Konsequenzen billigend in Kauf. Wir
fordern deshalb mit diesem Aufruf alle AkteurInnen der Zivilgesellschaft dazu
auf, sich endlich analytisch und praktisch vom Extremismusansatz zu
verabschieden.
Schwarz-gelbe Kampfansage: Gegen jeden Extremismus
Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag deutet nur an, ob und wie es mit den
Förderprogrammen des Bundes gegen sogenannten Rechtsextremismus,
für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, die im Jahr 2010 auslaufen,
weitergehen soll. Doch diese Andeutungen haben es eingebettet in
aktuelle Veränderungen des politischen Diskurses in sich. Als
Richtungsanzeiger ist auch die Ankündigung von Bundesministerin
Köhler zu verstehen, die jüngst bekannt gab, schon für das Jahr
2010 zwei Millionen Euro für die Bekämpfung von
Linksextremismus und Islamismus bereitzustellen. Zusätzlich stellt
die Ministerin Initiativen gegen Rechtsextremismus unter Generalverdacht: ab
2011 wird sich eine Regelüberprüfung jeglicher Initiativen, die
staatliche Fördergelder bekommen durch den Verfassungsschutz,
ausdrücklich vorbehalten. Im Koalitionsvertrag von FDP und CDU ist
der inhaltliche Hintergrund dieser Maßnahme nachzulesen. Hier wurde unter
der Überschrift Jugendliche ein künftiges
Unterstützungsprogramm für Vielfalt, Toleranz und Demokratie,
Menschenwürde und Gewaltfreiheit gegen Rechts- und Linksextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vereinbart. Welcher Etat mit dem
Programm verbunden ist und ob damit der Fortbestand bestehender
Beratungsnetzwerke und Aufklärungsprojekte gesichert ist, bleibt unklar.
Deutlich wird nur eines: Die Probleme werden als solche von Jugendlichen, von
Gewaltanwendung und extremen Rändern definiert und gehen damit an
gesellschaftlichen Ursachen und Realitäten weit vorbei. Dem zugrunde liegt
die Extremismusformel, wonach eine politische Mitte der Gesellschaft existiere,
die sich von politischen Extremen klar abgrenzen ließe und von ihnen
gleichermaßen bedroht sei. Dabei wird weder der vermeintlich politische
Normalitätsbereich, noch die Abweichung genau definiert.
Unter dem Stichwort Geschichte und Kultur erbringt der Koalitionsvertrag
dann auch den Beweis für die Verwandtschaft von Totalitarismustheorie und
Extremismusformel. Mit dem Ziel, der Verklärung der SED-Diktatur
entgegenzuwirken, wird angekündigt, die Programme gegen Rechtsextremismus
als Extremismusbekämpfungsprogramme auch dadurch fortzuführen,
indem ein Jahresbericht der Bundesregierung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
erstellt wird. Als totalitär werden pauschal all diejenigen Bewegungen
eingestuft, die sich historisch als Regime etablieren konnten, während als
extremistisch jene bezeichnet werden, denen vorgeworfen wird, innerhalb
demokratischer Gesellschaften diesen totalitären Zustand mit ihrer
Politik herbeiführen zu wollen. Die Extremismusformel kümmert sich
meist um gegenwärtige politische AkteurInnen im Inneren, während der
Totalitarismusansatz für die historischen oder außenpolitischen
Fälle zuständig ist. Gemein ist beiden, dass eine Differenzierung
nach Einstellungen und politischen Zielen nicht erfolgt, womit
zwangsläufig eine Relativierung des historischen Nationalsozialismus und
die Verharmlosung von Nazistrukturen im Hier und Jetzt
einhergeht.
Dort, wo Ungleichheitsideologien wie Rassismus, völkischer Nationalismus
und autoritäre Hierarchie- und Ordnungsvorstellungen zum
Randphänomen erklärt werden und damit deren Verbindung zur
bundesrepublikanischen Normalität geleugnet wird, gibt es aber auch keinen
Platz für eine notwendige und berechtigte linke Gesellschaftskritik z.B.
am weitverbreiteten Alltagsrassismus, heterosexistischer Familienpolitik,
sozialer Ungleichheit und einer behindertenfeindlichen Leistungsgesellschaft.
Damit dient die Rede von Extremismen staatlichen Ordnungsorganen und
PolitikerInnen auch als Handlungsgrundlage, wenn es darum geht, politische
Aktivitäten von all jenen zu delegitimieren, die zentrale Elemente der
Naziideologie ablehnen, sei es das Leitbild einer ethnisch homogenen
Gemeinschaft oder der Ruf nach dem autoritären Staat.
Im Koalitionsvertrag werden Links- oder Rechtsextremismus, Antisemitismus
oder Islamismus dann auch unter dem Punkt Innere Sicherheit nochmals
problematisiert und mit der Absichtserklärung versehen, dass
Aussteigerprogramme gegen Extremismus finanziert und die
Aufgabenfelder des Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt [
]
auf jede Form extremistischer Gewalt ausgeweitet werden sollen. Heißt
das Aussteigerprogramme für Antifaschistische Gruppen, feministische
Zeitschriftenprojekte und für Mitglieder der Partei DIE LINKE?
Müssen sich Opferberatungsstellen künftig um Nazis kümmern oder
Grundstückseigentümer-In-nen beraten, die sich durch linke
HausbesetzerInnen oder alternative PartyveranstalterInnen verfolgt fühlen?
Das klingt alles absurd, überraschen kann es uns aber nicht wirklich. Der
Koalitionsvertrag übernimmt, was (nicht nur) den meisten CDU/CSU und
FDP-PolitikerInnen Grundüberzeugung ist: dass Rechts- und
Linksextremismus qualitativ und quantitativ dasselbe seien und staatliche
Fördermittel deswegen früher oder später nur paritätisch
zur Bekämpfung dieser, die Freiheitlich Demokratische Grundordnung
bedrohenden, Übel auszuschütten seien. Diese programmatische
Verschärfung des staatlichen Antiextremismus wird dessen bereits sichtbare
Defizite noch vergrößern. Schon jetzt ist offensichtlich, dass der
Extremismusansatz die ideologischen Schnittmengen zwischen organisierten Nazis
und Mehrheitsgesellschaft entthematisiert: Alltagsrassismus,
Behindertenfeindlichkeit, Homophobie, demokratiefeindlicher Autoritarismus,
Sozialdarwinismus, Nationalismus und Antisemitismus werden nicht als Probleme
der Gesamtgesellschaft analysiert und bekämpft, sondern wider aller
empirischen Evidenz als Randphänomene konstruiert. Wenn sie überhaupt
zur Kenntnis genommen werden und nicht nur die formale Haltung zu
Verfassungsstaat und Gewalt für politisch-analytisches Handeln
ausschlaggebend ist. Darüber hinaus verstellt der Extremismusansatz auch
einen realistischen Blick auf die politischen Zielvorstellungen der Nazis. Das,
was meistens gemeint ist, wenn von Rechtsextremismus gesprochen wird,
also NPD, Freie Kameradschaften, Autonome Nationalisten, Freie Kräfte etc.
zeichnet sich inhaltlich durch eine stringente nationalsozialistische
Programmatik aus. Der Begriff Rechtsextremismus verwischt diese
Kontinuitätslinie und stellt den (Neo-)Nazismus in erster Linie als
Demokratiefeindschaft dar. Dabei sind völkische Kapitalismuskritik und
ethnopluralistischer Rassismus mehr als das. Es sind aktuelle Antworten auf
kapitalistische Krisenerscheinungen, die auch unter formalen
DemokratInnen, bei vielen GlobalisierungskritikerInnen und
kulturalistisch denkenden VerteidigerInnen von Multi-Kulti auf Zustimmungen
treffen. Gerade aber dieses gesellschaftliche Zustimmungspotential für
Naziideologie und -politik wird durch das formalistische Schema des
Extremismusansatzes wegdefiniert.
Umso problematischer ist es, dass der Staat immer mehr in die politische
Bildungsarbeit drängt. Sicherheitsbehörden, wie Verfassungsschutz und
Polizei gerieren sich in Zusammenarbeit mit Bundes- und Landeszentralen
für politische Bildung als politische AufklärerInnen. Zum Beispiel
indem sie Weiterbildungen und Projekttage in Totalitarismustheorie und
Rechts- und Linksextremismus für Jugendliche und Lehrende an
Schulen geben. Auf diese Weise wird das Problem nazistischer Einstellungsmuster
und ihrer Verbreitung systematisch verdrängt und durch ordnungspolitische
Beschreibungen ersetzt: Extremismus als Problem unverbesserlicher Randgruppen,
welches die Reaktion des starken Staates erfordert.
Gewinnt diese Sichtweise durch staatliche Pädagogik, mediale
Kampagnen und durch das Ausbleiben öffentlicher Kritik Raum, werden
sich dadurch die Bedingungen effektiver antifaschistischer Arbeit enorm
verschlechtern. Nicht-staatliche Initiativen und Projekte verlieren ihre
Legitimation und damit ihre Handlungsspielräume. Dies werden vor allem
unabhängige Antifa-Gruppen zu spüren bekommen. Aber auch
zivilgesellschaftliche Organisationen, die am finanziellen Tropf des Staates
hängen, müssen mit weiteren Einschnitten in ihre inhaltliche
Autonomie rechnen. Einigen unter ihnen gelang es in den letzten Jahren
zumindest punktuell auch unter dem Oberbegriff der
Anti-Rechtextremismusarbeit richtige Impulse zu setzen. So unterliefen
Bildungsprogramme zur Sensibilisierung gegen Rassismus und Antisemitismus de
facto oft den extremismustheoretischen Rahmen der staatlichen
Förderprogramme. Mit diesen ohnehin begrenzten Spielräumen
könnte nun bald Schluss sein. Zum einen, wenn finanzielle Mittel zur
Bekämpfung des Linksextremismus abgezogen und nicht, wie noch
gegenwärtig, zusätzlich aufgestockt werden. Zum anderen, wenn der
Extremismusdiskurs auch auf inhaltlicher Ebene zum einzigen Gradmesser
politischer Akzeptanz wird.
Ergebnis davon wäre nicht nur die Verkleinerung einer antifaschistischen
Infrastruktur und der eine oder andere individuelle Jobverlust. Sondern diese
Entwicklung liefe auf ein ungestörteres Fortwesen nationalsozialistischer
Ideologie sowie auf schlechtere Bedingungen für linke Gesellschaftskritik
hinaus. Extremismusbekämpfungsprogramme fördern vor allem zweierlei:
die Weiterexistenz des Naziproblems und die Hemmnisse politischer
Selbstermächtigung!
Was macht die Zivilgesellschaft? Mit.
Die Zivilgesellschaft protestiert. So scheint es zunächst. Beispielsweise
geschieht dies in Form eines Offenen Briefs zivilgesellschaftlicher AkteurInnen
und PolitikerInnen an die Bundesregierung.(1) In ihm wird die Bundesregierung
dazu aufgefordert, die alten Bundesprogramme konsequent
weiterzuführen. Außerdem verlangen die Unterzeichnenden von
der Bundesregierung, dass sie auch das Problem des Rechtsextremismus in
Deutschland ernst nimmt. Ebenfalls in einem Offenen Brief stellen sich unter
dem Titel Folgenreiche Realitätsverleugnung(2) zahlreiche als
RechtsextremismusexpertInnen bekannte Wissenschaftler-Innen gegen die
Umwandlung der Bundesprogramme in ein
Extremismusbekämpfungsprogramm. Sie kritisieren die damit
einhergehende falsche Problemanalyse und drohende Mittelkürzung.
Und doch sind diese gut gemeinten Aufrufe und Statements falsch und
kontraproduktiv, wenn sie ganz in der Logik der Extremismusformel weiter von
Rechtsextremismus reden, und damit trotz aller wortreichen Abgrenzungen
an anderer Stelle immer wieder das Bild von der guten normalen Mitte und
ihren extremistischen Abweichungen reproduzieren. Wenn die
zivilgesellschaftlichen Akteure dann noch fordern, dass auch das
Problem des Rechtsextremismus ernst zu nehmen sei, dann ist das nur innerhalb
der Logik der Extremismusformel richtig. Sie bringen damit einmal mehr zum
Ausdruck, dass es da ein Phänomen Linksextremismus gäbe, das
es in irgendeiner Weise zu bekämpfen gelte. So kritisiert Miro Jennerjahn,
ehemals Mitarbeiter vom Netzwerk Demokratische Kultur in Wurzen und
heute grüner Landtagsabgeordneter in Sachsen, die Extremismusformel und
den Begriff Linksextremismus zwar als wissenschaftlich nicht
definiert und kaum haltbar, stellt dann aber ohne weitere
Skrupel fest: Es ist ein berechtigtes Anliegen auch gegen
Linksextremismus und Islamismus vorzugehen.(3) Dasselbe widersprüchliche
Denken findet sich bei Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung,
die sich in den vergangenen Jahren eigentlich immer für die Förderung
linker, gesellschaftskritischer Projekte stark gemacht hat. Sie schreibt im
November-Newsletter der Stiftung: Linksextremismus ist, wie alle
antidemokratischen und anti-kosmopolitischen Ideologien, widerlich und
menschenverachtend. Mit ihrem folgenden Hinweis auf vielschichtige
Unterschiede und Trennlinien verweist sie unbeabsichtigt darauf, dass nicht
sie es ist, die den Begriff und seine Anwendung definiert. Die Entscheidung
über Trennlinien, also über die Bestimmung dessen, was als
demokratisch gelten kann, liegt im Zweifelsfall beim Verfassungs- und
Staatsschutz und deren assoziiertem Wissenschaftsapparat. Gemeinsam operieren
diese auf der Basis historisch gewachsener Normalitätsvorstellungen
über angemessenes Verhalten. Ruhe, Ordnung und Gesetzestreue werden so zu
Maßgaben des politischen Akzeptanzbereichs, nicht aber tatsächliche
Partizipation und schon gar nicht Kosmopolitismus. Es mag vielleicht nur ein
Zugeständnis an die antiextremistische Politik der Bundesregierung sein,
welche Jennerjahn und Kahane und viele Andere machen und doch läuft es auf
eine Delegitimierung von Initiativen hinaus, die ganz unabhängig von ihren
Einstellungen zu Demokratie und Kosmopolitismus des Linksextremismus bezichtigt
werden. Egal ob dies bewusst, unbedacht oder deshalb geschieht, weil die
VertreterInnen der Zivilgesellschacht aus einem taktischen
Selbstverständnis heraus die/den guten wehrhaften Demokratin/en mimen. Am
Ende läuft es auf dasselbe hinaus: Die Möglichkeit radikaler
Gesellschaftskritik, beispielsweise an staatlicher Herrschaft und
kapitalistischer Konkurrenz wird unter das Damoklesschwert des
Extremismusverdachts gestellt.
Diskursive Verschiebung: alle gegen Linksextremismus
Die sich abzeichnende Neuausrichtung der Förderpolitik unter schwarz-gelb
und die im Prinzip affirmativen Reaktionen einer Zivilgesellschaft auf die
konsequentere Durchsetzung der antiextremistischen Linie werden von einem
zunehmend hysterisch wirkenden Diskurs über die linke Gefahr in
Deutschland begleitet. In Berlin und Hamburg sprechen Boulevardpresse und
PolitikerInnen sowohl bei angezündeten Autos als auch bei
Farbeierwürfen von Hassbrennern, Feuer-Terroristen,
rotlackierten Faschisten oder Kiez-Taliban. Die letzten besetzten
Häuser und linken Wohnprojekte werden zu den Kommandozentralen einer
-pyromanen Guerilla erklärt. Die BILD fordert:
Brennende Autos! Besetzte Häuser! Räumt endlich die linken
Terror-Nester!. Auch im beschaulicheren Leipzig wird sich Mühe gegeben,
eine linksextremistische Gefahr zu konstruieren. Dafür müssen
alljährlich Silvesterfeiern und Schneeballschlachten herhalten, auf die
die Bevölkerung von CDU-PolitikerInnen, Polizeipräsidium und
Lokalpresse lange im Vorfeld eingestimmt werden und die in der Vergangenheit
immer wieder rabiate Polizeieinsätze zur Folge hatten. Wenn Leipziger
Linke dann, wie am 30. Dezember 2009 in Voraussicht des Kommenden eine
Demonstration gegen Repression durchführen, in der sie nicht viel mehr
fordern als die Einhaltung bürgerlicher Grundfreiheiten, schlägt
ihnen geballtes Unverständnis von Zivilgesellschaft und Stadtpolitik
entgegen. Im lokalen Hausblatt Leipziger Volkszeitung wird schon im
Vorfeld der Krawall herbeigeschrieben. Bleibt er aus, so liegt es am
entschlossenen und weitsichtigen Auftreten der Sicherheitsorgane. Eine
Thematisierung des politischen Anliegens, ja auch nur eine ernsthafte Frage in
diese Richtung kommt nicht vor. Der von den JournalistInnen verinnerlichte
Extremismusansatz entscheidet von vornherein über eine Berichterstattung
im Schema Linke = potentielle Gewalt. Nordrhein-Westfalen ist schon ein
Schritt weiter. Hier übt sich der Verfassungsschutz seit November 2009 in
altersgerechter Präventionsarbeit gegen Links und verbreitet massenhaft
sogenannte Andi-Comics für Jugendliche. Mit dieser Reihe wird vor
den Gefahren von Extremismus jeglicher Couleur gewarnt. Jetzt ist als
drittes Heft ein Comic gegen Linksextremismus erschienen. Darin wird autonomer
Antifaschismus und Kritik am Kapitalismus, wie sollte es anders sein, auf den
Begriff der Gewalt gebracht.
Man muss das Abfackeln von Autos wirklich nicht richtig, nicht klug, nicht
emanzipatorisch und/oder überhaupt nicht gesellschaftskritisch finden.
Aber die in der Extremismusformel enthaltene Gleichsetzung von sich als links
verstehenden AktivistInnen mit Nazis oder von Brandstiftung an Autos mit den
nazistischen Verbrechen an Menschen verharmlost Nazis, Faschisten und Taliban.
Und sie kriminalisiert von vornherein alle Überlegungen gesellschaftlicher
Veränderung jenseits der bestehenden Ordnung.
Ganz in diesem Sinne handeln Polizei, Staatsanwaltschaften und RichterInnen.
Die Zahl willkürlicher Festnahmen angeblicher linker AktivistInnen steigt.
Der Zeitraum der angeordneten Untersuchungshaft gegen AntifaschistInnen und
Linksradikale und solche Menschen, die dafür gehalten werden, steigt
ebenso. Ein weiteres Beispiel für politische Konsequenz eines
radikalisierten Extremismusverständnisses ließ sich jüngst in
Dresden und Berlin beobachten. Die Staatsanwaltschaft ließ hier u.a.
Parteibüros der LINKEN durchsuchen, um Plakate zu beschlagnahmen,
die zur Blockade der Nazidemonstration am 13. Februar in Dresden aufriefen. Im
selben Atemzug passierte ein restriktiveres Versammlungsgesetz den Dresdner
Landtag, mit dem es in Zukunft leichter fällt, Demonstrationen an
bestimmten Orten und Tagen zu verbieten. Die breite Akzeptanz für solche
repressiven Maßnahmen verweist auf ein, im Gegensatz zum konstruierten
Linksextremismus tatsächlich vorhandenes Problem in dieser
Gesellschaft Autoritäre Einstellungen und ungebrochenen
Staatsfetischismus.
Wir bleiben dabei: gegen jeden Extremismusbegriff!
Das alles ist nicht völlig neu, bekommt aber mit der schwarz-gelben
Regierungspolitik in Berlin und Dresden einen administrativen Schub. Die
Extremismusformel zeitigt mehr noch als zuvor reale Auswirkungen. Und sollte
sich dagegen kein öffentlicher Widerstand formieren, wird es bei den
jetzigen Entwicklungen nicht bleiben. Umso negativer fallen die sprachlichen
und analytischen Fehltritte, sich selbst als links, demokratisch oder engagiert
verstehender ZivilgesellschaftlerInnen ins Gewicht. All ihre Offenen Briefe zur
Kritik der Förderpolitik aber auch ihre Konferenzen und Symposien zur
Kritik des Extremismusbegriffs ändern bisher nichts daran, dass sie sich
auf dem nächsten Podium erneut als ExtremismusexpertInnen vorstellen und
sich damit weiter an der Reproduktion des zu Grunde liegenden Ansatzes
beteiligen. Vor einer tatsächlich konsequenten Auseinandersetzung
drücken sich die meisten Organisationen und Personen bis heute. Als
Ausflucht erweist sich dabei die angeblich noch laufende Suche nach treffenden
Alternativbegriffen. Diese stehen mit einem viel treffenderen Beschreibungs-
und Erklärungspotential seit Jahren bereit. Vielmehr dürfte das
Festhalten am Herkömmlichen, obwohl seit geraumer Zeit inhaltliche
Bedenken eingestanden werden, sich bei genauem Hinsehen als letztlich doch
verinnerlichter Glaube an das politische Märchen von einer demokratischen
Mitte und ihren gefährlichen Rändern herausstellen. Nur dass hier und
da die ein oder andere tolerantere Grenzziehung vorgeschlagen wird, ohne dass
relevante Teile der Gesellschaft darauf Wert legen. So oder so graben sich
zivilgesellschaftliche Organisationen damit selbst das Wasser für
erfolgreiche, anhaltende und breiter werdende Interventionen gegen Nazis und
ihre Ideologien ab. Und sie hauchen einem Konzept höhere, scheinbar
kritische Weihen ein, welches der Ausweitung politischer Handlungsräume
entgegensteht.
Aus diesen Gründen lehnen wir die Extremismusformel in all ihren Facetten
ab. Zu einer konsequenten Ablehnung gehört nicht nur eine einmal
öffentlich geäußerte Kritik. Vielmehr heißt dies auch,
den Extremismusbegriff weder analytisch, noch einfach nur sprachlich
unbedacht zu verwenden. Und nichts anderes fordern wir von autonomen
antifaschistischen Initiativen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Mehr noch: Ihre Aufgabe wäre es jetzt, sich schnellstens nicht nur gegen
die absehbare Neuausrichtung der Förderprogramme, sondern gegen den
dahinter liegenden Gesamtansatz zu positionieren. Dies hieße allerdings
auch, dass staatlich alimentierte ZivilgesellschafterInnen und ebenso in
Zwangsverhältnissen steckende kritische WissenschaftlerInnen ihre
Positionierung im staatlichen System hinterfragen und sich als politische
AkteurInnen ernst nehmen. Das könnte in der Folge bedeuten, demnächst
keine Fördergelder mehr zu erhalten oder aber: diese bewusst zu
verweigern! Sinnvoll wäre eine solche Verweigerungshaltung aber nur dann,
wenn im Bündnis mit unabhängigen Gruppen damit begonnen wird, die
diskursive Verankerung des Extremismusdenkens in der Gesellschaft zu
lösen. In diesem Sinne fordern wir den Abschied vom staatlich verordneten
Antiextremismus und eine Re-Politisierung der Zivilgesellschaft.
INEX