• Titelbild
• Editorial
• Bilder im Heft
• das erste: An den Stadtrand abgeschoben
• Chuck Ragan, Fake Problems, Digger Barnes
• From Amen to Z
• It’s all about the skit
• RAEKWON
• Station 17
• electric island
• Joker
• Antitainment
• On, Common Cause
• Veranstaltungsanzeigen
• Einladung an alle aktiven Gruppen im und ums Conne Island
• ABC: R wie Rassismustheorie
• review-corner buch: Das Problem heißt: Antiziganismus
• cyber-report: Nenne eine deutsche feministische Linguistin…
• Kunst der Entfesselung
• doku: Still not lovin‘ Germany
• doku: Veranstaltungen
• sport: Ultras Red Bulls
• Anzeigen
• das letzte: Sommerzeit – Reisezeit
Wenn man sich Luise F. Puschs Seite http://fembio.org durchliest, wird es einem
etwas unheimlich zumute. Mit dem Aufrufen jeder weiteren Seite verfestigt sich
die Ahnung, dass hier etwas nicht stimmt: Denn um die bekannten Namen von
berühmten Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Sappho, Eleanor
Roosevelt, Simone de Beauvoir und Hannah Arendt und die etwas wenigen, aber
doch berühmten Frauen wie Hilde Domin und Elisabeth von Thadden tut sich
eine Welt von Namen, Geschichten und Werken auf, die man entweder gar nicht
oder kaum kennt. Wer möchte schon gerne zugeben, dass er oder sie nie von
Georgia O'Keeffe, der bekannteste(n) und erfolgreichste(n)
US-amerikanische(n) Malerin(1), gehört hat? Wer weiß schon, dass
Johann Sebastian Bachs zweite Frau Anna Magdalena hieß und vor ihrer
Eheschließung mit dem berühmten Komponisten und Genie seiner Zeit
eine durchaus erfolgreiche Sopranistin am Köthener Hof (bei Halle) war?
Gut, wer sich noch an die Fünf-Mark-Scheine erinnert, dem oder der wird
Bettina von Arnim noch ein Begriff sein; besonders, wer sich für
romantische Literatur interessiert, kommt kaum an ihr vorbei. Aber dass sie
Sozialistin war und neben ihrer Liebe zu Goethe auch große Gefühle
für Karoline von Günderode hegte, dürfte vielen neu sein.
Zwei wichtige Faktoren formen diese traurige Wirklichkeit: Auf der einen Seite
ist es sicherlich richtig, dass wenigen Frauen die Möglichkeit gegeben
war, ihren Genius herauszuformen. Hierfür ist neben Bildung und
Talent noch die ökonomische Situation der Frau sowie ihr Status in
der Gesellschaft und darin besonders die Möglichkeit zur kreativen
Einsamkeit zu beachten, wie Virginia Woolf in Ein Zimmer für sich
allein richtig konstatiert: [
] give her a room of her own
and five hundred [pounds] a year [and] let her speak her mind (2).
Anna Magdalena Bach etwa hatte neben den Kindern und der Hausarbeit noch Johann
Sebastians unordentliche Kompositionsnotizen sauber abzuschreiben da
gewinnt die angebliche Fähigkeit der Frau zu Multitasking eine historische
Dimension hinzu, die dessen positiv-sexistisches Anmerken als zynisch enttarnt.
Neben der Schwierigkeit, ein schöngeistiges oder künstlerisches
Wirken unter widrigen Umständen zu entwickeln, verschließt aber
noch etwas den Weg der Frau zur Unsterblichkeit durch Berühmtheit: Auf der
anderen Seite war und ist es für Frauen noch immer viel schwerer, ihre
Werke publik zu machen und zu vermarkten. Um beim gewählten Beispiel zu
bleiben: A. M. Bach selbst soll die Cello Suiten komponiert haben(3), die als
eine der Perlen im genialem Werk ihres Mannes gehandelt werden und doch
wurde dies unter seinem Namen subsumiert. Die Frau wird hier zur Muse wider
Willen, zur Inspiration, zur Stütze, zur starken Frau im Rücken
des Mannes, zur unausgesprochenen, schattigen Seite der Geschichte(4).
http://fembio.org ist eine Internetseite mit der deutschen Datenbank zu
Biographien berühmter Frauen und somit vor allem die Entblößung
einer großen Leerstelle. Doch nicht nur der Inhalt der Datenbank macht
die Spezifität dieser Seite aus. Auch die Form, in der diese Biographien
sortiert und was in ihnen offenbart wird, ist ungewöhnlich. Besonders der
Vergleich mit dem großen Bruder Wikipedia (natürlich ist
Wikipedia ein Wiki und zudem nicht nur biographische Datenbank, aber es
ist doch die Seite, auf die sich viele stürzen, wenn einmal
oberflächliche Details zu einem Namen erforscht werden müssen), in
dem schon mal ein peinlicher Satz wie Die Hochzeit muss sehr lustig
gewesen sein, denn immerhin ist eine Wein- und Speiserechnung von 27 Talern
erhalten.(5) als Informationszugewinn gewertet wird, nicht aber die
Information, dass die Frau, die hier beschrieben wird, nach dieser Hochzeit
fast ständig schwanger war und viele Fehlgeburten erlitt, deutet nach
Luise Puschs Einschätzung auf des Pudels Kern(6): Nicht nur das Verschweigen
von wichtigen weiblichen Personen sei ein Symptom unserer androzentrischen
Gesellschaft, sondern auch das Verschweigen von lesbischen Beziehungen und
Euphemisieren widriger Umstände, die dennoch den Alltag vieler Frauen
ausmach(t)en, sei gang und gäbe in Biographien von Frauen.
Tatsächlich ist das Lesen von Puschs oft polemischen Glossen (die auch
teilweise auf http://fembio.org veröffentlicht sind unter Weblog Luise(7))
und der Rezensionen verschiedener Bücher, Filme, Hörbücher und
Platten häufig amüsant und täuscht fast darüber hinweg, was
im Grunde hinter der Seite steht: Die aus der gesellschaftlichen
Diskriminierung der Frau resultierende Notwendigkeit für eine
feministische Biographiedatenbank über Frauen.
Luise Pusch, die 1944 in Gütersloh geboren ist und 1978 zu den ersten
Frauen gehörte, die an der Universität Konstanz habilitieren durften,
erlebte diese Diskriminierung natürlich auch am eigenen Leibe: Sie ist die
einzige der damals 150 StipendiatInnen der Studienstiftung des Deutschen
Volkes, die (und das trotz hervorragender Leistungen) nicht an einen
Lehrstuhl berufen wurde. Zur Folge hatte dies, dass sie keine eigene
linguistische Schule an der Universität bilden konnte ganz zu
schweigen von der finanziellen Unsicherheit, mit der sie bis Mitte der
Achtziger zu kämpfen hatte. Ihre Veröffentlichungen und ihre dennoch
große AnhängerInnenschaft haben ihr über dieses Dilemma
hinweggeholfen; inzwischen kann man Puschs Werke beliebt und sie selbst
erfolgreich nennen; mit ihrem Standardwerk der feministischen Sprachanalyse
Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur
feministischen Linguistik (Frankfurt am Main, 1984) und anderen
(populär)wissenschaftlichen Grundwerken zur feministischen Linguistik, hat
sie starken Einfluss ausgeübt auf die deutsche Sprache. So hat ihre Kritik
am generischen Maskulinum und dem Herausstellen des male bias(8) unter
anderem dazu geführt, dass der Duden Sätze wie Sie ist
jemand, die gerne liest. anders als noch in den 80er Jahren
heute als grammatikalisch korrekt erachtet.
An Frau Puschs Einschätzung des heutigen Sexismus in ihren Glossen kann
berechtigterweise kritisiert werden, dass es doch etwas hanebüchen anmutet
angesichts der Tragödie von Winnenden zu behaupten, dass die
epidemische Gewalt von Männern gegen Frauen [
] immer brutaler
wird(9), denn dass diese epidemische Gewalt in vorigen Jahrhunderten
geringer war, ist zu verneinen. Dennoch bleibt Gewaltkriminalität
auch heute männlich(10), was selten aufgeschlüsselt oder gar analysiert
wird. Erfrischend hingegen ist ihre Sicht auf die gemeinhin als antisexistisch
erachtete Generation der 68er. Pusch stellt richtig, dass das Gute an
68 war, dass sich die Frauen da abgespalten und ihre eigenen Interessen
artikuliert haben.(11) Man kann also ihre Polemisierungen und Provokationen
als Mittel ansehen, die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zu lenken, oder sich
selbst in Polemiken über ihren Ton und ihre Vergleiche zergehen und
darüber den eigentlichen Gegenstand vergessen.
Zu der Frage, warum sie auch problematische Frauen wie Leni Riefenstahl in ihr
Verzeichnis aufgenommen hat, entgegnet Luise Pusch nur: Gerne
lösche ich solche Biographien sobald die Negativ-Gestalten aller
Wilhelms aus den Geschichtsbüchern gelöscht werden [
].(12).
Die Frage sollte vielleicht eher lauten, wieso selbst in gut sortierten
Videotheken wie der Leipziger Filmgalerie Alpha 60 die einzige Frau in
der Rubrik Regisseure (!) Leni Riefenstahl ist wie wäre es,
wenn auch Ulrike Ottinger, Helke Sander, Doris Dörrie, Margarethe von
Trotta (um nur einmal ein paar deutsche Regisseurinnen zu nennen) diese
Ehre zuteil würde? Wenn sich solche Kanones änderten und mit ihnen
folglich die Strukturen dahinter, könnten vielleicht mehr Leute antworten
auf Fragen geben wie: Kennen Sie zwei US-amerikanische Schriftstellerinnen des
20. Jahrhunderts? http://fembio.org leistet jedenfalls einen wichtigen Beitrag
dazu.
Virginia Spuhr