K wie Klassenkampf
Vorbemerkung:
Wenn im Folgenden Text von Klasse im Allgemeinen und
Arbeiterklasse im Besonderen die Rede ist, hält sich der Autor an
die von Karl Marx am Ende des Dritten Bandes des Kapitals entwickelten
Definitionen von Klasse. Damit grenzt sich dieser Klassenbegriff auch von den
heute in der Sozialwissenschaft gängigen ab. Dort wird Klasse über
das Einkommen, Lebensstandart oder subjektiv über die eigene
Selbstwahrnehmung definiert. Karl Marx verficht dagegen eine Klassentheorie die
die Klassenzugehörigkeit nach der Stellung im Produktionsprozess bestimmt
und das liest sich wie folgt:
Die Eigentümer von bloßer Arbeitskraft, die Eigentümer
von Kapital und die Grundeigentümer, deren respektive Einkommensquellen
Arbeitslohn, Profit und Grundrente sind, also Lohnarbeiter, Kapitalisten und
Grundeigentümer, bilden die drei großen Klassen der modernen, auf
der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Gesellschaft. (Karl Marx
2008, S. 892)
Klasse und Kampf
Klassen- und Revolutionstheorien sind wieder en vouge. Zwar zieht es der
Großteil der Linken auch heute noch vor, sich ohne viel Theoriearbeit die
jährliche Niederlage bei einem Wirtschaftsgipfel abzuholen, doch
entstanden gerade in den letzten Jahren wieder einige Gruppen, die im
Klassenkampf oder Klassenkonflikt einen Hebel zur Überwindung des
Kapitalismus sehen.
Auch in der traditionellen marxistisch-leninistischen Debatte wurde der
zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse herrschende Klassenkonflikt als eine
historische Veränderungen herbeiführende Kraft dargestellt. (vgl.
Moishe Postone 2003, S. 476).
Neben diesen traditionellen marxistisch-leninistischen Gruppen und Parteien aus
Vergangenheit und Gegenwart, entdeckten aber eben auch theoretisch versierte
Zusammenhänge wie die Gruppe
Eiszeit aus Zürich oder
die
Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft die
Arbeiterklasse wieder als revolutionäres Subjekt für sich. Diese
Gruppen sehen sich selbst oft in einer rätekommunistischen Tradition.
Rätekommunistische Gruppen bildeten sich in den 1920er Jahren als Reaktion
auf den Verlauf der Revolution in Russland und das Agieren der proletarischen
Massenparteien im Westen.
Kritik an dieser Form der parlamentarischen Arbeiterparteien wie SPD und KPD
gab es schon früh und immer wieder spalteten sich Organisationen ab,
welche die realpolitischen Forderungen der Parteien und Gewerkschaften
kritisierten. Diese dissidenten Gruppen scheiterten entweder oder wenn
sie größer wurden bildeten sie die gleichen Merkmale aus, die
schon die Organisationen hatten, von denen sie sich anfangs lösten und die
sie kritisierten (vgl. Max Horkheimer 2003, S. 297).
Nun sind die oben genannten Gruppen keine Abspaltungen der großen
Arbeiterparteien unserer Tage, die es in der damaligen Form heute sowieso nicht
mehr gibt, sondern meistens Leute aus linksradikalen Zusammenhängen, in
denen früher durchaus die Kritische Theorie rezipiert wurde. Sie
könnten sich also der Unmöglichkeit ihres Unterfangens bewusst sein.
Statt dessen setzen sie auf ein revolutionäres Subjekt und glauben es in
der Arbeiterklasse gefunden zu haben; einer Klasse, die sich schon lange nicht
mehr so revolutionär gibt.
Da dies aber bedauerlich ist und eine revolutionäre Arbeiterklasse, die
wirklich mit dem Kapitalismus Schluss machen könnte, zu
begrüßen wäre
(1), muss zum einen auf die Fehler dieser
Klassentheoretiker eingegangen und zum anderen auch geklärt werden, warum
und ob die Arbeiterklasse revolutionär war bzw. ist.
Diese Fehler, welche später im Text ausführlich dargestellt werden,
sind nun folgende: Erstens, eine revolutionäre Arbeiterklasse oder ein
über den Kapitalismus hinaus weisender Klassenkampf kann nicht aus dem
Kapitalismus oder seinen Widersprüchen abgeleitet werden. Dies scheint
zumindest den
Freundinnen und Freunden der klassenlosen
Gesellschaft bewusst zu sein, doch bleiben die Träger der
möglichen Revolution weiterhin die Arbeiter, auch wenn versichert wird,
man halte sie nicht für das revolutionäre Subjekt
(2). Zweitens, gab es
zwar Phasen in der Geschichte in denen das Proletariat revolutionär war,
dies hatte aber historische und keine strukturellen, aus der Klasse ableitbaren
Gründe. Drittens ist die Integration der deutschen Arbeiterklasse in die
Volksgemeinschaft, die sich spätestens am 1. Mai 1933 vor aller Augen
vollzog, nicht spurlos an ihr vorbei gegangen. Und abschließend viertens:
der Kommunismus hat die (Selbst)Aufhebung der Arbeiterklasse zur Voraussetzung.
Also wäre es kontraproduktiv, die Agitation auf die Herstellung von
Klassenbewusstsein auszurichten, wo doch ein Bewusstsein gegen die Klasse
gefragt wäre. Auch wenn sich die bereits genannten Gruppen auch
größtenteils darüber im Klaren sind, wird dieses Problem
einfach mit einem Trick gelöst: Klassenbewusstsein sei jenes, dass sich
gegen die Klasse richte.
Die richtige Einsicht der Klassentheoretiker aber, dass der Kapitalismus eine
Klassengesellschaft ist, die überwunden werden muss, steht hier nicht zur
Diskussion.
1. Klassenkampf und seine Ableitung aus der Kritik der politischen
Ökonomie
Nachdem Marx unter der Überschrift
Der Fetischcharakter der Ware
und sein Geheimnis(3) (Karl Marx 2007, S. 85-98) herausstellt, warum sich
der Zwang der stummen Verhältnisse klassenübergreifend als
allgemeiner Verblendungszusammenhang darstellt, ist es nicht verwunderlich,
dass der Arbeiter, den Marx im achten Kapitel dem Kapitalisten beim Streit
über die Länge des Arbeitstages gegenüberstellt, mit Argumenten
aufwartet, die keineswegs über den Kapitalismus hinaus weisen, sondern
ganz im Gegenteil, ihren Anteil am Fortbestand desselben haben.
Du und
ich kennen auf dem Marktplatz nur ein Gesetz, das des Warentausches. (ebd.
S. 248)
lässt Marx den Arbeiter sagen. Auch das Recht auf den
Konsum der Ware Arbeitskraft liege aufgrund des Kaufes auf Seiten der
Kapitalisten, aber, so schränkt der Arbeiter ein, durch den täglichen
Verkauf müsse er die Arbeitskraft auch täglich reproduzieren um sie
dann auch wieder verkaufen zu können.
Dir gehört daher der Gebrauch meiner täglichen Arbeitskraft.
Aber vermittelst ihres täglichen Verkaufspreises muss ich sie täglich
reproduzieren und daher von neuem verkaufen können. Abgesehen von dem
natürlichen Verschleiß durch Alter usw., muss ich fähig sein,
morgen mit demselben Normalzustand von Kraft, Gesundheit und Frische zu
arbeiten, wie heute. (
) Ich will wie ein vernünftiger, sparsamer
Wirt mein einziges Vermögen, die Arbeitskraft, haushalten und mich jeder
tollen Verschwendung derselben enthalten. (ebd., S. 248) Der Arbeiter
argumentiert mit dem Gesetz des Warentausches gegen den Kapitalisten.
Du zahlst mir eintägige Arbeitskraft, wo du dreitägige
verbrauchst. (ebd., S. 248) Wie der Verkäufer der Ware Arbeitskraft
daran interessiert ist, seinen Arbeitstag so kurz wie möglich zu halten,
ist der Käufer der Ware Arbeitskraft daran interessiert, den Arbeitstag
bis zu den physischen Grenzen des Arbeiters zu verlängern.
Dies sei gegen die Vereinbarung und der Arbeiter fordert mit Recht den
Normalarbeitstag ein. Daher kommt bspw. Moishe Postone zu dem Schluss, dass der
Klassenkonflikt durch
die gesellschaftlichen Formen der Waren und des
Kapitals strukturiert und in sie eingebettet ist
. (Moishe Postone
2003, S. 474)
(4)
Polemisch könnte man auch behaupten, hier werde in weiser Voraussicht
schon kritisch das Vorgehen von Gewerkschaften und sozialdemokratischen
Parteien (zu denen auch die kommunistischen Parteien zu zählen wären)
im 19. und 20. Jahrhundert dargestellt. Keinesfalls aber kann aus diesem
Klassenkonflikt eine systemüberwindende Perspektive abgeleitet werden.
Um nun wirklich Kontrolle über ihre Ware Arbeitskraft auszuüben, ist
aber ein kollektives Handeln der Arbeiter in Form von Streiks oder
ähnlichem nötig, mit dem dann, wie im
Kapital
beschrieben wurde, eine gesetzliche Beschränkung des Arbeitstages
erkämpft werden kann. Diese Begrenzung des Arbeitstages hat dann aber
wieder einen modernisierenden Effekt auf den Kapitalismus und der Übergang
von der Produktion des absoluten zum relativen Mehrwert
(5), kann zum Teil aus
dieser Entwicklung erklärt werden. Natürlich beschränken sich
diese Klassenkonflikte nicht nur auf das Gebiet der Länge des
Arbeitstages, sondern auch auf andere Bereiche wie z.B. Intensität des
Arbeitsprozess, Arbeitsbedingungen oder soziale Rechte von Arbeitern (ebd., S.
477-480).
2. Die Probleme des gemeinsamen Klassenkampfes und Allgemeines zum
Begriff der Klasse
Der gemeinsame Klassenkampf ist, wie oben schon gesehen, also kein über
den Kapitalismus hinausweisender Konflikt. Doch das Klassenbewusstsein ist
notwendig, um überhaupt Lohn- und Arbeitskämpfe führen zu
können. Doch schon auf dieser nichtrevolutionären Stufe gibt es
Probleme, auf die nun eingegangen werden soll.
Adorno entwickelt in seinem Aufsatz
Reflexion zur Klassentheorie
einen Begriff der Klasse, der sowohl an alten Bestimmungen festhält,
als auch veränderte anführt:
Festgehalten: weil sein Grund, die Teilung der Gesellschaft in Ausbeuter
und Ausgebeutete, nicht bloß ungemindert fortbesteht, sondern an Zwang
und Festigkeit zunimmt.
Verändert: weil die Unterdrückten, heute nach der Voraussage der
Theorie die übergroße Mehrheit der Menschen, sich nicht als Klasse
erfahren können. (Adorno 1975, S. 11)
Der Kapitalismus wird von Adorno ganz richtig als Klassengesellschaft erkannt,
denn dies ist der Kapitalismus eben auch dann, wenn bei den Angehörigen
der jeweiligen Klasse kein Klassenbewusstsein vorherrscht, sie also gar nicht
erst wissen, dass sie Teil einer Klasse sind. Warum nun aus der Teilung der
Gesellschaft in Ausbeuter und Ausgebeutete kein gemeinsames Bewusstsein der
Klasse entsteht, beantwortet Adorno anfangs lapidar damit, dass
Konformität ihnen rationaler sei. Er bemerkte dazu, dass das Proletariat
nun mehr zu verlieren habe als bloß seine Ketten, denn trotz der Rede von
der relativen Verelendung
(6), womit noch die letzten Reste der
Verelendungstheorie
(7) gerettet werden sollten, habe sich der Lebensstandard der
Arbeiter im Vergleich zu den Zeiten des
Kommunistischen Manifests
augenscheinlich verbessert. (vgl. ebd., S. 17) Adorno begnügt sich aber
nicht mit dieser Erklärung und versucht
das widersprechende
Moment des Klassenbegriffs aufzusuchen (ebd., S. 11).
Dieses widersprechende Moment des Klassenbegriffs, werde mit dem Blick
auf die bürgerliche Klasse offensichtlich. Was sie zusammenhält gegen
die ArbeiterInnenklasse, sei der Schutz des Prinzips des Eigentums.
Die Interessensgleichheit reduziert sich auf die Partizipation an der
Beute der Großen, die gewährt wird, wenn alle Eigentümer den
Großen das Prinzip souveränen Eigentums zugestehen, das jenen ihre
Macht und deren erweiterte Reproduktion garantiert. (vgl. ebd., S. 12).
Dies ist nun der Doppelcharakter der Klasse, denn die formale Gleichheit der
Klasse hat neben der gemeinsamen Unterdrückung der Arbeiter, auch noch die
Funktion, die Kontrolle der eigenen Klasse durch die Stärksten zu
gewährleisten. Daher gilt:
so real die Klasse ist, so sehr ist
sie selber schon Ideologie. (vgl. ebd., S. 12-13)
Natürlich gibt es eine ähnliche Konkurrenzsituation auch unter den
Angehörigen der Arbeiterklasse (die Konkurrenz um den Arbeitsplatz). Ist
die gemeinsame Organisation der Arbeiterklasse notwendig um überhaupt
systemimmanente Lohnkämpfe führen zu können, so wird selbst dies
durch etliche Bruchlinien hintertrieben (Nation, Geschlecht, Sprache).
Dieser Doppelcharakter der Klasse kann nun aber keine Erosion des
Klassenbewusstseins erklären, sondern höchstens allgemeine Probleme
des Klassenbewusstseins und des gemeinsamen Kampfes. Dies ist aber zu wenig,
wenn der Arbeiterklasse zugestanden wird, zumindest ihrem
Selbstverständnis nach, in der Vergangenheit eine revolutionäre
Klasse gewesen zu sein.
Max Horkheimer gibt in dieser Frage schon präziser Auskunft und nennt als
Bedingung für eine revolutionäre Arbeiterklasse das Interesse an
einer befreiten Gesellschaft. Dieses Interesse soll nach Marx und Engels
notwendig im Proletariat erzeugt werden, hatten diese doch am wenigsten vom
Kapitalismus zu erwarten. Eine Hoffnung, die im 19. Jahrhundert noch durchaus
berechtigt war, sich aber im Laufe des 20. Jahrhunderts an sich selbst
blamierte (wobei auch schon Marx diese Notwendigkeit nicht aus seiner
Kritik der politischen Ökonomie ableiten konnte).
Max Horkheimer erkannte, dass auch die Stellung des Proletariats keine Garantie
für richtige Erkenntnisse war. Und dies aus mehreren Gründen, so
verhinderte die heute noch viel ausgeprägte Differenzierung von sozialen
Strukturen ein gemeinsames Bewusstsein, diese ließ eher noch einen
Gegensatz zwischen persönlichem und Klasseninteressen entstehen (vgl. Max
Horkheimer 1988, S. 187-188).
Wie Marx im Kapital darlegt, nimmt die Zahl der benötigten Arbeiter im
Verhältnis zu den Maschinen im Produktionsprozess stetig ab. Dies hat nun
aber schwerwiegende Folgen für das organisierte Proletariat: immer weniger
von ihnen sind wirklich beschäftigt. Im Proletariat bilden sich daher
unterschiedliche Schichten aus, jene, die nur zeitweise beschäftigt sind
und solche, die regulär in Arbeit stehen.
Natürlich gab es in der Geschichte des Proletariats immer schon
verschiedenste Schichtungen. Trotzdem gab es zu Marxens Zeiten nur eine
Schicht, das Lumpenproletariat
(8), das im Interessengegensatz zum
revolutionären Proletariat stand.
Ansonsten war nicht nur das Interesse an der Aufhebung des
Kapitalverhältnisses, sondern auch der Einsatz in der Praxis im
wesentlichen der selbe.
Für die Arbeiter, die ewig in der Gewerkschaft organisiert waren und denen
ein regulärer Beruf zumindest eine kleine Sicherheit für die
kommenden Jahre versprach, konnten Streiks ein ungeheures Risiko darstellen,
das sie nicht mehr gewillt waren einzugehen.
Daneben standen aber jene Teile des Proletariats, die auch damals noch, bis auf
ihre Ketten, wenig zu verlieren hatten und deren Interesse der Sozialismus war.
Diese zwei maßgeblichen Schichten, seien nach Horkheimer aber so weit
voneinander entfernt, wie früher die gesamte Arbeiterklasse vom
Lumpenproletariat.
Erschwerend kam auch hier noch hinzu, dass die innerstaatliche Repression gegen
Streiks die kommunistischen Aufrufe selbst bei den Teilen des Proletariats
ungehört verschallen ließ, die am Sozialismus noch festhielten. Zwar
erkannten KPD-nahe Klientel die Gesellschaft als schlecht und wollten sie
sozialistisch aufheben, doch fehlte es ihnen an theoretischem und praktischem
Wissen, um dies durchzusetzen.
Nur am Rand erwähnte Horkheimer, dass es zu einer Fluktuation der
Erwerbslosen zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Partei kam.
Aber zum Zeitpunkt der Entstehung seines Textes
Die Ohnmacht der
deutschen Arbeiterklasse, hielt Horkheimer dies wohl noch nicht für
weiter erklärungsbedürftig.
3. Es war nämlich keine Krise der Klasse, sondern eine Krise ihres
Bewusstseins. (Eric Hobsbawm 1994, S. 384)
Noch im 19. Jahrhundert sah sich eine ganz und gar nicht homogene
Gruppe von Arbeitskraftverkäufern als einheitliche Arbeiterklasse. Dies
hatte laut Hobsbawm mehrere Gründe, zum einen gehörten sie in
großer Mehrheit der armen Unterschicht an, zum anderen gab es noch eine
klare Klassentrennung, die durch verschiedene Lebens- und sogar Kleidungsstile
mit bloßem Auge ersichtlich waren. Universitäre Ausbildung für
Angehörige der Arbeiterklasse war damals überdies undenkbar. Auch die
Einsicht, dass Arbeitskämpfe nur als organisierte Arbeiterklasse zu
gewinnen waren, stärkte das Bewusstsein der Klassenzugehörigkeit,
die, dass sei hier am Rande erwähnt, sich in den USA deshalb nicht in der
selben Qualität entwickelte, weil den Arbeitern anders als in Europa ein
individueller Fluchtweg aus der Klasse offen stand. Ein weiterer wichtiger
Punkt war wohl die sich entwickelnde Kultur der Arbeiterklasse, mit ihren
eigenen Bildungsvereinen und Freizeitmöglichkeiten. (Vgl. ebd., S.
384-386)
Den Fehler, den nun sowohl die traditionellen Marxisten-Leninisten als auch die
neuen Arbeiterkommunisten begehen, ist der, zu glauben, der revolutionäre
Charakter der Arbeiterklasse des Neunzehnten/Zwanzigsten Jahrhunderts sei der
Stellung der Arbeitskraftverkäufer im Produktionsprozess geschuldet und
nicht wie es sich bei nüchternem Blick darstellt, einer anfänglichen
Desintegration der Arbeiterklasse zur Zeit der fortschreitenden
Industrialisierung, welche zu einem Interesse am Sozialismus führte.
Das ist aber auch der Grund warum es falsch wäre zu behaupten, es habe nie
eine revolutionäre Arbeiterklasse gegeben.
4. Das Aufgehen der Arbeiterklasse in der deutschen Volksgemeinschaft
Doch übersieht Hobsbawm in weiterer Folge die Entwicklungen die durch das
Aufkommen von nationalsozialistischen und faschistischen Bewegungen
angestoßen wurden. Denn die Faschismusanalyse der Komintern,
(Kommunistische Internationale) die zwar größtenteils falsch lag,
hatte doch in einem Punkt unfreiwillig und auch nur halb recht: der Faschismus
richtete sich wirklich gegen die Arbeiterklasse aber nur solange sie
sich als revolutionär verstand. So konnten deren Angehörige in
Italien durch korporatistische Zusammenarbeit von Staat, Kapital und Arbeit in
den faschistischen Staat integriert werden und auch in Deutschland gingen
spätestens am 1. Mai 1933 die Arbeiter bereitwillig in der
Volksgemeinschaft auf. Diese idealistische und gleichfalls negative Aufhebung
der Klassengesellschaft auf der Grundlage des Kapitals, kann dann auch nicht so
einfach am Begriff der Klasse vorbei gehen. Zwar existierten auch im
faschistischen Italien wie auch im nationalsozialistischen Deutschland die
Klassen objektiv fort, doch für die vom Arbeiter zum Deutschen
konvertierten Mitglieder der Volksgemeinschaft hatte die Klasse keine ihre
Handlungen strukturierende Bedeutung mehr. Auch nach dem Sieg der Alliierten
über Deutschland änderte sich daran wenig, was korporatistische
Wirtschaftsmodelle und die geringe Anzahl von Streiks in den
post-nationalsozialistischen Staaten beweisen.
Hobsbawm dagegen setzt den Niedergang des Klassenbewusstseins auf das Ende des
zweiten Weltkriegs fest, was aber nur für jene Staaten zutrifft, in der
die faschistische Option der Krisenbewältigung nicht vollzogen wurde.
Für das Ende dieser Entwicklung sind für ihn die Auswirkungen des
Goldenen Zeitalters, also Massenkonsum und Vollbeschäftigung
verantwortlich. (vgl. ebd., S. 386)
5. Ende des Goldenen Zeitalters! Anfang einer neuen
revolutionären Phase?
Nun aber zu glauben mit dem Ende des Goldenen Zeitalters komme auch das
Klassenbewusstsein wieder und mit ihm in der Diktion der Klassentheoretiker
auch ein revolutionäres Bewusstseins, ist in vielerlei Hinsicht zu
kritisieren. Hört sich derartiges doch sehr nach der vor der Realität
blamierten Verelendungstheorie an. Und auch die Identität von
Klassenbewusstsein und revolutionärem Bewusstsein ist mit dem Verweis auf
das bereits Gesagte abzustreiten.
Ohne Klassenbewusstsein sind nicht einmal einfache Lohnkämpfe möglich
und anhand der geringen Streikquote in den meisten europäischen
Ländern vor allem aber in den Nachfolgestaaten des Dritten
Reiches lässt leicht erahnen, dass es mit dem Klassenbewusstsein
nicht sehr weit bestellt ist.
Doch Klassenbewusstsein führt lediglich zu gemeinsam organisierten
Kämpfen, die aber im Rahmen des Kapitalismus ausgetragen werden.
Gemeinsame Erfahrung und Siege in Lohnkämpfen verbessern die
Lebenssituation der Arbeiter im Kapitalismus, auch kann daraus die Einsicht
erwachsen, dass gemeinsame Kämpfe und vielleicht auch solche, die
über den Kapitalismus hinausweisen, zum Erfolg führen. Auf der
anderen Seite könnte auch eher das konforme Klassenbewusstsein
gestärkt werden. Gewonnene Lohnkämpfe können nämlich den
Glauben erhöhen, ein doch ganz gutes Leben im Kapitalismus erreichen zu
können.
Auch wenn dies alles überaus pessimistisch klingt: Um nicht nostalgischen
Träumereien zu verfallen, ist die Einsicht notwendig, dass die
Arbeiterklasse im Moment sicher nicht das revolutionäre Subjekt ist,
welches der Menschheit die Freiheit erkämpft.
Wer heute eine befreite Gesellschaft im Sinne des Kommunismus (jeder nach
seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen) erreichen will,
muss sich der mannigfaltigen Hürden bewusst sein. Die Rede vom
revolutionären Proletariat kann heute zudem als Selbstbetrug bezeichnet
werden, der im schlimmsten Fall zum Vorwand wird, nichts mehr über die
antisemitischen Massenbewegungen unserer Zeit sagen zu müssen.
mané
Literatur:
Theodor W. Adorno: Reflexion zur Klassentheorie, in: Gesellschaftstheorie und
Kulturkritik, Frankfurt am Main 1975.
Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme, München, Wien 1995.
Max Horkheimer: Autoritärer Staat, in: GS 5: Dialektik der
Aufklärung und Schriften 1940-1950, Frankfurt am Main 2003.
Max Horkheimer: Die Ohnmacht der deutschen Arbeiterklasse, in: GS Band 2:
Philosophische und Frühschriften 1922-1932, Frankfurt am Main 1987.
Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, Berlin 2007.
Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, Berlin 2008.
Moishe Postone: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, Freiburg
2003.
Anmerkungen
(1) Sollte dies in der Zukunft irgendeinmal so sein, hat auch der Autor
nichts dagegen, nur jetzt ist es eben nicht so
(2) Vgl.
http://www.klassenlos.tk/archiv.php und die Kritik an den 28 Thesen durch das
theorie-praxis-lokal frankfurt:
http://theoriepraxislokal.org/deb/zu28_thesen.php
(3) Vgl. ABC Artikel F wie Fetischismus in CEE IEH #166
(
http://www.conne-island.de/nf/166/14.html)
(4) Postone hält dieser Position entgegen, dass der Klassenkonflikt zwar
eine treibende Kraft der historischen Veränderung ist, aber eben nicht wie
es im traditionellen Marxismus diskutiert wurde, also im Sinne einer
Überwindung des Kapitalismus, sondern im Gegenteil als ein
Entwicklungsmotor des Kapitalismus selbst. (Vgl. Moishe Postone 2003, S. 481)
(5) Der dritte Abschnitt des ersten Bandes des Kapitals von Marx beschäftigt
sich mit der Produktion des absoluten Mehrwerts. Im darauf Folgenden vierten
Abschnitt widmet sich Marx der Produktion des relativen Mehrwert. Vereinfacht:
bei der Produktion des absoluten Mehrwert bedient sich der Kapitalist der
Ausdehnung des Arbeitstages, der Verkürzung der Pausen oder der
Intensivierung der Arbeit. Bei der Produktion des relativen Mehrwerts hingegen,
setzt er auf Kooperation oder Maschinisierung um die Produktivität zu
steigern.
(6) In den 1950er und 60er Jahren, kam es im Zuge des sogenannten
Wirtschaftswunders zu einer allgemeinen Erhöhung des
Lebensstandards von dem auch die Arbeiterklasse nicht ausgeschlossen blieb. Um
nun aber die Verelendungstheorie fortzuführen, definierte man die
Verelendung nun im Verhältnis zum gestiegenen Lebensstandard der
Gesellschaft. Der Arbeiterklasse ging es zwar besser, aber im Verhältnis
zu anderen Schichten der Gesellschaft verkleinerte sich das Stück vom
Kuchen, dass sie abbekamen sogar noch.
(7) Der Kapitalismus erzeugt immer mehr Elend doch dieses Elend erzeugt auch die
Empörung der Arbeiterklasse die Schluss macht mit dem Kapitalismus. Einen
Ansatzpunkt für diese Theorie gibt es auch bei Marx:
Mit der
beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagneten, welche alle Vorteile
dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die
Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung,
aber auch der Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus
des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und
organisierten Arbeiterklasse. (Karl Marx 2007, S. 790)
(8) Bei Marx und Engels im Kommunistischen Manifest ohne klares Interesse
für den Sozialismus im Gegensatz zum Proletariat. Im Text Der
achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte von 1852 wird das Lumpenproletariat
bei Marx zur Armee des reaktionären Louis Bonaparte und er selbst zu deren
König. (Vgl.
http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_111.htm)