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Eine Auseinandersetzung mit:
Gerhard Scheit, Der Wahn vom Weltsouverän. Zur Kritik des Völkerrechts, Ça Ira, Freiburg 2009, 300 Seiten, 20 Euro.
Vorbemerkungen
Längst ist die antideutsche Linke im Stadium ihrer eigenen Historisierung.
Feststellen lässt sich das allein schon daran, dass das designierte
Zentralorgan, die Berliner Zeitschrift Bahamas, den Anspruch auf ihr
einstiges Label antideutsch aufgegeben und an ehemalige nun
selbstverständlich umso schärfer gescholtene Weggefährten
weitergereicht hat. Inzwischen segelt man lieber unter dem ideenpolitisch
weniger anspruchsvollen Label Ideologiekritik und bricht so
zumindest terminologisch die Brücken ab, die den sogenannten
Bewegungs-Antideutschen über die Jahre hinweg so dienlich waren. Ob diese
Strategie terminologischen Abschüttelns Erfolg zeitigen wird, lässt
sich freilich noch kaum ermessen.
Bei der Suche nach sonstigen Gründen für den neuerlichen Kurswechsel,
stößt man jedoch schnell auf Widersprüche. Dort, wo noch vor
einiger Zeit große Anstrengungen auf die Klärung der Frage Was
ist antideutsch? unternommen wurden, gibt man sich jenseits des
tagespolitischen Geschäfts eher zurückhaltend. Ein Katechismus zur
Frage: Was ist Ideologiekritik? steht momentan nicht zur Verfügung
und dürfte wohl auch mit einigen Distinktionsproblemen zu kämpfen
haben.(1) Wie ist der politische Etikettenwechsel, der mittlerweile schon als
Kontinuität verklausuliert wird, also inhaltlich zu begründen? In der
nunmehr ideologiekritischen Zentrale scheint man dieser Frage offenbar
auszuweichen.(2)
Die Krise der antideutschen Linken zeigt sich indes recht deutlich dort, wo die
Sendung sperriger Theoriepakete so recht nie ankam in der politischen
Bewegung, die ihrer Gründer- und Vorbildgeneration nun an allen Ecken und
Enden der Republik das Leben schwer macht.(3) Die Bahamas hat die Gefahr
der politischen Überfrachtung eigener Ansprüche möglicherweise
noch rechtzeitig erkannt und mit dem Etikettenwechsel zur Ideologiekritik die
Notbremse gezogen. Ob aber dadurch der einst ins Rollen gebrachte Zug zum
Stehen kommt, ist damit keineswegs gesichert. Der Zerfallsprozess an den
bewegungspolitischen Rändern offenbart vielmehr, dass das Theoriepaket im
Gegensatz zur ideenpolitischen Kurzbotschaft gar nicht so recht ausgepackt
wurde und viel eher zur identitätsstiftenden Staffage diente.(4)
Zu den aktuellen Theoriesendungen der ehemaligen Antideutschen gehört das
neueste Buch von Gerhard Scheit.(5) Seit Jahren kümmert sich Scheit um die
theoretischen Leitlinien der antideutschen Linken und fördert durch seine
recht freie Lesart einschlägiger Autoren Interessantes zutage. Diese
freigeistige Bewegung im Stoff hat jedoch ihren Preis, der sich vor allem in
Form einer zurichtenden Methodik zeigt. Die folgende Buchkritik wird sich
deswegen hauptsächlich auf dieses nicht ganz ideologiefreie Element
konzentrieren, das der auf rhetorische Abgeschlossenheit zielenden
Theoriebildung nicht sogleich anzusehen ist. Die Leistungen antideutscher
Theorie oder Ideologiekritik (z. B. die Kritik des Antisemitismus, des
Antiamerikanismus und des Islamismus) können dabei nicht eigens
berücksichtigt werden.(6) Dies soll jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, dass einzelne Teile des Buches, so z. B. Kapitel 4 sowie
Teile von Kapitel 3, unbestrittenen Erkenntniswert besitzen.
Die These
Auf dem Buchcover von Jargon der Demokratie, dem vor etwa 3 Jahren
erschienenen Buch Gerhard Scheits, befindet sich eine fotografische Abbildung,
die den Blick aus dem Inneren der begehbaren Kuppel des Reichtagsgebäudes
auf einen der Ecktürme lenkt, auf dem die bundesdeutsche Flagge weht.
Direkt neben dieser Abbildung kündigt der Untertitel des Buches an,
Auskunft Über den neuen Behemoth zu geben. Die naheliegende
Assoziation von Bürgerkrieg, Nationalsozialismus und parlamentarischer
Demokratie war zweifellos intendiert und sollte die im Buch vertretene These
stützen, welche die europäische Vision vom ewigen Frieden
nachdrücklich als deutsch-europäische Entfesselung des Chaos
identifizierte.(7)
An die damalige These schließt Gerhard Scheit in Der Wahn vom
Weltsouverän nahtlos an. Modifiziert lautet diese nun in etwa so: Das
internationale Recht stützt sich auf die Vorstellung eines
Weltsouveräns oder Weltstaats und steht einem westlichen Begriff von
Souveränität entgegen. Da es einen Weltsouverän oder Weltstaat
aber logisch gar nicht geben kann, so die These, sind alle Bemühungen, die
auf die Konstitutionalisierung des Völkerrechts gerichtet sind, nicht nur
von Grund auf wahnhaft, sondern ziehen darüber hinaus auch praktisch
katastrophale Folgen nach sich.(8)
Im Buch biegt sich Scheit alles auf diese These zurecht. So wird die moderne
politische Ideengeschichte seit Machiavelli und Hobbes mit dem Problem
internationaler Politik bzw. ihrer Verrechtlichung konfrontiert, ganz
unabhängig davon, was sich die jeweiligen Denker und Denkerinnen
tatsächlich bei der Abfassung ihrer Schriften vorgelegt haben.(9) Der Wahn
vom Weltsouverän, der mit dem Label deutsche Ideologie
verknüpft wird, untergrabe den Begriff westlicher Souveränität.
Beim Nachweis dieser These lässt sich Scheit weder davon irritieren, dass
heute kaum ein Völkerrechtler mit der Vorstellung eines Weltstaats oder
Weltsouveräns arbeitet, noch nimmt er es mit einer Überprüfung
der von ihm kritisierten Autoren reichlich ernst.
Wie baue ich mir einen Pappkameraden?
Ein Beispiel dafür ist Scheits Rezeption von Jürgen Habermas, den er
als vom Wahn ergriffenen Denker oder wahlweise als deutsche(n)
Ideologe(n) des Weltsouveräns (92) bezeichnet. Weil Habermas nämlich
im Anschluss an den frommen Wunsch des Immanuel Kant (aus der
Überschrift des ersten Kapitels) die gesetzlosen Verhältnisse im
zwischenstaatlichen Raum verwischen wolle, sei er Protagonist des Wahns vom
Weltstaat.
Dass dies grober Unfug ist, weiß, wer Habermas' Schriften daraufhin
befragt. Nirgends in diesen Schriften will Habermas auf einen Weltsouverän
oder Weltstaat hinaus. Denn zu deutlich hat er dafür die Problemlage vor
Augen, die sich aus der Konfrontation von Kant mit Carl Schmitt ergibt. Man
muss schon wie Scheit gestückelt und entstellt zitieren, um
auch nur annähernd etwas zusammenzubasteln, das Habermas als Anhänger
einer Illusion vom Weltstaat oder Weltsouverän erscheinen lässt.(10)
Offensichtlich ist es für Scheit nicht der Mühe wert, sich dezidiert
mit dem von ihm selbst zitierten Aufsatz auseinanderzusetzen, worin Habermas
sein (mittlerweile revidiertes) Modell einer Weltinnenpolitik ohne
Weltregierung vorstellt, das gerade nicht staatliche Züge annehmen kann,
weil das nämlich gar nicht möglich sei, wie Habermas
ausdrücklich betont.(11)
Der simple Trick, der es Scheit dennoch erlaubt, Habermas oder auch andere als
Ideologen des Weltsouveräns darzustellen, besteht schlicht darin, den
Kritisierten zu unterstellen, sie meinten etwas anderes als sie sagten. Wer
nämlich von global governance, Weltinnenpolitik oder
Völkerrecht spreche, meine in Wahrheit den Weltsouverän, der
nur nicht benannt werde, weil Souveränität innerhalb solcher Konzepte
verdrängt werden müsse.(12)
Einer zurichtenden Interpretationsstrategie fällt auch Hans Kelsen zum
Opfer. Spricht dieser vom Primat des Völkerrechts, so wird daraus
bei Scheit der Weltsouverän, der nicht beim Namen genannt werden
soll (50 f.) oder ein Weltherrscher (51), wie er vielfach im Anschluss
an Kant gefordert worden sei.(13) Besonders infam werden Scheits Unterstellungen,
wenn er eben noch Kelsens 1920 geschriebene Schrift Das Problem der
Souveränität und die Theorie des Völkerrechts kritisiert, um im
nächsten Moment folgendes zu äußern:
Eben erst [1920] war die NSDAP gegründet worden, und schon hatte ein
Rechtswissenschaftler die völkerrechtliche Begründung der
Appeasement-Politik entworfen, die in Anwendung kommen konnte, sobald jene
Partei den deutschen Staat eroberte. (55)
Scheit geht zwar anschließend auf Kelsens 1938 vorgenommene Revision der
Völkerrechtstheorie ein, sein impliziter Vorwurf aber lautet, dass Kelsen
am Aufstieg der NSDAP indirekten Anteil gehabt habe und zwar weil er im
Jahr der Gründung dieser Partei, deren Bedeutung zu diesem Zeitpunkt als
absolut marginal eingeschätzt werden darf(14), eine Schrift verfasst hat,
deren Einfluss so groß gewesen sein soll, dass es besagte Partei 13 Jahre
später besonders leicht gehabt habe. So funktioniert die auf
größtmögliche Abgrenzung zielende Suggestion, die der
tatsächlichen Weimarer Realität nur insofern nahe kommt, als dass sie
bequem von Carl Schmitt stammen könnte.(15)
Jenseits von Carl Schmitt?
Aber auch die Rezeption Carl Schmitts hat bei Gerhard Scheit so ihre
Tücken. In der Deutung des Nationalsozialismus als Wiederkehr des
Verdrängten (S. 75) affirmiert er willentlich oder nicht
jene Denkbewegung, die auch Schmitts Kritik des Rechtspositivismus und der
Weimarer Demokratie bestimmt hatte. Dieser argumentierte Mitte 1932 in der
Schrift Legalität und Legitimität, dass es
verfassungsfeindlichen Parteien möglich sei, auf legalem Wege an die Macht
zu gelangen, um im Anschluss daran die Tür der Legalität
zuzuschlagen.(16) Für Verfassungsrechtler wie Hans Kelsen, die sich die
Verteidigung der Demokratie mit legalen Mitteln erhofften und von Scheit
deswegen als Katalysatoren des Wahns dargestellt werden, war es 1932 freilich
zu spät, das Ruder herumzureißen. Eine verfassungsgemäße
Lösung der politischen Krise, welche sich vor allem in der Machtlosigkeit
des Parlaments, d. h. in der Auflösung seiner Souveränität
ausdrückte, war vermutlich spätestens mit dem Ergebnis der
Reichstagswahl vom 31. Juli 1932, bei der die bekennenden Verfassungsgegner von
Weimar bereits die Mehrheit stellten, aber möglicherweise auch schon mit
der Reichstagswahl vom 14. September 1930 hinfällig geworden.
Das eigentliche Problem der gesamten Argumentation von Scheit besteht darin,
dass er seinen eigenen Begriff von Souveränität unhinterfragt an
Hobbes und Schmitt ausrichtet. Souveränität heißt bei Scheit
schon auf der Ebene des Nationalstaats nichts anderes als die bloße
Ausübung von Gewalt: Souveränität heißt eine Macht,
die nur Untertanen kennt, und neben sich andere Souveräne, aber keinen
über sich. (105).(17) Da ist es nur logisch, alles, was nach Spaltung des
Gewaltmonopols aussieht, mit Manfred Dahlmann als Gegensouverän zu
bezeichnen. So etwas wie Volkssouveränität, kann sich Scheit
wiederum nur unter den Vorzeichen von Schmitts Demokratie-Auffassung denken,
wonach Demokratie und Parlamentarismus (Gewaltenteilung) gleichzeitig nicht zu
verwirklichen seien. Dementsprechend ist es für Scheit auch folgerichtig,
Demokratie als drohende Volksgemeinschaft zu deuten, anstatt zu fragen, was
Herrschaft des Volkes in den knapp 350 Jahren nach Abfassung von Hobbes'
Leviathan außerdem bedeutet haben könnte. Im Übrigen ist
diese Überblendung der Geschichte liberaler Verfassungsstaaten mittels der
Interpretations-Achse Hobbes Schmitt ein Grund dafür, dass Scheit
bei der Beurteilung der Weimarer Positionen von Hermann Heller und Franz L.
Neumann zu völlig realitätsfernen Urteilen kommt. Während er
Heller die Formulierung gesellschaftliche Seinsordnung als
völkische Substanzialisierung auslegt (73), klassifiziert er Neumanns
Position als demokratische(n) Faschismus (268). Dabei wäre die
demokratisch reflektierte Souveränitätsauffassung der beiden gerade
derjenigen von Schmitt gegenüberzustellen, weil sie den unmittelbaren
Zugang zur Gewalt nicht in derselben Weise überbewertet. Heller und
Neumann sind, was ihre Auffassung der Souveränitätsproblematik
betrifft, daher also aus gutem Grund weniger konsequent als Schmitt und lehnen
dessen Souveränitätsbestimmung über den Ausnahmezustand ab. Man
könnte auch sagen, dass ihre Inkonsequenz, sich nicht einseitig auf die
Seite der Gewalt (Schmitt) oder des Rechts (Kelsen) zu schlagen, die
Möglichkeit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufbewahrt und
dies wiederum mit einiger Nachwirkung für die spätere
Bundesrepublik.(18) Gegen Gerhard Scheits Interpretation kann man daher mit
Heller und Neumann, aber auch mit Hannah Arendt und Ernst Fraenkel einwenden,
dass die Rede vom Minimum an Freiheit (Neumann) nur dann Sinn macht,
wenn Demokratie nicht bloß als Jargon oder Ideologie betrachtet
wird, sondern als parlamentarische Form von Souveränität, die
auf eine Einschränkung unvermittelter Gewaltausübung zielt. Scheits
Begriff einer westlichen Souveränität dagegen bleibt ohne
diesen demokratischen Gehalt auffallend eingeschränkt. Nur in der Form
eines staatlichen Gewaltmonopols und in der Entgegensetzung zum
nationalsozialistischen Behemoth (Neumann) soll westliche
Souveränität überhaupt erst ihren Sinn entfalten können.
Diese offensichtlich auf Schmitts Formel vom Ausnahmezustand beruhende
Souveränitätsvorstellung bestätigt Scheit, wenn er die
Konjunktion zwischen der staatlichen Einheit und dem Dienst für den
Frieden als eine Lüge (194) bezeichnet, die die
Schwäche des Westens ausnutzt wie voraussetzt (ebd.). Westliche
Souveränität beweise sich demnach, wie man an solchen Formulierungen
ermessen kann, nur in der Form des Krieges. Bei Lichte besehen, ist diese Art
Argumentation also näher an Carl Schmitt als Scheit bei aller sonstigen
Abgrenzung lieb sein dürfte.
Mythos Krisenbewältigung
Ein weiterer Schwachpunkt in der Theoriebildung Gerhard Scheits ist das seit
Meister der Krise immer wieder bemühte Theorem von der
Krisenbewältigung, das sich in anderer Form auch bei Joachim Bruhn,
Manfred Dahlmann oder Clemens Nachtmann findet. Das Theorem dient auch im
aktuellen Buch von Scheit dazu, eine zentrale Schwäche antideutscher
Theoriebildung zu überdecken. Einerseits, so könnte man meinen, ist
es nicht falsch, im Anschluss an Marx' Kritik der politischen Ökonomie die
generelle Krisenhaftigkeit der Kapitalverwertung hervorzuheben.(19) Andererseits
aber erspart das Theorem, das zwar verschiedene Modelle von
Krisenbewältigung berücksichtigt, jedwede ereignisgeschichtliche
Überprüfung. Das bedeutet, dass die konkreten Ereignisse etwa
die bürgerkriegsartigen Zustände zum Ende der Weimarer Republik(20)
bei der Erklärung, wie es zum Nationalsozialismus kommen konnte,
immer schon einer funktionalistischen Deutung unterliegen. Da nämlich der
wahre Weltsouverän wie Scheit auch im neuen Buch
bekräftigt nur das Kapitalverhältnis sein könne (187),
entspringe der Wahn vom Weltsouverän einem staatlichen
Missverständnis, das damit verbunden sei, auf irgendeine Weise auf die
Krise des Kapitals (und nicht der Weimarer Demokratie) zu reagieren.
Politisches Handeln folge demnach und darin ist die antideutsche Linke
noch immer nicht weit genug von Theorien der Staatsableitung entfernt
ökonomischer Notwendigkeit oder kurz: Die Sehnsucht nach dem
Weltsouverän entspringt der Krise. (207). Eine ereignisgeschichtliche
Rekonstruktion dieses Sprungs von der Krise in den Wahn wird aber nicht als
notwendig erachtet. Stattdessen verweist Scheit einmal mehr auf jene
mittlerweile hinlänglich bekannte Textstelle aus Marx' Kapital
(Erster Band), wonach sich die manifest werdenden Gegensätze der Krise des
Kapitals gewaltsam geltend machen müssen.(21)
Wie die in Frage stehende Entwicklung jedoch genau vonstatten ging und welche
Akteure dabei eine Rolle spielten, kann genau genommen nur dem konkreten
historischen Verlauf abgelesen und nicht funktional im Vorausblick auf die
spätere Identität von Staat und Volk erklärt werden. Letzteres
würde eine Entwicklungslogik unterstellen, die im Endstadium der Weimarer
Republik so nicht bestanden hat. So lässt sich etwa das Verhalten der um
die Macht konkurrierenden Akteure nicht allein im Hinblick auf rationale
Handlungsabläufe rekonstruieren. Ihre jeweiligen Entscheidungen sind
vielmehr als wesentlich kontingent zu begreifen. Diese ebenso banale wie
ausschlaggebende Erkenntnis wird in den Reihen antideutscher Ideologiekritik
jedoch erfolgreich ignoriert, weshalb die Beschäftigung mit
Ereignisgeschichte auch kaum eine Rolle zu spielen scheint. Gerhard Scheits
Kritik des Nationalsozialismus macht da keine Ausnahme und beruht, weil sie die
ereignisgeschichtliche Reflexion der Krisenbewältigung ausspart, auf einem
spekulativen Kurzschluss, der über die Entwicklung der letzten Monate der
Weimarer Republik einen Vorhang des Schweigens hüllt.
Dass hingegen die Entwicklung nationalsozialistischer Politik ab 1933 in ihrer
Irrationalität doch wieder so etwas wie eine innere Notwendigkeit erkennen
lässt, kann der Ideologiekritiker Scheit gegenüber dem rationalsten
Historiker wiederum sehr gut erklären, weil er den Wahn wenn er
erst einmal die Schaltstellen der Macht besetzt hat in seiner inneren
Dynamik ernst nimmt. In der Kritik dieser schon von Neumann und Arendt
beschriebenen Dynamik sind denn auch die Stärken der antideutschen Linken
zu sehen.
Ein abschließendes Wort
Wie sehr die These des Wahns vom Weltsouverän schließlich ins Wanken
geraten muss, zeigt sich, sobald Scheit sie in Hinblick auf die weltweit
operierenden islamistischen Rackets formuliert. So heißt es im
abschließenden Kapitel des Buches, dass jene Gruppierung, die den
Hass auf Israel am wirkungsvollsten zu schüren vermag, (...) zum
Hegemon des jihad aufsteige also zum Gegenhegemon, zu
jener Kraft, die den Weltsouverän überzeugender als andere in
Aussicht stellt (255). Schwer zu sagen, ob der Nachsatz so etwas wie
Unsicherheit in der Begriffswahl ausdrückt. Merkwürdig ist
jedenfalls, dass Scheit dem globalen Islamismus bei der Verwirklichung des
Wahns eine Wirkungskraft zuschreibt, die er auf der anderen Seite den globalen
Institutionen der internationalen Gemeinschaft permanent abspricht.
Nachvollziehbar ist, dass er die Wirkungskraft des Wahns islamistischer Rackets
klar beim Namen nennt, fragwürdig dagegen, warum die Anliegen
internationaler Organisationen zwangsläufig als die komplementäre
Spielart dieses Vernichtungswahns erscheinen müssen. Dabei könnte man
doch auch argumentieren, dass zum Beispiel humanitäre Organisationen wie
Amnesty International oder UNICEF zumindest einen Teil jenes
Gedankens verkörpern, den Scheit so despektierlich als den frommen
Wunsch des Immanuel Kant bezeichnet. Ist Politik im internationalen Raum nicht
viel komplexer als Scheit es in seinem Buch vorführt? Ist es ausreichend,
dabei auf positive Beispiele gänzlich zu verzichten, weil sie die eine
tragende These eventuell relativieren? All dies aber sind vermutlich Fragen,
die himmelweit an einer Ideologiekritik vorbeizielen, die wie Scheit es
ausdrückt das Schlimmste an(nimmt) (263), damit sich ihre
Adressaten anders entscheiden mögen.(22) Und dafür bedarf es dann wohl
doch dieser überladenen These vom völkerrechtlichen Wahn. Am Ende
muss es immer irgendwie reißerisch sein.
Roman
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