An den Stadtrand abgeschoben
Der Leipziger Stadtrat beschließt den Bau eines neuen AsylbewerberInnenheims in der Wodanstraße
Am 17.06.2009 wurde in der Stadtratversammlung dem Bau einer neuen
Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in der Wodanstraße in
Thekla mit 32 gegen 28 Stimmen zugestimmt. Gegenwärtig gibt es zwei
AsylbewerberInnenheime, in der Liliensteinstraße und in der Torgauer
Straße. Die Betreibung beider Heime ist für die Stadt unrentabel, da
die Heime nicht voll belegt sind. Familien sollen zukünftig
vollständig dezentral, das heißt in privaten Wohnungen untergebracht
werden, aus humanitären wie auch wirtschaftlichen Gründen.(1)
Mit dem Verweis auf dieses Vorhaben und auf die Tatsache, dass bereits 60%
aller Asylsuchenden in Leipzig dezentral untergebracht seien, betonte
Oberbürgermeister Burkhard Jung bei seiner Sprechstunde am 07.07.09 die
asylfreundliche Stadtpolitik Leipzigs. Diese äußere sich u.a. in der
Reduzierung von einst vier Gemeinschaftsunterkünften im Jahr 1999 auf
zukünftig nur noch eines, in der Umstellung von Lebensmittelpaketen zur
Auszahlung von Bargeld für die Asylsuchenden, etc. Die Eleganz der
politischen Äußerungen, die weniger mit Freundlichkeit
gegenüber AsylbewerberInnen als mit Pragmatismus, gespickt mit
rassistischen Motiven, zu tun hat, wurde jedes Mal deutlich, wenn die
Kritikpunkte zur Sprache kamen.
Der Standort Wodanstraße gewinnt die Wahl wegen rassistischer
Auswahlkriterien
Neun Kilometer muss man auf sich nehmen, um vom Stadtzentrum vorbei an einigen
Wohngebieten und einem riesigen Gewerbegebiet zur geplanten Asylunterkunft in
Systembauweise
(2) zu gelangen. Nähert man sich dem Lärm der Autobahn,
ist man schließlich am Ziel, denn die A14 ist nicht mehr als 100 Meter
vom besagten Ort entfernt. In der Beschlussvorlage der Stadt zur Einrichtung
eines neuen AsylbewerberInnenheims wurden acht Objekte vom Liegenschaftsamt
geprüft, was sich bei dem Wohnungsleerstand in Leipzig wie ein schlechter
Witz anhört. Schlimmer ist nur noch, dass die Wodanstraße die
Auswahl nicht trotz dieser Lage sondern wegen dieser Lage gewonnen hat.
Außerhalb eines Wohngebietes war das Standortkriterium, weswegen
Objekte, die sich in Wohngebieten nahe der Stadtmitte befinden, abgelehnt
wurden. Es ist zynisch, wenn Oberbürgermeister Jung dazu sagt, er
könne sich auch andere Standorte vorstellen, nur sei die Suche danach in
der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen. Wer rassistische
Prämissen setzt, der muss auch mit einem rassistischen Resultat rechnen.
Und dieser Rassismus hat System: Viele der 800 Asylsuchenden und Geduldeten in
Leipzig sollen sich gar nicht integrieren. Im Jahr 2008 erhielten 35% der
AsylantragstellerInnen einen sicheren Aufenthaltstitel.
(3) Davon bekommen 1,1%
das Asylrecht nach Art.16a GG
(4) zugesprochen, 39,9% erhalten einen Status nach
der Genfer Flüchtlingskonvention.
(5) Der Großteil der
AntragstellerInnen bekommt eine vorübergehende Aufenthaltsgestattung,
solange das Asylverfahren läuft oder eine Duldung, die immer mit einer
akuten Abschiebungsgefahr verbunden ist.
(6) Am 31.12.08 waren in Sachsen 1.253
Asylsuchende sowie 2.992 Ausländer mit Duldung registriert.
(7) Aufgrund der
deutschen Bürokratie und der Komplexität des Aufnahmeverfahrens leben
Asylsuchende und Geduldete oft mehrere Jahre ohne einen sicheren
Aufenthaltstitel in Deutschland. Die Konsequenz haben allein die Betroffenen zu
tragen. Ihnen kommt nur ein Minimum an Rechten zu, die durch das
Asylbewerberleistungsgesetz festgelegt sind. Das Recht auf eine Wohnung
gehört nicht zwingend dazu. Nicht nur in Leipzig müssen Menschen
über Jahre in Gemeinschaftsunterkünften leben, in stetiger
Unsicherheit, bald abgeschoben zu werden.
AsylbewerberInnen sind ein Kostenfaktor
Neben dem ausschlaggebenden Standortkriterium Außerhalb des
Wohngebiets, ist das zweite wichtige Kriterium für den Beschluss der
neuen Gemeinschaftsunterkunft in der Wodanstraße die ökonomische
Rentabilität. Ca. 300 AsylbewerberInnen sollen ab dem kommenden Jahr im
Heim untergebracht werden, bei den Betroffenen handelt es sich vorrangig um
alleinstehende Männer. Einerseits ist natürlich positiv zu bewerten,
dass Familien zukünftig vollständig dezentral untergebracht werden
sollen. Andererseits stellt sich an dieser Stelle die Frage, warum
Alleinstehenden dieses Recht verwehrt wird. Die Antwort ist einfach: Es ist zu
teuer. Zwar ist es vereinfacht, zu behaupten, dass humanitäre Aspekte gar
nicht erwogen werden. Bei der Entscheidung zur Schließung der beiden
Heime in der Liliensteinstraße und in der Torgauer Straße sowie zur
Unterbringung der Familien in Privatwohnungen spielen immer auch
humanitäre Gründe eine Rolle.
Entscheidungen, die zugunsten besserer Lebensbedingungen für Asylsuchende
getroffen werden, haben jedoch ihre Grenze stets da, wo die ihnen
zugestandenen Leistungen überstiegen werden. Die Leistung, die einem
Asylbewerber/einer Asylbewerberin zusteht, beträgt monatlich 375 Euro.
(8)
Dieser lächerliche Satz soll den notwendigen Bedarf
(9) decken. Die
Klausel notwendiger Bedarf ist exemplarisch für den Umgang mit
Asylsuchenden in Deutschland: Diese Garantie des notwendigen
Bedarfs` gilt dem Erhalt des Individuums als eines Körpers, [...] den man
[...] zwischenlagert und in seinen Basisfunktionen erhält, dessen
physische Reproduktion man im Auge hat, während man ihn darauf abtastet
und scannt, ob sich nicht doch eine brauchbare Arbeitskraft in ihm verbirgt und
ein in Deutschland lebenswertes Leben.
(10)
Es geht leider kaum darum, Asylsuchenden und Geduldeten eine neue
Lebensperspektive zu eröffnen. Menschen, denen das Herkunftsland keinen
Schutz mehr bieten konnte, die wegen schwersten Krisen- und Kriegssituationen
um ein menschenwürdiges Leben gebracht worden sind, finden in der
demokratischen Bundesrepublik diese Würde in den seltensten Fällen
zurück. Den meisten wird mit überheblicher Ablehnung begegnet und
ihnen wird der Status des Menschseins de facto genommen, sowohl auf
gesellschaftlicher wie auch auf gesetzlicher Ebene. Die Belege dafür sind
endlos: Stigmatisierung und Ausgrenzung durch Residenzpflicht
(11),
Lebensmittelpakete, Gemeinschaftsunterkünfte etc. die
Wodanstraße ist nur ein Beispiel dafür, dass Asylsuchenden die
Grundrechte der Bundesrepublik nicht zukommen.
Die sächsische Verwaltungsvorschrift über Mindestvorgaben für
Gemeinschaftsunterkünfte schreibt eine Wohnfläche für jede/jeden
von 6m[[twosuperior]] vor. Das Sozialamt hätte sich dem auch bereitwillig
gefügt, wenn der Migrantenbeirat nicht Einspruch erhoben und
10m[[twosuperior]] pro Person gefordert hätte. Deswegen wird nun doch noch
einmal erwogen, ob sich wirklich vier Menschen eine Wohneinheit von
24m[[twosuperior]] teilen sollen. Schließlich wird es ungeachtet dessen
darauf hinaus laufen, dass 300 BewohnerInnen in einem lärm- und
temperaturempfindlichen Systembau auf engstem Raum eingezäunt auf einem
abgelegenen Grundstück wohnen müssen. Angesichts dieser Isolation,
der Abschaffung jeglicher Privatsphäre und der Unmöglichkeit, den
eigenen Alltag frei zu gestalten, ist die psychische Betreuung, die einigen
gestattet wird, ein Tropfen auf den heißen Stein.
Schuld sind immer die anderen!
Dass die psychischen und sozialen Probleme in einem Heim am Stadtrand unter den
beschriebenen Bedingungen wachsen, ist eigentlich allen verantwortlichen
AkteurInnen bewusst. Durch mehrere Anhörungen im Landtag und
Stellungnahmen von verschiedensten Seiten ist bekannt, dass solch eine
Sammelunterkunft im Resultat den Betroffenen enormen Schaden zufügt und
sogar mehr kostet, neben hohen Verwaltungskosten nicht zuletzt aufgrund
gesundheitlicher und sozialer Folgen. Dieses Argument sollte eigentlich einiges
an Überzeugungskraft leisten, würden nicht die Ursachen und Folgen
verdreht und Opfer zu TäterInnen gemacht. AsylbewerberInnen werden
verantwortlich gemacht für ihre schwere Situation. Dass sie überhaupt
hier sind, scheint den meisten Deutschen bereits ein Zugeständnis zu viel.
Rechtliche Gleichbehandlung und die Möglichkeit der Selbstbestimmung im
Alltag sollen dagegen Privilegien bleiben, die nicht jedem gebühren.
Gehört es in der politischen Öffentlichkeit noch zur guten
Reputation, Engagement für Integration und Humanität zu beweisen,
erstickt dieses spätestens im rassistischen Interesse der
Mehrheitsgesellschaft. So rechtfertigte ein Vertreter vom Sozialamt Leipzig die
Verbannung an den Stadtrand mit folgender Antwort: Es geht natürlich
auch darum, einen Standort zu haben, der von allen Seiten akzeptiert wird
[...]. Nicht bloß von den Bewohnern, sondern auch vom Umfeld. Und nennen
Sie mir mal einen Standort, wo man relativ zeitnah eine Akzeptanz im Umfeld
hätte. Anders gesagt: Auf die gewöhnlichen LeipzigerInnen, die nun
mal rassistisch sind, muss bedauerlicherweise auch Rücksicht genommen
werden.
Der Beschluss des Baus der neuen Gemeinschaftsunterkunft in der
Wodanstraße ist somit das Resultat einer bunten Mischung von Rassismen
verschiedener Ebenen. Aber keiner der Verantwortlichen räumt die
Möglichkeit ein, dass eine bessere Lösung verwirklicht werden
könnte. So antwortet die Stadt auf den Vorschlag der dezentralen
Unterbringung für Alleinstehende, dass die Vorlagen des Freistaates
Sachsen zu einschränkend seien, um das Vorhaben zu realisieren. Diese
Vorlagen ließen das Wohnen in Privatwohnungen nur in besonderen
Ausnahmefällen zu. Welche Vorlage gemeint ist, bleibt unklar, denn das
sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz sieht in §3 Abs. 1 die
Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oder in sonstigen
Unterkünften vor. Die Formulierung Sonstige Unterkünfte
erlaubt zweifellos auch das Mieten privater Wohnungen für
AsylbewerberInnen. Es scheint hier nicht an den rechtlichen Voraussetzungen zu
scheitern sondern vielmehr daran, dass die nötigen Leistungen für die
Miete vom Sozialamt nicht garantiert werden. Dieses äußerte an
dieser Stelle, dass die gewährte Pauschale
(12) vom Land dafür nicht
ausreichte und die Stadt sich durch die Ausweitung der dezentralen
Unterbringung finanziell überlasten würde. Auch dieses Argument
glänzt nicht gerade durch Stichhaltigkeit. Andere Städte, etwa Berlin
und Leverkusen, beweisen, dass der gesetzliche Rahmen den Städten einiges
an Handlungsspielraum lässt und es den Finanzhaushalt nicht sprengt,
Menschen ein selbstbestimmteres Leben in Wohnungen zu gewähren. So lautet
ein Kommentar der Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner über eine
neue Ausführungsvorschrift vom 11.03.2003, die den Vorrang der
Mietkostenübernahme vor der Unterbringung in Wohnheimen festlegt:
Ein Leben in Wohnungen ist jedoch nicht nur finanziell günstiger,
die Betroffenen können so auch ein selbständigeres Leben führen
als bisher. Deshalb streben wir an, die Unterbringung in Heimen sukzessiv zu
reduzieren. Wir wollen, dass der Großteil der Leistungsberechtigten nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz künftig selbstständig Wohnungen
anmieten kann. Voraussetzung hierfür ist, dass die Wohnungen im
sozialhilferechtlichen Sinne angemessen sind.
Fazit
Die gegenwärtige Debatte in Leipzig verdeutlicht, dass einerseits
das Asylbewerberleistungsgesetz zwar immernoch eine Grundlage für das
Fortbestehen der Wohnheime für AsylbewerberInnen und Geduldete darstellt
und diese auf gesellschaftlicher sowie politischer Ebene mehrheitlich nicht in
Frage gestellt werden; andererseits unterliegt die Unterbringung von
Asylsuchenden aufgrund der vielschichtigen Verantwortungsbereiche und der
Möglichkeit der Auslegung gesetzlicher Regelungen keinem festen Schema.
Die Stadt Leipzig hat also einen nicht gering zu schätzenden
Ermessenspielraum, auf den immer wieder sehr hartnäckig aufmerksam gemacht
werden muss. Das Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften ist selbst dann, wenn
das Sozialamt verspricht, bei der Ausgestaltung das Bestmögliche zu tun,
unzumutbar und menschenunwürdig. Leipzig hat in den letzten Jahren keine
durch und durch restriktive Asylpolitik verfolgt. Gerade deshalb muss jetzt an
der Forderung, alle AsylbewerberInnen dezentral, also in Privatwohnungen,
unterzubringen, festgehalten werden. Denn sie ist realistisch und notwendig.
Charlotte MohsAnmerkungen
(1) Vorlage des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig:
Errichtung einer Containerunterkunft am Standort Wodanstraße 17a
als Ersatzprojekt für die Unterbringung von Asylbewerbern in Folge des
Abrisses des Asylbewerberheimes in der Torgauer Straße 290 , Drucksache
Nr. IV/4229.
(2) Bis dato gibt es weder konkrete Pläne, wie und von wem das Objekt gebaut
wird, noch, wie es aussehen soll..
(3) Vgl.
http://www.proasyl.de/de/themen/asylrecht/detail/news/zahlen_und_fakten_2008/back/1302/
(4) Art. 16a GG: (1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(5) Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge nach der GFK erhalten nach
drei Jahren einen unbefristeten Aufenthaltstitel (Niederlassungserlaubnis),
wenn die Vorraussetzungen für die Anerkennung immernoch gelten. Beide
Aufenthaltstitel verhindern die Abschiebung ins Herkunftsland sowie eine
rechtliche Gleichstellung im Bundesgebiet. Das Asylrecht nach Art. 16a GG geht
jedoch über die festgelegten rechtlichen Mindeststandards der GFK hinaus.
Flüchtlinge nach der GFK können, wenn sie über sichere
Drittstaaten eingereist sind, u.U. verpflichtet werden, in einen dieser
Drittstaaten auszureisen.
(6) Aufenthaltsgestattung und Duldung sind jedoch keine Aufenthaltstitel, die den
Aufenthalt im Bundesgebiet langfristig gestatten. Sie sind eher ein
vorübergehendes Abschiebungsverbot.
(7) Vgl., Classen, Georg: Stellungnahme zur Anhörung im Sächsischen
Landtag am 30.04.2009 Dezentrale Unterbringung nach dem SächsFlüAG
aufgenommener Flüchtlinge, Drs. 4/12697 .
(8) Der Wert der Leistungen liegt ca. 35 % unter dem Arbeitslosengeld II und
wurde seit der Einführung des AsylbLG1993 nicht an die gestiegenen
Lebenshaltungskosten angepasst.
(9) AsylbLG, §3, Grundleistungen.
(10) Bruhn, Joachim: Vom Mensch zum Ding. Eine Anmerkung zum
Asylbewerberleistungsgesetz,
http://www.ca-ira.net/isf/beitraege/bruhn-asylbewerber.html
(11) Residenzpflicht ist eine rechtliche Einschränkung (die nur in
Deutschland existiert) des Asylsuchenden, den Bezirk der zuständigen
Ausländerbehörde während des Asylverfahrens nicht zu verlassen.
(12) Die vom Freistaat gewährte Leistung für eineN AsylbewerberIn
beträgt 4500 Euro im Jahr, also 375 Euro im Monat für Unterbringung,
Verpflegung, Hygiene, Kleidung, Taschengeld und medizinische Versorgung.