Entgegen der Ankündigung in der Papierausgabe erscheint der
2. Teil erst später.
R wie Rassismustheorie
Teil 1
Nach dem abertausendsten Versuch der Begriffsklärung und Redefinition des
Schlagwortes Rassismus müsste sich doch eine brauchbare Strategie
zur Bekämpfung des Phänomens gefunden haben. Jedoch scheint diese
Annahme durch ein Dickicht obskurer Schlussfolgerungen widerlegt zu sein.
Anstatt der Grundlage rassistischer Ideologie nachzugehen und ihr dann den
Nährboden zu entziehen, stecken zuweilen bereits in den
Erklärungsansätzen brauchbare Werkzeuge zur Legitimation
rassistischen Handelns und Denkens. Selbst bei den krassesten pogromartigen
Übergriffen wie in Rostock - Lichtenhagen wurde schon die Karte der
sozialen Frage ausgespielt, wurde die Mordenergie auf psychosoziale
Verwahrlosung zurückgeführt und das Täterprofil gar zur
Anprangerung unterprivilegierter Zustände im Arbeiterkiez
missbraucht. Sucht man aber die Ursache in eben jenen sozialen Problemen des
imaginierten Kollektivs, so kann dies jedoch zur Rechtfertigung der Gewalttat
selbst dienlich sein. Das Handeln und Denken gegen Andere, welche
für die wahrgenommene Ungerechtigkeit nur all zu gern verantwortlich
gemacht werden, relativiert sich zur notwendigen Folge prekärer
Zustände.
Hingegen leuchtet es auch ein, dass rassistische Denkmuster beispielsweise
nicht nur bei den Marzahner Prollos zu finden sind. Aber selbst aus
vielen antirassistisch motivierten Politschriften, die das Problem in der
Gesamtgesellschaft erkannt haben wollen, lässt sich nicht zwingend eine
brauchbare Kritik am Rassismus herleiten. Auch im Antirassismus finden sich
zahlreiche Missgriffe im Deutungswillen rassistischer Praxen. Gefangen in der
allgemeinen Uneinigkeit, was es denn nun mit dem Phänomen auf sich habe,
scheint von der Ableitung marxistischer Klassenkampfideologie über die
wissenschaftliche Zurückführung in angeblich tief verankerte,
kulturelle Wurzeln bis hin zur Postulierung einer anthropologischen Konstante
der Fremdenfeindlichkeit alles schon einmal als Erklärung (aus-)gedient zu
haben.
Wir möchten hier weder dem inflationären Gebrauch des Begriffs
Rassismus verfallen, noch wollen wir uns auf die Suche nach einer brauchbaren
Definition begeben , die es ohnehin nicht zu geben scheint. Vielmehr wollen wir
durch die Darstellung drei verschiedener Theorieschulen erörtern, ob
letztlich Rassismus als rein irreale Spinnerei, rationales Kalkül,
Mischung aus beidem oder gar nicht erklärbar wird. Im zweiten Teil des
Artikels soll dann eine der Theorien genauer dargestellt werden, die über
historische Fixpunkte und Brüche sowie die Diversität rassistischer
Denkmuster hinaus zu einer Kritik am Rassismus fähig ist, ohne dabei von
rein rationalen oder irrationalen Erklärungsmomenten abhängig zu
sein. Zusammenfassend kann man sagen: Es soll nicht nur versucht werden,
Fehlschlüsse in der antirassistisch motivierten Literatur aufzuzeigen,
sondern auch die Kritik am Rassismus aus ihrer Verkümmerung zu befreien,
sie vielmehr für die Anbindung an eine umfassende und emanzipatorische
Gesellschaftskritik fit zu machen. Hierfür ist ein wachsamer Blick auf
vorausgehende Theorien unabdingbar. Um eines vorweg zu nehmen: Es besteht eine
Notwendigkeit, die Kritik am Rassismus als Teil einer umfassenden
Kapitalismuskritik zu begreifen.
Die Theorie des Neorassismus
Der militärische Sieg über Nazi-Deutschland hatte eine
Veränderung des Rasse-Begriffs bzw. des Rassismus mit sich
gebracht, der von Teilen der antirassistischen Linken nicht oder nur
unzureichend zur Kenntnis genommen wurde. Pierre-André Taguieff
argumentiert, dass seit den fünfziger Jahren alte,
pseudo-wissenschaftliche rassistische Theorien à la Gobineau
(1) zwar
größtenteils verschwunden seien, der Rassismus an sich aber
fortlebte: Die Attitüden und Verhaltensweisen haben jedoch
überlebt. Als ob die tiefsitzenden Überzeugungen [
]
unzerstörbar wären, zumindest unerreichbar für eine rationale
Argumentation.
(2) Taguieff und Etienne Balibar versuchen, das Fortbestehen des
Rassismus mit einer Verschiebung biologistischer Argumente hin zu kulturellen
Aspekten zu erklären. Ihre Theorie des Neorassismus
(3) soll im Folgenden
erläutert werden.
Etienne Balibar bringt eine neue Form von Rassismus den
differentialistischen
(4) Rassismus in Zusammenhang mit der Epoche
der Entkolonialisierung`.
(5) Die Migrationsrichtung von Bevölkerungen
habe sich umgekehrt, von den alten Kolonien in die Länder der ehemaligen
Kolonisatoren. So habe sich der neue Rassismus um den Komplex der
[Massen-] Immigration
(6) herum gebildet. Im Zuge großer
Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte habe besonders in den
Aufnahmeländern der kulturelle Hintergrund von Menschen eine enorme
Bedeutung bekommen.
Taguieff zufolge setzt der differentialistische Rassismus nicht mehr auf
Vererbung, sondern auf die Unüberwindbarkeit kultureller Unterschiede.
Nicht mehr die
Ungleichheit auf Grundlage einer vorausgesetzten
Hierarchie der Rassen, sondern die
Verherrlichung der Differenz
spielt die zentrale Rolle. Ein
Recht auf Differenz wird daraus
abgeleitet.
(7) Die Ablehnung des/der Anderen äußert sich in einem
Respekt vor der Andersartigkeit.
(8) Vermischungen` unterschiedlicher
Traditionen und Lebensweisen wird mit Ablehnung begegnet und als schädlich
für die Vielfalt der Kulturen` bzw. der Völker`
(besonders für das Eigene
(9)) deklariert. Daher beinhaltet auch der
differentialistische Rassismus die Komponente der Kontaktverweigerung und des
Ausweichens. Im Prinzip der radikalen Unvereinbarkeit verschiedener Kulturen
liegt die Möglichkeit, Menschen nach ihrer Assimilationsfähigkeit
bzw. -unfähigkeit zu bewerten.
Die Rhetorik dieses Neorassismus hat sich seit den achtziger Jahren besonders
die sogenannte Neue Rechte in westlichen Ländern zu eigen gemacht. Im
neurechten Diskurs wird von biologisierenden Annahmen bereitwillig Abstand
genommen, dafür werden Individuen als Vertreter einer einzigen (homogenen)
Kultur wahrgenommen, in der sie unausweichlich und unüberwindbar
verwurzelt sind. Der Sprech vom Recht auf Differenz nimmt die
multikulturalistische Argumentation des Antirassismus der Nachkriegszeit auf.
Der differentialistische Rassismus kann sich so gar als Antirassismus
präsentieren, der sich gegenüber anderen Gruppen` als
respektvoll erweist und sich besorgt für Minderheitskulturen engagiert,
die angeblich von hegemonialem Kulturimperialismus bedroht sind.
Für Balibar und Taguieff gilt der moderne Antisemitismus als Prototyp des
neuen Rassismus: Der kulturelle Neorassismus kann in einem bestimmten
Sinne als eine Generalisierung der modernen Judeophobie bezeichnet werden.
(10)
Im Antisemitismus gelten die Juden als eine mentale Rasse`, die
biologisch nicht bestimmbar sei und für andere Kulturen wegen ihrer
Unsichtbarkeit zersetzend wirke. Ein besonderer Charakterzug der Juden ist in
dieser Sicht ihre kulturelle Nichtassimilierbarkeit. Heute könne man von
einer Verallgemeinerung ursprünglich antijüdischer Argumente
sprechen, wenn etwa in Frankreich von nichtassimilierbaren Arabern die Rede
sei.
(11)
Problematisch an einer solchen Argumentation ist, dass die Grenzen zwischen
Rassismus und Antisemitismus verschwimmen. Letzterer wird hier nur als eine
Spielart eines allgemeineren Mechanismus der Diskriminierung betrachtet. Im
kapitalistischen Warentausch jedoch vollzieht der Rassismus eine Abwertung
seiner Opfer, indem er deren Minderwertigkeit festschreibt, wohingegen der
Antisemitismus sich gegen eine halluzinierte Überwertigkeit (meist gegen
Jüdinnen und Juden) richtet.
(12)
Balibars und Taguieffs Ausführungen zum Neorassismus liefern keine
Erklärung, warum es Rassismus gibt, sondern sie bleiben hier auf einer
empirischen Ebene. Sie vermögen zwar, eine Entwicklung bzw.
Veränderung des Rassismus seit 1945 darzustellen, die für das
Erkennen und Benennen rassistischer Diskurse und Handlungen nützlich sein
kann, eine grundsätzliche Kritik am Rassismus jedoch formulieren sie
nicht. Ohne Ideologiekritik, die auf Gesellschafts
veränderung
abzielt, ist eine Kritik am Rassismus nicht zu leisten. Balibar und Taguieff
hingegen betrachten Rassismus implizit als anthropologische Konstante, weil sie
die gesellschaftlichen (kapitalistischen) Verhältnisse nicht mit in ihre
Analyse einbeziehen und damit auch keine Kritik an diesen üben.
Die polit-ökonomische Rassismustheorie nach Robert Miles
Während das Phänomen Rassismus bei Balibar und Taguieff eher auf
psychosozialer Ebene diskutiert wurde, gaben andere Autoren wie Robert Miles in
den neunziger Jahren ideologietheoretische Erklärungsansätze mit
gesellschaftlichen Implikationen. Rassismus wurde in diesem Zusammenhang nicht
mehr von seinen Effekten aus analysiert, sondern das Verhältnis zwischen
Staat und Rassismus reflektiert bzw. die Ursache rassistischer Argumentationen
und Handlungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und nicht auf den
einzelnen Menschen zurückgeführt.
Robert Miles bestimmt Rassismus analytisch als ideologischen Prozess, mit Hilfe
dessen soziale Beziehungen strukturiert werden. Im ersten Schritt, den Miles
als Rassenkonstruktion bezeichnet, werden anhand biologischer Merkmale, die als
Bedeutungsträger fungieren, soziale Gruppen konstruiert: Der Begriff
verweist also auf einen Vorgang der Kategorisierung und Repräsentation, in
dem ein Anderer (normalerweise aber nicht ausschließlich) somatisch
definiert wird. Die definierte Gruppe wird (implizit oder sogar explizit)
für eine von Natur aus existierende Gruppe gehalten (
).
(13)
Rassen werden also sozial imaginiert.
Während der Vorgang der Rassenkonstruktion nur eine Kategorisierung von
Menschen darstellt, spricht Miles erst von Rassismus, wenn eine (negativ)
wertende Komponenten einfließt: Die so gekennzeichnete Gruppe
muß [...] so dargestellt werden, als verursache sie negative Folgen
für andere.
(14)
Laut Miles ist der Vorgang der Rassenkonstruktion nicht hinreichend
erklärbar ohne eine Erörterung der ökonomischen Strukturen und
politischen Herrschaftsverhältnisse in Gesellschaften. Sind die Subjekte
in einer Gesellschaft zwar formal gleich, so macht sie die kapitalistische
Produktionsweise zu real Ungleichen. Aus dieser sozialen Ungleichheit leitet
Miles rassistisches Denken her. Rassismus fungiert als Sinngebungsinstanz, um
sich die real existierende soziale Ungleichheit zu erklären. Er ist laut
Miles also nicht in der Analyse seiner Funktion, zum Beispiel als
Unterdrückungsmoment und Ideologie der herrschenden Klasse zu verstehen,
sondern als Prozeß der Repräsentation, dass heißt in
jenem Prozess, in dem ein Bild der sozialen Welt und der sozialen Prozesse
geschaffen wird, ein Bewusstsein darüber, wie die Dinge wirklich
sind.
(15)
Ein kapitalistisches Gesellschaftssystem, so Miles, ist zwar eine spezielle,
aber keine zwingende Voraussetzung für Rassismus, was vorkapitalistische
Formen von Rassismus zeigen. Eine Analyse sei schließlich nur im
jeweiligen historischen Kontext möglich.
Ein weiteres wichtiges Moment verortet Miles in der Ausgrenzungspraxis, die
Rassismus durch die Benachteiligung bei der Verteilung (knapper)
gesellschaftlicher Ressourcen und in gesellschaftlichen Institutionen erst
sichtbar und wirksam macht. Nur eine analytische Begriffsdefinition macht es
möglich, diese Ideologie von anderen Ausgrenzungsmechanismen zu
differenzieren, zum Beispiel von sexistischen oder nationalistischen
Diskursen.
Problematisch an Miles Theorie ist seine ideologietheoretische Vorgehensweise,
im Rahmen derer er Rassismus rationalisiert und damit nahezu legitimiert,
anstatt rassistische Einstellungen und Handlungen zu kritisieren. Rassismus ist
nach ihm kein irrationales falsches Bewusstsein, sondern eine Ideologie,
die für die Arbeiterklasse als Sinngebungsinstanz gemäß
der gemachten Erfahrungen fungiert: Rassismus kann der Welt erfolgreich
einen (wenn auch falschen) Sinn geben und so verschiedene Sektoren
verschiedener Klassen eine politische Strategie liefern.
(16) Der Mensch ist
demnach gesellschaftlichen Strukturen hilflos ausgeliefert. Rassismus wird
quasi zur Notwendigkeit. Diese Überzeugung zeigt sich in Miles
Einstellungen gegenüber antirassistischen Agitationsmöglichkeiten:
Insofern Rassismus ein aktiver Versuch ist, eine spezifische Verbindung
ökonomischer und politischer Beziehungen zu verstehen, diese Beziehungen
daher seine Ursache sind, sollten Strategien zur Bekämpfung von Rassismus
sich weniger ausschließlich darauf konzentrieren, diejenigen, die
rassistisch argumentieren, davon zu überzeugen, dass sie Unrecht
haben, sondern mehr darauf, diese spezifischen Verhältnisse zu
verändern.
(17) Das subjektive Moment wird hier zugunsten der
gesellschaftlichen Umstände, die irgendwie erklärbar und
erträglich gemacht werden müssen, entlastet.
Wert- und Fetischkritik
Wie bereits deutlich wurde, weisen beide Theorieströmungen Mängel
auf: Das Subjekt als egoistisches und fremdenfeindliches Wesen zu
anthropologisieren, übersieht die Zwänge, denen der Mensch als
bürgerliches Subjekt im Kapitalismus ausgesetzt ist. Rassismus als
Resultat sozialer Ungleichheiten der Produktionsverhältnisse zu begreifen,
rationalisiert die Ideologie und vergisst die Irrationalität, die in ihm
steckt. Eine Herleitung des Zusammenhangs von Rassismus und kapitalistischer
Vergesellschaftung mit Hilfe der Wert- und Fetischkritik nach Marx und der
kritischen Theorie führt die beiden bisher betrachteten Ansätze
zusammen. Im Folgenden wird deswegen versucht, Rassismus als Ideologie der
Gesellschaft zu begreifen, die ihren Ursprung in der Totalität des
Wertgesetzes hat.
Die Wertkritik geht grundsätzlich von einer Absurdität der
kapitalistischen Gesellschaft aus, die darin besteht, dass das oberste Ziel der
Warenproduktion nicht die Befriedigung von Bedürfnissen ist, sondern die
Verwertung des Werts. Danach fungiert in der kapitalistischen
Tauschgesellschaft der Wert als Vermittler, er ist als solcher jedoch nicht
erkennbar. Er gibt sich den Schein des Ansichseins
(18), was Marx auf die
gewaltsame Vergleichung der Produkte als Waren und der Individuen als Subjekte
zurückführt. Der Wert einer Ware wird gebildet durch die in ihr
vergegenständlichte, abstrakte menschliche Arbeit. Das Individuum muss
sich in der Form des Rechtssubjekts zu seiner Arbeitskraft wie zu einer Ware
verhalten. Um Gleiches mit Gleichem tauschen zu können, muss daher vom
Gebrauchswert eines Produktes sowie von der eigentlichen Persönlichkeit
des Menschen real abstrahiert werden.
(19) Die Individuen werden also, weil sie
sich verwerten
müssen, zur Personifikation ökonomischer
Verhältnisse. Das Kapital, der sich selbst verwertende Wert,
verselbständigt sich über die handelnden Akteure hinweg als
entfremdete [...] gesellschaftliche Macht
(20). Die Wert verwertende
Gesellschaft ist aufgrund dieser Eigendynamik eine fetischistische
Gesellschaft, das heißt, die Verselbständigung der Warenproduktion
lässt die Kategorien Ware, Geld und Kapital als natürlich gegeben
erscheinen und übt eine reale Macht über die Menschen aus.
Das doppelt gespaltene bürgerlich-kapitalistische Subjekt
Der ständige Zwang zur Verwertung geht nicht spurlos am Individuum
vorbei. Damit es beständig Wert schaffen kann, muss es seine eigene Natur
unterdrücken. Es muss die Spaltung von Verstand und Trieb vollziehen, weil
die Kapitalakkumulation Leistungsbereitschaft, Rationalität, Planung,
Effektivität etc. verlangt. In das Korsett des
bürgerlich-kapitalistischen Subjekts gezwängt, kann es nicht mehr
außerhalb der kapitalistischen Verhältnisse existieren. Neben der
Unterdrückung seiner Natur unterliegt das bürgerlich-kapitalistische
Subjekt dem Widerspruch zwischen seiner Existenz als Privatbürger, dem
bourgeois und als Staatsbürger, dem citoyen.
(21) Der citoyen
ist am Allgemeinwohl interessiert und politisch zu Loyalität und Toleranz
gegenüber dem Staat und seinen Mitbürgern verpflichtet. Der bourgeois
hingegen ist auf sein Privatinteresse beschränkt und strebt danach, seine
eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Er tritt zwangsläufig als
egoistisches Wesen auf, weil er, um seine Existenz zu sichern, in Konkurrenz zu
seinen Mitbürgern treten muss.
Das bürgerliche Subjekt ist unter der Herrschaft des Werts gezwungen, sich
selbst als Ware zu behandeln, weil es nur so Wert schaffen und sich selbst
erhalten kann. Um die Wertverwertung zu garantieren,
müssen sich
die Subjekte als frei und gleich gegenüber treten. Die Rechte der Freiheit
und Gleichheit, die in den Menschenrechten festgeschrieben sind, sind damit
notwendig für die Warenproduktion. Sie sind also gesellschaftlich
bestimmt, in der bürgerlichen Ideologie jedoch erscheinen sie dem Menschen
als ihm natürlich anhaftende Eigenschaften. Zwar beinhalten die Ideale der
Menschenrechte seit ihrer Entstehung immer die Möglichkeit der
Emanzipation des Individuums, doch unter der Totalität der
wertverwertenden Gesellschaft verkommen sie zu inhaltsleeren Postulaten und
werden zum Instrument der gewaltsamen Vergleichung der Individuen als Subjekte,
damit sie sich im Tausch als Gleiche aufeinander beziehen können. Um frei
und gleich in den Verwertungsprozess eintreten zu können, muss das Subjekt
von all seinen konkreten Eigenschaften und Bedürfnissen absehen. Das
juristische Subjekt der Menschenrechte schafft demnach eine Vorstellung des
allgemeinen Menschen, den es in der Wirklichkeit gar nicht geben kann.
(22) Der
bourgeois fühlt sich zwar als der eigentliche, wahre Mensch, aber seine
eigene Verwirklichung endet da, wo er nur noch Charaktermaske der
Warenproduktion ist. Frei und gleich ist er nur in dieser Charaktermaske, ohne
sie ist er wertlos.
Der rassistische Ausschluss aus der Menschheit
Die Fetischkritik sieht also im Leben des Subjekts einen permanenten
Widerspruch, weil es seine eigene Individualität ständig negieren und
davon abstrahieren muss. Um nicht vollkommen zu verzweifeln in seinem Dasein
als Tauschwert Produzierender, bezieht der bourgeois sich positiv auf Staat und
Kapital und konstruiert sich die Nation. Im nationalen Kollektiv
verwandelt sich die abstrakte Gleichheit in eine scheinbar reale. Das Subjekt
erlangt eine Identität, die es in der negativen Vergesellschaftung nicht
aus sich selbst heraus schaffen kann, und die Konkurrenten des Tauschs werden
zu Partnern`. Der Widerspruch zwischen Gemeinwohl und Privatinteresse
scheint gelöst.
Wer jedoch nicht Teil der homogenen, bürgerlichen Gesellschaft ist, wird
zwangsläufig ausgeschlossen. Die Gleichheit der sich verwertenden Subjekte
und die Ungleichheit derer, die von dieser Subjektivierung ausgeschlossen sind,
sind zwei Seiten derselben Medaille. Wer kein Staatsbürger ist und zur
Verwertung nicht taugt, gilt dem bürgerlichen Subjekt als
Untermensch`. Der rassistische Ausschluss aus der Menschheit speist
sich aus der Angst vor der Entwertung; der Andere als Unmensch symbolisiert die
Folgen, die die Niederlage in der Konkurrenz mit sich bringt.
(23) Oder anders
ausgedrückt: Das Subjekt wird in der bürgerlichen Gesellschaft als
Mensch anerkannt, wenn es sich zu seiner Arbeitskraft als Ware verhält .
Die, die das nicht tun, werden auf ihre phänomenologischen Unterschiede
reduziert. Sie existieren nur außerhalb der anerkannten Subjektform. Aus
dem Verlust eigener Subjektivität und individuellem Wert in der Blase der
abstrakten Gleichheit folgt also der rassistische Ausschluss aus der
Menschheit. Die unbewussten Widersprüche und die Angst vor dem eigenen
Versagen werden durch die Abwertung bestimmter Menschengruppen kompensiert. In
der Analyse der Fetischkritik ist Rassismus als Ideologie in der Totalität
der warenförmigen Gesellschaft, in der selbst menschliche Beziehungen der
Warenform unterworfen sind, bereits angelegt. Das heißt nicht, dass das
Subjekt im Kapitalismus notwendig rassistisch ist und jegliches rassistisches
Verhalten legitimiert wird. Um der rassistischen Ideologie kritisch
entgegenzutreten, muss die eigene Identität und das Verhältnis von
Kapital und Staat kritisch reflektiert werden.
Zwischenfazit
Die Betrachtung des differentialistischen Rassismus, hier repräsentiert
durch Balibar und Taguieff sowie die Herleitung des Rassismus aus
ökonomischen und politischen Strukturen in ihrer Historizität
(Miles), beinhalten durchaus nützliche Ansätze, weisen jedoch
bedeutsame Erklärungslücken auf. Mit Hilfe der Fetischkritik sowie
der kritischen Theorie ist eine umfassende Kritik am Rassismus möglich, da
sie das Subjekt innerhalb negativer kapitalistischer Vergesellschaftung
betrachtet. Sie wird damit zu einem brauchbaren Teil einer emanzipatorischen
Gesellschaftskritik, in der auch die Abwehr rassistischer Denkmuster
möglich ist.
Im zweiten Teil von R wie Rassismustheorie soll dies anhand einer
anwendungsorientierten Darstellung der Entwicklung und Weiterentwicklung
rassistischer Denkmuster, vom Nationalsozialismus bis in die Gegenwart, noch
einmal unterstrichen werden. Dabei lassen sich dann auch gängige Makel
anderer Interpretationen noch einmal genauer herauskristallisieren.
Literatur
Balibar, Etienne und Wallerstein, Immanuel: Rasse Klasse Nation. Ambivalente
Identitäten, Hamburg, 1998.
Bolte, Gerhard, Von Marx bis Horkheimer. Aspekte kritischer Theorie im 19. und
20. Jahrhundert, Darmstadt 1995.
Bruhn, Joachim: Was deutsch ist Zur kritischen Theorie der Nation,
Freiburg 1994.
Marx, Karl: MEW 25, Berlin 1956.
Miles, Robert: Bedeutungskonstitution und der Begriff des Rassismus, in
Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus, Hamburg 2000, S.
17-33.
Taguieff, Pierre-Andre: Die Metamorphosen des Rassismus und die Krise des
Antirassismus, in: Bielefeld, Uli (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer
Rassismus in der Alten Welt?, Hamburg 1992.
LExil
Anmerkungen
(1) Arthur de Gobineau war französischer Diplomat und Schriftsteller
und gilt als einer der Hauptbegründer der Theorie der arischen
Herrenrasse.
(2) Taguieff, 1992, S. 235.
(3) Vgl. Balibar, 1998, S. 23-38.
(4) Der Differentialismus betont die kulturellen Unterschiede zwischen
Menschen.
(5) ebd., S. 28.
(6) ebd.
(7) Taguieff, 1992, S. 236.
(8) ebd., S. 242.
(9) So sagte Jean Marie Le Pen, der Vorsitzende der ultrarechten Front National
in Frankreich 1982: Wir haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht,
unsere nationale Persönlichkeit und auch unser Recht auf Differenz zu
verteidigen. (zitiert nach Taguieff, 1992, S. 250).
(10) Taguieff, 1992, S. 246.
(11) Vgl. Taguieff, 1992, S. 246f und Balibar, 1998, S. 31f.
(12) Die Notwendigkeit der Trennung von Rassismus und Antisemitismus wird weiter
unten sowie im zweiten Teil von R wie Rassismustheorie ausführlicher
diskutiert.
(13) Miles, 2000, S. 21.
(14) ebd., S. 24.
(15) ebd., S. 18.
(16) ebd., S. 26.
(17) ebd.
(18) Bolte, 1995, S.34.
(19) Gebrauchswert meint die stofflichen Eigenschaften eines Produkts und ihren
eigentlichen Nutzen, z.B. ist der Gebrauchswert einer Tasse, daraus zu trinken,
was auf ihre Form und ihr Material zurückzuführen ist. Dies bestimmt
jedoch nicht ihren Wert im Kapitalismus.
(20) Marx, 1956, S. 274.
(21) Die Spaltung der Gesellschaft in den politischen Staat und die
bürgerliche Gesellschaft sowie des Bürgers in Citoyen und Bourgeois
verhandelt Karl Marx bereits 1843 in Zur Judenfrage (MEW1) und wurde
seitdem immer wieder aufgegriffen.
(22) Vgl. Bruhn, 1994, S. 85.
(23) ebd., S.82.