Zwischen Skylla und Charybdis
Eine Nachlese zur letzten Antifadebatte
Dieser Text ist eine Kritik verschiedener Positionen, die in der
letztjährigen Antifadebatte vertreten wurden. In der Debatte ging es um
die Frage, wie Deutschland heute adäquat zu kritisieren sei. Ich werde
sowohl den Antinationalismus des Ums Ganze-Bündnis als auch die von
Leipziger Gruppen vertretene Spielart des Antideutschtums behandeln und
abschließend noch kurz auf Hannes Gießlers Einlassungen zu dieser
Thematik eingehen.
Alle Jahre wieder kommt es in der Post-Antifa zu Rangeleien um die neue Linie
der Bewegung, die die üblichen Verdächtigen dazu veranlassen, sich
die Köpfe zu waschen. Auch im Jahr 2009, dem so genannten Supergedenkjahr,
versuchte man sich an einer Positionsbestimmung wie gehabt mit markigen
Parolen, bunten Schlagwörtern und kernigen Aufrufen für/gegen
dieses/jenes.
Die Hauptkonfliktlinie verlief dieses Mal entlang mehrerer bundesweiter
Demonstrationen in Berlin, Saarbrücken und Leipzig. Was war geschehen?
Erregung Erwartung Enttäuschung.
Der Zyklus der
Bewegten.
Einen ersten Hinweis gibt uns das Papier Gegen Deutschland helfen keine
Gedichte!(1) zusammengeschmiert von den Antifa-Gruppen AK Antifa
Köln und Antifa [F], die beide im Ums
Ganze-Bündnis assoziiert sind. Ums Ganze war in den letzten Jahren
bereits durch ein als kritisch apostrophiertes Mitmachen bei dem
antiamerikanischenVolksfest in Heiligendamm aufgefallen. Im Gegensatz zu den
meisten anderen Gipfelstürmern glaubte man bei Ums Ganze, diese
Praxis noch durch irgendwelche hippen Theorien rechtfertigen zu
müssen dabei haben doch die übrigen Teilnehmerinnen
längst vorgemacht, dass für die anvisierte Brechung der
Zinsknechtschaft ein diffuses Ressentiment völlig hinreichend ist. Sei`s
drum: Im Dezember 2007 wurde im Frankfurt a.M. ein Kongress zu
(Post-)operaismus und Wertkritik nachgereicht. Das Kongressmotto
erinnert nicht zufällig an zahlreiche universitäre Veranstaltungen,
die Dinge, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, provokativ
ins Verhältnis setzen, um dadurch die im akademischen Betrieb zum
Selbstzweck erstarrte Originalität zu suggerieren. Und so gebar auch Ums
Ganze damals mit der postoperaistischen Wertkritik kaum mehr als eine
Eierlegende Wollmilchsau. Besieht man das aktuelle Treiben selbiger
Zusammenhänge, wird man schnell feststellen, dass es sich bei dem
2007 geschlüpften Theoriemonster von vornherein um eine Totgeburt
handelte. Denn dort wird bereits seit einigen Monaten einem neue Theoriehype
gefrönt: dem sogenannten Antinationalismus.
Dieses Retro-Ideologem, das die letzten zehn Jahre zurecht in der Rumpelkammer
der Bewegung vorlieb hatte nehmen müssen, wurde nun wieder hervorgekramt,
kurz entstaubt und seither als letzter Schrei angepriesen. Mit dem
Antinationalismus soll endlich der lange gesuchte Schlüssel zu
massentauglicher Theorie, bundesweiter Organisation und machbarer Praxis
gefunden sein. Nach (Post-)operaismus und Wertkritik kräht dagegen kein
Hahn mehr die sind einfach too last season!
Die in der Linken immer wiederkehrenden Theoriemoden, die, von den Macherinnen
und Netzwerkern professionell angedreht, kollektiv durchgehechelt und dann
schnell wieder vergessen werden, sind das Gegenteil kritischen Denkens,
gleichwohl sie genau dies zu sein behaupten. Das denjenigen gegenüber, die
sich nicht husch-husch dem Denk-Trend anpassen wollen, alle Register des linken
Antiintellektualismus gezogen werden, spricht diesbezüglich Bände.
Ich erspare den Leserinnen die haarsträubenden Belege.
Das mit dem diesjährigen, generalstabsmäßig geplanten
Manöver einige Antifagruppen ins antinationale Boot geholt werden, steht
zu erwarten, denn Ums Ganze hat an alles gedacht, was das Herz der Zielgruppe
höher schlagen lässt: So wurden nicht nur verschiedene Demos,
Workshops und Vorträge abgehalten, nicht nur Flugblätter,
Broschüren und Jugendzeitungen veröffentlicht, nein, es wurde auch
ziemlich stylishes Merchandise rausgehauen, etwa Poster, Videos, Jingles,
Aufkleber und Streetart-Stencils. Auch T-Shirts zur Kampagne konnte man
erwerben und sogar Streichholzschachteln, die für die Jugendzeitschrift
der Kampagne werben, wurden gesichtet. Dass es mit der Kritik trotzdem
oder gerade deswegen nicht so weit her ist, wie Ums Ganze behauptet,
soll im Folgenden vor allem anhand des eingangs erwähnten Papers
verdeutlicht werden. Einige Proben daraus mögen im Folgenden
verdeutlichen, was man nicht nur in Köln und Frankfurt unter
Gesellschaftskritik auf der Höhe der Zeit (miss-)versteht.
Einfarbiger Formalismus
Doch die Jahrhunderte des Kapitalismus sind zugleich randvoll mit
organisierter Gewalt, massenhaftem Elend und einsamer Verzweiflung. An der
Spitze dieser zivilisierten Barbarei stellte sich die nationalsozialistische
deutsche Gesellschaft mit Vernichtungskrieg und Holocaust. (
)Die
sichtbaren Leichenhaufen der kapitalistischen Welt sind aber nur Exzesse ihrer
alltäglichen Irrationalität. (Ums Ganze(2))
Irgendein Dasein, wie es im Absoluten ist, betrachten, besteht hier in
nichts anderem, als daß davon gesagt wird, es sei zwar Jetzt von ihm
gesprochen worden als von einem Etwas: im Absoluten, dem A = A, jedoch gebe es
dergleichen gar nicht, sondern darin sei alles eins. Dies eine Wissen,
daß im Absoluten alles gleich ist, der unterscheidenden und
erfüllten oder Erfüllung suchenden und fordernden Erkenntnis
entgegenzusetzen oder sein Absolutes für die Nacht auszugeben, worin, wie
man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität der
Leere an Erkenntnis. (G.W.F. Hegel)
Eigentlich ist das alles ganz einfach: Es gibt seit ein paar Jahrhunderten
Staat.Nation.Kapital. und das ist: Scheiße. So will es
jedenfalls die hemdsärmelige Parole von Ums Ganze. Dagegen ist auch
erst einmal, insbesondere angesichts des etatistischen, antiimperialistischen
linken Mainstreams von SAV bis attac mit dem man gleichwohl in
Heiligendamm kritisch gemeinsame Sache machte wenig einzuwenden.
Im Gegenteil ist es gerade begrüßenswert, dass das Bündnis den
Versuch unternimmt, einige der zentralen Kategorien von Gesellschaften mit
kapitalistischer Produktionsweise ihrem allgemeinen Gehalt nach auf den Begriff
zu bringen. Ist es doch nur der auf diesem Wege im besten Fall gewonnene
Marxsche Begriff der Gesellschaftsformation, der es möglich macht, die im
Alltagsbewusstsein jederzeit schon fetischistisch miteinander verwachsenen
Seiten des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur, also die stoffliche
Seite und die Wertseite, analytisch zu scheiden.
(3) Die Erkenntnis, dass die
jetzige Gesellschaft nicht einfach ein unmittelbarer Ausfluss der conditio
humana, sondern eben eine bestimmte, historisch entstandene Form der Produktion
des gesellschaftlichen Reichtums, ist, ist identisch mit der Möglichkeit
der Sondierung tatsächlicher Übergangsmöglichkeiten in eine
andere, bessere Gesellschaftsform. Alles andere bleibt eine fetischistische
Donquichotterie, die auf dem Boden des Kapitalverhältnisses einzelne
Kategorien (Lohnarbeit, Staat, Sachwerte etc.) gegen andere (Geld, Zins,
Finanzkapital etc.) auszuspielen versucht, ohne deren inneren
Zusammenhang erkennen zu wollen. Diese aussichtslose Spiegelfechterei
führt bestenfalls zu moralischer Empörung, bewegt sich aber immer
schon am Rande des Antisemitismus denn z.B. die Krise als brutalster
Ausdruck der Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber ihren
Mitgliedern kann so nicht verhindert und will dennoch erklärt werden,
wofür traditionsgemäß zuvörderst Juden herhalten
müssen.
So weit so gut. Dummerweise gibt es aber nicht nur Staat & Nation im
universal-realistischen Singular, sondern Staaten und Nationen im Plural, d.h.
verschiedene Erscheinungen der allgemeinen Kategorie Staat, die als
konstitutives Moment der Gesellschaftsformation Kapitalismus gelten kann. Das
weiß natürlich auch Ums Ganze, doch wird das Problem hier
handstreichartig durch eine Art ontologische Zwei-Welten-Theorie gelöst.
Einerseits gibt es allgemeine Merkmale des Staates. Andererseits weiß man
ja, ganz nominalistisch, dass kein Ei dem anderen haargenau gleicht. Es wird
also zunächst großzügig eine Vielheit von Staaten konzediert,
die alle als Einzelne erscheinen, in dem Sinne, das sie nicht genau identisch
sind. Die Aspekte, hinsichtlich derer sie sich unterscheiden, müssen dann
aber in einem zweiten Schritt als ephemer, nicht wesensmäßig und
daher: vernachlässigbar gesetzt werden. In einem mathematischen Bild
ausgedrückt, könnten etwa alle Staaten als auf einem gemalten Kreis
liegend vorgestellt werden. Die mangelnde Perfektibilität des Kreises
kommt nun daher, dass der Kreis eben per definitionem niemals ideal erscheinen
kann. Die Abweichungen von der Idealform denken wir uns dann eben als
Uneigentliche einfach weg.
Das klingt erst einmal ganz plausibel, doch wenn diese Denkart auf die
Mannigfaltigkeit der Realgeschichte angewendet wird, führt sie zu
gefährlichen Simplifizierungen. So etwa, wenn UG den Antideutschen
(4)
patzig die Geschichte des 20.Jahrhunderts zu erklären meinen:
Egal ob Britisches Empire, USA oder Deutsches Kaiserreich genau
genommen gab es bloß nationale Sonderwege'`in der Entwicklung des
Weltmarktes. Auch der deutsche Sonderweg war nur eine wenn auch
bemerkenswert menschenverachtende Variante der Verarbeitung der
Konfliktlagen der kapitalistischen Weltmarktkonkurrenz.
Das Allgemeine, das sich also im 20.Jahrhundert (oder wann auch immer, UG
machen sich nicht besonders viel Mühe, das zu spezifizieren) zugetragen
hat, war demnach die Entwicklung des Weltmarkts. Die Geschichte der letzten
Jahrhunderte soll hier als von einer Handvoll Abstraktionen Staat,
Nation, Kapital, Weltmarkt etc. erfassbare rekonstruiert und
verständlich gemacht werden. Dazu kommt dann noch ein irrelevanter Rest,
über den nachzudenken UG wenig lohnenswert zu sein scheint: Jedem Land
seinen eigenen Sonderweg, dann muss man über die
Normalität
des deutschen Sonderwegs nicht mehr sprechen, denn auch der
fällt laut UG
nicht aus der Geschichte der
kapitalistischen Entwicklung heraus!
Ums Ganze verliert sich an dieser Stelle zunächst in leeren
nominalistischen Sophismen alle Einzelnen sind verschieden , um
damit die Frage nach dem
Besonderen als sinnlos zu diskreditieren. In
einem zweiten Schritt schwenken sie dann in einen Reduktionismus des
Allgemeinen, der zu dem abstraktiv gewonnenen Wesen hinter den Dingen
Zuflucht nimmt, dem sicheren Grund der Theorie sozusagen. Es verhält sich
aber anders, als UG uns glauben machen will, ja, genaugenommen verstellt
ihre Analyse den Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts sogar mehr, als
sie zu erhellen. Somit verfehlt sie den Zweck kommunistischer Kritik heute
d.h. nach dem NS ums Ganze. Genaugenommen handelt es sich
bei dem
deutschen Sonderweg nämlich durchaus um einen, der
außerhalb von zwei Sigma liegt und somit um eine besondere
Ausnahme von der von UG einzig betrachteten allgemeinen Regel, dem
reibungslosen kapitalistischen Normalvollzug.
Kein Staat. Kein Kapital. Keine Nation.
Noch mehr Scheiße: der
Nationalsozialismus
Was aber ist nun die Struktur des Nationalsozialismus, wenn es
sich nicht um einen Staat handelt? Ich wage zu behaupten, dass wir es hier mit
einer Gesellschaftsform zu tun haben, in der die herrschenden Gruppen die
übrige Bevölkerung direkt kontrollieren ohne die Vermittlung
durch den wenigstens rationalen, bisher als Staat bekannten Zwangsapparat. Noch
ist diese neue soziale Form nicht voll verwirklicht, aber die Tendenz ist
vorhanden, und sie bestimmt das eigentliche Wesen des Regimes.
(Franz
Neumann, 1942)
Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen, in
dieser Formel spricht die klassische Ökonomie den historischen Beruf der
Bourgeoisperiode aus. (Karl Marx)
Auch ich glaube jedoch, dass die Diagnose Gier nach Weltherrschaft`
keine angemessene Beschreibung der deutschen Krankheit ist (
).Sicher,
wenn es die Dummheit der anderen den Deutschen leicht genug macht, werden sie
die Weltherrschaft gern als eine Art nützliches Mittel zum Zweck
übernehmen. Aber der Zweck selbst ist das Verbrechen um des Verbrechens
willen, der Sadismus um des Sadismus willen, der Kannibalismus, der sich
aller Mittel und Ressourcen der modernen Wissenschaft bedient`, um des
Kannibalismus willen so wie es etwa in der Abschlachtung der Juden
deutlich wird, die sich auf keine zweckmäßigen Motive
zurückführen lässt. (Dosio Koffler, 1943)
Der Nationalsozialismus lässt sich nicht, wie UG meinen, mit dem kargen
Begriffsapparat von Kapital, Staat und Nation bestimmen, und wenn doch, dann
nur ex negativo. Soll heißen: Zwar hat er diese zum historischen
Ausgangspunkt und ihr Verständnis (in einem logischen Sinn, d.h.
als Formen) ist konstitutiv für ein Verständnis des NS. Daraus folgt
jedoch nicht, wie UG zu vermuten scheinen, dass im Falle des NS einfach eine
Radikalisierung des kapitalistischen Normalzustands vorläge, die sich
durch mehr Staat, stärkere Ausbeutung durch das Kapital und Leichenberge
hüben wie drüben erfassen ließe. In der folgenden kurzen Skizze
soll angerissen werden, warum das mindestens einseitig ist. Ich werde nur
stichwortartig etwas zur Transformation der Rolle der zentralen Kategorien
kapitalistischer Vergesellschaftung im NS sagen:
Mehr
Staat kann im 20. Jahrhundert tatsächlich allerorten
beobachtet werden: Im preußisch-sozialdemokratischen
Schützengrabensozialismus des Ersten Weltkriegs, in der Regimephase des
italienischen Faschismus ab Mitte der 1920er Jahre (stato totalitario) oder
auch im real existierenden Sozialismus. Ihren ideologischen Ausdruck
fand diese spezifische Konstellation von Staat und Gesellschaft im Etatismus
alles für den Staat , nichts gegen den Staat, nichts
außerhalb des Staates (Mussolini). Ob das allerdings auch für den
Nationalsozialismus zutrifft, wie es der linke Common Sense will, ist
fragwürdig.
(5) Hier wären etwa die Einwände von Franz Neumann zu
berücksichtigen, die vor allem Gerhard Scheit in den letzten Jahren
fruchtbar gemacht hat. Neumann zufolge war der Nationalsozialismus gerade kein
totaler Staat, sondern vielmehr eine Art organisierte Anarchie, eine
Polykratie ohne einheitlichen Zwangsapparat und rationale, berechenbare
Verwaltung, ohne Rechtssicherheit und ohne klar bestimmbares, konstantes
Machtzentrum. Die Herrschaft wurde nicht von einer einheitlich gegliederten
staatlichen Bürokratie, sondern von einer Vielzahl weitgehend voneinander
unabhängig agierender Institutionen wie SA, SS, SD, Waffen-SS,
regulären Ministerien, Wehrmacht, Monopolen usw. ausgeübt, die sich
in ihren Kompetenzen überschnitten und nur dem Willen des Führers,
nicht aber einer bürokratisch institutionalisierten Hierarchie
unterstanden. Somit entstand ein rechtloser Zustand, der eine extreme
Radikalisierung und Verallgemeinerung des Freikorpsterrors der Weimarer
Republik darstellte. Dieser Zustand bedeutete eine umfassende Restitution
unmittelbarer Herrschaft und Gewalt, die ihren Ausnahmecharakter verlor und im
alltäglichen Terror zur Regel wurde.
Ähnliches lässt sich für die Kategorie des
Kapitals
feststellen. Zwar brummte im NS die Industrie mit fetten Profiten diese
scheinbar normale kapitalistische Realität war jedoch nur auf Pump zu
haben. Der Aufschwung wurde mittels ungedeckter Wechsel vollzogen und rechnete
von vornherein auf den früher oder später notwendigen Bruch mit der
kapitalistischen Normalform der Reichtumsproduktion bzw. -aneignung. Er lief
bereits von Anbeginn an auf Krieg und Beutefeldzüge heraus, also auf die
massenhafte nicht-kapitalistische Aneignung von Reichtum (Waren) und
menschlicher Arbeitskraft, die das wirtschaftliche Hasardspiel ex post lukrativ
werden lassen sollte. In der im großen Stil eingesetzten Zwangsarbeit, in
der drastischsten Variante als Vernichtung durch Arbeit verlor die
Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft ihren kapitalistischen Charakter, sie
wurde nicht mehr als Vertragsverhältnis vollzogen (wenn doch, dann nur zum
Schein). Die hier konstatierbare Abschaffung der Zirkulationssphäre als
Sphäre der Vermittlung
(6) (hier: des Arbeitsmarkts) führte zum
unmittelbaren Kommando über die Arbeit, die unmittelbare Despotie
der Fabrik ohne die Anarchie des Marktes mit dem fundamentalen
Unterschied allerdings, dass in der kapitalistischen Despotie der Fabrik der
Arbeiter immer noch mit der kontinuierlichen, langfristigen Reproduktion seiner
Arbeitskraft rechnen darf:
Abgesehen von dem natürlichen Verschleiß durch Alter usw.,
muß ich fähig sein, morgen mit demselben Normalzustand von Kraft,
Gesundheit und Frische zu arbeiten, wie heute, so spricht die Stimme des
Arbeiters zur Kapitalistin und beide kennen sie auf dem Marktplatz nur
ein Gesetz, das des Warenaustausches (MEW 23, 248).
Es tritt hier aber ein weiteres nicht-kapitalistisches Moment hinzu: es
verschwindet nicht nur die spezifische Form der Vermittlung Recht,
Arbeitsvertrag , so dass Herrschaft und Ausbeutung unmittelbar in eins
fallen; es wird nicht nur das Tauschprinzip, das doch auch ein Gewalttabu
impliziert, in den ganz Europa heimsuchenden Raubzügen und
Arisierungen ausgelöscht; es wird auch mit dem Prinzip der
Kalkulierbarkeit (Lukács), gewissermaßen dem wahren Geist
des Kapitalismus gebrochen, und zwar insofern, als die Programme der
Vernichtung durch Arbeit sich diesem Prinzip einer ökonomischen
Zweck-Mittel-Rationalität entziehen und nicht aus der Logik des Kapitals
begreifen lässt eine Art Triumph des subjektivistischen Willens,
der den Kollaps der instrumentellen Vernunft provoziert. Am drastischsten gilt
das natürlich für die ermordeten Juden, Roma und andere rein
ideologische Opfer des Nationalsozialismus. Analysiert man die
Ideologien, die hier wirkmächtig geworden sind, so wird man feststellen,
dass der NS auch subjektiv, d.h. nach seinem eigenen Wollen und
Selbstverständnis nach, eine dezidiert antikapitalistische Revolte war;
seine paranoide, kapitalistisch-antikapitalistische Wahnlogik materialisierte
sich in den Leichenbergen.
Desgleichen war der NS keine Episode auf dem Weg in den
Weltmarkt, kein
Kapitel in der Modernisierungsgeschichte, keine Diktatur nachholender
Entwicklung und keine ursprüngliche sozialistische Akkumulation
(Trotzki) also keine mit irgendwelchen schematischen
Entwicklungstheorien greifbare Form der Vergesellschaftung. Vielmehr war der NS
der Versuch, in der Krise aus einer Position voller Weltmarktintegration einen
Weg aus dem Weltmarkt heraus Deutschland war bereits in Weimar
beinahe Exportweltmeister! in die autarke, bzw. später in
die Raubkriegswirtschaft zu finden. Nur vor durch das subkutanen Fortwirken
eines geschichtsphilosophischen ML-Determinismus, der die Linearität des
historischen Verlaufs von der Sklavenhaltergesellschaft bis zum Kommunismus
bruchlos-wissenschaftlich in der Tasche zu haben glaubt, kann man den
Bruch des NS mit dem vermeintlichen Entwicklungsgesetz Alle Mann in den
Weltmarkt so selbstsicher übergehen, wie Ums Ganze dies tut.
Was den
Nationalismus betrifft, so lässt sich sicher nicht leugnen,
dass er in der Ideologie des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle spielte.
(7)
Es kann aber auch von einer gewissen Relativierung des Nationalismus a) durch
den Antisemitismus und b) durch den Rassismus gesprochen werden.
Die zentrale Bedeutung des Antisemitismus ermöglichte eine geradezu
internationalistische Kooperation der Völker gegen das Judentum, das in
der antisemitischen Ideologie als Feind
aller Völker, als Zersetzer
sans pharse, d.h. nicht nur als Feind einer
bestimmten Nation (Deutsche
vs. Französinnen), sondern als personifiziertes Anti der
Ordnungskategorie , des
Prinzips Volk/Nation erscheint.
(8) Der
Rassismus, der insbesondere von der in der SS organisierten Elite der Bewegung
vertreten wurde, wandte sich sogar explizit gegen das Prinzip der Nation, das
als blutlose Angelegenheit der Spießbürger verachtet wurde. Auf der
Grundlage pseudowissenschaftlicher Rassetheorien wurde eine demographische
Umstrukturierung (Aufnordung) gefordert, die mit der politischen Vision
eines rassischen Neoaristokratismus korrespondierte. Diese neuadlige
Ordnung sollte
nicht entlang nationaler oder sozialer Grenzen verlaufen,
da selbst in einem Land wie Deutschland, mit vergleichsweise hochwertigem
Rassematerial nur 6 - 8 % der Bevölkerung von rein nordischem Geblüt
seien der Rest der Nation sei mehr oder weniger minderwertig und daher
einer erbgesundheitlichen Reinigung zu unterziehen.
(9) Diese supra-, ja,
geradezu antinationale Ideologie machte dem alten Nationalismus à la
Bismarck, wie auch dem neuen Nationalismus à la Ernst Jünger
Konkurrenz.
(10)
Sicher, ich habe in dieser Skizze die Tendenzen zur Auflösung der
bürgerlich-kapitalistischen Normalform sehr einseitig dargestellt, diese
ist selbstverständlich nicht von heute auf morgen verschwunden, sondern
lag überall im Konflikt mit der neuen Ordnung. Das Dargestellte sollte
aber hinreichend sein, um als ein Fazit festzuhalten, dass der
Nationalsozialismus eine hybride Gesellschaftsform war, in der alle zentralen
Kategorien des kapitalistischen Normalvollzugs auf drastische Weise in Frage
gestellt wurden, ohne das dies auch nur einen Funken menschlicher Emanzipation
bedeutet hätte. An die Stelle des totalen Individuums (Marx), das
die Aufhebung des Kapitalverhältnisses erst ermöglichen sollte, trat
seine Liquidation in der Volksgemeinschaft.
Zwei Persilscheine für deutsche Antikapitalistinnen
Die reduktionistischen Fehleinschätzungen hinsichtlich des NS
führen zu einer Reihe bedenklicher Konsequenzen in der Position von Ums
Ganze. Im Gegensatz zu den Antiimperialisten, die wesentliche Aspekte des
NS-Weltbildes einfach übernehmen, um in einer grotesken Verkehrung die
antiamerikanischen Volksmassen als Opfer eines neuen, USraelischen Faschismus
zu imaginieren, setzt UG den Relativierungsdiskurs der gesellschaftlichen Mitte
fort. Die Frankfurter Gruppe
Sinistra! bemerkte denn auch treffend, dass
es aus dem UG-Aufruf so unverhohlen walsert, wie sonst nur an deutschen
Stammtischen.
(11) Der lakonische und dummdreiste Ton, mit dem hier selbst
ernannte Antifaschisten von den Exzessen des Nationalsozialismus
und vergangenen nationalen Untaten schwadronieren, ist schlichtweg
unfassbar. Man kann den Antinationalismus durchaus als Fortführung der
Relativierung, mit anderen, nämlich spezifisch linken Mitteln verstehen.
Zwar wird der NS hier nicht ins Menschlich-Allzumenschliche aufgelöst,
doch seine Opfer werden einfach als normale Entstehungskosten des
Weltmarkts verbucht. Es ist weiterhin bemerkenswert, mit welch
traumwandlerischer Sicherheit der Antinationalismus auf Israel zielt. Auf die
Nation zielen und Israel treffen, so könnte beschreiben, was hier
von statten geht. In der schlechtesten Traditionen linken Ressentiments
befindet sich Ums Ganze, wenn ein antinationalistisch camouflierter
Antizionismus als besonders widerständig und dissident ausgegeben wird.
Wenn etwa gegen
verkappte Liberale (lies: Antideutsche)
polemisch verkündet wird, dass es einer kommunistischen Position nicht
darum gehe, dass
auch noch der Letzte die Formel von der
besonderen deutschen Verantwortung gegenüber Israel` runterbeten
kann, dann knüpft diese Rhetorik an die übelsten
deutschnationalen Ressentiments gegen eine dem deutschen Volk oktroyierte
Aufarbeitung der Vergangenheit an. Diese ressentimentgeladene Schuldabwehr ist
von der KPD/SED genauso gepflegt worden, wie von der CDU, also keineswegs ein
Privileg der Rechten. Zwischen den Zeilen lassen UG dann auch durchblicken,
dass sie durchaus um die ideologischen Dispositionen ihrer Landsleute wissen
die prospektiven Opfer aber für ihre erträumte Volksbewegung
gegen die Weltmarktkonkurrenz in Kauf nehmen: Voraussichtlich werde
die antideutsche Linke (
) wohl auch im Saarland und in Leipzig
wieder Israel- bzw. Alliiertenfahnen aus dem Zweiten Weltkrieg als Zeichen
ihrer kompromisslosen Ablehnung` Deutschlands [flaggen]. Damit macht sie
es den Fans der BRD leicht. Das stimmt, denn diese Fans bekommt man nur
ins antinationale Boot, wenn man die unter ihnen seit jeher
grassierenden Zwillingsideologien Antisemitismus und Antiamerikanismus mit
antinationaler Nachsicht behandelt.
In der Praxis läuft diese Indifferenz gegenüber Israel auf eine
subtile interkontinentale Arbeitsteilung heraus, bei der linksradikale Deutsche
dem heutigen mörderischen Treiben islamfaschistischer Banden achselzuckend
zusehen und bei etwaigen Nachfragen auf ihren
Antinationalismus-Persilschein verweisen.
Einen solchen Persilschein stellt man sich auch hinsichtlich der Geschichte der
Linken aus, denn wenn der Nationalsozialismus einfach eine Spielart des
Kapitalismus war, die weiterhin im Koordinatensystem Staat-Nation-Kapital
operierte, dann steht man in einer Positionierung gegen eben dieses
Koordinatensystem von vorherein auf der richtigen Seite der Barrikade. Ein
solches
Dagegen-Sein, das sich nicht darum schert, dass die
reaktionäre Kritik an Staat/Nation/Kapital schon einmal mit
apokalyptischem Furor realisiert wurde und somit eine Kritik des linksrechten
Antikapitalismus verdrängt, statt sie zum Zentrum der Reflexion zu machen,
ist geschichtsvergessener Müll.
Nationalgeschichtsschreibung, links gewendet
Am deutschen Wesen mag die Welt genesen (Ein deutscher Dichter)
Die deutsche Nationalgeschichte ist ein ewiges Denkmal an Barbarei,
Zivilisationsbruch Auschwitz und die Vernichtung jeder postaufklärerischen
Rationalität und Vernunft (INEX)
Am deutschen Wesen soll die Welt verwesen? (Frei nach Peter Christoph
Zwi)
Nun sollte man denken, dass diejenigen, die von UG als Antideutsche ausgemacht
werden, es besser wissen. Diese Hoffnung wird allerdings schnell
enttäuscht, wenn man liest, was die Leipziger Vorbereitungsgruppe der
Still Not Lovin` Germany-Demonstration, sowie die
INEX als
umtriebigste Gruppe innerhalb dieses Bündnisses im Supergedenkjahr so von
sich gegeben haben. Hannes Gießler hat dazu schon einige richtige
Bemerkungen gemacht, insbesondere was die alarmistische Einschätzung der
deutschen Zustände, sowie die mangelnde historische Urteilskraft
(12)
der Gruppe(n) angeht.
(13) Ich will noch einmal auf einige grundlegende
Mängel dieser Position aufmerksam machen, die im Zusammenhang mit den
misslungenen Bestimmungsversuchen dessen, was deutsch ist, stehen.
Der größte Vorteil der INEX ist zugleich ihr größter
Nachteil. Sie gehen über eine Analyse der schlechten Allgemeinheit hinaus
und wenden sich den deutschen Verhältnissen zu. Statt diese aber dort, wo
es angebracht wäre bei der Bestimmung des Nationalsozialismus
zu fassen, um die von hier aus zu bestimmende Besonderheit Deutschlands
aus dem historischen Zusammenhang mit dem Allgemeinen, eben den
vollentwickelten, in die Krise geratenen kapitalistischen Verhältnissen im
Deutschland der Weimarer Republik zu begreifen und davon ausgehend einen
Begriff des Nationalsozialismus als bestimmter Gesellschaftsform zu entwickeln,
verdinglichen INEX & Co das Deutsche zu einem Einzigartigen,
schlechthin Inkommensurablen und mystifizieren es konsequenterweise zum
Nationalcharakter
(14) (S. 2).
Wenn INEX versucht, den Begriff des Deutschen inhaltlich zu bestimmen, geraten
sie dann auch permanent in Verlegenheit ohne dies jedoch selbst zu
bemerken. So geht es in ihrer Broschüre, die es sich zum Ziel gesetzt hat,
die Kategorie der Nation in der
ganz bestimmte[n] Form ihrer
ideologischen Verfasstheit in Deutschland(S. 3) zu erfassen, um alles
Mögliche: die Wende, die DDR, 1848, 1918, BRD I und BRD II, das ewige
INEX-Schreckgespenst Totalitarismus- bzw. Extremismustheorie,
deutschen Imperialismus (deutsche
Weltordnungsvorstellungen) etc.
Um den Nationalsozialismus geht es dagegen nicht. Statt einer
Auseinandersetzung mit dem NS, gibt es eine Auseinandersetzung mit der
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus(S.25). Es geht der
Initiative gegen jeden Extremismusbegriff, die den Idealismus ja bereits
im Namen trägt, vor allem um den Kampf gegen das deutsche
Nationalnarrativ (S.2), das auch im Einzelnen ganz richtig
rekonstruiert und kritisiert wird. Dabei kommt allerdings nicht mehr heraus,
als eine Art alternativer Nationalgeschichtsschreibung, die das
negativ-komplementäre Pendant der offiziösen
Nationalgeschichtsschreibung bleibt, indem sie deren Prämissen,
nämlich eine Fokussierung auf Politik, Kultur, Diskurse im Rahmen einer
sich über die Jahrhunderte hinweg durchhaltenden nationalen Geschichte,
die als Emanation des Deutschen in der Zeit vorgestellt wird, teilt, und
lediglich einen Vorzeichenwechsel in der Bewertung vornimmt.
Was aber ist dieses Deutsche, dass die Gruppe in ihrem Parforceritt
(INEX) durch die deutsche Geschichte von 1848ff. überall aufzuspüren
glaubt? Und: was macht es so einzigartig böse? Wenn auf den Begriff
gebracht werden soll, worin die vielbeschworenen Kontinuitäten bestehen,
rekurriert INEX auf kulturhistorisch-mentalitätsgeschichtliche Topoi, die
so unscharf sind, dass sie die Erkenntnis der deutschen Spezifik mehr
verdecken, als sie aufzuklären. Das tritt eklatant zu Tage, wenn versucht
wird, den Transformationsprozess von 1989 auf einen deutschen
Nenner zu bringen. In Abgrenzung zur ideologischen Phrase von der
friedlichen Revolution könne man von diesen Prozessen
nur [als]
von einer typisch deutschen Revolution` wie von 1848 oder 1918 sprechen.
Wenn Deutsche Revolutionen machen, setzt sich am Ende stets die
reaktionäre Mehrheit gegen die Minderheit durch, die Befreiung und
Emanzipation im Sinn hatte.(S.7) Und warum ist das so? Fünf Seiten
später bekommen wir die Antwort:
Hier [1989; J.K.] zeigte sich
die Affinität mit einer apolitischen deutschen Kultur, die eine wie auch
immer geartete Staatsräson solange mitträgt, wie diese den
materiellen Zielen staatlicher Fürsorge glaubhaft Rechnung
trägt.(
) Und so sei
[d]as unstillbare Verlangen nach
Westgeld, Pornos und Bananen, das sich während der Ereignisse von 1989
Bahn brach und Diskussionen um politische Ziele jenseits einer westlich
[!]
geprägten Konsumgesellschaft [!!]
in Abseits
drängte (S.12) angeblich Ausdruck von Antikommunismus und besagter
apolitischer deutscher Kultur. INEX bemüht hier wieder einmal das
Ewig-Deutsche ohne den Nationalsozialismus zu erwähnen, mit dem gleichwohl
durch Verwendung des einschlägigen Terminus Deutsche Revolution
(Carl Schmitt über die Machtergreifung) kokettiert wird. Bezieht
man jedoch den NS in die Analyse mit ein, dann wird deutlich, wie wenig die dem
Feuilleton abgeborgte Floskel einer apolitischen deutschen Kultur dazu
angetan ist, die wirkliche Deutsche Revolution von 1933ff. zu begreifen. Die
apolitische deutsche Kultur mag vielleicht das Biedermeier, die Romantik
oder den Ästhetizismus erhellen; der Nationalsozialismus jedenfalls ist
ihr gerades Gegenteil. Hätten sich die Deutschen 1933ff. mit
Südfrüchten und Pornomagazinen auf ihre Datschen zurückgezogen,
um dort ihr kleines Glück zu leben die Welt hätte aufatmen
können. Stattdessen übten sie sich im NS gerade in der
antibürgerlichen totalen Politisierung aller Lebensbereiche, die den NS
als Mobilisierung der Massen in Permanenz in besonderem Maße
kennzeichnet. Dass die ostzonalen Enkel der Nazideutschen 50 Jahre später
zum großen Teil in einen lethargischen Privatismus verfallen sind, gibt
also keinen Anlass zur Panik und ist kein Zeichen eines gefährlichen
Deutschtums, sondern vielmehr ein Grund zur Freude.
Das Beharren auf individuellen Bedürfnissen Bananen, Pornos,
Pauschalreisen ist die antinationalsozialistische Verweigerung des
Selbstopfers und die Grundbedingung für jeden Kommunismus. Diese
Bedürfnisse mögen ihrem Inhalt nach vor dem Hintergrund des
distinktionsbewussten Konsumstils postautonomer Kreise borniert erscheinen,
gefährlich sind sie nicht. Wenn die INEX gegen diesen schnöden
Materialismus (Nazijargon) bzw. Konsumismus (INEX) den reinen
Citoyenstandpunkt (selbstlos Politik-Machen) in Anschlag bringen, dann ahnt man
schon, dass hier mal wieder ein Kommunismus der Eisernen Reisschüssel in
den Startlöchern steht.
Neben diesem offenbar verfehlten Versuch einer mentalitätsgeschichtlichen
Begriffsbestimmung, bemüht INEX auch eine Reihe anderer Merkmale,
Phänomene etc. von denen nicht klar ist, was an ihnen spezifisch deutsch
sein soll. Hilflos werden einige Aspekte herangezogen, die aber allesamt einer
empirischen Überprüfung gar nicht standhalten, z.B. der Etatismus
(siehe oben). An einer anderen Stelle in der Broschüre, die ja immerhin
angetreten war, die
Suggestion (
) Deutschland sei eine ganz
normale aufgeklärte Nation (S.3) zu zerstören, versucht sich
INEX etwa in einer ideologiekritischen Bestimmung der Meinungsfreiheit, die nur
pro forma bestehe, de facto aber durch eine
Grenze des Sagbaren
(
) abhängig von politischer Konjunktur, Region und
Berufsfeld(S.22) eine Begrenzung erfahre. Es folgen ein paar Beispiele
aus Deutschland (André Holm etc.) von denen aber völlig
unklar bleibt, was an ihnen abgesehen von der offensichtlichen
Tautologie: staatliche Repression
in Deutschland =
deutsche
Staatsrepression im emphatischen Sinne
deutsch sein soll. Und
wenn INEX andernorts Folgendes zu Papier bringt
Wir glauben nicht, dass man die deutschnationalistische Mobilisierung
allein in ihrer Funktion der Standortkonkurrenz auflösen kann, sondern
dass deutscher Nationalismus mehr heißt als Sicherung der
Kapitalakkumulation. Ohne diese Funktion bestreiten zu wollen, kann sich der
Nationalismus doch immer wieder gegen die ökonomische Vernunft stellen,
wie allein das Beispiel der deutschnationalen Verteidigung der D-Mark gegen die
Einführung des Euro belegt. Und darüber hinaus ist Nationalismus
nicht nur ein Problem, weil er die Konkurrenz im Verwertungsprozess zementiert,
sondern auch, weil er als Ideologie Ausschlüsse produziert, die jenseits
des Verwertungs-zusammenhangs immer wieder zu Diskriminierungen, Verfolgungen
und Tod führen.(15)
dann formulieren sie damit zwar eine berechtigte Kritik am
funktionalistischen Ideologiebegriff von Ums Ganze aber kein Argument für
die Spezifik des deutschen Nationalismus. Überall in Europa wird die
eigene, gewachsene Ethnonation gegen die als künstliches
Bürokraten-Konstrukt verschriene EU in Stellung gebracht. Und man muss nur
nach Ungarn, Russland oder Italien sehen, um zu sehen, welche mörderischen
Folgen Ideologien wie der antisemitisch/xenophob/antiziganistisch aufgeladene
Nationalismus auch dort zeitigen.
(16) Vollends peinlich wird diese Suche nach dem
Ewig-Deutschen im unsäglichen Flyer der Gruppe zum 8.Mai.
(17) Zu dem dort
vertretenen antideutschen Antiimperialismus hat Hannes Gießler bereits
alles gesagt.
(18)
Die Position von INEX schwankt also zwischen einem Abdriften in eine
Nationalgeschichtsschreibung der etwas anderen, nämlich kritischen
Art, und der Rückkehr zur schlechten Allgemeinheit die steht genau
dann an, wenn einem nachgewiesen wird, dass mit leeren Gemeinplätzen wie
viel Staat, Großmachtstreben, staatliche und gesellschaftliche
Repression/Benachteiligung linksradikaler Kritikerinnen, Gewalt gegen
Minderheiten usw. überhaupt nichts spezifisch Deutsches erfasst
wird. Dann aber reduziert sich das Anti-Deutsche auf eine Frage der
Perspektive und die Antideutschen sind eben die, die sich das
sympathische, aber zu abstrakte und daher falsche Liebknechtsche
Diktum
(19) zu eigen gemacht haben, dass der Hauptfeind im eigenen Land
stehe. Und das heißt dann praktisch und einmal postmodern gewendet
nicht mehr und nicht weniger als die Unterbreitung ein[es]
Angebot[s] (
) sich dem deutschen Nationalnarrativ bestehend aus
Auslassungen und Umdeutungen, zu verweigern(S.3) also einem Diskurs
über Deutschland einen anderen Diskurs über Deutschland
entgegenzusetzen.
Solidarität mit toten Juden Clemens Nachtmann über eine
Verfallsform des Antideutschtums
Um es einmal ganz deutlich zu formulieren: die größte Bedrohung
für Juden und Jüdinnen heute ist nicht das Histotainment à la
Guido Knopp und ein paar Tausend sächsische Familien beim Lichterfest in
der Leipziger Innenstadt. Die größte Gefahr sind die Katjuscha- und
Atomraketen von Nasrallah und Ahmadinedschad. Davon will INEX (wie auch
Sinistra!
(20) und ein Haufen anderer ähnlicher Gruppen) anscheinend nichts
wissen. Es trifft daher auf sie zu, was Clemens Nachtmann bereits 2003 in einem
Aufsatz, der zur Pflichtlektüre sich selbst antideutsch verstehender
Gruppen gehören sollte, polemisch bemerkte:
Mittlerweile sieht man sich zu der Feststellung genötigt, dass das,
was jahrelang unter antideutscher Flagge segelte, sich als besondere Form der
Nekrophilie erwiesen hat als unbedingte Solidarität` (Gerhard
Schröder) mit toten Juden.(21)
Und weiter heißt es dort über den Begriff deutsch, also den
Gegenstand antideutscher Kritik:
das, was deutsch` ist ist keine fixe Eigenschaft`
(
) sondern eine polit-ökonomische Konstellation: eine
kapitalistische Vergesellschaftung, die aus der Not historischer
Verspätung eine Tugend macht und worin der das säumige Bürgertum
substituierende Staat sich zugleich an die Spitze einer antibürgerlichen,
antisemitischen Volksbewegung setzt und schließlich mit der Gesellschaft
zu einem in massenmörderischer Aktion gegen die Juden sich definierenden
Massenracket verschmilzt. Diese Konstellation kann deshalb deutsch`
genannt werden, weil sie hierzulande zuerst sich etabliert hat und ihre
bestialischen Potentiale voll entfalten konnte aber sie ist an sich
selbst kein historisch oder territorial eingrenzbares Phänomen, sondern
entspringt der konstitutiven Pathologie kapitalistischer Krisenbewältigung
und hat den Wirkungskreis ihrer vormaligen Exekutoren längst
überschritten(22)
Ganz unabhängig davon, ob es möglich ist, auf diesem Wege in Analogie
zur Marxschen Methode im Kapital einen reinen Begriff von den
Grundzügen der nachbürgerlichen Gesellschaft, von der negativen
Aufhebung des Kapitals
(23) zu entwickeln, ob also Deutschland für den
Begriff einer supponierten Gesellschaftsform namens nachbürgerliche
Gesellschaft eine vergleichbare Klassizität aufweist, wie es
England Marx zufolge für die kapitalistische Gesellschaftsform hatte: es
bleibt für Kommunistinnen die von Nachtmann klar formulierte Aufgabe, nach
Auschwitz eine Kritik zu formulieren, die sich sowohl gegen
Staat/Nation/Kapital, als auch gegen die anhaltenden Versuche ihrer
negativen Aufhebung positioniert. Dabei gilt es zu erkennen, dass sich
die relevanten Merkmale des Nationalsozialismus nicht raumzeitlich einhegen
lassen, sondern als ein der Wertvergesellschaftung notwendig
eingeschriebenes und deswegen aktualisierbares Potential (S.45) verstanden
werden müssen.
(24) Ich werde an dieser Stelle keine Vergleiche von
Islamismus und Nationalsozialsozialismus hinsichtlich ihrer Ideologie, bzw. der
Form der Herrschaftsausübung vornehmen. All das ist sattsam bekannt
(25), und
wenn es dennoch mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit von INEX und Konsorten
ignoriert wird, so liegt die Ursache einzig in einem liebgewonnenen
Traditionalismus, der es sich in seiner Pose gegen Deutschland gemütlich
gemacht hat und sein Engagement gegen Erika Steinbach & andere ideologische
Fossilien allen Ernstes für einen Antifaschismus auf der Höhe der
Zeit ausgibt. Denn die gerne herbeizitierte historische Lehre aus der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft lautet nicht Nie wieder Krieg!
und auch nicht einfach Nie wieder Deutschland!, sie lautet: Nie
wieder negative Aufhebung des Kapitals!
Epilog Eins: Wer oder was sind die Antideutschen?
Die größten Kritiker der Elche waren früher selber
welche. (Robert Gernhard)
Liest man die Debattenbeiträge aus dem Supergedenkjahr, dann fällt
eines auf: alle haben eine Meinung zu den Antideutschen und wissen
genau, was man darunter zu verstehen habe. Ums Ganze hält sie für
antiquiert und antikommunistisch, Hannes Gießler findet sie
selbstherrlich und identitär und die INEX nennt sich selbst antideutsch,
im oben skizzierten Sinne. Lustig ist daran, dass die Antinationalistinnen von
Ums Ganze sich einen antideutschen Pappkameraden zurecht gemacht haben, von dem
man zunächst geneigt ist zu glauben, dass er überhaupt keine
Entsprechung in der Realität hat. Liest man dann die Texte der INEX, dann
wirken diese, als seien sie geradezu dazu bestellt, um sämtliche seitens
Ums Ganze behaupteten Unzulänglichkeiten der Antideutschen in extenso zu
bestätigen. Um die Verwirrung zu komplettieren, fehlt nur noch Hannes
Gießler, der allen bestätigt, dass man es bei den Resten der
Post-Antifa ganz bestimmt mit den Antideutschen zu tun habe und es daher
höchste Zeit sei, sich vom Antideutschtum endlich zu verabschieden.
Mögen die anderen Beteiligten es auch nicht besser wissen, bei Hannes
Gießler fällt es schwer, diese prompte Zustimmung zum gängigen
Bild des Antideutschen nicht als Ranküne zu interpretieren. Oder
leidet er an Amnesie? Denn wie ist es sonst zu erklären, dass er, als
ehemaliges Mitglied einer
Antideutsch-Kommunistischen Gruppe nun glaubt,
dass die unter dem Etikett antideutsch firmierenden Gruppen und
Einzelpersonen in ihren Positionen jederzeit identisch seien mit INEX & Co?
Sein pauschalisierender Gebrauch des Wortes antideutsch suggeriert genau
die Existenz der Antideutschen als Bewegungs-Monolith. Ein Beispiel mag
hier genügen, um zu zeigen, wie sehr die Tatsachen dadurch verfälscht
werden:
Gießler moniert in seinem in Rede stehenden Text 20 Jahre
antideutsch-antifaschistischer Widerstand den Mangel an historischer
Urteilskraft bei den Antideutschen. Dieser Mangel mache es ihnen
unmöglich, die Gefahren, die vom Islamismus und anderen
zeitgenössischen antiindividualistischen Ideologien, Gießler nennt
z.B. das Multitudekonzept von Hardt/Negri, ausgehen, zu erkennen und
dementsprechend zum Hauptgegenstand ihrer Kritik zu machen. Ich frage mich
ernsthaft, wie jemand, der vermutlich ein halbes Dutzend Jahrgänge der
Bahamas gelesen hat, zu einer solchen grundfalschen Behauptung kommt.
Denn nicht nur bei der
Bahamas, die gemeinhin als Zentralorgan der
Antideutschen
(26) gehandelt wird, sondern auch in anderen, dem Autor
wohlbekannten Publikationen etwa aus dem Umfeld des Wiener
Café
Critique wird eben das, was er einfordert, bereits seit Jahren praktiziert.
Es besteht also keinerlei Veranlassung, eine Variation der Figur des
einsamen Kritikers zu geben
(27), um eine Originalität zu
hypostasieren, die nicht einmal der oberflächlichsten
Überprüfung standhält. Wenn man sich von den
Antideutschen verabschieden möchte, dann sollte man sich nicht eines
solchen unlauteren Taschenspielertricks bedienen, sondern sich an den
avanciertesten Positionen abarbeiten, die unter diesem Etikett vorgebracht
wurden. Dabei geht es nicht um die Proklamation des reinen homogenen
Standpunkts, um eine Rettung des antideutschen Labels oder darum Gruppen wie
INEX oder Sinistra! ihr echtes Antideutschtum abzusprechen. Im
Gegenteil: es geht darum, die von Gießler vorgenommene Homogenisierung
der Antideutschen zurückzuweisen, da sie die Heterogenität der
von Antideutschen vertretenen Positionen leugnet, um sich auf Kosten der
unterschlagenen Leistungen antideutscher Kritik als einsamer Mahner zu
profilieren. An die Stelle einer sachlichen Auseinandersetzung mit dieser
Heterogenität setzt sie ein diffuses Raunen, das kaum mehr als eine
Fortführung der weitgehend kenntnisfreien Gerüchteproduktion
über die Antideutschen ist, wie sie in der Linken seit nunmehr
zwei Jahrzehnten im Schwange ist.
Epilog Zwei: zu Hannes Gießlers erträglichster
aller machbaren Welten
Es irren also sowohl die, die die Lohnarbeit, den Verkauf der Arbeit an
das Kapital, und damit die Form des Salariats, als der kapitalistischen
Produktion äußerlich betrachten; sie ist eine wesentliche und durch
das kapitalistische Produktionsverhältnis selbst stets von neuem
produzierte Form der Vermittlung desselben; [als auch] die, die in diesem
oberflächlichen Verhältnis, in dieser wesentlichen Formalität,
Schein des Kapitalverhältnisses, sein Wesen selbst finden, und daher das
Verhältnis zu charakterisieren vorgeben, indem sie Arbeiter und
Kapitalisten unter das allgemeine Verhältnis von Warenbesitzern
subsumieren und damit apologisieren, seine differentia specifica
auslöschen. (Karl Marx)
Wenn Hannes Gießler auch eine im Wesentlichen richtige Kritik an der
Demonstration Still not lovin` Germany übt, so blieb doch bei
Vielen nach der Lektüre seines Textes ein schaler Nachgeschmack
zurück. Dr. Benwey machte seinem Ärger sogar mit Schaum vor dem
Mund Luft, Hallenser Antifaschistinnen sekundierten und warfen Gießler
kontrafaktisch Deutschlandbegeisterung vor.
(28) Auf zahlreichen Blogs im
Internet ging es noch deftiger gegen den gemäßigten
Faschismus (Blogkommentar) des Autors zur Sache. Ich möchte mich hier
abschließend noch kurz an einer immanenten Kritik versuchen, indem ich
das eingehe, was man Gießlers
Kritik der politischen Ökonomie des
real existierenden Sozialismus nennen könnte.
Über die ursprüngliche sozialistische Akkumulation 1917ff.
heißt es bei ihm: Während ihr kapitalistisches Vorbild mit dem
Klassenverhältnis schließt, d.h. mit Enteigneten, die gezwungen sind
ihre Arbeitskraft den Kapitalisten zu verkaufen, die über die
Produktionsmittel verfügen, resultierte aus der ursprünglichen
sozialistischen Akkumulation beschönigend formuliert die
Unterordnung der gesamten Arbeit (
) unter den wahrhaft
demokratischen Staat, den Staat der Arbeiter- und Soldatendeputierten`
(29)
Gießler nimmt sympathischerweise die Perspektive des Individuums ein und
macht den Marxschen Begriff der doppelt freien Lohnarbeiterin zur differentia
specifica zwischen den Resultaten der realsozialistischen und der
kapitalistischen Variante der ursprünglichen Akkumulation. Gegen die unter
antileninistischen Linkskommunisten weit verbreitete Charakterisierung des
sowjetischen Modells als Staatskapitalismus betont er daher das
nicht-kapitalistische Wesen dieses Modells. Das Kriterium dafür bestehe
eben darin, dass das Individuum im real existierenden Sozialismus
vollständig in die gesamtgesellschaftliche, nunmehr zentral
geplante, Produktion eingetaktet wurde (ebd.), also in einer
Staatsunmittelbarkeit stehe, die gerade eine der beiden Bestimmungen des
doppelt freien Lohnarbeiters dass er als freie Person über
seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt (MEW 23: 183; vgl. 742)
suspendiere.
Zwang, Auslieferung, Enteignung vor zwei Jahren fand Gießler trotz
aller notwendiger Differenzierung noch die passenden Worte für die
Negativität des Kapitalverhältnisses. Und heute? Hören wir uns
an, was er uns anno 2009 über das Leben im Kapitalismus mitzuteilen
beliebt:
Die Frage ist, wo stünde ich, hätte es die Wiedervereinigung
nicht gegeben. Könnte ich mich frei informieren? Hätte ich Zugriff
auf unzählige weltweit erscheinende Bücher und Popsongs? Hätte
ich zwischen verschiedensten Diskos wählen und unzählige Nächte
durchtanzen können? Wären mir ein langes geisteswissenschaftliches
Studium und danach ein ungeregeltes Arbeitsleben möglich gewesen?
Gäbe es für mich die Möglichkeit, einen Text zu
veröffentlichen, dem keine staatliche Zensur droht?
War der Kapitalismus vor zwei Jahren noch das geringere Übel, dem die
Abschaffung der Klassengesellschaft als Ziel entgegengesetzt wurde, wusste
Gießler damals noch um den Zwangscharakter der Lohnarbeit, die doch trotz
aller Autonomiegewinne nur einen Formwechsel der Knechtschaft (Marx)
anzeigt, so wird heute die prekäre Lohnarbeitsexistenz, gekoppelt mit
staatlicher Elendsverwaltung, euphemistisch als ungeregeltes
Arbeitsleben begrüßt. Hören wir nach dieser Feier des
ungeregelten Arbeitslebens noch einmal Marx zur Situation des
Lohnarbeiters: Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den
beständigen Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris des
Kontrakts aufrechterhalten(MEW 23: 599) was verdeckt, dass sein/ihr
Gedeih und Verderb wenn schon nicht von der Willkür
eines
Feudalherrn, so doch von seiner Hörigkeit (MEW 23: 603)
gegenüber dem Kapital besteht, für dessen rastlose Verwertung er bei
Strafe des Untergangs seine Lebenszeit opfern muss.
(30)
In dem dualistischen Panorama, das Gießler entwirft, wird diese
proletarische Existenz so unproblematisch wie Popsongs hören und andere
nette Freizeitbeschäftigungen, die uns die kulturelle Liberalisierung
glücklicherweise (das ist nicht ironisch gemeint!) beschert hat. Die
kritische Negativität und die Perspektive der positiven Überwindung
des Kapitalismus rückt an den Rand des alles dominierenden Gegensatzes von
Zivilisation (= geldvermittelt-unbewusste Form der gesellschaftlichen
Arbeit = Individualität = Kapitalismus) und
Barbarei, Regression,
repressiver Unmittelbarkeit in ihren verschiedenen, abgestuften Formen
(Realsozialismus, NS, Islamismus, Antiglob-Ideologie usw.). Statt den Blick auf
diese falsche Alternative zwischen schlecht und noch viel schlechter zu
verengen, gilt es, mit dem Versprechen von Glück und Individualität,
die der Kapitalismus zwar zweifelsohne hervorgebracht hat, deren Verwirklichung
im Weltmaßstab er aber mit Notwendigkeit boykottiert, endlich ernst zu
machen und das hieße nichts anderes als Kommunismus.
Johannes Knauss
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Anmerkungen
(1) Gegen Deutschland helfen keine Gedichte! Aufruf der Autonomen
Antifa [f] und des AK Antifa Köln gegen die Einheitsfeierlichkeiten am 2.
Oktober in Saarbrücken. Online unter:
http://www.einheit-und-freiheit.de/texts/view/26 . Die folgenden Zitate von Ums Ganze
(UG) entnehme ich, wo nicht anders gekennzeichnet, diesem Aufruf. Die
Broschüre des Bündnisses namens Staat, Weltmarkt und die
Herrschaft der falschen Freiheit ist in manchen Aspekten differenzierter. Wenn
ich mich dennoch auf den Aufruf konzentriere, so deshalb, weil hier die
problemtische Tendenz krasser zu Tage tritt. Diese inhaltliche Zuspitzung ist
auch der Form des Aufrufs geschuldet, mittels welcher Antifagruppen
öffentlichkeitswirksam um das noch unentschiedene Fußvolk zu buhlen
pflegen.
(2) Ums Ganze: Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit, S.15.
(3) Daher auf der Grundlage des kapitalistischen Produktionsprozesses
dieses
unzertrennliche Zusammenschmelzen der Gebrauchswerte, worin das
Kapital in der Form von
Produktionsmitteln existiert, dieser
Dinge als
Kapital, was ein bestimmtes gesellschaftliches
Produktionsverhältnis ist, grade, wie innerhalb dieser Produktionsweise
den in ihr Befangenen
Produkt an und für sich als
Ware gilt.
Dies bildet die Basis für den Fetischismus der Politischen Oekonomen.
Karl Marx: Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Frankfurt 1969,
S.11.
(4) Wer oder was in der hier besprochenen Debatte jeweils als antideutsch
firmierte, werde ich weiter unten anreißen.
(5) Vgl. dazu auch meine Rezension von Willy Huhns Buch Der Etatismus der
Sozialdemokratie in
CEE IEH #161. (
http://www.conne-island.de/nf/161/17.html)
(6) Dieser beständige Kauf und Verkauf von Arbeitsvermögen
(
) erscheint nur als
vermittelnde Form seiner Unterjochung unter
das Kapital(
). Es ist dies eine dieser Produktionsweise immanente
Form der Vermittlung (
); aber es ist eine Form, die sich nur der
Form nach von andern mehr direkten Formen der Knechtung der Arbeit (
)
unterscheidet. (Marx: Resultate usw., S. 87).
(7) Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass es sich hierbei nicht um den
alten Honoratiorennationalismus des 19. Jahrhunderts handelte, der es etwa auf
den französischen Erbfeind abgesehen hat; so will es aber wiederum die
beliebte linke Analogisierung von WK1 & WK2, Preußen &
Nationalsozialismus mittels Begriffen wie Imperialismus,
Militarismus etc.. Vgl. dazu jetzt Jan Gerber/Anja Worm: Die Legende vom
anderen Deutschland. Vorwort. In: Curt Geyer u.a.: Fight for Freedom.
Die Legende vom anderen Deutschland. Freiburg 2009.
(8) Vgl. Klaus Holz` Überlegungen zum Juden als Figur des
Dritten. Vgl. ders.: Gemeinschaft und Identität. Über den
Zusammenhang nationaler und antisemitischer Semantiken. In:
Österreichische Zeitschrift für Soziologie 23, 1998.
(9) Vgl. Stefan Breuer: Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und
Deutschland im Vergleich. Darmstadt 2005, S. 178ff. Von Hitler ist ganz in
diesem Sinne folgender Ausspruch überliefert: Eine Rasse sind wir
nicht, eine Rasse müssen wir erst werden.
(10) Hier wäre es interessant, analog dazu der Frage nach einer
veränderten Rolle der bürgerlichen Kleinfamilie im NS nachzugehen und
die Bedeutung der Theorie/Praxis der Eugenik sowohl hinsichtlich der Nation,
als auch hinsichtlich der Familie zu diskutieren, was ich aber nicht leisten
kann.
(11) Sinistra!: Ich kann die Auschwitzscheiße nicht mehr
hören
Wie Autonome Antinationalisten den Schlussstrich unter die
deutsche Geschichte ziehen wollen. Online unter:
http://sinistra.copyriot.com/?p=547
(12) Hannes Gießler: 20 Jahre antideutsch-antifaschistischer
Widerstandskampf. Zu Still not lovin` Germany. In:
CEE IEH
#169. (
http://www.conne-island.de/nf/169/29.html)
(13) Ich werde im Folgenden aus Texten von INEX (
http://inex.blogsport.de) zitieren, vor allem, weil diese
Gruppe mit Abstand am meisten veröffentlicht hat. Der Demoaufruf ist aber
in vielen Aspekten sehr ähnlich.
(14) Die folgenden kursiven Zitate im Text stammen alle aus der
INEX-Broschüre Nie wieder Revolution für Deutschland. Sie ist
hier zum Download erhältlich:
http://inex.blogsport.de/2009/10/03/nie-wieder-revolution-fuer-deutschland-unserstatement-zum-gedenkjahr/
(15) INEX: Deutschland lieben. In:
Jungle World 44/2009 (
http://jungle-world.com/artikel/2009/44/39686.html).
(16) Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass dies a) ein Problem ist, das
praktisches Engagement unbedingt notwendig macht, b) ein Zusammenhang zwischen
ideologisch motivierter Gewalt und den Wendeereignissen besteht, c)
quantitative Studien Deutschland möglicherweise als Extrembeispiel, mit
Sicherheit jedoch nicht als inkommensurable Einzigartigkeit in Sachen
gewalttätiger Fremdenhass ausweist.
(17) Dokumentiert in
CEE IEH #166. (
http://www.conne-island.de/nf/166/20.html)
(18) In
CEE IEH # 96 (
http://www.conne-island.de/nf/96/19.html) & #169 (
http://www.conne-island.de/nf/169/29.html). Auch Bruno hat den Flyer in
CEE
IEH #169 kritisiert (
http://www.conne-island.de/nf/169/28.html).
(19) Vgl. dazu den Text des seinerzeit noch antideutschen? Hannes
Gießler in
CEE IEH #133 (
http://www.conne-island.de/nf/133/3.html).
(20) Vgl. programmatisch: Sinistra!:Der Hauptfeind ist Deutschland in
Phase 2.26 (
http://phase2.nadir.org/index.php?artikel=521).
(21) Clemens Nachtmann: Krisenbewältigung ohne Ende. Über die negative
Aufhebung des Kapitals. In: Stefan Grigat (Hg.): Transformation des
Postnazismus. Freiburg 2003, S. 42.
(22) Ebd., S. 44.
(23) Ebd., S. 65.
(24) Zum Zusammenhang des antisemitischen Antikapitalismus, der als
Leitideologie dieser negativen Aufhebung in den Begriffen der
Revolutionstheorie ausgedrückt den subjektiven Faktor gibt,
mit den verschiedenen Fetischformen vgl. folgende konzise Skizze: Welchen
Beitrag kann die Kritik der politischen Ökonomie` zur Erklärung
des NS-Antikapitalismus leisten? Online unter:
http://theoriepraxislokal.org/NS/akph_kdpoe.php
(25) Vgl. z.B. für Gemeinsamkeiten und Unterschiede Gerhard Scheit: Der
Wahn vom Weltsouverän. Freiburg 2009, S. 207ff. Noch einfacher: man lese
die ausführliche Rezension zu Matthias Küntzels aktuellem Iran-Buch
in dieser Ausgabe (
http://www.conne-island.de/nf/172/16.html).
(26) Z.B. jüngst von Doris Akrap in der
taz vom 9.12.2009 (
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/wie-halten-wirs-mit-israel-genossen/). Da
verschlägt es auch nicht, dass die
Bahamas sich vor einigen Monate
ohne nennenswerte Begründung selbst vom Label antideutsch
verabschiedet hat, was natürlich an ihrer Wahrnehmung als
antideutsch nichts ändern wird.
(27) Verschiedene Personen aus dem Umfeld der Leipziger
Gruppe in
Gründung (GiG), meinen, einen speziellen Habitus des
Antideutschen herausgearbeitet haben, den sie mit dem Ausdruck des
einsamen Theoretikers/Kritikers fassen wollen. So schreibt etwa
Sebastian Voigt, dass die so genannte antideutsche Ideologiekritik doch
nur einen Manichäismus [reproduziert], der für abwägende,
differenzierende Reflexionen keinen Platz lässt (Sebastian Voigt u.a.:
Immer nur dagegen. In:
Jungle World 17/2009;
http://jungle-world.com/artikel/2009/17/34189.html). Anscheinend geht das auch
mit anti-antideutschen Positionen.
(28) Dr. Benwey: Mit Schaum vorm Mund. In:
CEE IEH #170 (
http://www.conne-island.de/nf/170/34.html);
AG no tears
for krauts/AG antifa halle: 20 Jahre Antifa Still not loving
reality. Online unter:
http://nokrauts.antifa.net/
(29) Hannes Gießler: Umgebessert, Eingetaktet. In:
Jungle World 47/2007 (
http://jungle-world.com/artikel/2007/47/20755.html). Das Zitat im Zitat stammt aus Lenins Schrift Staat und
Revolution.
(30) Es geht mir hier natürlich nicht um Hannes Gießlers
persönliche Erwerbssituation, sondern um die allgemeine Stellung des
Proletariats in der kapitalistischen Gesellschaft.