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Aktuelles Heft

INHALT #171

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A MOUNTAIN OF ONE
THE GIFT
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Oh my „SIR“ Rodigan – can't wait to see you rock again ...
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When the bass gets connected...
Hot Christmas Hip Hop Lounge
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New Moon over Europe Tour 2009
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The Adicts
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• review-corner buch: Den Deutschen ins Stammbuch geschrieben...
• review-corner buch: „Nur nicht heute Abend lass uns die Worte finden“
• review-corner film: Über den Pfad der Tugend und sein Ergebnis
• cyber-report: Offene Springquellen des Reichtums
• interview: „Revolutionen haben den Vorteil, daß man sie nicht prognostizieren kann“
• ABC: K wie Klassenkampf
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K wie Klassenkampf

Vorbemerkung:

Wenn im Folgenden Text von „Klasse“ im Allgemeinen und „Arbeiterklasse“ im Besonderen die Rede ist, hält sich der Autor an die von Karl Marx am Ende des Dritten Bandes des Kapitals entwickelten Definitionen von Klasse. Damit grenzt sich dieser Klassenbegriff auch von den heute in der Sozialwissenschaft gängigen ab. Dort wird Klasse über das Einkommen, Lebensstandart oder subjektiv über die eigene Selbstwahrnehmung definiert. Karl Marx verficht dagegen eine Klassentheorie die die Klassenzugehörigkeit nach der Stellung im Produktionsprozess bestimmt und das liest sich wie folgt:

Klasse und Kampf

Klassen- und Revolutionstheorien sind wieder en vouge. Zwar zieht es der Großteil der Linken auch heute noch vor, sich ohne viel Theoriearbeit die jährliche Niederlage bei einem Wirtschaftsgipfel abzuholen, doch entstanden gerade in den letzten Jahren wieder einige Gruppen, die im Klassenkampf oder Klassenkonflikt einen Hebel zur Überwindung des Kapitalismus sehen.
Auch in der traditionellen marxistisch-leninistischen Debatte wurde der zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse herrschende Klassenkonflikt als eine historische Veränderungen herbeiführende Kraft dargestellt. (vgl. Moishe Postone 2003, S. 476).
Neben diesen traditionellen marxistisch-leninistischen Gruppen und Parteien aus Vergangenheit und Gegenwart, entdeckten aber eben auch theoretisch versierte Zusammenhänge wie die Gruppe „Eiszeit“ aus Zürich oder die „Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft“ die Arbeiterklasse wieder als revolutionäres Subjekt für sich. Diese Gruppen sehen sich selbst oft in einer rätekommunistischen Tradition.

Rätekommunistische Gruppen bildeten sich in den 1920er Jahren als Reaktion auf den Verlauf der Revolution in Russland und das Agieren der proletarischen Massenparteien im Westen.
Kritik an dieser Form der parlamentarischen Arbeiterparteien wie SPD und KPD gab es schon früh und immer wieder spalteten sich Organisationen ab, welche die realpolitischen Forderungen der Parteien und Gewerkschaften kritisierten. Diese dissidenten Gruppen scheiterten entweder oder – wenn sie größer wurden – bildeten sie die gleichen Merkmale aus, die schon die Organisationen hatten, von denen sie sich anfangs lösten und die sie kritisierten (vgl. Max Horkheimer 2003, S. 297).
Nun sind die oben genannten Gruppen keine Abspaltungen der großen Arbeiterparteien unserer Tage, die es in der damaligen Form heute sowieso nicht mehr gibt, sondern meistens Leute aus linksradikalen Zusammenhängen, in denen früher durchaus die Kritische Theorie rezipiert wurde. Sie könnten sich also der Unmöglichkeit ihres Unterfangens bewusst sein. Statt dessen setzen sie auf ein revolutionäres Subjekt und glauben es in der Arbeiterklasse gefunden zu haben; einer Klasse, die sich schon lange nicht mehr so revolutionär gibt.

Da dies aber bedauerlich ist und eine revolutionäre Arbeiterklasse, die wirklich mit dem Kapitalismus Schluss machen könnte, zu begrüßen wäre(1), muss zum einen auf die Fehler dieser Klassentheoretiker eingegangen und zum anderen auch geklärt werden, warum und ob die Arbeiterklasse revolutionär war bzw. ist.

Diese Fehler, welche später im Text ausführlich dargestellt werden, sind nun folgende: Erstens, eine revolutionäre Arbeiterklasse oder ein über den Kapitalismus hinaus weisender Klassenkampf kann nicht aus dem Kapitalismus oder seinen Widersprüchen abgeleitet werden. Dies scheint zumindest den „Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft“ bewusst zu sein, doch bleiben die Träger der möglichen Revolution weiterhin die Arbeiter, auch wenn versichert wird, man halte sie nicht für das revolutionäre Subjekt(2). Zweitens, gab es zwar Phasen in der Geschichte in denen das Proletariat revolutionär war, dies hatte aber historische und keine strukturellen, aus der Klasse ableitbaren Gründe. Drittens ist die Integration der deutschen Arbeiterklasse in die Volksgemeinschaft, die sich spätestens am 1. Mai 1933 vor aller Augen vollzog, nicht spurlos an ihr vorbei gegangen. Und abschließend viertens: der Kommunismus hat die (Selbst)Aufhebung der Arbeiterklasse zur Voraussetzung. Also wäre es kontraproduktiv, die Agitation auf die Herstellung von Klassenbewusstsein auszurichten, wo doch ein Bewusstsein gegen die Klasse gefragt wäre. Auch wenn sich die bereits genannten Gruppen auch größtenteils darüber im Klaren sind, wird dieses Problem einfach mit einem Trick gelöst: Klassenbewusstsein sei jenes, dass sich gegen die Klasse richte.
Die richtige Einsicht der Klassentheoretiker aber, dass der Kapitalismus eine Klassengesellschaft ist, die überwunden werden muss, steht hier nicht zur Diskussion.

1. Klassenkampf und seine Ableitung aus der Kritik der politischen Ökonomie

Nachdem Marx unter der Überschrift „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“(3) (Karl Marx 2007, S. 85-98) herausstellt, warum sich der Zwang der stummen Verhältnisse klassenübergreifend als allgemeiner Verblendungszusammenhang darstellt, ist es nicht verwunderlich, dass der Arbeiter, den Marx im achten Kapitel dem Kapitalisten beim Streit über die Länge des Arbeitstages gegenüberstellt, mit Argumenten aufwartet, die keineswegs über den Kapitalismus hinaus weisen, sondern ganz im Gegenteil, ihren Anteil am Fortbestand desselben haben. „Du und ich kennen auf dem Marktplatz nur ein Gesetz, das des Warentausches.“ (ebd. S. 248) lässt Marx den Arbeiter sagen. Auch das Recht auf den Konsum der Ware Arbeitskraft liege aufgrund des Kaufes auf Seiten der Kapitalisten, aber, so schränkt der Arbeiter ein, durch den täglichen Verkauf müsse er die Arbeitskraft auch täglich reproduzieren um sie dann auch wieder verkaufen zu können.
„Dir gehört daher der Gebrauch meiner täglichen Arbeitskraft. Aber vermittelst ihres täglichen Verkaufspreises muss ich sie täglich reproduzieren und daher von neuem verkaufen können. Abgesehen von dem natürlichen Verschleiß durch Alter usw., muss ich fähig sein, morgen mit demselben Normalzustand von Kraft, Gesundheit und Frische zu arbeiten, wie heute. (…) Ich will wie ein vernünftiger, sparsamer Wirt mein einziges Vermögen, die Arbeitskraft, haushalten und mich jeder tollen Verschwendung derselben enthalten.“ (ebd., S. 248) Der Arbeiter argumentiert mit dem Gesetz des Warentausches gegen den Kapitalisten. „Du zahlst mir eintägige Arbeitskraft, wo du dreitägige verbrauchst.“ (ebd., S. 248) Wie der Verkäufer der Ware Arbeitskraft daran interessiert ist, seinen Arbeitstag so kurz wie möglich zu halten, ist der Käufer der Ware Arbeitskraft daran interessiert, den Arbeitstag bis zu den physischen Grenzen des Arbeiters zu verlängern.
Dies sei gegen die Vereinbarung und der Arbeiter fordert mit Recht den Normalarbeitstag ein. Daher kommt bspw. Moishe Postone zu dem Schluss, dass der Klassenkonflikt durch „die gesellschaftlichen Formen der Waren und des Kapitals strukturiert und in sie eingebettet“ ist. (Moishe Postone 2003, S. 474)(4)
Polemisch könnte man auch behaupten, hier werde in weiser Voraussicht schon kritisch das Vorgehen von Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien (zu denen auch die kommunistischen Parteien zu zählen wären) im 19. und 20. Jahrhundert dargestellt. Keinesfalls aber kann aus diesem Klassenkonflikt eine systemüberwindende Perspektive abgeleitet werden.

Um nun wirklich Kontrolle über ihre Ware Arbeitskraft auszuüben, ist aber ein kollektives Handeln der Arbeiter in Form von Streiks oder ähnlichem nötig, mit dem dann, wie im „Kapital“ beschrieben wurde, eine gesetzliche Beschränkung des Arbeitstages erkämpft werden kann. Diese Begrenzung des Arbeitstages hat dann aber wieder einen modernisierenden Effekt auf den Kapitalismus und der Übergang von der Produktion des absoluten zum relativen Mehrwert(5), kann zum Teil aus dieser Entwicklung erklärt werden. Natürlich beschränken sich diese Klassenkonflikte nicht nur auf das Gebiet der Länge des Arbeitstages, sondern auch auf andere Bereiche wie z.B. Intensität des Arbeitsprozess, Arbeitsbedingungen oder soziale Rechte von Arbeitern (ebd., S. 477-480).

2. Die Probleme des gemeinsamen Klassenkampfes und Allgemeines zum
Begriff der Klasse


Der gemeinsame Klassenkampf ist, wie oben schon gesehen, also kein über den Kapitalismus hinausweisender Konflikt. Doch das Klassenbewusstsein ist notwendig, um überhaupt Lohn- und Arbeitskämpfe führen zu können. Doch schon auf dieser nichtrevolutionären Stufe gibt es Probleme, auf die nun eingegangen werden soll.
Adorno entwickelt in seinem Aufsatz „Reflexion zur Klassentheorie“ einen Begriff der Klasse, der sowohl an alten Bestimmungen festhält, als auch veränderte anführt: Der Kapitalismus wird von Adorno ganz richtig als Klassengesellschaft erkannt, denn dies ist der Kapitalismus eben auch dann, wenn bei den Angehörigen der jeweiligen Klasse kein Klassenbewusstsein vorherrscht, sie also gar nicht erst wissen, dass sie Teil einer Klasse sind. Warum nun aus der Teilung der Gesellschaft in Ausbeuter und Ausgebeutete kein gemeinsames Bewusstsein der Klasse entsteht, beantwortet Adorno anfangs lapidar damit, dass Konformität ihnen rationaler sei. Er bemerkte dazu, dass das Proletariat nun mehr zu verlieren habe als bloß seine Ketten, denn trotz der Rede von der relativen Verelendung(6), womit noch die letzten Reste der Verelendungstheorie(7) gerettet werden sollten, habe sich der Lebensstandard der Arbeiter im Vergleich zu den Zeiten des „Kommunistischen Manifests“ augenscheinlich verbessert. (vgl. ebd., S. 17) Adorno begnügt sich aber nicht mit dieser Erklärung und versucht „das widersprechende Moment des Klassenbegriffs aufzusuchen“ (ebd., S. 11).

Dieses widersprechende Moment des Klassenbegriffs, werde mit dem Blick auf die bürgerliche Klasse offensichtlich. Was sie zusammenhält gegen die ArbeiterInnenklasse, sei der Schutz des Prinzips des Eigentums. „Die Interessensgleichheit reduziert sich auf die Partizipation an der Beute der Großen, die gewährt wird, wenn alle Eigentümer den Großen das Prinzip souveränen Eigentums zugestehen, das jenen ihre Macht und deren erweiterte Reproduktion garantiert.“ (vgl. ebd., S. 12).
Dies ist nun der Doppelcharakter der Klasse, denn die formale Gleichheit der Klasse hat neben der gemeinsamen Unterdrückung der Arbeiter, auch noch die Funktion, die Kontrolle der eigenen Klasse durch die Stärksten zu gewährleisten. Daher gilt: „so real die Klasse ist, so sehr ist sie selber schon Ideologie“. (vgl. ebd., S. 12-13)
Natürlich gibt es eine ähnliche Konkurrenzsituation auch unter den Angehörigen der Arbeiterklasse (die Konkurrenz um den Arbeitsplatz). Ist die gemeinsame Organisation der Arbeiterklasse notwendig um überhaupt systemimmanente Lohnkämpfe führen zu können, so wird selbst dies durch etliche Bruchlinien hintertrieben (Nation, Geschlecht, Sprache).
Dieser Doppelcharakter der Klasse kann nun aber keine Erosion des Klassenbewusstseins erklären, sondern höchstens allgemeine Probleme des Klassenbewusstseins und des gemeinsamen Kampfes. Dies ist aber zu wenig, wenn der Arbeiterklasse zugestanden wird, zumindest ihrem Selbstverständnis nach, in der Vergangenheit eine revolutionäre Klasse gewesen zu sein.

Max Horkheimer gibt in dieser Frage schon präziser Auskunft und nennt als Bedingung für eine revolutionäre Arbeiterklasse das Interesse an einer befreiten Gesellschaft. Dieses Interesse soll nach Marx und Engels notwendig im Proletariat erzeugt werden, hatten diese doch am wenigsten vom Kapitalismus zu erwarten. Eine Hoffnung, die im 19. Jahrhundert noch durchaus berechtigt war, sich aber im Laufe des 20. Jahrhunderts an sich selbst blamierte (wobei auch schon Marx diese Notwendigkeit nicht aus seiner „Kritik der politischen Ökonomie „ableiten konnte).

Max Horkheimer erkannte, dass auch die Stellung des Proletariats keine Garantie für richtige Erkenntnisse war. Und dies aus mehreren Gründen, so verhinderte die heute noch viel ausgeprägte Differenzierung von sozialen Strukturen ein gemeinsames Bewusstsein, diese ließ eher noch einen Gegensatz zwischen persönlichem und Klasseninteressen entstehen (vgl. Max Horkheimer 1988, S. 187-188).

Wie Marx im Kapital darlegt, nimmt die Zahl der benötigten Arbeiter im Verhältnis zu den Maschinen im Produktionsprozess stetig ab. Dies hat nun aber schwerwiegende Folgen für das organisierte Proletariat: immer weniger von ihnen sind wirklich beschäftigt. Im Proletariat bilden sich daher unterschiedliche Schichten aus, jene, die nur zeitweise beschäftigt sind und solche, die regulär in Arbeit stehen.
Natürlich gab es in der Geschichte des Proletariats immer schon verschiedenste Schichtungen. Trotzdem gab es zu Marxens Zeiten nur eine Schicht, das Lumpenproletariat(8), das im Interessengegensatz zum revolutionären Proletariat stand.
Ansonsten war nicht nur das Interesse an der Aufhebung des Kapitalverhältnisses, sondern auch der Einsatz in der Praxis im wesentlichen der selbe.

Für die Arbeiter, die ewig in der Gewerkschaft organisiert waren und denen ein regulärer Beruf zumindest eine kleine Sicherheit für die kommenden Jahre versprach, konnten Streiks ein ungeheures Risiko darstellen, das sie nicht mehr gewillt waren einzugehen.
Daneben standen aber jene Teile des Proletariats, die auch damals noch, bis auf ihre Ketten, wenig zu verlieren hatten und deren Interesse der Sozialismus war. Diese zwei maßgeblichen Schichten, seien nach Horkheimer aber so weit voneinander entfernt, wie früher die gesamte Arbeiterklasse vom Lumpenproletariat.
Erschwerend kam auch hier noch hinzu, dass die innerstaatliche Repression gegen Streiks die kommunistischen Aufrufe selbst bei den Teilen des Proletariats ungehört verschallen ließ, die am Sozialismus noch festhielten. Zwar erkannten KPD-nahe Klientel die Gesellschaft als schlecht und wollten sie sozialistisch aufheben, doch fehlte es ihnen an theoretischem und praktischem Wissen, um dies durchzusetzen.

Nur am Rand erwähnte Horkheimer, dass es zu einer Fluktuation der Erwerbslosen zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Partei kam. Aber zum Zeitpunkt der Entstehung seines Textes „Die Ohnmacht der deutschen Arbeiterklasse“, hielt Horkheimer dies wohl noch nicht für weiter erklärungsbedürftig.

3. Es war nämlich keine Krise der Klasse, sondern eine Krise ihres Bewusstseins. (Eric Hobsbawm 1994, S. 384)

Noch im 19. Jahrhundert sah sich eine ganz und gar nicht homogene Gruppe von Arbeitskraftverkäufern als einheitliche Arbeiterklasse. Dies hatte laut Hobsbawm mehrere Gründe, zum einen gehörten sie in großer Mehrheit der armen Unterschicht an, zum anderen gab es noch eine klare Klassentrennung, die durch verschiedene Lebens- und sogar Kleidungsstile mit bloßem Auge ersichtlich waren. Universitäre Ausbildung für Angehörige der Arbeiterklasse war damals überdies undenkbar. Auch die Einsicht, dass Arbeitskämpfe nur als organisierte Arbeiterklasse zu gewinnen waren, stärkte das Bewusstsein der Klassenzugehörigkeit, die, dass sei hier am Rande erwähnt, sich in den USA deshalb nicht in der selben Qualität entwickelte, weil den Arbeitern anders als in Europa ein individueller Fluchtweg aus der Klasse offen stand. Ein weiterer wichtiger Punkt war wohl die sich entwickelnde Kultur der Arbeiterklasse, mit ihren eigenen Bildungsvereinen und Freizeitmöglichkeiten. (Vgl. ebd., S. 384-386)

Den Fehler, den nun sowohl die traditionellen Marxisten-Leninisten als auch die neuen Arbeiterkommunisten begehen, ist der, zu glauben, der revolutionäre Charakter der Arbeiterklasse des Neunzehnten/Zwanzigsten Jahrhunderts sei der Stellung der Arbeitskraftverkäufer im Produktionsprozess geschuldet und nicht wie es sich bei nüchternem Blick darstellt, einer anfänglichen Desintegration der Arbeiterklasse zur Zeit der fortschreitenden Industrialisierung, welche zu einem Interesse am Sozialismus führte.
Das ist aber auch der Grund warum es falsch wäre zu behaupten, es habe nie eine revolutionäre Arbeiterklasse gegeben.

4. Das Aufgehen der Arbeiterklasse in der deutschen Volksgemeinschaft

Doch übersieht Hobsbawm in weiterer Folge die Entwicklungen die durch das Aufkommen von nationalsozialistischen und faschistischen Bewegungen angestoßen wurden. Denn die Faschismusanalyse der Komintern, (Kommunistische Internationale) die zwar größtenteils falsch lag, hatte doch in einem Punkt unfreiwillig und auch nur halb recht: der Faschismus richtete sich wirklich gegen die Arbeiterklasse – aber nur solange sie sich als revolutionär verstand. So konnten deren Angehörige in Italien durch korporatistische Zusammenarbeit von Staat, Kapital und Arbeit in den faschistischen Staat integriert werden und auch in Deutschland gingen spätestens am 1. Mai 1933 die Arbeiter bereitwillig in der Volksgemeinschaft auf. Diese idealistische und gleichfalls negative Aufhebung der Klassengesellschaft auf der Grundlage des Kapitals, kann dann auch nicht so einfach am Begriff der Klasse vorbei gehen. Zwar existierten auch im faschistischen Italien wie auch im nationalsozialistischen Deutschland die Klassen objektiv fort, doch für die vom Arbeiter zum Deutschen konvertierten Mitglieder der Volksgemeinschaft hatte die Klasse keine ihre Handlungen strukturierende Bedeutung mehr. Auch nach dem Sieg der Alliierten über Deutschland änderte sich daran wenig, was korporatistische Wirtschaftsmodelle und die geringe Anzahl von Streiks in den post-nationalsozialistischen Staaten beweisen.
Hobsbawm dagegen setzt den Niedergang des Klassenbewusstseins auf das Ende des zweiten Weltkriegs fest, was aber nur für jene Staaten zutrifft, in der die faschistische Option der Krisenbewältigung nicht vollzogen wurde. Für das Ende dieser Entwicklung sind für ihn die Auswirkungen des „Goldenen Zeitalters“, also Massenkonsum und Vollbeschäftigung verantwortlich. (vgl. ebd., S. 386)

5. Ende des „Goldenen Zeitalters“! Anfang einer neuen revolutionären Phase?

Nun aber zu glauben mit dem Ende des „Goldenen Zeitalters“ komme auch das Klassenbewusstsein wieder und mit ihm in der Diktion der Klassentheoretiker auch ein revolutionäres Bewusstseins, ist in vielerlei Hinsicht zu kritisieren. Hört sich derartiges doch sehr nach der vor der Realität blamierten Verelendungstheorie an. Und auch die Identität von Klassenbewusstsein und revolutionärem Bewusstsein ist mit dem Verweis auf das bereits Gesagte abzustreiten.
Ohne Klassenbewusstsein sind nicht einmal einfache Lohnkämpfe möglich und anhand der geringen Streikquote in den meisten europäischen Ländern – vor allem aber in den Nachfolgestaaten des „Dritten Reiches“ – lässt leicht erahnen, dass es mit dem Klassenbewusstsein nicht sehr weit bestellt ist.
Doch Klassenbewusstsein führt lediglich zu gemeinsam organisierten Kämpfen, die aber im Rahmen des Kapitalismus ausgetragen werden. Gemeinsame Erfahrung und Siege in Lohnkämpfen verbessern die Lebenssituation der Arbeiter im Kapitalismus, auch kann daraus die Einsicht erwachsen, dass gemeinsame Kämpfe und vielleicht auch solche, die über den Kapitalismus hinausweisen, zum Erfolg führen. Auf der anderen Seite könnte auch eher das konforme Klassenbewusstsein gestärkt werden. Gewonnene Lohnkämpfe können nämlich den Glauben erhöhen, ein doch ganz gutes Leben im Kapitalismus erreichen zu können.

Auch wenn dies alles überaus pessimistisch klingt: Um nicht nostalgischen Träumereien zu verfallen, ist die Einsicht notwendig, dass die Arbeiterklasse im Moment sicher nicht das revolutionäre Subjekt ist, welches der Menschheit die Freiheit erkämpft.
Wer heute eine befreite Gesellschaft im Sinne des Kommunismus (jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen) erreichen will, muss sich der mannigfaltigen Hürden bewusst sein. Die Rede vom revolutionären Proletariat kann heute zudem als Selbstbetrug bezeichnet werden, der im schlimmsten Fall zum Vorwand wird, nichts mehr über die antisemitischen Massenbewegungen unserer Zeit sagen zu müssen.

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Literatur:

Theodor W. Adorno: Reflexion zur Klassentheorie, in: Gesellschaftstheorie und Kulturkritik, Frankfurt am Main 1975.

Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme, München, Wien 1995.

Max Horkheimer: Autoritärer Staat, in: GS 5: „Dialektik der Aufklärung“ und Schriften 1940-1950, Frankfurt am Main 2003.

Max Horkheimer: Die Ohnmacht der deutschen Arbeiterklasse, in: GS Band 2: Philosophische und Frühschriften 1922-1932, Frankfurt am Main 1987.

Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, Berlin 2007.

Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, Berlin 2008.

Moishe Postone: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, Freiburg 2003.

Anmerkungen

(1) Sollte dies in der Zukunft irgendeinmal so sein, hat auch der Autor nichts dagegen, nur jetzt ist es eben nicht so

(2) Vgl. http://www.klassenlos.tk/archiv.php und die Kritik an den 28 Thesen durch das theorie-praxis-lokal frankfurt: http://theoriepraxislokal.org/deb/zu28_thesen.php

(3) Vgl. ABC Artikel „F wie Fetischismus“ in CEE IEH #166 (http://www.conne-island.de/nf/166/14.html)

(4) Postone hält dieser Position entgegen, dass der Klassenkonflikt zwar eine treibende Kraft der historischen Veränderung ist, aber eben nicht wie es im traditionellen Marxismus diskutiert wurde, also im Sinne einer Überwindung des Kapitalismus, sondern im Gegenteil als ein Entwicklungsmotor des Kapitalismus selbst. (Vgl. Moishe Postone 2003, S. 481)

(5) Der dritte Abschnitt des ersten Bandes des Kapitals von Marx beschäftigt sich mit der Produktion des absoluten Mehrwerts. Im darauf Folgenden vierten Abschnitt widmet sich Marx der Produktion des relativen Mehrwert. Vereinfacht: bei der Produktion des absoluten Mehrwert bedient sich der Kapitalist der Ausdehnung des Arbeitstages, der Verkürzung der Pausen oder der Intensivierung der Arbeit. Bei der Produktion des relativen Mehrwerts hingegen, setzt er auf Kooperation oder Maschinisierung um die Produktivität zu steigern.

(6) In den 1950er und 60er Jahren, kam es im Zuge des sogenannten „Wirtschaftswunders“ zu einer allgemeinen Erhöhung des Lebensstandards von dem auch die Arbeiterklasse nicht ausgeschlossen blieb. Um nun aber die Verelendungstheorie fortzuführen, definierte man die Verelendung nun im Verhältnis zum gestiegenen Lebensstandard der Gesellschaft. Der Arbeiterklasse ging es zwar besser, aber im Verhältnis zu anderen Schichten der Gesellschaft verkleinerte sich das Stück vom Kuchen, dass sie abbekamen sogar noch.

(7) Der Kapitalismus erzeugt immer mehr Elend doch dieses Elend erzeugt auch die Empörung der Arbeiterklasse die Schluss macht mit dem Kapitalismus. Einen Ansatzpunkt für diese Theorie gibt es auch bei Marx: „Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagneten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch der Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse.“ (Karl Marx 2007, S. 790)

(8) Bei Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ ohne klares Interesse für den Sozialismus im Gegensatz zum Proletariat. Im Text „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ von 1852 wird das Lumpenproletariat bei Marx zur Armee des reaktionären Louis Bonaparte und er selbst zu deren König. (Vgl. http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_111.htm)  

23.11.2009
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