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• review-corner film: Die Partei, die Partei, die hat immer recht...
• leserInnenbrief: Das Ende des Nationalsozialismus feiern!
• 20 Jahre antideutsch-antifaschistischer Widerstandskampf
• doku: Jahresbericht 2008
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• das letzte: In eigener Sache
Die Frage ist, wo ich stünde, hätte es die Wiedervereinigung nicht
gegeben. Könnte ich mich frei informieren? Hätte ich Zugriff auf
unzählige weltweit erscheinende Bücher und Popsongs? Hätte ich
zwischen verschiedensten Diskos wählen und unzählige Nächte
durchtanzen können? Wären mir ein langes geisteswissenschaftliches
Studium und danach ein ungeregeltes Arbeitsleben möglich gewesen?
Gäbe es für mich die Möglichkeit, einen Text zu
veröffentlichen, dem keine staatliche Zensur droht? Sicher nicht
ist die Antwort auf alle diese Fragen. Insofern bin ich, nicht als Patriot oder
Nationalist, sondern persönlich froh darüber, dass es vor zwanzig
Jahren zur Wiedervereinigung kam und ich seither nicht mehr DDR-, sondern
BRD-Bürger bin.
Im Gegensatz dazu zeigt sich die Radikale Linke keineswegs glücklich
über die Wiedervereinigung. Für uns gibt es dabei nichts zu
feiern, heißt es im Aufruf zur Demonstration und Kampagne Still
not lovin' Germany(1). Ob den Radikalen Linken insgeheim nicht doch feierlich
zumute ist, ihr Dasein zum Glück nicht in der DDR fristen zu müssen?
Bestimmt. Ihre politische Identität scheint ihnen aber jede
persönliche Freude zu verbieten.(2)
Stellung zur DDR
Die politische Identität der Radikalen Linken birgt traditionell ein
unkritisches Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte, das heißt zu
dem Teil der Geschichte, in dem Radikale Linke nicht in der Opposition waren,
sondern an der Macht. Im schlimmsten Fall wird der real existierende
Sozialismus verklärt(3), in der Regel versuchte man einfach abzulenken,
indem man, wie beispielsweise in der Debatte zum Schwarzbuch
Kommunismus, statt in den Grundtenor der Kritik und Aufarbeitung des
Kommunismus einzustimmen, den Titel Schwarzbuch Kapitalismus dagegen
setzte, die bürgerliche Totalitarismustheorie angriff oder die Teilung
Deutschlands als antifaschistischen Akt deklarierte. Wie sich einst die
westliche Linke aus räumlicher Distanz ein verantwortungsloses,
unkritisches Verhältnis zur DDR leisten konnte, so scheint die heutige
Radikale Linke aufgrund zeitlicher Distanz die Kritik der DDR
vernachlässigen zu können. Zwar beinhaltet die Kampagne Still
not lovin' Germany zwei Veranstaltungen zur Kritik der DDR. Aber diese
scheinen an der despektierlichen Haltung der Kampagne zur Wiedervereinigung
nicht zu rühren, wie der Aufruf beweist.
Warum nicht einfach anerkennen, dass die Wiedervereinigung zum Glück nicht
zur Restitution des Dritten Reiches, sondern in der Hauptsache dazu
geführt hat, dass Ostdeutsche mehr Freiheiten genießen? Selbst unter
antifaschistischen Gesichtspunkten hat die Wiedervereinigung wenn auch
nicht intendiert zu Fortschritten geführt. Der verordnete
Antifaschismus in der DDR war eine perfide Absolution für Hunderttausende
Täter und Millionen Mitschuldige gewesen, im Antizionismus und
Antiamerikanismus wurden den DDR-Bürgern von oben Alternativen zum
tabuisierten Antisemitismus geboten und die sozialistische Asylpolitik trug
weit mehr zur Reinerhaltung des Ariertums bei als die der BRD. Zudem hatte sich
in der DDR weit weniger als in der BRD eine aufgeklärte und kritische
Öffentlichkeit, eingeschlossen der Antifa, konstituieren können. Auch
diesbezüglich ist die nachholende Entwicklung in den Neuen
Bundesländern zu begrüßen.
Abgeschmackt ist auch der eingeübte linksradikale Herdenreflex gegen die
Totalitarismuskritik. Dass es Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und
realexistierendem Sozialismus gibt, schließt noch lange nicht aus,
Gemeinsamkeiten unter einem Oberbegriff zu erfassen. Und der Begriff
totalitär eignet sich dazu ziemlich gut: Während
sozialistische Gemeinwesen zuungunsten individueller Disparität auf totale
Integration zielten, die die Ermordung politischer Gegner nicht ausschloss,
zielte der Nationalsozialismus wesentlich auf die totale Vernichtung des
Judentums. Damit ist der entscheidende Unterschied dieser säkularen
Bewegungen des 20. Jahrhunderts angezeigt, ohne Gemeinsamkeiten von vornherein
der Erkenntnis zu entziehen. Über Totalitarismustheorien im Einzelnen kann
man sich streiten. Den Begriff Totalitarismus im Ganzen abzulehnen, ist
reflexhafte Abwehr der Linken gegen die Auseinandersetzung mit der eigenen
verbrecherischen Tradition. Dieser Reflex findet sich auch im Kampagnenaufruf
Still not lovin' Germany. Darin wird der von Kurt Masur & Co.
verfasste Ruf aus Leipzig zum einen für die Gleichsetzung von DDR
und Nazideutschland und zum zweiten für einen verantwortungslosen Umgang
mit dem Nationalsozialismus gescholten: Die Zelebrierung einer quasi
zweiten aber diesmal durchweg positiv besetzten Geburt der BRD
geht mit der rhetorischen Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus einher.
Die Deutschen werden dadurch nicht nur zu bloßen Opfern zweier
Diktaturen stilisiert, vielmehr gelingt es ihnen, sich von der Verantwortung
für die Verbrechen des Nationalsozialismus weiter zu lösen.
Vielleicht hat die Radikale Linke das Lesen verlernt; im Ruf aus Leipzig
heißt es: Festigung der Demokratie bedeutet ständige, nicht
nachlassende Kritik an beiden, nicht gleichzusetzenden, deutschen Diktaturen.
Bis auf den Begriff der Diktatur, der tatsächlich das Volk vor der eigenen
Verantwortung in Schutz nimmt, ist dieser Satz richtig. Nationalsozialismus und
DDR werden nicht gleichgesetzt, ihre resolute Kritik wird gefordert. Zum
Vorwurf der Verantwortungslosigkeit: Wenn er stimmt, dann müsste erst
recht den Antideutschen vorgeworfen werden, dass sie durch den rhetorischen
Kniff, sich als Antideutsche zu bezeichnen, ihrer deutschen Verantwortung
fliehen.
Dämonisierung der BRD
Angesichts der Beschreibung der bundesdeutschen Realität im Aufruf zur
Kampagne fragt man sich, warum sich Antifaschisten oder jüdische und
Afrodeutsche überhaupt noch auf die Straße trauen. Um dem Kampf
Heroismus und entscheidende Dringlichkeit beizumessen, um ihn mit geschwollener
Brust und in schwarzer, uniformer Kluft zu führen, malen Antifas, aber
auch Teile der Zivilgesellschaft, die sich aus alt gewordenen Antifas
rekrutieren, den Teufel an die Wand. Jedes fremdenfeindliche Zitat eines
CDU-Politikers, und sei er noch so unbedeutend, jedes geopolitische Interesse
der Bundesrepublik, und sei es noch so kläglich(4), wird herausgestellt, um
auf die Gefahr hinzuweisen, gegen die man unerschrocken anrennt und die uns
angeblich mehr und mehr bedroht. Bei diesem Kampf können Jugendliche
herdenartig in militanten schwarzen Blöcken marschieren und grölen,
verkappte Schnüffler als sogenannte Rechercheantifas reüssieren und
harte Jungs und Mädchen ihren Banden- und Kampfsport-Spleen ausleben, ohne
sich zu rechtfertigen denn der Kampf kann seinem Begriff zufolge nichts
als gut sein. Im Übrigen scheint es in diesem Kampf einen regelrechten
Wettbewerb um die antideutscheste Position zu geben, den in Leipzig zuletzt die
Initiative gegen jeden Extremismusbegriff für sich entscheiden
konnte, als es ihr auf einer antideutschen Demonstration unter dem Motto
Es gibt nichts zu feiern außer den 8. Mai gelang, die Feier
zum 8. Mai als deutschen Revisionismus auszulegen: Überspitzt
for-muliert könnte man fast sagen, dass es sich um einen deutschen
National-feiertag handelt. [...] Rein faktisch war der 8. Mai 1945 [...] die
Voraus-setzung neuer deutscher Weltmachtstel-lung [...].(5)
Realität der BRD
In den 90ern, als die Wiedervereinigung noch jung war und insbesondere in
Ostdeutschland eine fremdenfeindliche Stimmung zum Ausbruch kam und Angriffe
auf Asylbewerberheime stattfanden, ohne dass Polizei und Politik dagegen
energische Mittel fanden und ergriffen, war die Warnung vor einem
völkischen Nationalismus oder gar einem 4. Reich halbwegs
nachzuvollziehen. Derzeit aber, wo die BRD in Europa zwar mittlerweile eine
große, aber qualitativ keine rahmensprengende Rolle spielt, und im
Verhältnis zum Iran oder zu der Bedrohung, die in Pakistan nach der Macht
greift, sich ziemlich harmlos ausnimmt, wo die größten deutschen
Städte von schwulen Oberbürgermeistern regiert werden, wo die CDU
einen Martin Hohmann rausgeworfen hat und offensiv das Thema Integration
angeht, wo Schwarze für die Kampagne Du bist Deutschland werben, wo
bei der DFB-Auswahl fast die Hälfte der Spieler einen
Migrationshintergrund haben, wo eine Historikerkommission aufgestellt wird, um
der Legendenbildung hinsichtlich des Luftangriffs auf Dresden einen Riegel
vorzuschieben, und wo die NPD es trotz Krise und selbst in ihren Hochburgen
kaum in den Landtag schafft, Demonstrationen gegen die Gefahr Deutschland zu
organisieren, ist Pseudopraxis und pseudoantifaschistisch. Die dabei
verausgabte jugendliche Energie könnte besser darauf verwendet werden,
Kröten über die Straße zu helfen.
Natürlich sind Patriotismus und Nationalismus borniert. Aber sind sie
heutzutage noch eine große Gefahr? Nein. Auf alle Fälle müssen
Neonazis bekämpft werden, weil sie dort, wo sie aktiv sind, Menschen, die
nicht in ihr Weltbild passen, das Leben schwer machen. Doch Kurt Biedenkopf
behält gegen die linke Zivilgesellschaft recht, wenn er die Gefahr
einzuordnen weiß: dass die NPD nicht mehr als eine Splitterpartei ist.
Sicherlich muss gegen Fremdenfeindlichkeit vorgegangen werden. Aber ist sie
tatsächlich Staatsräson, derentwegen die BRD angegriffen werden
müsste? Nein, sie ist die Ideologie beziehungsweise der dumpfe Affekt
abgehalfterter Mileus, die in einigen Teilen Ostdeutschlands mitunter die
Alltagskultur ganzer Kleinstädte und Landstriche dominieren, aber in der
bundesrepublikanischen Öffentlichkeit nichts zu melden haben.
Natürlich ist die Asylpolitik Deutschlands und Europas ausgrenzend. Aber
ist sie wirklich rassistisch und völkisch? Oder ist sie nicht sogar
dermaßen pragmatisch innerhalb einer Welt, in der keine gerechte
Verteilung der Reichtümer und der Arbeit herrscht, dass selbst radikale
Linke sich insgeheim nicht wünschen, dass vor diesem Hintergrund die
Grenzen umgehend und absolut durchlässig werden?
Ursachen des Antideutschtums
Antifaschistische, antirassistische, antideutsche Initiativen können
sympathisch sein solange sie ihr Engagement und den Feind nicht
überschätzen. Dass sich aber solche Initiativen nicht allein aus
praktischer Notwendigkeit bilden, sondern auch aus dem Motiv, sich, 60 Jahre zu
spät, als antifaschistischer Widerstand fühlen zu können,
beweist allein schon die Göttinger Antifa der Neunziger, die aus einer
Hundertschaft bestand und in ihrer Stadt trotz pedantischer Recherche auf nicht
mehr als eine Handvoll Nazis verweisen konnte.
Es scheint den Antideutschen nicht um eine sachliche Lageeinschätzung zu
gehen, sondern um die eigene antifaschistische Identität
gemäß dem von Henryk M. Broder diagnostizierten Trend unter
Deutschen, sich um so mehr gegen den Nationalsozialismus aufzulehnen, je
länger dieser zurückliegt. Stilisierten sich ganz auf Linie
der DDR die Westlinken im Kampf gegen den Imperialismus als
antifaschistisch, so ficht die Radikale Linke heute gegen deutschen
Nationalismus. Dabei scheint ihr Alles, was in oder durch die deutsche Nation
geschieht, unabhängig vom Inhalt, ein willkommener Anlass zu sein, um sich
davon abgrenzen und als besonders antifaschistisch weihen zu können.
Warum dieser unwirkliche, leidenschaftliche Kampf? Die Linke befindet sich in
einer beschissenen Lage und will sie sich partout nicht eingestehen.
Während sich ihr Mythos zur Identifikation anbietet, hat sie im Grunde
gewaltig abgewirtschaftet. Die einstige linke Kernkompetenz, der Sozialismus,
d.h. die Abschaffung der Klassen, die allgemeine Befriedigung der
Grundbedürfnisse und die Verringerung der Arbeitszeit, endete in
totalitären Staatswesen. Eine lupenreine linke antifaschistische Tradition
zwischen 1933 und 1945 lässt sich angesichts des Hitler-Stalin-Pakts und
des Engagements der britischen Linken gegen die patriotische, antideutsche
Kriegspolitik Churchills auch nicht vorweisen. Doch statt diese
selbstverschuldete Lage aufzuarbeiten und dadurch die einstigen linken Motive
bestmöglich zu retten, aalt sich die Radikale Linke in selbstherrlichen
Gesten, das heißt in Deutschland am liebsten in der Selbstzuschreibung
als antifaschistische Minderheit, die es wacker mit dem bösen
wiedervereinten Deutschland aufnimmt.
Wer aber heute gegen die BRD kämpft und sich dabei einbildet, einen
antifaschistischen Kampf zu führen, erschleicht sich im Kokon einer
Jugendbewegung, in der man sich repetitiv selbst bestätigt, eine
antifaschistische Identität, d.h. die Beglaubigung, ein guter Mensch zu
sein. Das Perfide dieser Identität ist weniger die Dämonisierung der
BRD als der darin manifest werdende Mangel historischer Urteilskraft, die die
Bedingung eines ernsthaften, verantwortungsbewussten und wachen Humanismus
ist.
Historische Urteilskraft
Vor acht Jahren wurden Antirassisten und Antiimperialisten düpiert, als
nicht Rassisten und Imperialisten, sondern deren vermeintliche Opfer,
nämlich radikale Moslems ihren Antihumanismus bewiesen. Man hätte
vorher schon um die Gefahr des Islamismus wissen können, wäre man,
statt selbst die Kritik an Taliban und Kopftuch als rassistisch abzutun(6), in
der Lage gewesen, Gefahren zu erkennen, die sich offenkundig als solche, wenn
auch nicht im gewohnten Gewand, formulieren.
Heute nun versuchen Antideutsche jede noch so harmlose deutschnationale
Bekundung als antisemitisch, chauvinistisch, postnazistisch oder revanchistisch
zu dechiffrieren, wobei ihnen entgeht, dass der deutsche Nationalismus in
seiner völkischen Variante eine Gefahr von Gestern darstellt, die in der
Welt von heute so bedeutend ist wie die NPD im sächsischen Landtag. Die
antideutsche Linke glaubt mit dem Antideutschtum einen Stein der Weisen
gefunden zu haben, der ermögliche, prinzipiell auf der richtigen Seite zu
stehen und zu verhindern, dass sich Auschwitz und Ähnliches wiederholt.
Realiter aber verdeckt er zeitgemäße und mehr oder minder
große Gefahren dort, wo sie sich zwar deutlich, aber nicht
nationalistisch offenbaren wie etwa in den Schriften Alain Benoist und
Toni Negris und Michael Hardts(7), in denen Nationalismus, Kapitalismus und
Imperialismus entschieden verurteilt werden und die Vision einer globalen
Volksgemeinschaft konzipiert wird.
Nur um ein Beispiel einer solchen Gefahr zu geben, nicht um Negri und Hardt als
die Gefahr schlechthin herauszustellen, soll deren Utopie hier kurz umrissen
werden: Die Kategorie des Individuums taucht im Empire, jenem
hochgelobten Manifest der globalisierungskritischen Bewegung, als positive
überhaupt nicht auf. Revolutionäres Subjekt sei die Menge
(Multitude), die als harmonisches, homogenes Subjekt gezeichnet wird. Eine
legitime Disparität des Einzelnen zur Menge und die Notwendigkeit einer
Vermittlung von Einzelnem und Gemeinschaft, wie sie wie
unzulänglich auch immer in der bürgerlichen Gesellschaft
mittels parlamentarischer Prozesse, Recht und Markt geschieht, kommt den
Autoren erst gar nicht in den Sinn.(8) Gemeinnutz vor Eigennutz ist die
implizite Devise. Entsprechend wird die Menge attribuiert; sie soll sich in
produktiver Arbeit bewähren und manifestieren: Arbeit erscheint
schlicht und einfach als die Macht zu handeln, die zugleich singulär und
universell ist: singulär, insofern Arbeit zur ausschließlichen
Domäne von Körper und Geist der Menge geworden ist; und universell,
insofern das Begehren, das die Menge in ihrer Bewegung vom Virtuellen zum
Möglichen zum Ausdruck bringt, beständig als gemeinsame Sache
entsteht. Nur wenn das, was gemeinsam ist, Gestalt gewinnt, kann Produktion
stattfinden und die allgemeine Produktivität steigen. Alles, was diese
Macht zu handeln blockiert, ist nichts als ein Hindernis, das man zu
überwinden hat ein Hindernis, das durch die kritischen Kräfte
der Arbeit und die leidenschaftliche Alltagsweisheit der Affekte umgangen,
geschwächt und zerschmettert wird.(9) In der Sowjetunion bezeichnete man
solche Hindernisse als Kulaken, bloß dass Negri und Hardt ihre
manichäischen Freund- und Feindbestimmungen wenngleich, das
unterscheidet sie maßgeblich von den Nazis, sie sich davor hüten,
konkrete Bevölkerungskreise als Feinde zu outen weniger im
bolschewistischen Jargon als in postmodernem Begriffsschaum oder auch im Stile
der Lingua Tertii Imperii vortragen. So rubrizieren sie die
Hindernisse, die umgangen, geschwächt und zerschmettert
werden sollen, unter dem Begriff der Korruption, die als Seuche,
Frustration und Verstümmelung sogleich näher und schließlich
in ihrer Wirkung auf die Gemeinschaft bestimmt wird: sie bricht die
biopolitische Gemeinschaft auf und behindert deren Leben.(10) An dieser Stelle
taucht in Negris und Hardts Schrift überhaupt einmal die Kategorie der
Individualität auf just in dem Moment, in denen sie verschiedene
Arten der Korruption auflisten: An erster Stelle steht dabei Korruption
als individuelle Wahl, welche der grundlegenden, durch die biopolitische
Produktion definierten Gemeinschaft und Solidarität entgegensteht und sie
verletzt.(11)
Das Lob schaffender Arbeit und unmittelbarer Vergemeinschaftung, die
Verherrlichung von Gemeinschaft, der Affront gegen Eigennutz und der Aufruf zur
Zerschmetterung all dessen, was sich der Gemeinschaft nicht fügt
eine totalitäre Vision. Negri und Hardt und ihre Anhänger stellen
möglicherweise ihrer Anzahl nach keine große Gefahr dar, aber
zumindest vertreten sie eine potenziell zeitgemäße
totalitäre Utopie, die viel eher als Barbarei zu bekämpfen wäre
als die heutige BRD. Dass die Antideutschen, insbesondere die antideutschen
Antifas, nicht im Stande sind, solche und ähnliche Gefahren zu erkennen,
und stattdessen dem Kampf gegen den Nationalsozialismus nachhängen, dessen
abgewirtschaftete Ideologiebestandteile sie in das antifaschistisch motivierte
Grundgesetz der BRD, in antirassistische Kampagnen wie Du bist
Deutschland und in so deutschnationale wie weltoffene
Fußball-WM-Jubelorgien zwanghaft hinein interpretieren, sind zwei Seiten
einer Medaille.
Ich jedenfalls bin froh darüber, weder in der DDR noch in Negris und
Hardts Weltgesellschaft leben zu müssen, sondern in der BRD. Wenn die
antideutschen Antifas das verstanden haben, könnte mit ihnen gemeinsam
über die Überwindung der BRD und die Errichtung einer besseren
Gesellschaft nachgesonnen werden.
Hannes Gießler
(3) Die unkritischsten Bürger scheint die DDR in einigen besonders
abgeschmackten westdeutschen Linken gehabt zu haben beispielsweise in
dem Volksbarden Franz-Josef Degenhardt: Ja, dieses Deutschland meine ich/
das endlich denen gehört/ die tausend Jahre lang/ geschafft und
produziert/ [...] wo Geschichte bleibt/ weil man sie nicht vergisst/ und darum
liest du an/ den Straßen, Plätzen dann/ so Namen wie die/ Rosa
Luxemburg, Ernst Thälmann/ Lumumba, Ho-chi-minh/ und Solidarität/ weil nämlich anderswo/ der Kampf noch weitergeht
(4) Vgl. meinen Text: Sonderangebot: Antideutsche AntiimperialistInnen, CEE IEH Nr. 96, http://www.conne-island.de/nf/96/19.html
(5) CEE IEH Nr. 166, http://www.conne-island.de/nf/166/20.html
(6) So die Intervention einiger MigrantInnen-Gruppen gegen die damaligen Konkret-Autoren Kay Sokolowsky, Justus Wertmüller und Wolfgang Pohrt im Jahre 1998: in CEE IEH Nr. 49, http://www.conne-island.de/nf/49/16.html
(7) Die Neue Linke und Neue Rechte ist sich in ihrer Kritik an der modernen, partikularen, bösen, abstrakten, künstlichen Nation
beziehungsweise Souveränität weitgehend einig. Vgl. Alain de Benoist,
Schöne vernetzte Welt. Eine Antwort auf die Globalisierung, Tübingen
u.a. 2001, S. 215f., 286f., 296, 402 u. 412 auf der einen Seite und auf der
anderen Seite: Toni Negri u. Michael Hardt, Empire, Frankfurt am Main 2002, S. 101f., 232, 321, 327, 334, u. 398
(8) Im Nachfolgewerk des Empire erreichen Negri und Hardt dann zumindest
die Höhe realsozialistischer Ideologen, wenn sie das Verhältnis von
Individuum und Gemeinschaft nicht kritisch diskutieren und populistisch
behaupten, dass das Individuum mit der Multitude (als läge das in der
Natur der Sache) harmoniert und durch sie befreit wird. Vgl. Negri u. Hardt,
Multitude, Frankfurt am Main 2004, S. 244, 249ff., 385, u. 391. Gegen den
Begriff der Multitude, der ein homogenes Interesse der darunter befassten
Singularitäten suggeriert, gilt der gleiche Einwand, den Hans Kelsen gegen
Carl Schmitts Fiktion eines homogen gewillten Volkes vorgebracht hat:
Hans Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. 6 (1930/31), S. 576-628, hier S. 614
(9) Negri u. Hardt, Empire, a.a.O., 365f.
(10) ebd., S. 398
(11) ebd., S. 396f.