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In der vorherigen Ausgabe (#168) wurden aus der Mannigfaltigkeit existierender
Erklärungsansätze bezüglich des Phänomens Rassismus drei
markante Theorieschulen extrahiert und näher betrachtet. Die
Erläuterungen zum differentialistischen Rassismus, von uns
repräsentiert durch Balibar und Taguieff, sowie die Herleitung des
Rassismus aus ökonomischen und politischen Strukturen in ihrer
Historizität (Miles) liefern entscheidende Anknüpfungspunkte für
große Teile der antirassistisch motivierten Literatur. Die von uns in
diesem Zusammenhang bereits geleistete Kritik der Anthropologisierung des
Subjekts in einer Rassismustheorie, die ohne eine Einbettung in die
kapitalistischen Verhältnisse auskommt, sowie die Kritik einer
Rationalisierung rassistischer Ideologie in Anbetracht der herrschenden
Produktionsverhältnisse, möchten wir auch im vorliegenden Teil noch
einmal aufgreifen. Sie führte uns im ersten Teil auf die Fährte der
kritischen Theorie sowie der Fetischkritik, wobei psychosoziale und
ökonomische Faktoren in der Erklärung fusionieren und vom Standpunkt
einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik betrachtet werden. Die Kritik am
Phänomen Rassismus gestaltete sich demnach notwendig als Teil einer
Kapitalismuskritik. Im Folgenden soll dies anhand einer historisch
übergreifenden Darstellung der Entwicklung und Weiterentwicklung
rassistischer Denkmuster vom Nationalsozialismus zum Rassismus der Gegenwart
noch einmal unterstrichen werden, bevor ein kritisches Fazit aus den
vorgestellten Ansätzen gezogen wird.
Rassismus der Rassen Die Genese des nationalsozialistischen Rassismus
In Nazideutschland wurde die Massentauglichkeit und Brutalität einer
rassistischen und antisemitischen Gedankenwelt erschreckend deutlich. Der
Rassismus ist zwar keine deutsche Erfindung, jedoch beschränkte sich die
Verwendung des Wortes Rassismus lange Zeit auf den nationalsozialistischen
Kontext.(1) Bis heute ist die Vorstellung von dem, was Rassismus sei, unmittelbar
an die nationalsozialistische Praxis der Verfolgung und Massenvernichtung
gebunden. Eine Einbindung in das Thema Rassismustheorie ist deshalb ratsam. Die
antirassistische Literatur bietet hierzu einerseits rein rationale
Erklärungsmuster für die Genese und Auswirkung eines spezifisch
deutschen Rassismus. So werden etwa Techniken der nationalsozialistischen
Ideenwelt in Verbindung mit den macht- und bevölkerungspolitischen
Konstellationen des 19. Jahrhunderts analysiert. Spiegelbildlich dazu existiert
die Tendenz zur völligen Irrationalisierung und Mystifizierung des
Bösen. Wird das Unglaubliche jedoch in der Ecke des Unerklärbaren
abgestellt, so ist es auch um die Aufarbeitung der Vergangenheit geschehen. Um
den analytischen Blick nicht einzugrenzen, sollte man sich weder auf die eine
noch die andere Argumentationslinie versteifen.
Auch in dem vorliegenden Versuch, die spezifische Form des
nationalsozialistischen Rassismus in die Genese des Rassismus (und ferner der
Rassismustheorien) einzubinden, soll dies berücksichtigt werden. Um
hierbei auch die gemeinsamen Ursprünge von Rassismus und Antisemitismus
sichtbar zu machen und gleichzeitig an einer Trennung festzuhalten, sollen im
Folgenden beide Ideologien aufgegriffen werden. Für die Ergründung
des Phänomens Rassismus gilt, was auch für den Antisemitismus gelten
muss: Die bündig rationalen, ökonomischen und politischen
Erklärungen und Gegenargumente so Richtiges sie immer bezeichnen
vermögen es [die Erkenntnis; LExil] nicht, denn die mit Herrschaft
verknüpfte Rationalität liegt selbst auf dem Grunde des Leidens.(2)
Eine zusätzliche Wendung aufs Subjekt, ist ergo angebracht, wenn
eine brauchbare Kritik am Rassismus geleistet werden soll. In der folgenden
Darstellung des nationalsozialistischen Rassismus sollen deshalb historische
Prozesse mit Ansätzen der Freudschen Entwicklungstheorie sowie
wertkritischen Elementen der kritischen Theorie in Verbindung gebracht werden.
Rassismus als Alltagsreligion
Die Lehre der Rasseideologie des 19. Jahrhunderts fand Zuspruch durch den
Wissenschaftsglauben einer sich modernisierenden und technologisierenden
Gesellschaft, in der Fortschritt überwiegend aus neuen
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen generiert wurde. An dieses Grundvertrauen
knüpfte die pseudowissenschaftliche Scharlatanerie in Form der
Rassenbiologie und Eugenik an. Der Glaube, die Welt sei eine in Rassen
einzuteilende, gipfelte schließlich in dem Versuch der Umsetzung einer
nationalsozialistischen Utopie der rassischen Homogenität. Es war
im Sinne der NationalsozialistInnen, die Fusion der Populärwissenschaften
mit den alltäglichen Vorurteilsstrukturen der Gesellschaft voranzubringen,
denn rassische Homogenität war nur mittels einer
gesamtgesellschaftlich verwertbaren Praxis der Rassenhygiene zu
erreichen. Um nun aus den unscharfen Vorstellungen bestimmter Unterschiede
einen absoluten Unterschied auszuformen und die Rassenreinheit
methodisch zu pflegen, bediente sich die nationalsozialistische Ideologie der
Technik des gewollten Verwischens gesellschaftlicher Rassismen. Detlev Claussen
verwendet in Bezug auf den Rassismus deshalb den Begriff des
Synkretismus, welcher ursprünglich eine Verschmelzung von Ideen
oder Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild beschreibt. Er
konstatiert schließlich: Alle Rassismen sind Synkretismen: Sie
wollen die differentia specifica, den bestimmten Unterschied, durch den etwas
erklärt und begriffen werden kann, gar nicht wissen.(3) So hieß es in
einem Beiblatt des Völkischen Beobachters vom 1.Mai 1930: Die
Rassenbiologie und Rassenhygiene ist keine Wissenschaft nur für Gelehrte,
sondern muß Gemeingut des Volkes werden, wenn es mit Deutschland wieder
aufwärts gehen soll. In einem nationalsozialistischen Staate wird nur
derjenige ein Recht auf Nachkommenschaft haben, der körperlich und geistig
vollständig gesund ist.(4)
Rassetheoretiker wie Arthur de Gobineau boten der ausgefeilten Lehre
biologistisch katalogisierter Rassen sowie dem eifrigen Aufnahmevermögen
der Masse, die geisteswissenschaftlich konzipierte Basis des Mythos von in sich
homogenen Rassen. Sprachlichen Verwandtschaftslinien germanischer, keltischer,
romanischer, indischer sowie indo-europäischer Sprachen wurden
vermeintlich biologische Verwandtschaftsmerkmale hinzu halluziniert, woraus die
Idee der einheitlichen Vorfahren entsprang. Ferner wurden charakterliche
Eigenschaften abgeleitet, wobei der Rassismus hierbei zur Abwertung der
Rassifizierten tendierte und der Antisemitismus von einer Übermacht der
Juden ausging.(5)
Die Qualität des pseudowissenschaftlichen Rassismus, der sich
gerade in Nazideutschland so rigoros etablieren konnte, lag also in seiner
Offenheit und Konformität mit dem Weltbild und Wissenschaftsglauben des
19. Jahrhunderts. Die neue, sinngebende Vereinheitlichung des rassistisch
geprägten Bewusstseins formte sich schließlich zu einer Art
Religionsersatz aus. Claussen spricht hierbei von der Alltagsreligion
des Rassismus.(6) Es ging der Alltagsreligion zunächst eben nicht
ausschließlich um eine Abwertung, sondern vorerst um die
vollständige Biologisierung des Sozialen. Auf Stichhaltigkeit verzichtend
und flexibel fortwuchernd, verbreitete sich die Wahrnehmung der Welt als eine
in Rassen und Kulturkreisen einzuteilende. Dieser neue Glaube diente als
universelles Werkzeug zum scheinbaren Verstehen und Handhaben der sich
mannigfaltig gestaltenden Verhältnisse. In der totalitären Ideologie
des Nationalsozialismus hielt die Ersatzreligion gar als Legitimation für
den programmatischen Massenmord her.
Bedürfnis zur homogenen Masse
Was aber prägt das primäre Bedürfnis der Aufnahme rassistischer
Denkmuster durch die Subjekte? Entgegen der primitiven Behauptung, die deutsche
Bevölkerung sei den Versuchungen einer nationalsozialistischen Elite auf
den Leim gegangen und hätte dafür bitter zahlen müssen(7), gilt
es, Erklärungsansätze für die Bereitschaft zur rassistischen
Weltanschauung abzuleiten. Anstelle des relativistischen Bildes einer
instrumentell-diktatorischen Herrschaft soll möglichst eine umfassende
Genese der totalitären Ideologie erklärbar werden. Freuds
psychoanalytische Entwicklungstheorie liefert wichtige Anhaltspunkte zur
Ontogenese des ideologischen Subjekts, aus der sich Quellen des Wunsches nach
einer Einheit in der Rasse ableiten lassen. Es soll ein kurzer (und sehr
vereinfachter) Einblick gewährt werden:
Mit der frühkindlichen Phase des Erkennens der eigenen Geschlechtlichkeit
geht eine abschließende (psychische) Trennung vom Liebesobjekt Mutter
einher. Das Wesen ist nun ein auf sich allein gestelltes, wobei die Sehnsucht
nach jener früheren Phase der gefühlten Einheit und Ganzheit bestehen
bleibt. Der Wunsch nach der Einheit mit der Mutter weicht der gesellschaftlich
definierten Form von Sexualität. Im realen Leben (der kapitalistisch
patriarchalen Arbeitsgesellschaft) gilt es jedoch, auf seinen Trieb zu
verzichten.(8) Das gezügelte Subjekt wird gesellschaftsfähig, bewahrt
jedoch zeit seines Lebens das Gefühl der Sehnsucht.(9) In der versuchten
Kompensation dieses Gefühls liegt eine potentielle Quelle der
psychodynamischen Herausbildung rassistischer Denkweisen: Der einstmals
gefühlte Zustand soll im realen Leben durch die Bindung an rigide
Gemeinschaften und Denkweisen realisiert werden.
Daher der Wunsch der
Rassisten nach Verschmelzung mit der eigenen Rasse`, dem eigenen
Volk`, daher die zentrale Bedeutung von Blut`, Volk` und
Boden` im rassistischen Denken.(10) Das Bedürfnis zur homogenen Masse
zu verschmelzen ist es, das dem Rassismus als Alltagsreligion den
Nährboden liefert. Die Freudsche Alternative des Erlöses des
angestauten, libidinösen Triebes durch Aggression bietet weitere
Erklärungshinweise für die Gewaltherrschaft. Für den
Nationalsozialismus ließe sich daraus ableiten, dass der individuelle
Triebverzicht in eine totalitäre Einheit mündete, in welcher die
Kompensation in Form destruktiver, aggressiver und roher Gewalt gegenüber
allem Volksfremden sich legitim ausgestalten konnte. Der Vorteil
eines kleineren Kulturkreises, daß er dem Trieb einen Ausweg an der
Befeindung der Außenstehenden gestattet, ist nicht geringzuschätzen.
Es ist immer möglich, eine größere Menge von Menschen in Liebe
aneinander zu binden, wenn nur andere für die Äußerung der
Aggression übrigbleiben.(11) Die Barbarei ist nun nicht mehr als ein
Produkt der Zivilisation selbst.
Bleibt zu erwähnen, dass diese Perspektive allein die Behauptung
zuließe, die Aggressionen der Nationalsozialisten hätten sich auch
überall anders ausbilden können. Auch der Unterschied zwischen
Antisemitismus und Rassismus bleibt außen vor. Würde man lediglich
Freuds Überlegungen zur Ergründung des Phänomens Rassismus
heranziehen, so würde sich aus den rein psychoanalytischen
Erklärungsansätzen eben jene Anthropologisierung vollziehen, die wir
an anderen Rassismustheorien beobachten und kritisieren. Im Sinne einer
kritisch theoretischen Einbindung des historisch spezifischen,
nationalsozialistischen Rassismus in die Genese rassistischer Denkmuster sollen
die historischen und psychodynamischen Betrachtungen durch wertkritische
erweitert werden, um radikale Kritik zu ermöglichen.
Die Kompensation eines missglückten Gleichheitsversprechens
Mit der Freudschen Interpretation zur Sehnsucht nach Einheit lässt sich
der Kreis zur wertkritischen Auseinandersetzung schließen, in der der
Kampf der Subjekte gegen die Vereinzelung in den verdinglichten
Verhältnissen durch die Erschaffung einer Identität im narzisstischen
Kollektiv, die Konstruktion einer Einheit (vermeintlich) kompensiert wird. Wie
bereits erläutert, generiert die Trennung von Natur und Subjekt einen
Mythos, in der die verdinglichten Verhältnisse als natürlich gegeben
erscheinen. Der kritischen Theorie haben wir hieraus bereits im ersten Teil
unserer Einführung einen Verständnisansatz zur Bereitschaft
rassistischer und antisemitischer Weltanschauung entnommen, der sich nun auf
die spezifische Betrachtung des Nationalsozialismus übertragen lässt:
In der Benennung von unwertem Leben liegt die Chance der Kompensation
einer Angst, vor den Augen der wertschaffenden Volksgenossen in die
Unwertigkeit abzurutschen.(12) Gleichzeitig dient der Rassismus aber auch den
Erfordernissen der Herrschaft in funktionaler Weise, in dem der Ausschluss des
angeblich Ungleichen zugunsten einer deutschen Nationalökonomisierung
herhalten kann. An dieser Stelle wird ein zwiespältiges Verhältnis
zum Kapitalismus sichtbar, welches bis heute in der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verankert zu sein scheint: Einer
brachialen Überstülpung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung
über die konstruierten Naturnahen und Unzivilisierten liegt
die Bejahung der Herrschaft des Kapitals zugrunde. Hingegen entsprechen die
antisemitische Imagination und Bekämpfung höherwertigen Lebens
sowie übernatürlicher Macht paradoxer Weise einer (vermeintlichen)
Auflehnung gegen den Kapitalismus, in der vermeintliche Drahtzieher erkannt und
für ihre Untaten bestraft werden sollen. Verzweifelt gilt es, Verursacher
für das Krisenhafte und die eigene Misere (und damit die Misere der
konstruierten Einheit) zu entlarven. Der Massenmord an den Juden im
Nationalsozialismus kann hierbei als Höhepunkt der Kompensation eines
missglückten Gleichheitsversprechens interpretiert werden: Die
bürgerlich-kapitalistischen Subjekte, welche ihre Arbeitskraft zu Markte
tragen, verschmelzen im Staat, der Treuhand des Kapitals und der Arbeit, zur
Volksgemeinschaft.(13) Im Griff nach der Weltmacht, vereint im Konstrukt des
narzisstischen Kollektivs und gleichgültig gegenüber dem Individuum,
folgt diese Volksgemeinschaft einerseits rationalen Verwertungslogiken,
andererseits irrationalen Ängsten verdinglichten Ursprungs sowie
psychosozialen Sehnsüchten. So sollte mit der wahnhaften Auslöschung
der Juden als angebliche Drahtzieher der Krise die Hemmnisse zugunsten einer
krisenfreien Produktion beseitigt werden und die Entfaltung der rassischen
Gleichheit in der Nation ungestört sich vollziehen; jedoch stellt die
Endlösung selbst einen deutlichen Bruch mit der Rationalität
kapitalistischer Verwertungslogik dar.
Das Feindbild der RassistInnen in der Gegenwart
Auch wenn die Einteilung der Menschen in Rassen, basierend auf biologischen
Kriterien seit 1945 weitgehend ausgedient hat, so hat die Funktion des
Rassismus als Alltagsreligion, die sich des Synkretismus bedient, nicht an
Aktualität eingebüßt. Die pluralen Lebensweisen der
kapitalistischen Gesellschaft des 21. Jahrhundert machen jedoch auch die
rassistischen Kulissen flexibler und subtiler. Die demokratischen
Staatsbürgerinnen und -bürger sind heute Rassisten und Rassistinnen,
ohne dass sie sich als solche diffamieren lassen müssten.(14) Mit Hilfe der
kritischen Theorie, die die Zerrissenheit des bürgerlichen Subjekts
konstatiert, sollen hier jedoch einige Kontinuitäten des rassistischen
Ausschlusses erklärt werden.
Die Abgrenzung gegen Andere findet heute ihren Ausdruck in der Konstruktion der
praktizierten, kulturellen Differenz, was bereits oben durch den
angeführten Begriff des Neorassismus (Taguieff und Balibar) thematisiert
wurde. In der positiven Betonung der Einzigartigkeit der verschiedenen Kulturen
liegt vor allem die Chance zur Aufwertung der eigenen Kultur, aus der
schließlich auch das Subjekt seine Identität gewinnt. Es gilt
ferner, die eigene Gemeinschaft vor der Vermischung mit anderen Kulturen zu
bewahren. Wo der Kapitalismus die Individuen als Ware Arbeitskraft gleichmacht,
ist die Kultur dem Individuum der Rettungsanker. Wie in seiner
ökonomischen Charaktermaske ist der Einzelne auch in der Kultur nicht mehr
ein eigenständiges, einzigartiges Individuum, sondern kulturell bestimmt
und geprägt. Heute ist es die Kultur, die den Ausschluss und die
Benachteiligung bestimmter Gruppen legitimiert.(15) So soll der Sozialstaat nicht
die Existenz aller sichern, die gerade unproduktiv um ihre Existenz bangen
müssen, sondern nur jene, die Teil der Mehrheitsgesellschaft und damit der
Elite sind. In der kulturellen Blase lässt sich die eigene Existenzangst
gut kompensieren, indem sie das Ticket zum Sozialstaat ermöglicht und
einige KonkurrentInnen rausfliegen. Spiegelbildlich zu diesen rationalen
Überlegungen lässt das Kulturelle rein irrationale Abwertungen des
Anderen zu. Ausländer sind in dieser Logik stets selbst
schuld an ihrer schweren Lage. Sie sind einerseits eine gefürchtete
Konkurrenz, indem sie etwa dem arbeitslosen Deutschen die Arbeit
wegnehmen. Andererseits gelten sie als faule Personifikation des
Lustprinzips und liegen dem fleißig arbeitenden Deutschen auf der
Tasche. Dass sie die Konkurrenz verkörpern und gleichzeitig als
Faulenzer außerhalb eben dieser Konkurrenz der arbeitsamen
Deutschen verortet werden, macht die Beliebigkeit und Inkonsistenz des
rassistischen Denkgebäudes besonders deutlich.
Von welchen Kulturen sich stärker abgegrenzt wird, hat verschiedene
Ursachen und muss im historischen Kontext betrachtet werden. Verallgemeinernd
lässt sich sagen, dass Rassismus sich vor allem gegen jene wendet, die
nicht in das herrschende und konstruierte Idealbild der bürgerlichen
Gesellschaft gehören . (Und hier spielt letztlich doch die
phänotypische Erscheinung eine entscheidende Rolle, denn wer hat schon was
gegen Weiße aus Dänemark einzuwenden?) Dieses herrschende Idealbild
orientiert sich u.a. am Fortschrittsglauben von Arbeit und Staat, welcher sich
im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft festigte. Die Konsequenz
daraus ist, dass man sich negativ auf all jene bezieht, die am
bürgerlichen Fortschritt keinen Anteil haben (sollen). So gelten Schwarze
immer noch als Inbegriff des Rückschritts, auch wenn sie auf vielen Ebenen
unter den gleichen Lebensbedingungen arbeiten, mit den gleichen
alltäglichen Problemen konfrontiert sind und denselben gesellschaftlichen
Verkehrsformen gegenüberstehen. Der jahrelange Ausschluss jedoch
hinterlässt im Bewusstsein seine Spuren: Die unterschiedlichen
Hautfarben signalisieren dem Alltagsbewusstsein eine ehemals äußere
Ordnung der Arbeit, die verinnerlicht werden musste.(16) Anders gesagt: Auch der
schwarze Geschäftsmann wird assoziiert mit dem Sklaven, der zu lange die
niedrigste Stufe in der gesellschaftlichen Ordnung einnahm. Das
bürgerliche Subjekt muss sich Gewalt antun, um sich in eine verwertbare
Form zu bringen das heißt, die Unterdrückung seiner ersten
Natur erträgt es, in dem es etwa Schwarze auf die erste Natur reduzieren
kann. Sie vergegenwärtigen ferner eine romantische Sehnsucht des
bürgerlichen Subjekts nach der Versöhnung mit der eigenen Natur.
Im Sinne der kritischen Theorie ist also die real gewordene kulturelle (bzw.
nationale) Differenz zwischen den Menschen in dialektischer Beziehung zur
abstrakten Gleichheit zu verstehen, die aus der negativen Vergesellschaftung
hervorgeht. Durch Ausschluss konkreter Gruppen aus der Gemeinschaft kann der
Einzelne sich als Teil der Mehrheitsgesellschaft fühlen und damit sein
Selbstwertgefühl gehörig aufbessern. Rassismus wird oft reduziert,
wenn er lediglich als Erklärung für die Gewalt gegen
Ausländer herhalten muss. Das konstituierende Moment der
rassistischen Ideologie ist jedoch nicht die Gewalt, sondern das
vereinheitlichte Bewusstsein einer homogenen Gesellschaft, die den Feind
bereits vor der Tat determiniert hat. Der Unterschied zwischen rechten
GewalttäterInnen und dem Arbeiter, der sich in der Kantine lieber nicht
mit seinen türkischen KollegInnen an einen Tisch setzt, ist ein
gradueller, kein prinzipieller. Was Adorno über den Nationalismus gesagt
hat, gilt auch für den Rassismus: Unaufhaltsam ist die Dynamik des
angeblich gesunden Nationalgefühls zum überwertigen, weil die
Unwahrheit in der Identifikation der Person mit dem irrationalen Zusammenhang
von Natur und Gesellschaft wurzelt, in dem die Person zufällig sich
findet.(17)
Fazit: Die Kritik am Rassismus als notwendiger Teil einer Kapitalismuskritik
Es reicht nicht aus, die Formen des Rassismus zu analysieren, sie
auszudifferenzieren oder sie in Ideologietheorien hineinzupressen. Weder
ergeben sich daraus zwingend brauchbare antirassistische Praxen, noch kann sich
dadurch jeder Antirassismus auf brauchbare Kritiken stützen. Bleiben bei
der Analyse der Ideologie die Wurzeln für rassistisches Denken und Handeln
unter der Oberfläche, so läuft folglich auch der Antirassismus ins
Leere. Im Gewand des Multikulturalismus spielt er gar dem modernen Rassismus in
die Hände, reproduziert eher seine Kategorien, statt sich gegen seine
Konstruktionen zu stellen. Wissenschaftliche Zurückführungen
rassistischer Praktiken auf angeblich tief verankerte, kulturelle Wurzeln oder
geistige Traditionen geben der Ideologie den Anschein eines intellektuellen
Hintergrunds, welches die Ideologie selbst, spätestens in Anbetracht ihrer
Gleichgültigkeit gegenüber dem Individuum, gar nicht verdient hat.
Ideologietheorien lassen den Rassismus zuweilen in positivistischer Art als ein
in der Gesellschaft verankertes Prinzip erscheinen und bleiben ferner bei der
Erkenntnis stehen, dass er sich im Zuge der Aufklärung universalisierte.
Sie bestätigen in dieser Weise lediglich dessen Existenz, ohne zwingend
eine Kritik an ihm geäußert zu haben. Kritik an der Ideologie ist
erst möglich, wenn man den Rassismus als einen Feind jener
universalistischen Werte entlarvt, welche die Aufklärung mit sich brachte.
Rassismus kann nicht bekämpfen, wer zur Aufklärung sich
zweideutig verhält.(18) Es gilt, die Freiheit und Gleichheit durch die
herrschaftsdurchdrungenen Seiten der Aufklärung hindurch zu retten, ohne
dem Fortschritt dabei eine Absage zu erteilen. Dass die Idee der
bürgerlich liberalen Gleichheit unter dem Diktat des Kapitals an ihrer
Substanz verloren hat, muss wiederum nicht zwingend bedeuten, dass eine
Notwendigkeit rassistischen Denkens und Handelns besteht. Rassismus ist weder
eine anthropologische Konstante, noch entspringt er allein ökonomischen
und politischen Strukturen. Vielmehr ist er im Sinne der kritischen Theorie als
Resultat der Subjektkonstituierung in den verdinglichten
Verhältnissen zu begreifen. Demnach gibt es in jeder Person etwas
psychisch real bestehendes, was die Anknüpfung derartiger Denkweisen
innerhalb der herrschenden Verhältnisse ermöglicht. Und auch dabei
gilt es, sich nicht in den Fängen einer Ideologietheorie zu verlieren, in
der die psychische Disposition der RassistInnen naturalisiert wird.(19) Der
rassistischen Ideologie kann kritisch entgegengetreten werden, indem die eigene
Identität und das Verhältnis von Kapital und Staat kritisch
reflektiert wird. Das standhafte Fortleben rassistischen Denkens und Handelns
ist eine Folge der bestehenden, widersprüchlichen Verhältnisse sowie
der abstrakten Gleichheit im Kapitalismus. Es besteht daher eine zwingende
Notwendigkeit, die Kritik an der Ideologie als Teil einer umfassenden
Kapitalismuskritik zu formulieren. Ohne Ideologiekritik, die auf
Gesellschaftsveränderung abzielt, ist auch eine Kritik am Rassismus
nicht zu leisten. Abschließend ist zu sagen: Für Rassismus als
Ideologie gibt es keine Rechtfertigung, denn jegliche rassistische Ideologie
ist [bereits] eine Rechtfertigung, die mögliche Autonomie eines anderen
Menschen nicht anzuerkennen, sondern in Wort und Tat zu verletzen.(20) Dies muss
bei der Betrachtung und Verwendung hervorgegangener Rassismustheorien umsichtig
beachtet werden.
LExil