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Der 8. Mai – ein deutscher
»Nationalfeiertag«

Redebeitrag der »Initiative gegen jeden Extremismusbegriff« (Inex) anlässlich der Demonstration »Es gibt nichts zu feiern – außer den 8. Mai«, am 8. Mai 2009 in Leipzig. Infos: inex.blogsport.de

Tor

»Es gibt nichts zu feiern – außer den 8. Mai« heißt das Motto der heutigen Demonstration. Mit dieser Forderung wird zunächst einmal richtigerweise auf eine Auslassung der gesamtdeutschen Jubelorgien des Gedenkjahres 2009 verwiesen. Mit 60-40-20 feiert sich die deutsche Nation als prädestinierter Ort von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Und jeder Mensch, der halbwegs bei Sinnen ist fragt sich: Wo ist die 70? Vor 70 Jahren, am 1. September 1939, begann, mit dem Angriff auf Polen, das nationalsozialistische Deutschland seinen Vernichtungskrieg, der zum Weltkrieg wurde und zig Millionen Opfer hinterließ. Im nationalkollektiven Jubel des Jahres 2009 geht dieses Ereignis, das jede Ekstase bremsen müsste, fast vollständig unter.
Diese Demonstration hier feiert mit gutem Grund die Niederlage Deutschlands am 8. Mai 1945 und verweist damit auf die Bedeutung von Holocaust und Vernichtungskrieg für die deutsche Nationalgeschichte. Auch wenn Demonstration und Aufruf damit durchaus richtig liegen, schlittert das Motto an einer kritischen Bestandsaufnahme knapp vorbei.
Die Bedeutung des 8. Mai für das deutsche Nationalbewusstsein und für nationalstaatliche Ambitionen und Interventionen hat sich entscheidend verändert. Überspitzt formuliert könnte man fast sagen, dass es sich um einen deutschen Nationalfeiertag handelt.
Während deutsche Linke noch immer mit Vehemenz fordern, den 8. Mai als »Tag der Befreiung« zu verstehen, greift diese Forderung ironischerweise heutzutage praktisch ins Leere, da die Position, auf die man dabei schießt, weitestgehend nur noch Imagination ist. Ausgehend von der Rede des deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 ist der Passus vom »Tag der Befreiung« in den folgenden Jahren und Jahrzehnten in der deutschen Öffentlichkeit dominant geworden.
Damit ist die Rede vom Tag der Niederlage nicht ausgehebelt, sondern ergänzt. Er ist im allgemeinen Verständnis der Tag der Befreiung aber eben auch der Tag der Niederlage bzw. ein Tag der Trauer. Dies wird häufig darauf bezogen, dass sich mit diesem Tag ebenso die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa und der Beginn der kommunistischen Herrschaft in Ostdeutschland verbinden.
Rein faktisch war der 8. Mai 1945 jedoch tatsächlich die Voraussetzung deutscher Weltmachtstellung, die sich im Einklang mit internationalen Rechts- und Moralvorstellungen weiß. Mit diesem Tag begann die Ankunft Deutschlands im Westen. Der rasante wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands – genährt aus Arisierung, industriellem Knowhow der Kriegsproduktion, Raubgut und Marshallplan – gepaart mit der politischen Integration als Frontstaat des Westens im Kalten Krieg, sorgte für den Aufstieg Deutschlands zur Weltmacht. Es war dabei ein Weltmachtstatus, dem sich alte Kontrahenten praktisch nicht in den Weg stellten. Von der kurzen Periode nach der deutschen Reichsgründung 1871 abgesehen ist Deutschland heute so mächtig und gleichzeitig gefestigt wie nie zuvor in seiner Geschichte.
Es wird sicherlich als nationaler Makel empfunden, dass man Deutschland zur Weltmacht erst zwingen musste, dass sich dieser Status nur über eine militärische Niederlage realisierte. Aber diese Laune der Geschichte, dieser kuriose, paradoxe historische Zufall wird dennoch als Glücksfall, als Befreiung und schon lange nicht mehr allein als Erniedrigung oder Niederlage begriffen.
Es ist die Paradoxie der internationalen Wirklichkeit, dass weder Zweiter Weltkrieg noch Holocaust heute Hinderungsgründe deutscher Weltmachtgeltung sind, sondern deren Begründungen. Der Zweite Weltkrieg gilt heute als universelle Gewalterfahrung, der Holocaust als Mahnung an die mögliche Fehlbarkeit des Menschen. Beide Ereignisse sind weitestgehend ihrer historischen Spezifik entkleidet und zu moralischen Bezugsgrößen transformiert, die fast keine Auskunft mehr über Geschichte, historische Verantwortung und Schuld geben. Die Deutschen haben die eigene Verfangenheit in den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust erfolgreich veräußert und sie der westlichen Welt als universell gültige Mahnung ihrer eigenen Grenzen übertragen.
In dieser Transformation des Politischen zum Moralischen liegt die Transformation der verbrecherischen Schuld des nationalsozialistischen zur moralischen Überlegenheit des postnazistischen Deutschlands begründet. Das Bonmot von »Wir haben aus der Geschichte gelernt« ist heute weniger eine rhetorische Abwehrbewegung des deutschen Revisionismus, als die international objektivierte Wahrnehmung postnazistischer Wirklichkeit, die in der deutschen Erinnerungspolitik eher implizit mitschwingt als explizit formuliert wird.
Damit taugt der 8. Mai nicht mehr als in propagandistischer Absicht vorgebrachter Gegenbeweis zu den nationalistischen deutschen Jubelorgien, sondern ist realer und diskursiver Teil des Jubels geworden, ein deutscher Nationalfeiertag – obwohl dieser Jubel selbstredend ein leiser, nachdenklicher, leicht wehmütiger ist.
Der 8. Mai ist aus linker Sicht also kein Feiertag. Die Linke sollte sich vielmehr darauf besinnen, die Spezifik deutscher Nationalgeschichte zu betonen. »Deutschland denken heißt Auschwitz denken« ist dabei keine trotzige Forderung, sondern die Quintessenz aus der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Nachgeschichte. Die deutsche Nationalgeschichte ist ein ewiges Denkmal an Barbarei, Zivilisationsbruch Auschwitz und die Vernichtung jeder postaufklärerischen Rationalität und Vernunft. Die Konsequenz daraus ist: Hier in Deutschland gibt es nichts, aber auch gar nichts zu feiern – noch nicht einmal den 8. Mai.

Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (Inex)


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last modified: 20.5.2009