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Emanzipation als Befreiung von Zwängen
Emanzipation, ob man den Begriff etymologisch herleitet oder nur dem Wortsinn
nach umschreibt, wird meist als Erhebung, Herausarbeitung aus einem Zustand der
Unfreiheit, von Zwang und Unterdrückung, hin zu einem Zustand der Freiheit
verstanden. Wer das Wort Emanzipation im Munde führt, möge also
zuerst das Wort Freiheit definieren. Aber wie das so ist mit Abstrakta, die
weder fassbar noch begreifbar sind, verschlägt es da manchem die Sprache,
der mit hehren Idealen angerückt war um von Befreiung zu sprechen. Wie
soll man Freiheit beschreiben? Dieses Vorhaben erscheint reichlich schwierig zu
realisieren. Und doch ist es trotz dieser Schwierigkeit notwendig und richtig,
von Freiheit, von Emanzipation zu reden.
Die Freiheit, die wir meinen(1), ist nichts in der Welt vorhandenes, das
nur darauf wartet, gefunden und definiert zu werden. Und doch wohnt diese
Freiheit unserer Welt inne als Möglichkeit, die realisiert werden muss.
Freiheit ist nicht per se undefinierbar, es gab nur noch keine Gesellschaft, in
der Freiheit, wie wir sie meinen, möglich war. Es geht also um zwei
Aspekte: Die Gesellschaft, in der ein Mindestmaß an Freiheit praktisch
erfahr- und erlebbar sein muss, um Emanzipation denkbar zu machen. Und um jene
Freiheit, die nicht als Mindestmaß`, sondern vollkommen
noch nicht realisiert ist.
Es ist festzuhalten, dass es durchaus verschiedene Grade von Freiheit und
Unfreiheit in den verschiedenen Gesellschaften der Welt gibt und es notwendig
und sinnvoll ist, zu differenzieren, auch wenn die Assoziation freier
Individuen nirgends verwirklicht ist. Die Differenzierung ist aus zwei
Gründen wichtig: einmal, weil sie den Blick für die Lebensbedingungen
verschiedenster Personen schärft. Und andererseits, weil Freiheit sowohl
konkret als auch absolut universell gedacht werden muss: konkret, insofern von
Freiheit sprechen nur sinnvoll ist, wenn die Person, um die es geht, diese
Freiheit auch ganz praktisch erlangen kann. Und universell insofern, dass
Freiheit jedem Menschen zukommen muss.
Diese beiden methodischen Aspekte bilden die Grundlage materialistischen Redens
über Freiheit. Berücksichtigt man diese Eckpunkte, führt es in
eine scheinbar dilemmatische Situation. Einzelne Menschen, Individuen, als frei
zu bezeichnen, ist falsch, solange sie in einer unfreien Gesellschaft leben.
Gleichzeitig sind diese Individuen aber SchöpferInnen und BegrenzerInnen
ihrer eigenen Gesellschaft und damit der Möglichkeit der befreiten
Gesellschaft: Wie können Menschen, die das Objekt wirksamer und
produktiver Herrschaft gewesen sind, von sich aus die Bedingungen der Freiheit
herbeiführen?(2) Wie kann diese Schranke überwunden werden, die
aus dem Zirkel der Unfreiheit hinaus führen würde? Das ist eine
Frage, die nicht weniger meint als die Theorie der Revolution, und das
führt uns zu Marx.
Gesellschaftliche Verhältnisse, die nach Emanzipation verlangen
Aber beginnen wir von vorn: Marx setzt sich in seinem Text Zur
Judenfrage(3) mit dem Begriff der Emanzipation auseinander. Hier geht es um
die Frage, ob Emanzipation menschlich oder politisch gefordert werden sollte.
Politische Emanzipation ist das, was wir mit Gleichstellung meinen nach
Bruno Bauer, mit dem Marx sich hier streitet, würde Gleichstellung dazu
führen, dass Minderheiten unter das allgemeine Joch, also unter dieselben
Zwänge wie die Mehrheit geraten, dies aber für Minderheiten zumeist
eine realistische Verbesserung des Lebens bedeutet. Zugleich heißt es
auch, dass die Ungleichheiten, die zwischen der Majorität und den
Minoritäten herrschen, einfach durch juristische (durch das positive
Recht) Gleichstellung formal entfernt werden, somit kein Politikum mehr sind
und von Staats wegen ignoriert werden können.
Übertragen auf aktuellere Situationen hieße das: die Forderung,
gleiches Recht auf Arbeit für Alle, führt (im Idealfall) zu einer
sogenannten Chancengleichheit, insofern, dass jedeR sich persönlichen
Wohlstand erarbeiten kann. Es heißt aber ebenso: Jeder Mensch muss
arbeiten, um leben zu können. Vom Zwang der Arbeit, also früh
aufzustehen, sich nach dem Arbeitsvertrag zu richten, ist niemand befreit,
sondern im Gegenteil: alle fallen gleichermaßen unter diesen Zwang.
Ungleichheit herrscht aber dennoch zwischen Unterschicht und Oberschicht,
zwischen MigrantInnen und der weißen Mehrheitsgemeinschaft: In
Deutschland sind die Bildungseinrichtungen wenig für vertikale soziale
Mobilität durchlässig (heißt: wenige Menschen der Unterschicht
oder mit Migrationserfahrung schaffen es, ein gutes Abitur oder gar ein Studium
zu absolvieren und sich hochzuarbeiten). Diese Ungleichheit ist aber
de jure abgeschafft also kein politisches Problem mehr, sondern
eines, welches die Menschen privat lösen sollen. Chancengleichheit
herrscht also nur formal, die Probleme, welche sich aus der
Chancen-Ungleichheit ergeben, muss jedeR privat für sich lösen.
Weshalb dieses Beispiel wichtig ist: in der modernen kapitalistischen
Gesellschaft, die Marx kritisiert, ist Arbeit entfremdet. Da der Arbeitsbegriff
von Marx einen eigenen Artikel verdient, nehmen wir hier nur den Begriff der
Entfremdung heraus und setzen ihn in Zusammenhang mit der Frage nach
Emanzipation und Freiheit.
Entfremdung des Arbeiters ist bei Marx vierfach definiert: Die Lohnarbeit
entfremdet dem Menschen
1. die Natur [...], 2. sich selbst, seine eigne tätige Funktion,
seine Lebenstätigkeit, [und] so entfremdet sie dem Menschen die Gattung;
sie macht ihm das Gattungsleben zum Mittel des individuellen Lebens. Erstens
entfremdet sie das Gattungsleben und das individuelle Leben, und zweitens macht
sie das letztere in seiner Abstraktion zum Zweck des ersten, ebenfalls in
seiner abstrakten und entfremdeten Form. [...] 3. [wird also] das Gattungswesen
des Menschen, sowohl die Natur als sein geistiges Gattungsvermögen, zu
einem ihm fremden Wesen, zum Mittel seiner individuellen Existenz. Sie
entfremdet dem Menschen seinen eignen Leib, wie die Natur außer ihm, wie
sein geistiges Wesen, sein menschliches Wesen. 4. Eine unmittelbare Konsequenz
davon, daß der Mensch dem Produkt seiner Arbeit, seiner
Lebenstätigkeit, seinem Gattungswesen entfremdet ist, ist die Entfremdung
des Menschen von dem Menschen. Wenn der Mensch sich selbst gegenübersteht,
so steht ihm der andre Mensch gegenüber.(4)
Der Mensch ist also von der Natur, sich selbst, vom Gattungswesen Mensch und
von anderen Menschen entfremdet. Entlang Freuds Theorie könnte man jetzt
noch auf die Triebunterdrückung (Unterdrückung der menschlichen
Natur) oder -abspaltung eingehen, welche psychoanalytisch die Abspaltung der
Bedürfnisse und des Begehrens des Individuums von sich selbst
begründet, welche zugleich notwendig ist für Arbeit allgemein,
besonders aber im Kapitalismus. Entlang der Kritischen Theorie nun kann man
aufzeigen, wie eine in der Aufklärung durchgesetzte Ratio, welche den
Geist als frei erklärt, gleichzeitig objektive, praktische Freiheit
einschränkt:
Naturbeherrschung, die umschlägt in Naturverfallenheit, ist auch das
Grundthema der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno.
Die herrschaftsförmige Vernunft, auch als Aufklärung bezeichnet,
werde zum Opfer der eigenen Herrschaftsansprüche. Aufklärung, so wird
kritisiert, setze den Naturprozess einfach fort, erreiche so Naturbeherrschung,
aber enthalte auch das Potential zur Befreiung aber nur gegen den Strich
gebürstet sonst zerstöre sich das Ganze selbst daher:
negative Dialektik. Eine Befreiung von Naturabhängigkeit (im Sinne eines
Strebens nach absoluter Freiheit) über Herrschaft sei zum Scheitern
verurteilt, weil die Gebundenheit des Menschen als selber Natur an Natur nicht
überwindbar sei. Jeder Versuch der technischen Überwindung der
Naturbedingtheit oder der perfekteren Ausbeutung bzw. Verwertung der Natur,
treibe die Individuen weiter in die Abhängigkeit des gesellschaftlichen
Naturzusammenhangs.(5)
Der Prozess der Aufklärung, der eigentlich zu mehr Humanität und zu
einer vernünftig eingerichteten Gesellschaft verhelfen sollte, führte
zu Technokratie und blindem Fortschrittsglauben. Die in der Aufklärung
angelegte, über den Wert vermittelte Herrschaft der Menschen über
sich selbst und über andere Menschen, traf in Deutschland auf
autoritären Etatismus und deutsche Ideologie den Nazismus mit
seinem modernen Antisemitismus und Antiliberalismus. Darin schlug die Barbarei
durch, die im beherrschenden Denken bereits angelegt war.
Individuum und Gesellschaft
Individuum und Gesellschaft stehen in ständiger Vermittlung zueinander,
können also nicht getrennt gedacht werden. Freiheit erfordert und
erschafft Individualität. Davon gibt es tatsächlich immer noch viel
zu wenig, und nicht, wie manche Linke sagen, zu viel. Wenn man
Individualität nicht als Entfesselung des Subjekts(6), sondern als
Entfaltung des Individuums versteht, wird klar, warum: Erstens ist wirkliche
Individualität im Moment kaum zu erlangen(7). Zweitens ist wirkliche
Individualität Grundlage von Emanzipation, aber gleichzeitig von ihrem
Grad abhängig. Damit ist nicht gemeint, was der utopische Liberalismus
meinte, also das Streben des Einzelnen nach Wohlstand, das zum Wohlstand der
Gesellschaft führen würde. Darin enthalten ist wesentlich die
kapitalistische Verwertung menschlicher Arbeit, weshalb auch der Mensch in
einer bürokratisch-kapitalistischen Gesellschaft nur als austauschbares,
verwertbares Subjekt zählt, nicht als individueller Mensch(8).
Individualität muss anders gedacht, jedoch auf keinen Fall als
antiliberaler Reflex abgeschafft werden. Zu bewahren ist, bei aller Kritik am
Liberalismus und damit auch der aktuellen kapitalistischen Gesellschaft, das
Versprechen der Individualität; wenngleich es auch radikalisiert werden
muss und eine radikale Veränderung dieser Gesellschaft mit sich bringen
müsste. Und dennoch muss das Bestreben nach Emanzipation vom einzelnen
Individuum ausgehen, ja, es muss den Willen zu seiner Befreiung aus den
gesellschaftlichen Zwängen selbst aufbringen und dieser Wille darf kein
rein theoretischer bleiben. Insofern ist Freiheit keinesfalls unbedingt
Vereinsamung, kein Egoismus, sondern Grundvoraussetzung für eine
vernünftig eingerichtete Gesellschaft freier Menschen.
Das ist es auch, was Marx mit menschlicher Emanzipation meint, und warum er
diese der politischen überordnet. Und um es auf die Spitze zu treiben:
Wirkliche Gleichstellung ist strukturell ohnehin nur dann möglich, wenn
wir uns in einer befreiten Gesellschaft befinden. In dieser würde
automatisch Gleichheit herrschen, im Sinne einer Versöhntheit der
Unterschiede zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Gesellschaft, ohne
diese Unterschiede einzuebnen oder dem Ganzen gleichzumachen. Der heute in
Bourgeois und Citoyen, in egoistisches Individuum` und
vergleichbarer Staatsbürger` geteilte Mensch wird auf sich selbst
zurückgeführt, wird wieder organischer Mensch, Individuum und Teil
der Gattung Mensch in einem:
Alle [menschliche] Emanzipation ist Zurückführung der
menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst. Die
politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das
Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische
unabhängige Individuum, andrerseits auf den Staatsbürger, auf
die moralische Person.(9)
Emanzipation
Emanzipation ist bedingt durch die Erkenntnis, dass die Gesellschaft, in der
wir leben, auf nichts anderem basiert als auf den Individuen, die sie
erschaffen, also uns dass aber gleichzeitig eine permanente Vermittlung
stattfindet, und damit ein (permanentes) Spannungsverhältnis zwischen den
Menschen, zwischen Menschen und Gesellschaft, und zwischen Gesellschaft und
Natur herrscht, in das die einzelnen Menschen eingebunden sind. Dermaßen,
dass es sie ohnmächtig erscheinen lässt. Dies nennt Adorno den
permanenten Verblendungs- und Schuldzusammenhang.(10) Diese Vermittlung aber ist
nicht abzuschaffen und durch Unmittelbarkeit zu ersetzen, sondern muss erkannt,
durchschaut und bewusst im Sinne der Humanität von Menschen für
Menschen gelenkt werden. Dass dafür eine Vernunftkritik, als
Erkenntniskritik, so notwendig ist wie ein allumfassender Begriff von
Menschheit insofern, dass niemand ausgeschlossen ist ergibt sich.
Freiheit der Menschen ist nur in einer befreiten Gesellschaft möglich.
Emanzipation betrifft alle zwischenmenschlichen und
Mensch-Umwelt-Verhältnisse, aus denen die Welt gestrickt ist. Die
Versöhnung des Subjekts mit der Natur im Individuum wäre nach Adorno
und Horkheimer Bedingung der Möglichkeit von Freiheit. Die Beendigung von
Ausbeutung und Herrschaft von Menschen über Menschen, direkt oder
vermittelt, durch Maschinen, Patriarchat, Macht, Arbeitsverträge, Waffen
oder Wert, ist Grundlage für und Folge von Emanzipation.
Dieser Bedeutungskatalog liest sich pathetisch und macht gleichzeitig traurig,
und vielleicht ist das der Grund, weshalb von Emanzipation und Freiheit in der
Linken kaum noch die Rede ist. Humanität als Telos zu nennen und der
Produktion und dem Tausch gegenüber zu stellen ist erstmal simpel, birgt
aber einige Tücken und Probleme. Eigentlich müsste hier die
Diskussion um Emanzipation erst anfangen stattdessen wird häufig
anarchistisch von Subversion und Protest gegen die Gesamtscheiße
gesprochen, oder realpolitisch sich auf die eigene (oder der Bewegung eigenen)
Ohnmacht berufen. Beides ist verständlich, aber nicht emanzipatorisch.
Es soll nicht bestritten werden, wie wichtig die unter den geltenden
gesellschaftlichen Verhältnissen erlangten Freiheiten sind. Und doch ist
unter den geltenden kapitalistischen Produktionsbedingungen die Freiheit, die
wir meinen, nicht möglich. Dies führt zu einer weiteren Frage:
was ist der Kommunismus, den wir meinen?
Marianne Pabst und Virginia Spuhr [outside the box-Redaktion]
outside the box ist eine Zeitschrift, die Gesellschaftskritik mit
feministischem Fokus betreibt. Für weitere Informationen siehe:
http://outside.blogsport.de
Die erste Ausgabe von outside the box erscheint im November.