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In seinem Artikel für die Zeit fragte Ulrich Greiner im Mai 2009, was aus
der German Angst geworden sei. Trotz Wirtschaftskrise könne bei weitem
nicht von jener panisch-apokalyptischen Stimmung gesprochen werden, welche im
vergangenen Jahrhundert als eine deutsche Besonderheit ausgemacht wurde. Aus
Greiners Sicht sind die Deutschen schon lange nicht mehr neurotischer und
hysterischer als andere Menschen, schafften es sogar, während der
Fußball-WM 2006 sich als Volk freundlicher Hedonisten zu
präsentieren und bewiesen nicht zuletzt durch ihre Repräsentantin
Angela Merkel vor allem spröde Normalisierung. So schwierig nicht nur
Greiners Hedonismus-Verständnis ist, so richtig liegt er mit seiner
Einschätzung der unaufgeregten deutschen Krisenstimmung.
Zwar konnte vereinzelt im Herbst 2008 Schadenfreude darüber und Hoffnung
darauf, dass die Krise endlich mal die Richtigen treffen würde, ausgemacht
werden. Einige Linke, die noch immer der Verelendungstheorie anhängen,
sehnten massenhaften Unmut herbei. Unter diesen unternahmen manche zweifelsohne
Versuche, klassischerweise in Form von Großdemonstrationen, denen
da oben klar zu machen, dass wir nicht für deren Krise
zahlen, jedoch blieben die bspw. von Gesine Schwan und Michael Sommer
befürchteten sozialen Unruhen aus. Die meisten machten schlicht irgendwie
weiter und die CDU gab dazu die passenden pragmatischen Losungen aus, wie
Klug aus der Krise. Die Arbeitsgemeinschaften No tears for Krauts und AG
Antifa Halle kommen in ihrem Flugblatt 20 Jahre Antifa: Still not loving
reality zu ähnlichen Ergebnissen wie Greiner in der Zeit, wenn sie, zu
Recht erleichtert, den Deutschen eine Weltuntergangsmüdigkeit
attestieren. Warum es immer noch genug Gründe dafür gibt, that I
can`t relax in Deutschland, sollen die nachfolgenden Fragmente zur
Massenpsychologie veranschaulichen.
Kraut vergeht nicht
Selbst der deutsche Umgang mit der sogenannten Schweinegrippe, den die
Hallenser AGs als Wiederschein der apokalyptischen Sehnsucht ausmachen, kann
nicht als solcher bezeichnet werden. Auch wenn die Gefahr der Pandemie der
Bild-Zeitung Stoff für etliche Titelseiten lieferte, die davon
kündeten, dass nicht nur die einfachen Leute sondern auch die B-Prominenz
eben schlichtweg alle betroffen sein könnten, blieb die im
Flugblatt beschriebene Mischung aus Weltuntergangsangst und freudiger
Erwartung eine Randerscheinung. Zu stark waren die Gegenstimmen, die lieber
die Skepsis gegenüber der Impfung befeuerten und damit ihrerseits ein
Ressentiment bedienten, welches wirklich als ein in Deutschland besonders
ausgeprägtes und traditionsreiches bezeichnet werden kann: das gegen die
Schulmedizin.(1) So scheint wieder, getreu der
Kriegsschule des Lebens Friedrich Nietzsches, die Durchhalteparole
Was mich nicht umbringt, macht mich stärker zu sein. Insofern
lässt sich wahrlich kaum von einer German Angst sprechen, obgleich die
zuvor umrissene stoische Schicksalsergebenheit ebenfalls Unbehagen bereiten
kann.
Nationaltorwart der Herzen
Was weder Krise noch Pandemie vermochten, schaffte im Herbst die Trauer um
Robert Enke. Für einen Moment war die Nation im Schmerz vereint. Menschen,
die den Torhüter nicht persönlich kannten, vergossen Tränen bei
der Nachricht von dessen Tod und seine Beerdigung hätte mit 40 000
Gästen zu keiner passenderen Gelegenheit als dem Volkstrauertag
stattfinden können. Bestürzte die Tragik dieses Einzelschicksals
vielleicht nur deshalb Tausende, weil es als Projektionsfläche für
den Gemütszustand Vieler prädestiniert war? Viel länger schon
und stärker als sämtliche Casting-Shows hält der deutsche
Profifußball die Illusion aufrecht, wer lange und hart genug an sich
arbeite, könne es irgendwann nach ganz oben schaffen. Sicherlich wird den
Profis manchmal ihr Reichtum geneidet, aber der kollektiven Identifikation,
welche während der WM 2006 ihren Höhepunkt erlebte, tut das keinen
Abbruch: denn trotz allem waren es irgendwann einmal und sind es im besten Fall
noch immer Menschen wie du und ich. Womöglich starb mit Robert Enke
sinnbildlich der einfache Mann von nebenan, der sich ehrlich hochgearbeitet
hatte, was ihm jedoch keine Sicherheit gewährte vor den Mucken eines
undurchschaubaren tückischen Systems. In seinem Fall handelte es sich um
die des Fußballbusiness, dessen Gesetzmäßigkeiten, wie die der
kapitalistischen Produktionsweise, sich dem Verständnis der
Normalsterblichen zu entziehen scheinen. Die anschließende
großangelegte, wenn auch kurzlebige, öffentliche Diskussion
über Depression, kann als weiterer Beleg für das Ausmaß der
Identifizierung mit dem Nationaltorwart verstanden werden, die an eine linke
Parole erinnerte: Depression: Getroffen hat es einen. Gemeint sind wir
alle!. Kaum eine Zeitung ohne Schwermuts-Special, in denen Expertinnen und
Experten für Aufklärung sorgen sollten, über das mitunter zur
Volkskrankheit der Deutschen erhobene Leiden. So wichtig es zweifelsfrei
ist, psychisches Leiden zu enttabuisieren, so befremdlich wirkt es, wenn
dafür erst ein Volkstorwart sterben muss. Es scheint, als
hätte es dieses Ventils bedurft, um dem individuellen Verzweifeln an den
Verhältnissen einen kollektiven Ausdruck zu verleihen, so laut war
mitunter das Seufzen der Erleichterung derer, die endlich Gehör dafür
fanden, wie schlecht es ihnen eigentlich gerade geht.
Survival of the best equipped
Sonst scheinen die Einzelnen meist soweit auf sich selbst zurückgeworfen,
dass man lediglich versuchen kann, kollektive Verhaltensmuster bspw. im Bereich
der Konsumentscheidungen aufzuzeigen. Justus Wertmüller und Sören
Pünjer sahen vor einiger Zeit in der Bahamas im Überlebenskampf der
Okay-Verdienenden eine neue Form der deutschen Zivilisationsfeindschaft, auf
welche im oben angeführten Flugblatt aus Halle ebenfalls Bezug genommen
wird: in einschlägigen Outdoor-Produkten den widrigen Verhältnissen
trotzend, feiern nicht wenige Okay-Verdienende einen Kult der
Funktionalität (Wertmüller/Pünjer) und warten scheinbar nur
darauf, bis die Polkappen tatsächlich schmelzen und ihre eskapistischen
Sehnsüchte endlich Wirklichkeit werden. Für diese muss der
Schneesturm im Januar 2010 einer Verlängerung des Weihnachtsfests
gleichgekommen sein, konnten sie ihre Geschenke zeitnah einem Härtetest
unterziehen und dabei einmal nicht vollkommen albern aussehen. Selbst in einer
Boutique der Modemarke Esprit, die lange nicht als dem
Outdoor-Überlebenskampf verpflichtet galt, wurden die Waren der Kundschaft
im vergangenen Herbst, als für das City Survival geeignet,
anempfohlen. Während die einen die Flucht und das Überleben in der
Natur üben, sehen viele andere, die sich diesen Ausstieg schlicht nicht
leisten können, so aus, als wenn sie sich frei vom Esprit des City
Survival permanent im urbanen Gang Fight befänden. Der medialen Debatte um
die Männlichkeit in der Krise halten sie knallhart einen Kult der
Männlichkeit aus gestählten Körpern und
Militärhaarschnitten, sowie einen Gewaltkitsch mit Schlagring-, Pitbull-
und Totenkopfdrucken auf Jogginghosen und Trainingsjacken entgegen. Angryness
als Selbstzweck.
Roger Cohen beobachtete im Frühjahr 2009 für die Süddeutsche
Zeitung fasziniert, mit welcher Gelassenheit und Ausgeglichenheit in
Deutschland auf die Krise reagiert werde. Einige der zuvor skizzierten
Phänomene konnte Cohen gewiss nicht in seine Einschätzung
einbeziehen, die sich jetzt nur zynisch lesen lässt: Die Welt steht
Kopf: Die Lage ist fürchterlich, aber die Deutschen sind glücklich!
Ist es die verschwunden geglaubte German Angst, die mich bei der Frage
befällt, was dann unglücklich hieße?
Patrice Smith