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Aktuelles Heft

INHALT #169

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Peter
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Purple Rain
MITTE01
The Legacy, Daggers, Lasting Traces
Ich bin reines Dynamit....
Intro Intim
Sights and Sounds, Men Eater
Mouse on Mars
Sun Of A Bastard Tour
Street Dogs, Civet, Lousy
Moutique Ensemble
Eskimo Joe
Die Fussballmatrix
Station 17
Demo-Aftershow-Party
Hellnightstour
Absu, Pantheon I, Razor of Occam, Zoroaster
electric island
Celan, Dyse, Ulme, Exits to Freeways
Veranstaltungsanzeigen
• ABC: R wie Rassismustheorie
• ABC: H wie Historikerstreit
• review-corner film: Inglourious Basterds
• review-corner film: Die Partei, die Partei, die hat immer recht...
• leserInnenbrief: Das Ende des Nationalsozialismus feiern!
20 Jahre antideutsch-antifaschistischer Widerstandskampf
• doku: Jahresbericht 2008
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20 Jahre antideutsch-antifaschistischer Widerstandskampf

Zu „Still not lovin' Germany“

Die Frage ist, wo ich stünde, hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben. Könnte ich mich frei informieren? Hätte ich Zugriff auf unzählige weltweit erscheinende Bücher und Popsongs? Hätte ich zwischen verschiedensten Diskos wählen und unzählige Nächte durchtanzen können? Wären mir ein langes geisteswissenschaftliches Studium und danach ein ungeregeltes Arbeitsleben möglich gewesen? Gäbe es für mich die Möglichkeit, einen Text zu veröffentlichen, dem keine staatliche Zensur droht? „Sicher nicht“ ist die Antwort auf alle diese Fragen. Insofern bin ich, nicht als Patriot oder Nationalist, sondern persönlich froh darüber, dass es vor zwanzig Jahren zur Wiedervereinigung kam und ich seither nicht mehr DDR-, sondern BRD-Bürger bin.
Im Gegensatz dazu zeigt sich die Radikale Linke keineswegs glücklich über die Wiedervereinigung. „Für uns gibt es dabei nichts zu feiern“, heißt es im Aufruf zur Demonstration und Kampagne „Still not lovin' Germany“(1). Ob den Radikalen Linken insgeheim nicht doch feierlich zumute ist, ihr Dasein zum Glück nicht in der DDR fristen zu müssen? Bestimmt. Ihre politische Identität scheint ihnen aber jede persönliche Freude zu verbieten.(2)

Stellung zur DDR

Die politische Identität der Radikalen Linken birgt traditionell ein unkritisches Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte, das heißt zu dem Teil der Geschichte, in dem Radikale Linke nicht in der Opposition waren, sondern an der Macht. Im schlimmsten Fall wird der real existierende Sozialismus verklärt(3), in der Regel versuchte man einfach abzulenken, indem man, wie beispielsweise in der Debatte zum Schwarzbuch Kommunismus, statt in den Grundtenor der Kritik und Aufarbeitung des Kommunismus einzustimmen, den Titel Schwarzbuch Kapitalismus dagegen setzte, die bürgerliche Totalitarismustheorie angriff oder die Teilung Deutschlands als antifaschistischen Akt deklarierte. Wie sich einst die westliche Linke aus räumlicher Distanz ein verantwortungsloses, unkritisches Verhältnis zur DDR leisten konnte, so scheint die heutige Radikale Linke aufgrund zeitlicher Distanz die Kritik der DDR vernachlässigen zu können. Zwar beinhaltet die Kampagne „Still not lovin' Germany“ zwei Veranstaltungen zur Kritik der DDR. Aber diese scheinen an der despektierlichen Haltung der Kampagne zur Wiedervereinigung nicht zu rühren, wie der Aufruf beweist.
Warum nicht einfach anerkennen, dass die Wiedervereinigung zum Glück nicht zur Restitution des Dritten Reiches, sondern in der Hauptsache dazu geführt hat, dass Ostdeutsche mehr Freiheiten genießen? Selbst unter antifaschistischen Gesichtspunkten hat die Wiedervereinigung – wenn auch nicht intendiert – zu Fortschritten geführt. Der verordnete Antifaschismus in der DDR war eine perfide Absolution für Hunderttausende Täter und Millionen Mitschuldige gewesen, im Antizionismus und Antiamerikanismus wurden den DDR-Bürgern von oben Alternativen zum tabuisierten Antisemitismus geboten und die sozialistische Asylpolitik trug weit mehr zur Reinerhaltung des Ariertums bei als die der BRD. Zudem hatte sich in der DDR weit weniger als in der BRD eine aufgeklärte und kritische Öffentlichkeit, eingeschlossen der Antifa, konstituieren können. Auch diesbezüglich ist die nachholende Entwicklung in den Neuen Bundesländern zu begrüßen.
Abgeschmackt ist auch der eingeübte linksradikale Herdenreflex gegen die Totalitarismuskritik. Dass es Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und realexistierendem Sozialismus gibt, schließt noch lange nicht aus, Gemeinsamkeiten unter einem Oberbegriff zu erfassen. Und der Begriff „totalitär“ eignet sich dazu ziemlich gut: Während sozialistische Gemeinwesen zuungunsten individueller Disparität auf totale Integration zielten, die die Ermordung politischer Gegner nicht ausschloss, zielte der Nationalsozialismus wesentlich auf die totale Vernichtung des Judentums. Damit ist der entscheidende Unterschied dieser säkularen Bewegungen des 20. Jahrhunderts angezeigt, ohne Gemeinsamkeiten von vornherein der Erkenntnis zu entziehen. Über Totalitarismustheorien im Einzelnen kann man sich streiten. Den Begriff Totalitarismus im Ganzen abzulehnen, ist reflexhafte Abwehr der Linken gegen die Auseinandersetzung mit der eigenen verbrecherischen Tradition. Dieser Reflex findet sich auch im Kampagnenaufruf „Still not lovin' Germany“. Darin wird der von Kurt Masur & Co. verfasste „Ruf aus Leipzig“ zum einen für die Gleichsetzung von DDR und Nazideutschland und zum zweiten für einen verantwortungslosen Umgang mit dem Nationalsozialismus gescholten: „Die Zelebrierung einer quasi zweiten – aber diesmal durchweg positiv besetzten – Geburt der BRD geht mit der rhetorischen Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus einher. Die Deutschen werden dadurch nicht nur zu bloßen Opfern „zweier Diktaturen“ stilisiert, vielmehr gelingt es ihnen, sich von der Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus weiter zu lösen.“ Vielleicht hat die Radikale Linke das Lesen verlernt; im „Ruf aus Leipzig“ heißt es: „Festigung der Demokratie bedeutet ständige, nicht nachlassende Kritik an beiden, nicht gleichzusetzenden, deutschen Diktaturen.“ Bis auf den Begriff der Diktatur, der tatsächlich das Volk vor der eigenen Verantwortung in Schutz nimmt, ist dieser Satz richtig. Nationalsozialismus und DDR werden nicht gleichgesetzt, ihre resolute Kritik wird gefordert. Zum Vorwurf der Verantwortungslosigkeit: Wenn er stimmt, dann müsste erst recht den Antideutschen vorgeworfen werden, dass sie durch den rhetorischen Kniff, sich als Antideutsche zu bezeichnen, ihrer deutschen Verantwortung fliehen.

Dämonisierung der BRD

Angesichts der Beschreibung der bundesdeutschen Realität im Aufruf zur Kampagne fragt man sich, warum sich Antifaschisten oder jüdische und Afrodeutsche überhaupt noch auf die Straße trauen. Um dem Kampf Heroismus und entscheidende Dringlichkeit beizumessen, um ihn mit geschwollener Brust und in schwarzer, uniformer Kluft zu führen, malen Antifas, aber auch Teile der Zivilgesellschaft, die sich aus alt gewordenen Antifas rekrutieren, den Teufel an die Wand. Jedes fremdenfeindliche Zitat eines CDU-Politikers, und sei er noch so unbedeutend, jedes geopolitische Interesse der Bundesrepublik, und sei es noch so kläglich(4), wird herausgestellt, um auf die Gefahr hinzuweisen, gegen die man unerschrocken anrennt und die uns angeblich mehr und mehr bedroht. Bei diesem Kampf können Jugendliche herdenartig in militanten schwarzen Blöcken marschieren und grölen, verkappte Schnüffler als sogenannte Rechercheantifas reüssieren und harte Jungs und Mädchen ihren Banden- und Kampfsport-Spleen ausleben, ohne sich zu rechtfertigen – denn der Kampf kann seinem Begriff zufolge nichts als gut sein. Im Übrigen scheint es in diesem Kampf einen regelrechten Wettbewerb um die antideutscheste Position zu geben, den in Leipzig zuletzt die „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“ für sich entscheiden konnte, als es ihr auf einer antideutschen Demonstration unter dem Motto „Es gibt nichts zu feiern – außer den 8. Mai“ gelang, die Feier zum 8. Mai als deutschen Revisionismus auszulegen: „Überspitzt for-muliert könnte man fast sagen, dass es sich um einen deutschen National-feiertag handelt. [...] Rein faktisch war der 8. Mai 1945 [...] die Voraus-setzung neuer deutscher Weltmachtstel-lung [...].“(5)

Realität der BRD

In den 90ern, als die Wiedervereinigung noch jung war und insbesondere in Ostdeutschland eine fremdenfeindliche Stimmung zum Ausbruch kam und Angriffe auf Asylbewerberheime stattfanden, ohne dass Polizei und Politik dagegen energische Mittel fanden und ergriffen, war die Warnung vor einem völkischen Nationalismus oder gar einem 4. Reich halbwegs nachzuvollziehen. Derzeit aber, wo die BRD in Europa zwar mittlerweile eine große, aber qualitativ keine rahmensprengende Rolle spielt, und im Verhältnis zum Iran oder zu der Bedrohung, die in Pakistan nach der Macht greift, sich ziemlich harmlos ausnimmt, wo die größten deutschen Städte von schwulen Oberbürgermeistern regiert werden, wo die CDU einen Martin Hohmann rausgeworfen hat und offensiv das Thema Integration angeht, wo Schwarze für die Kampagne „Du bist Deutschland“ werben, wo bei der DFB-Auswahl fast die Hälfte der Spieler einen Migrationshintergrund haben, wo eine Historikerkommission aufgestellt wird, um der Legendenbildung hinsichtlich des Luftangriffs auf Dresden einen Riegel vorzuschieben, und wo die NPD es trotz Krise und selbst in ihren Hochburgen kaum in den Landtag schafft, Demonstrationen gegen die Gefahr Deutschland zu organisieren, ist Pseudopraxis und pseudoantifaschistisch. Die dabei verausgabte jugendliche Energie könnte besser darauf verwendet werden, Kröten über die Straße zu helfen.
Natürlich sind Patriotismus und Nationalismus borniert. Aber sind sie heutzutage noch eine große Gefahr? Nein. Auf alle Fälle müssen Neonazis bekämpft werden, weil sie dort, wo sie aktiv sind, Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, das Leben schwer machen. Doch Kurt Biedenkopf behält gegen die linke Zivilgesellschaft recht, wenn er die Gefahr einzuordnen weiß: dass die NPD nicht mehr als eine Splitterpartei ist. Sicherlich muss gegen Fremdenfeindlichkeit vorgegangen werden. Aber ist sie tatsächlich Staatsräson, derentwegen die BRD angegriffen werden müsste? Nein, sie ist die Ideologie beziehungsweise der dumpfe Affekt abgehalfterter Mileus, die in einigen Teilen Ostdeutschlands mitunter die Alltagskultur ganzer Kleinstädte und Landstriche dominieren, aber in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit nichts zu melden haben. Natürlich ist die Asylpolitik Deutschlands und Europas ausgrenzend. Aber ist sie wirklich rassistisch und völkisch? Oder ist sie nicht sogar dermaßen pragmatisch innerhalb einer Welt, in der keine gerechte Verteilung der Reichtümer und der Arbeit herrscht, dass selbst radikale Linke sich insgeheim nicht wünschen, dass vor diesem Hintergrund die Grenzen umgehend und absolut durchlässig werden?

Ursachen des Antideutschtums

Antifaschistische, antirassistische, antideutsche Initiativen können sympathisch sein – solange sie ihr Engagement und den Feind nicht überschätzen. Dass sich aber solche Initiativen nicht allein aus praktischer Notwendigkeit bilden, sondern auch aus dem Motiv, sich, 60 Jahre zu spät, als antifaschistischer Widerstand fühlen zu können, beweist allein schon die Göttinger Antifa der Neunziger, die aus einer Hundertschaft bestand und in ihrer Stadt trotz pedantischer Recherche auf nicht mehr als eine Handvoll Nazis verweisen konnte.
Es scheint den Antideutschen nicht um eine sachliche Lageeinschätzung zu gehen, sondern um die eigene antifaschistische Identität – gemäß dem von Henryk M. Broder diagnostizierten Trend unter Deutschen, sich um so mehr gegen den Nationalsozialismus aufzulehnen, je länger dieser zurückliegt. Stilisierten sich – ganz auf Linie der DDR – die Westlinken im Kampf gegen den Imperialismus als antifaschistisch, so ficht die Radikale Linke heute gegen deutschen Nationalismus. Dabei scheint ihr Alles, was in oder durch die deutsche Nation geschieht, unabhängig vom Inhalt, ein willkommener Anlass zu sein, um sich davon abgrenzen und als besonders antifaschistisch weihen zu können.
Warum dieser unwirkliche, leidenschaftliche Kampf? Die Linke befindet sich in einer beschissenen Lage und will sie sich partout nicht eingestehen. Während sich ihr Mythos zur Identifikation anbietet, hat sie im Grunde gewaltig abgewirtschaftet. Die einstige linke Kernkompetenz, der Sozialismus, d.h. die Abschaffung der Klassen, die allgemeine Befriedigung der Grundbedürfnisse und die Verringerung der Arbeitszeit, endete in totalitären Staatswesen. Eine lupenreine linke antifaschistische Tradition zwischen 1933 und 1945 lässt sich angesichts des Hitler-Stalin-Pakts und des Engagements der britischen Linken gegen die patriotische, antideutsche Kriegspolitik Churchills auch nicht vorweisen. Doch statt diese selbstverschuldete Lage aufzuarbeiten und dadurch die einstigen linken Motive bestmöglich zu retten, aalt sich die Radikale Linke in selbstherrlichen Gesten, das heißt in Deutschland am liebsten in der Selbstzuschreibung als antifaschistische Minderheit, die es wacker mit dem bösen wiedervereinten Deutschland aufnimmt.
Wer aber heute gegen die BRD kämpft und sich dabei einbildet, einen antifaschistischen Kampf zu führen, erschleicht sich im Kokon einer Jugendbewegung, in der man sich repetitiv selbst bestätigt, eine antifaschistische Identität, d.h. die Beglaubigung, ein guter Mensch zu sein. Das Perfide dieser Identität ist weniger die Dämonisierung der BRD als der darin manifest werdende Mangel historischer Urteilskraft, die die Bedingung eines ernsthaften, verantwortungsbewussten und wachen Humanismus ist.

Historische Urteilskraft

Vor acht Jahren wurden Antirassisten und Antiimperialisten düpiert, als nicht Rassisten und Imperialisten, sondern deren vermeintliche Opfer, nämlich radikale Moslems ihren Antihumanismus bewiesen. Man hätte vorher schon um die Gefahr des Islamismus wissen können, wäre man, statt selbst die Kritik an Taliban und Kopftuch als rassistisch abzutun(6), in der Lage gewesen, Gefahren zu erkennen, die sich offenkundig als solche, wenn auch nicht im gewohnten Gewand, formulieren.
Heute nun versuchen Antideutsche jede noch so harmlose deutschnationale Bekundung als antisemitisch, chauvinistisch, postnazistisch oder revanchistisch zu dechiffrieren, wobei ihnen entgeht, dass der deutsche Nationalismus in seiner völkischen Variante eine Gefahr von Gestern darstellt, die in der Welt von heute so bedeutend ist wie die NPD im sächsischen Landtag. Die antideutsche Linke glaubt mit dem Antideutschtum einen Stein der Weisen gefunden zu haben, der ermögliche, prinzipiell auf der richtigen Seite zu stehen und zu verhindern, dass sich Auschwitz und Ähnliches wiederholt. Realiter aber verdeckt er zeitgemäße und mehr oder minder große Gefahren dort, wo sie sich zwar deutlich, aber nicht nationalistisch offenbaren – wie etwa in den Schriften Alain Benoist und Toni Negris und Michael Hardts(7), in denen Nationalismus, Kapitalismus und Imperialismus entschieden verurteilt werden und die Vision einer globalen Volksgemeinschaft konzipiert wird.
Nur um ein Beispiel einer solchen Gefahr zu geben, nicht um Negri und Hardt als die Gefahr schlechthin herauszustellen, soll deren Utopie hier kurz umrissen werden: Die Kategorie des Individuums taucht im Empire, jenem hochgelobten Manifest der globalisierungskritischen Bewegung, als positive überhaupt nicht auf. Revolutionäres Subjekt sei die Menge (Multitude), die als harmonisches, homogenes Subjekt gezeichnet wird. Eine legitime Disparität des Einzelnen zur Menge und die Notwendigkeit einer Vermittlung von Einzelnem und Gemeinschaft, wie sie – wie unzulänglich auch immer – in der bürgerlichen Gesellschaft mittels parlamentarischer Prozesse, Recht und Markt geschieht, kommt den Autoren erst gar nicht in den Sinn.(8) „Gemeinnutz vor Eigennutz“ ist die implizite Devise. Entsprechend wird die Menge attribuiert; sie soll sich in produktiver Arbeit bewähren und manifestieren: „Arbeit erscheint schlicht und einfach als die Macht zu handeln, die zugleich singulär und universell ist: singulär, insofern Arbeit zur ausschließlichen Domäne von Körper und Geist der Menge geworden ist; und universell, insofern das Begehren, das die Menge in ihrer Bewegung vom Virtuellen zum Möglichen zum Ausdruck bringt, beständig als gemeinsame Sache entsteht. Nur wenn das, was gemeinsam ist, Gestalt gewinnt, kann Produktion stattfinden und die allgemeine Produktivität steigen. Alles, was diese Macht zu handeln blockiert, ist nichts als ein Hindernis, das man zu überwinden hat – ein Hindernis, das durch die kritischen Kräfte der Arbeit und die leidenschaftliche Alltagsweisheit der Affekte umgangen, geschwächt und zerschmettert wird.“(9) In der Sowjetunion bezeichnete man solche Hindernisse als Kulaken, bloß dass Negri und Hardt ihre manichäischen Freund- und Feindbestimmungen – wenngleich, das unterscheidet sie maßgeblich von den Nazis, sie sich davor hüten, konkrete Bevölkerungskreise als Feinde zu outen – weniger im bolschewistischen Jargon als in postmodernem Begriffsschaum oder auch im Stile der Lingua Tertii Imperii vortragen. So rubrizieren sie die „Hindernisse“, die „umgangen, geschwächt und zerschmettert“ werden sollen, unter dem Begriff der „Korruption“, die als „Seuche, Frustration und Verstümmelung“ sogleich näher und schließlich in ihrer Wirkung auf die Gemeinschaft bestimmt wird: „sie bricht die biopolitische Gemeinschaft auf und behindert deren Leben.“(10) An dieser Stelle taucht in Negris und Hardts Schrift überhaupt einmal die Kategorie der Individualität auf – just in dem Moment, in denen sie verschiedene Arten der Korruption auflisten: „An erster Stelle steht dabei Korruption als individuelle Wahl, welche der grundlegenden, durch die biopolitische Produktion definierten Gemeinschaft und Solidarität entgegensteht und sie verletzt.“(11)
Das Lob schaffender Arbeit und unmittelbarer Vergemeinschaftung, die Verherrlichung von Gemeinschaft, der Affront gegen Eigennutz und der Aufruf zur Zerschmetterung all dessen, was sich der Gemeinschaft nicht fügt – eine totalitäre Vision. Negri und Hardt und ihre Anhänger stellen möglicherweise ihrer Anzahl nach keine große Gefahr dar, aber zumindest vertreten sie eine potenziell „zeitgemäße“ totalitäre Utopie, die viel eher als Barbarei zu bekämpfen wäre als die heutige BRD. Dass die Antideutschen, insbesondere die antideutschen Antifas, nicht im Stande sind, solche und ähnliche Gefahren zu erkennen, und stattdessen dem Kampf gegen den Nationalsozialismus nachhängen, dessen abgewirtschaftete Ideologiebestandteile sie in das antifaschistisch motivierte Grundgesetz der BRD, in antirassistische Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ und in so deutschnationale wie weltoffene Fußball-WM-Jubelorgien zwanghaft hinein interpretieren, sind zwei Seiten einer Medaille.
Ich jedenfalls bin froh darüber, weder in der DDR noch in Negris und Hardts Weltgesellschaft leben zu müssen, sondern in der BRD. Wenn die antideutschen Antifas das verstanden haben, könnte mit ihnen gemeinsam über die Überwindung der BRD und die Errichtung einer besseren Gesellschaft nachgesonnen werden.

Hannes Gießler

Anmerkungen

(1) http://antide2009.blogsport.de/

(2) In der aktuellen Ausgabe der bonjour tristesse schafft es Jörg Folta, die wiedervereinigungsfeindliche Stoßrichtung des Kampagnenaufrufs zu übertrumpfen und einen regelrechten Hass gegen ehemalige Bürgerrechtler und die Gauk-Behörde walten zu lassen, der sich erst gar nicht um Argumente bemüht und sich in Tiraden und Invektiven gefällt. Er stellt die sogenannte Wende und die Erinnerung an sie als „überflüssig“ und „peinlich“ dar: „Statt einer historischen Veränderung wurde eine neue Runde im ewig gleichen Spiel eingeläutet.“ Und schließlich kokettiert Folta mit den von antideutschen Alarmisten seit zwanzig Jahren wiederholten und dabei nicht klüger gewordenen Belehrungen über die Verbindungslinien von NS und wiedervereintem Deutschland, indem ihm nichts Treffenderes einfällt, als die Wende als „zweite ‚friedliche Revolution` in Deutschland seit 1933“ zu bestimmen. Dümmer geht's nimmer. Hauptsache antideutsch. Man wünscht jemanden wie Folta eine Zeitreise in die DDR – in der Hoffnung, dass er aus freien Stücken zurück in die Zukunft findet und dann nicht mehr so verantwortungslosen und selbstgefälligen Mist vom Stapel lässt. (http://bonjourtristesse.wordpress.com/2009/09/16/die-wende-ein-stasimarchen/)

(3) Die unkritischsten Bürger scheint die DDR in einigen besonders abgeschmackten westdeutschen Linken gehabt zu haben – beispielsweise in dem Volksbarden Franz-Josef Degenhardt: „Ja, dieses Deutschland meine ich/ das endlich denen gehört/ die tausend Jahre lang/ geschafft und produziert/ [...] wo Geschichte bleibt/ weil man sie nicht vergisst/ und darum liest du an/ den Straßen, Plätzen dann/ so Namen wie die/ Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann/ Lumumba, Ho-chi-minh/ und Solidarität/ weil nämlich anderswo/ der Kampf noch weitergeht“

(4) Vgl. meinen Text: Sonderangebot: Antideutsche AntiimperialistInnen, CEE IEH Nr. 96, http://www.conne-island.de/nf/96/19.html

(5) CEE IEH Nr. 166, http://www.conne-island.de/nf/166/20.html

(6) So die Intervention einiger MigrantInnen-Gruppen gegen die damaligen Konkret-Autoren Kay Sokolowsky, Justus Wertmüller und Wolfgang Pohrt im Jahre 1998: in CEE IEH Nr. 49, http://www.conne-island.de/nf/49/16.html

(7) Die Neue Linke und Neue Rechte ist sich in ihrer Kritik an der „modernen, partikularen, bösen, abstrakten, künstlichen“ Nation beziehungsweise Souveränität weitgehend einig. Vgl. Alain de Benoist, Schöne vernetzte Welt. Eine Antwort auf die Globalisierung, Tübingen u.a. 2001, S. 215f., 286f., 296, 402 u. 412 auf der einen Seite und auf der anderen Seite: Toni Negri u. Michael Hardt, Empire, Frankfurt am Main 2002, S. 101f., 232, 321, 327, 334, u. 398

(8) Im Nachfolgewerk des Empire erreichen Negri und Hardt dann zumindest die Höhe realsozialistischer Ideologen, wenn sie das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft nicht kritisch diskutieren und populistisch behaupten, dass das Individuum mit der Multitude (als läge das in der Natur der Sache) harmoniert und durch sie befreit wird. Vgl. Negri u. Hardt, Multitude, Frankfurt am Main 2004, S. 244, 249ff., 385, u. 391. Gegen den Begriff der Multitude, der ein homogenes Interesse der darunter befassten Singularitäten suggeriert, gilt der gleiche Einwand, den Hans Kelsen gegen Carl Schmitts „Fiktion“ eines homogen gewillten Volkes vorgebracht hat: Hans Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. 6 (1930/31), S. 576-628, hier S. 614

(9) Negri u. Hardt, Empire, a.a.O., 365f.

(10) ebd., S. 398

(11) ebd., S. 396f.

 

23.09.2009
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