• Titelbild
• Editorial
• das erste: Vereint im deutschen Geist der dialogbereiten Toleranz
• Oaklands Seele
• Codes in the Clouds, Pg.lost
• Shuffle Me!
• Prolls mit Verstand
• Apoptygma Berzerk
• Paradise Lost, Samael, Ghost Brigade
• Dritte Wahl
• Sechs Jahre ITS YOURS! Party
• Vadim Imaginashun-Tour
• The Living End
• Miss Platnum
• Friska Viljor
• US Bombs
• The Adicts
• Jochen Distelmeyer
• Fucked Up
• Hot Water Music
• Imperial Never Say Die! Club Tour 2009
• electric island: KANN & friends
• Masta Ace
• Muff Potter
• A Storm of Light, Minsk
• Full Speed Ahead, Backfire
• ABC: E wie Emanzipation
• review-corner platte: Ja! Ich rede gern mit mir selbst!
• kulturreport: Like a virgin?
• doku: Post aus Honolulu
• doku: Über Fundamentalkritik und die feinen Unterschiede
• doku: Watch out for a new generation to push things forward!
• doku: Radio Blau von Abschaltung bedroht
• leserInnenbrief: Mit Schaum vor dem Mund
• Anzeigen
• das letzte: 100 Zahnstocher inkl. Gebrauchsanweisung
Über Sex kann man nur auf englisch singen, lehrte uns die Hamburger
Schule. Und über Jochen Distelmeyer nur (noch) polemisch schreiben? Oder
wie geht man mit diesem Songwriter und Sänger um, der seit Jahren
zumindest auf den ersten Blick textlich und musikalisch darauf
hinarbeitet, die zwischen Natur- und Liebeslyrik changierende Hintergrundmusik
für dahinseiernde Vorabendserien zu liefern und den Begriff Kitsch
weder als musikalisches noch ethisches No go anzusehen scheint?
Soweit zur vielfach medial breitgetretenen Polemik. Doch die Angelegenheit
wäre kaum der Rede wert, handelte es sich bei Jochen Distelmeyer nicht um
den Kopf von Blumfeld. Blumfeld galt bis zu ihrer Auflösung 2007
sowohl bei popkulturell sozialisierten Twentysomethings als auch beim
Feuilleton als eine der interessantesten Bands in deutscher Sprache, wenngleich
sie von Anfang an stark polarisierte. Somit waren die Spekulationen und
Erwartungen groß im Vorfeld der Veröffentlichung von Distelmeyers
erster Solo-Platte Heavy Ende September diesen Jahres.
Schon zu Blumfeld-Zeiten hatte Distelmeyer als Person und durch seine Texte
gegenüber den anderen, über die Jahre wechselnden Mitgliedern der
Band eindeutig im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gestanden. Und auch weil
Heavy musikalisch und textlich da weitermacht, wo das Band-Projekt
geendet hat, soll das Solo-Album hier im Zusammenhang mit den früheren
Blumfeld-Platten besprochen und vor allem dem Blumfeld-Debut
Ich-Maschine gegenübergestellt werden, um die textliche Entwicklung
in den Arbeiten Distelmeyers zu beschreiben.
Jochen Distelmeyer wehrt sich bis heute dagegen, für ein aufkeimendes
deutsches Nationalgefühl im Pop und auch sonst vereinnahmt zu werden. So
beteiligte sich Blumfeld 1992 bei den so genannten Wohlfahrtsausschüssen
gegen das Erstarken deutschnationalen und rechtsradikalen Gedankenguts im Zuge
der Wiedervereinigung. Auch gegen einen der leidigen Versuche, eine
Radio-Deutschquote einzuführen, teilte die Band 2004 per Stellungnahme
mit, dass sie für derartigen Populismus und Vaterlandsliebe jedweder
Art nach wie vor nicht zur Verfügung st(ünde)(1). Dass nicht selten
versucht wurde, Blumfeld als Vorreiter für die musikalische Affirmation
einer neuen Heimat(2) zu missbrauchen, könnte jedoch nicht nur den
Tatsachen zugeschrieben werden, dass sie eine der ersten deutschsprachigen
Bands Anfang der Neunziger war und diese gemeinsam mit anderen wie
Tocotronic und Die Sterne unter dem Label derHamburger
Schule medial aufgeblasen wurde. Vielmehr ist zu fragen, in wieweit für
diese Vereinnahmung und die teilweise massenmedial anmutende Popularität
nicht auch die musikalische und textliche Entwicklung der Band selbst
verantwortlich sein könnte.
Auf ihren ersten beiden Alben Ich-Maschine und L`etat et moi
hatten sich Blumfeld durch die Verknüpfung von Post-Punk mit komplexen,
vielfach verschlüsselten Text-Monumenten in die Herzen der (gefühlt)
linken Jugend in der Provinz und in den Städten gespielt. In den Songs
fragt ein textlich und stimmlich verzweifeltes Individuum nach den
Möglichkeiten von wahrer Individualität in Zeiten der totalen
kapitalistischen Vergesellschaftung. Einziger Fluchtweg vor dem
gesellschaftlichen Dogma, dass wir werden sollen wie sie
(Ich-Maschine/ Ich-Maschine) versprechen die paar vertrauten Du`s
innerhalb der freundschaftlich verbundenen KünstlerInnenszene und in
(Liebes-)Beziehungen zu sein. Zugleich aber wird gerade die eigene Freiheit der
jugendlichen Künstlerrolle als wichtige Funktion für das
gesamtgesellschaftliche Gefüge entlarvt: Mach doch mal einer den
Kulturkack aus. Ach geht ja nich, lass bloß an, bin ja selber drin
(Dosis/ Ich-Maschine). Als soziale Randgruppe auf dem Weg
zu sich selbst so bezeichnet Distelmeyer selbstironisch das eigene
Milieu in Ich-Maschine erfüllt man die gesellschaftliche
Sehnsucht nach Provokation und Wildheit.
Und auch die eigenen Intim-Beziehungen sind politisch. Das sprechende
Individuum ist hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, dass Liebe wahr
werden kann (Zeittotschläger) und der schieren Unmöglichkeit,
innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft als Mann nicht gewalttätig zu
sein. Das Lied Lass uns nicht von Sex reden ist meines Wissens bis heute
das einzige auf jeden Fall das einzige auf deutsch , das aus
männlicher Perspektive, aber ohne Eroberungsattitüde Vaginalsex und
die damit reproduzierte Sonder-Stellung der Frau durch die Möglichkeit des
Schwangerwerdens problematisiert:
Brauchst du mich? Du brauchst mich! Wolltest du früher ein Junge
sein? Jetzt gehörst du zum schwachen Geschlecht. Ich war im
Fußballverein und piss im Stehen. (
) Wann hört Macht auf? Hier
fängt Macht an. Lass uns nicht von Sex reden.
Diese Radikalität, mit der textlich in den ersten beiden Alben die
politische Durchdringung des Privaten seziert und bis auf die eigenen Knochen
verdammt wird, machte Blumfeld zu einem unvergleichlichen und besonderen
Musik-Projekt.
Das 1999 veröffentlichte Album Old Nobody ist der Beginn einer
Entwicklung, welche viele als Bruch zu den vorherigen Alben empfanden.
Musikalisch und textlich hatte man sich zu einfacheren Schlager-, Soul- und
Pop-Song-Strukturen hingewandt. Mit unverhohlener Emotionalität und
Vibrato-verzierter Sing-Stimme sang da plötzlich einer von der
Schönheit der romantischen Zweisamkeit, wie man das allenfalls aus den
Radiosendern des verachteten Mainstream-Breis zu kennen meinte. Das Individuum,
jetzt weniger zerrissen durch gesellschaftlich geformte und in sich
widerstreitende Emotionen, bündelte diesmal sein Pathos, um mit
Tausend Tränen tief das Liebeslied aller Liebeslieder anzustimmen.
Nicht wenige Blumfeld-HörerInnen der ersten Stunde waren mindestens
verwirrt.
Die letzten drei Blumfeld-Alben und auch die jetzt erschienene Solo-Platte
Distelmeyers lassen sich in diese Richtung einordnen. Weiterhin arbeitet er mit
klassischer Band-Besetzung und mit Lars Precht ist sogar ein Mitglied der alten
Band als begleitender Musiker vertreten.
Die gesellschaftliche Durchdringung des/ der Einzelnen ist an vielen Stellen
textlich der Darstellung eines individuellen Rückzugs ins Private
gewichen. Mindestens drei Lieder handeln vom gescheiterten oder
unerfüllten Glück in der trauten Zweisamkeit (Bleiben oder
gehen, Nur mit dir, Jenfeld Mädchen), die auch musikalisch
ohne Überraschungen dahinplätschern. Mit dem Refrain Und jeder
von uns fragt sich: Soll ich bleiben oder gehen? beschreibt Distelmeyer zwar
treffend, wie das spätkapitalistische Individuum die gesellschaftlichen
Zwänge durch die Never-Ending-Story des an sich selbst Arbeitens gerade in
der behaupteten Intimität der Zweierbeziehung gegen sich selbst richtet.
Allerdings kommt das so unkommentiert, unironisch und scheinbar objektiv daher,
dass es nicht verwundert, wenn gleich noch psychologische Ratschläge
mitgeliefert werden, wie der privaten Krise zu entkommen sei: manchmal
hilft`s, wenn man darüber spricht (Nur mit dir). Nur weil
Dissidenz und Jugendlichkeit meistens eher der popkulturellen Vermarktung
verhelfen anstatt als politische Zeichen zu wirken, ist noch nicht
nachvollziehbar, warum Distelmeyer unbedingt Pop für alle machen will.
Das jedoch scheint zumindest die derzeitige Vermarktungs-Strategie zu sein. So
heißt es auf der Homepage, das Album verhandelte die existentiell
menschlichen Themen von Liebe und Glück, Verlust und Trauer, Freude und
Wut vor dem Hintergrund einer Welt im Wandel(3). Man muss nicht über
den Begriff Gesellschaft nachgedacht haben, um mit diesen
Allgemeinplätzen mitgehen zu können. Auch wies Distelmeyer im
Interview mit der Jungle World die Vermutung zurück, beim letzten Song des
Albums Murmel handelte es sich um eine Beschreibung des linksliberalen
Milieus(4). Die Wibkes, Toms und Leilas, die in diesem Song gestern
Geburtstag hatten, zurück aus Wien sind oder einen Job in
Berlin haben stünden für alle als Identifikationsfiguren zur
Verfügung. Besteht in Ich-Maschine der Wunsch dass die
anderen aufhör`n, mit sich selbst zu reden (Penismonolog), um der
eigenen Isolation zumindest für einen Augenblick zu entkommen, heißt
es auf Heavy: Ich sing mein Lied und lass die andern reden
(Jenfeld Mädchen). Soll das heißen: Man ist sich doch selbst
der nächste? Und das gerne und ohne jugendlichen Groll? Die ehemaligen
linken Wilden treffen sich dann vielleicht noch ab und zu auf dem
Kinderspielplatz. Dass in den Songs die Gesellschaftlichkeit solcher Szenen
nicht und schon gar nicht kritisch behandelt wird, ist schade. Riecht nach
Zeitgeist und leichter Vermarktbarkeit, auch wenn sich Distelmeyer
erklärtermaßen nach wie vor vom Fühlen nach Vorschrift in
den Straßen (Wohin mit dem Hass?) zu distanzieren sucht.
Denn auch dieses Album lässt sich wie schon die Vorgänger nicht unter
einem einzigen Thema oder einer einzigen auszumachenden Stimme subsumieren.
Selbst die entschiedensten Kritiker werden zugeben müssen, dass
Distselmeyers Texte nicht alle gleich kitschig sind. Einige verbreiten
auch diesmal wieder ungestümen Wind (Hiob) jenseits der
Kleinfamilie. Auf Heavy mag dies vor allem für Wohin mit dem
Hass? gelten, das sich aber sprachlich so undistanziert von einer
Plattitüde zur nächsten hangelt, dass es kein argumentatives
Gegengewicht zur überwiegend besungenen Privatheit zu sein vermag. Links
sein wird hier zum medienwirksamen Aktivismus: Kennst du die Reichen und
Mächtigen? Lass ihre Wagen brennen! Das kann doch nicht so ernst gemeint
sein, wie Distelmeyers Betroffenheitsmiene im Video simuliert. Und lass uns
nicht von der grölenden Männerhorde reden! Die zelebriert im Video
ihr Dagegen sein mit Bier und wildem Gehüpfe.
Statt dieser plumpen Gesellschaftsanalyse ist es mir dann doch noch lieber,
wenn Distelmeyer nicht mehr sein will und kann als ein alters-weiser Lyriker
und Sänger, der singt: Am Ende ist es nur ein Song, und ich flieg
davon (Murmel). Hübsche Vorstellung, auch wenn ich mich mit der
Brille des Blumfeld-Fans von einst frage, wie das inmitten der
gesellschaftlichen Verhältnisse bitte gehen soll. Andererseits taucht der
Moment des vorübergehenden entrückt Seins an zu vielen Stellen
des Albums auf, um ihn lediglich als zeitgeistige Affirmation des Privaten
abtun zu können. Vielmehr erscheint er bewusst gesetzt: Das CD-Cover zeigt
Distelmeyer mit einer riesigen rosa Kaugummiblase im Mund, kurz bevor sie zu
platzen droht. Das Recht, zu träumen und sich Illusionen hinzugeben,
taucht in der in Heavy entfalteten Gedankenwelt immer wieder auf.
Einerseits verweist dieses Motiv des Traums auf eine Utopie jenseits der
existierenden Gesellschaft, wie sie Distelmeyer am offensichtlichsten und
schönsten auf dem Blumfeld-Album Jenseits von Jedem besang:
Komm sag es allen, wir sind frei, es gibt kein müssen und kein
solln, wenn wir es wolln (Wir sind frei). Als Pendant zu diesem Lied,
ebenfalls mit Hymnencharakter, handelt Lass uns Liebe sein auf
Heavy von der Möglichkeit, durch die Liebe zu einem Menschen den
gesellschaftlichen Zwängen zu entkommen, auch wenn die romantische
Zweierbeziehung natürlich immer auch gesellschaftliches Instrument der
Einlullung ist. Der Satz Komm und träum den Traum noch mal in
Lass uns Liebe sein als Zitat einer Illusionen erlegenen Schlager-Welt
spricht einerseits die pathetische Künstlichkeit von Liebe an und
schlägt sie trotzdem als individuelle Überlebensstrategie im falschen
Ganzen vor. Dass diese individuellen Träume auch irgendwann platzen
können oder gar platzen müssen, verbildlicht einmal mehr die
CD-Rückseite: die Kaugummi-Blase der Frontseite bleibt als klebriger Rest
auf Distelmeyers Gesicht zurück.
Wie schon bei den Vorgänger-Alben bleibt auch diesmal der Eindruck in mir
zurück, die verschiedenen textlich und musikalisch entfalteten Tendenzen
nicht ganz greifen zu können. Was bei den Einen den Verdacht eines
beliebigen Pluralismus` wachrufen mag, würde Distelmeyer vielleicht
freuen. Denn so bleibt er die in Hinter der Musik besungene seltsame
Erscheinung eines Muttersohns mit Engelszungen auf dem Psychopfad.
Theresa Leit