• Titelbild
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• das erste: Vereint im deutschen Geist der dialogbereiten Toleranz
• Oaklands Seele
• Codes in the Clouds, Pg.lost
• Shuffle Me!
• Prolls mit Verstand
• Apoptygma Berzerk
• Paradise Lost, Samael, Ghost Brigade
• Dritte Wahl
• Sechs Jahre ITS YOURS! Party
• Vadim Imaginashun-Tour
• The Living End
• Miss Platnum
• Friska Viljor
• US Bombs
• The Adicts
• Jochen Distelmeyer
• Fucked Up
• Hot Water Music
• Imperial Never Say Die! Club Tour 2009
• electric island: KANN & friends
• Masta Ace
• Muff Potter
• A Storm of Light, Minsk
• Full Speed Ahead, Backfire
• ABC: E wie Emanzipation
• review-corner platte: Ja! Ich rede gern mit mir selbst!
• kulturreport: Like a virgin?
• doku: Post aus Honolulu
• doku: Über Fundamentalkritik und die feinen Unterschiede
• doku: Watch out for a new generation to push things forward!
• doku: Radio Blau von Abschaltung bedroht
• leserInnenbrief: Mit Schaum vor dem Mund
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• das letzte: 100 Zahnstocher inkl. Gebrauchsanweisung
Hallo, ich bin Detlef empfängt mich der freundlich ältere Herr,
bitte folgen Sie mir. Er führt mich in einen großen Raum, in
dem 12 Betten in loser Anordnung stehen, in den meisten liegt bereits ein
Zuschauer. Die Stimmung ist neo-gemütlich, weniger Typ altdeutsche
Bierstube, eher wie ein Ruheraum in einem modernen Unternehmen. Gedimmtes Licht
in warmen Rottönen und Chilloutmusik geben auf penetrante Art die Stimmung
vor. Über eine riesige Leinwand flimmert ein Video mit Bildern, die aus
GEO-Sonderheften à la Die Wunder unserer Erde, vertraut
wirken. Wir bestaunen beindruckende Naturschauspiele und Landschaftspanoramen,
gepaart mit stereotypen Aufnahmen exotischer Menschen, die wohl für die
natürlich-kulturelle Artenvielfalt der Gattung Mensch stehen sollen. Wir
sehen durchgeknallte religiöse Rituale aus aller Welt, schwarze Frauen mit
Tongefäßen auf dem Kopf, einen Kriegertanz der Massai, einen
indischen Sadhu mit Körperbemalung. Nachdem man sich eine Weile für
diesen Kitsch geschämt hat, setzt sich je eine Storytellerin neben die
Zuschauerbetten und erzählt eine persönliche Geschichte in einer
fremden Sprache. Das Ganze nennt sich Babylon 2009, findet im Lindenauer
Theater der Jungen Welt statt und firmiert als interkulturelle
Begegnung. Erst bekommt man ein paar Minuten lang klar gemacht, dass man als
Exemplar der deutschen Kultur dem Exemplar der Anderen unendlich fremd
ist, dann folgt der pädagogische Lerneffekt: man plauscht einige Minuten
gezwungenermaßen mit dem Anderen und merkt: die Anderen
sind zwar ganz anders, aber auch irgendwie okay.
Uraufgeführt wurde diese Multikuliwohlfühloase 2005 in Amsterdam und
zwar mit dem erklärten Ziel, anlässlich heftiger Debatten um Islam
und Integration zu demonstrieren, dass es keine Strafe Gottes ist, wenn
eine Stadt von Menschen bewohnt wird, die verschiedene Sprachen sprechen
(Programmheft).
Ich gehöre der Gegenaufklärung an. (Feridun Zaimoglu)
Nach dieser Einstimmung geht es im Anschluss ähnlich kulturell mit dem
Stück Schwarze Jungfrauen weiter. Die Texte, die an diesem Abend zu
hören sind, basieren auf Interviews, die Feridun Zaimoglu und Günter
Senkel gemeinsam mit jungen Muslima geführt haben. Zaimoglu wurde vor
allem durch seine prominente Rolle im antirassistischen Netzwerk Kanak
Attak bekannt und hat seit Jahren großen Erfolg als Schriftsteller. Das
deutsche Publikum interessiert sich vor allem für seinen
Migrationshintergrund und Zaimoglu scheint diese Nachfrage zufriedenstellend zu
bedienen. Er nahm aufgrund seiner kulturellen Kompetenz etwa an der Deutschen
Islam-Konferenz teil und verließ sie medienwirksam aufgrund des
angeblichen Übergewichts von Islamkritikerinnen, die Zaimoglu
natürlich in Anführungszeichen setzt.(1)
Für den Stücktext wurden die Gesprächsinhalte von den Autoren in
eine literarische Form gebracht, die Jeder einen eigenen Duktus, eine eigene
Stimme verleiht. Im Theater der Jungen Welt inszenierten sechs Regisseurinnen
je einen Monolog der jungen islami(sti)schen Frauen. Sie alle sind nach einem
Wort Zaimoglus Neomusliminnen: Junge Muslima, die fanatisch glauben und
dennoch nicht dem Klischee demütiger Unterwerfung entsprechen sollen. Dass
sie dies nicht tun, führt aber leider keineswegs dazu, dass man es hier
mit ziemlich coolen Frauen oder gar Neofeministinnen zu tun
hätte, wie Iris Alanyali anlässlich der Uraufführung des
Stücks vermutete.(2)
Sicher, das Stück bricht mit dem Bild der Muslima als passivem Opfer,
männliche Aufpasser kommen nicht vor. Es klingt auch sympathisch, dass die
Frauen über sich selbst sprechen, statt in der Öffentlichkeit
züchtig zu schweigen, wie es nicht nur der eurozentristische Blick,
sondern eben auch der patriachale Sittenkodex will. Doch ach, sobald die Erste
anfängt zu reden, schwindet rasant der identitätspolitische Kredit,
den die Damen aufgrund ihres prekären Sprechorts vielleicht zunächst
noch reklamieren konnten. Denn was einem da über zwei Stunden lang
entgegen schlägt, ist vor allem eins: Hate Speech vom feinsten.
Übrigens ist es nicht so, dass die Heterogenität der
präsentierten Lebensrealitäten zu einem Nominalismus der Differenz
veranlasste, wie dies von Kommentatoren immer wieder insinuiert wurde. Das
wäre nur die halbe Wahrheit. Es sind nämlich dieselben Topoi,
allerdings in unterschiedlichen Variationen, die alle Jungfrauen umtreibt. Die
Einheit im Unterschied, die ideologische Klammer aus Glaube und krankhaftem
Reinheitswahn, wurde denn auch von den Regisseurinnen gut durch die
weiß-grüne Farbgebung der Kostüme verdeutlicht.
Alles Schlampen außer Mama!
Den Auftakt macht eine pessimistisch gestimmte Muslima, die allerhand deutsche
Ideologie zum Besten gibt. Da fallen Sätze, die nach Spengler oder sonst
einem deutschen Kulturkritiker klingen: Die westliche Dekadenz und der hybride
Anthropozentrismus der Moderne werden angeprangert, der Westen laboriere an
einer Krankheit zum Nichts, ja, er huldige dem Götzen
Nichts. Gegen das Wissen hilft nur der Glaube, gegen den Verlust alter
Gewissheiten nur die rigide Lebensordnung des Islam. Damit spricht dieser erste
Monolog, der bis auf ein paar Todesdrohungen gegen den Papst (wird
aufgehängt wie ein Schwein) noch relativ gesittet und intellektuell
rüberkommt am ehesten die Bedürfnisse chronisch
zivilisationsmüder Krauts an. Nicht zufällig gelten Heidegger &
Co als intellektueller Einfluss auf das Denken etwa Sayyid Qutbs und wenn man
das Geraune von Muslima 1 hört, ahnt man auch warum. Der Islamismus
ist in dieser Form ein attraktives Angebot, um mit den Zumutungen einer
rückratlosen (Programmheft) Welt nach dem Tod Gottes klarzukommen
oder eben nicht. Dass die antimoderne Revolte des Islam nichts ganz und
gar Anderes' ist, weiß auch unsere junge Islamistin. Sie bedauert,
dass der Deutscher Volkscharakter in den letzten Jahrzehnten durch
Amerikanisierung arg an Substanz verloren habe. Diese Verkünderin einer
Mesalliance von renazifizierten Germanen und fanatisierten Orientalen unter dem
Banner des Antiimperialismus ist unappetitlich, aber noch nicht der
Höhepunkt des Abends. Es folgen weitere Auftritte, die keineswegs alle im
Gewand kulturkritischer Reflexion daherkommen, sondern andere, auch rauere
Töne anschlagen. Da ist zum Beispiel die Bosnierin, die das
Publikum eine Viertelstunde lang auf Übelste anpöbelt. Eine kleine
Kostprobe dieser Philippika möchte ich den Lesern und Leserinnen nicht
ersparen:
Ich seh keinen Unterschied zwischen `ner Bürgerlichen die's illegal
macht und 'ner Pornonutte die legal Geld verdient für Fick und Fick und
Fick. Jetzt laufen die Mädchen ohne BH rum und auf dem Shirt steht:
Playgirl oder das Bild von `nem Bunnyhäschen da bieten sie sich an und
wenn du sie fragst sagen sie: nein is n Spaßshirt ich machs der Ironie
wegen es is nich so gemeint wies aussieht Schein und Sein du verstehst. So
versteh ich's sicher nicht bist du `ne Schlampe wirst du wie ne astreine
Schlampe behandelt. Usw.usf.
Die ungebrochene Autorität der Rolle
Agil bewegen sich die Protagonistinnen im Bühnenraum, füllen ihn aus,
durchschreiten ihn, zeigen Präsenz. Sie stehen im Mittelpunkt, in den
meisten Teilen verzichten die Regisseurinnen ganz auf pompöse Requisite,
das Licht ist dezent und setzt nur dann und wann einen Akzent (in grün!),
technische Spielereien und zur Schau gestellte Multimedialität haben hier
keinen Platz. In diesem formal recht konventionell inszenierten Stück geht
es noch richtig puristisch zu, der Text, die Rollen, die Message stehen im
Vordergrund.
Nur eine der Muslima trägt ihren Text als inneren Monolog vor, mit
Pausen, in denen sie innehält und versonnen ihren eigenen Gedanken
lauscht, die in einer Tonschleife als Echo nachhallen. Abgesehen davon, dass
die Schauspielerinnenleistung gerade in diesem Monolog wenig überzeugend
ist, hat diese Form der Inszenierung den angenehmen Effekt, die konfrontative
Grundstimmung etwas abzumildern und Zwischentönen einen Raum zu geben.
Die anderen Texte kommen ohne Blick nach innen aus. Auch wenn sich stets das
Private, Erlebte, mit dem Politischen vermengt, soll nie die Illusion erzeuget
werden, als seien die Protagonistinnen allein mit ihren Sorgen und ließen
das Publikum durchs seelische Schlüsselloch linsen. Nein, alles passiert
coram publico und die Jungfrauen wissen es. Trotzig und feindlich treten sie
auf, dabei aber nie verzagt, nie um ein Wort verlegen, immer schlagfertig. Ob
das Ganze nun eher psychologistisch-veristisch oder rhetorisch-deklamatorisch
daherkommt, die Rollen sind allesamt konservativ ausgestaltet und weisen
keinerlei Porosität auf.(3)
Durch die literarische Überarbeitung, die das armselige Gedankengut
stilisiert und rhetorisch schleift, durch das aggressive Spiel, sowie durch die
bannende Kraft der Aufführungssituation selbst, entsteht zwangsläufig
der Eindruck der Überlegenheit der Islamistinnen.
Schwarze Jungfrauen nutzt an keiner Stelle Theatermittel, die eine
Verfremdung oder Distanzierung des Dargestellten bewirken können. Der
Heilige Ernst, mit dem sich die Gerechten ereifern, ergeht ungefiltert
über das Publikum. Nie werden die Schauspielerinnen in ihren Tiraden
unterbrochen, weder kommt es zu Dialogsituationen, noch wird das Treiben etwa
durch einen kommentierenden Erzähler unterbrochen, auch Ironie sucht man
dort vergeblich, wo die Gottgefälligen das Sagen haben. Im diesem Falle
wäre auch die notorische Metareflexion auf die Institution Theater
durchaus angebracht gewesen. Zwar ist es banal, wenn in jedem zweiten
Stück Bemerkungen à la Ich bin nicht Macbeth, ich bin nur der
Schauspieler XY zu Desillusionierungszwecken eingeschoben werden. Diese Praxis
droht durch einen inflationären Gebrauch zur entleerten,
effektheischend-pseudointellektuellen Pose zu erstarren. Hier aber wären
solche Formexperimente eventuell eine gewinnbringende Herangehensweise gewesen,
etwa durch eine Konfrontation der Meta-Rolle Schauspielerin, mit
all ihren verruchten Konnotationen, und der Rolle Islamistin, die ja per
se in einem Spannungsverhältnis stehen.
Auch die Entstehung des Kunsttheaters als Loslösung vom religiösen
Ritual, der Zusammenhang von autonomer Kunst und Säkularisierung in der
Moderne, der ja die Bedingung der Möglichkeit des eigenen
künstlerischen Schaffens darstellt, ließe sich mit einiger
Berechtigung thematisieren, wenn man diejenigen auf der Bühne zum Sprechen
bringt, denen Schönheit und Unterhaltung als Selbstzwecke für
Blasphemie gelten. Leider wird nichts dergleichen hier auch nur ansatzweise
versucht.
Doch woran liegt das? An der Einfallslosigkeit der Macherinnen, oder am
sozialkritischen Bedürfnis nach Randgruppen-Authentizität?
Oder steckt am Ende wieder einmal das Kalkül dahinter, mit der billigen
Provomasche reüssieren zu wollen?
Wozu das Ganze?
Das Stück kann jedenfalls kaum als ernst zu nehmende
Auseinandersetzung mit dem Stoff gelten, da einfach ein fertiger Text in
naturalistischer Manier präsentiert und die Denkarbeit dem Publikum
überlassen wird. Gleichzeitig kann man aber auch nicht behaupten, dass der
Text islamophile Einfühlung evozierte. Zwar ist es sicher für manchen
linksdeutschen Kulturfreund irgendwie verständlich, wenn junge deutsche
Muslima sich vom Terrorstaat Israel (Muslima(4)) gedemütigt
und verfolgt fühlen. Die üblichen Behauptungen über den Islam
als Religion des Friedens werden durch das Stück aber ins Reich der
Legenden verbannt.4 Die Leipziger Internet Zeitung übt sich daher
in Äquidistanz und meint, an diesem Abend streitbare Stimmen junger
Muslima vernommen zu haben.(5) Die Erklärung des Jihad gegen die
Verschwulung der Welt und die zynische Nachahmung von traumatisierten
Terroropfern ist aber höchstens so streitbar wie die NPD.
Und so taugt der Abend weder als Kunstwerk, noch als Kritik. Am ehesten
lässt sich wohl ein gewisser dokumentarischer Wert konzedieren. Dieser
liegt weniger in der Demonstration der allgemeinen Funktionsweise der
islamistischen Ideologie, als in der subjektiven, lebensweltlichen Perspektive
der Muslima, die manchmal wichtige Einsichten erlaubt. Im stärksten Bild
des Abends sehen wir, wie eine Schauspielerin mit dicker, schwarzer Tinte die
Koransure 3:91(6) auf den spärlich bekleideten Leib schreibt, was schlagend
illustriert, dass das Private im Islam schon lange vor 1968 politisch war.
Die Konflikte, die sich daraus mitunter für die Einzelnen ergeben,
entbehren in den selten aufblitzenden Momenten der Nichtidentität nicht
einer gewissen persönlichen Tragik. So etwa wenn das unsittliche
Bedürfnis nach romantischer Liebe und individuellem Glück zum
Selbsthass führt und das ungelebte Leben im Jungfrauenkäfig durch den
Stolz auf das intakte Jungfernhäutchen kompensiert werden soll.
Hierüber hätte ich gerne mehr erfahren.
Am Ende noch eine gute Nachricht: In der Skala ist Ende September
ebenfalls ein Stück über junge Frauen in einer patriachalen Welt
angelaufen, das sowohl ästhetisch, als auch in seiner Positionierung als
Antipode zu Schwarze Jungfrauen verstanden werden kann. Mareike Mikat
inszeniert Mädchen in Uniform, ein Stück über lesbische
Liebe in einem preußischen Mädcheninternat der 20er Jahre, als
sympathisches Plädoyer für Individualität, Sinnlichkeit und
Glück, das mit intelligenten Regieideen gespickt ist und zudem wunderbar
unterhält. Da fällt die Wahl nicht schwer!
Johannes Knauss