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Das alte Elend |
(Situationistische Internationale) Dass die studentische Ödnis trotz aller Romantisierungen (1968!)(2) kein neues Phänomen ist, kann man bei den Situationisten nachlesen. In ihrer bereits 1966 veröffentlichten Polemik Das Elend im Studentenmilieu(3) findet sich eine in vielen Aspekten treffende sozialpsychologische Charakteristik des Studenten, die zudem recht amüsant zu lesen ist. Das Pamphlet nimmt viele Ergebnisse der bewussten Studie vorweg, so z.B. die dort immer wieder beklagte Passivität der Studenten. Diese Passivität hat der Student (und natürlich: die Studentin) aber keineswegs für sich gepachtet, weiß die SI:
Student und Kritik Wenn jedoch diese realistische Passivität des gesunden Menschenverstands der quasi-transzendentale Rahmen ist, in welchem so gut wie alle gesellschaftlichen Debatten von vornherein eingelassen sind, dann wirft das in Bezug auf die Bildungsdebatte zwei Fragen auf. 1) Warum wird um die Politikverdrossenheit der Studenten überhaupt ein solches Bohei gemacht? 2) Von welcher Natur ist die studentische Aktivität, die als Leitbild und Gegenstück zur studentischen Labilität anempfohlen wird? Dankenswerterweise gibt die Studie selbst auf die erste Frage eine klare Antwort: Für Studierende, die die kommende gesellschaftliche Elite bilden und wichtige Berufspositionen einnehmen werden, muss dieser Rückzug aus dem Feld der Politik als problematisch gelten, weil er zugleich einen Abschied von öffentlicher Verantwortung darstellt. Das Problem sei mit anderen Worten der in der heutigen Studentengeneration verbreitete Verzicht auf öffentliche Verantwortung und ihre Einübung in der Studienphase. Diese Bestimmungen des affirmativen Sinns und Zweck des Politischen müssen natürlich all diejenigen irritieren, die glauben, bei dem politischen Studenten handle es sich auch per se um einen kritischen Zeitgenossen. Woher auch immer dieser Mythos vom Studenten als Kritiker (oder wahlweise: als Bohème) kommt, er ist in der Welt und alle kokettieren damit, es ein wenig zu sein(SI). Die Studenten sind aber keineswegs durch ihr Studium prädestiniert für Kritik und das Auswendiglernen und Rekonstruieren dutzender sozial- und geisteswissenschaftlicher Ansätze, wie es in den entsprechenden Fächern Usus ist, sollte nicht mit einem Interesse an der geistigen Durchdringung des gesellschaftlichen Zusammenhangs in kritisch-praktischer Absicht verwechselt werden. Universität und Kapitalismus
(Gerhard Stapelfeldt) Die Situationisten wussten bereits vor 40 Jahren, dass der kapitalistische Weltlauf das dünkelhafte Gerede von einer Akademie, das der nurmehr ideologischen Beschwörung des alterwürdigen Nimbus Humboldts wenn nicht gar Platons! dient, gründlich blamiert hat:
Student und Politik
(Clemens Nachtmann) Das Produktionsziel ist der Aktivbürger, das bürgerliche Supersubjekt, das sich nach Feierabend noch ein bisschen bei Maischberger, Illner & Co., also der bürgerlichen Öffentlichkeit, gemütlich macht, statt sich dumpf mit Korn und Privatfernsehen zu betäuben. Wichtig ist es, eine Meinung zu diesem und jenem zu haben und die möglichst enthusiastisch geführte Diskussion darüber im Rahmen des realistisch Möglichen und polizeilich Erlaubten produziert erst die Legitimität der Demokratie. Damit ist die Verdopplung des Menschen im Kapitalismus, seine Doppelexistenz als Bourgeois und Citoyen, angesprochen. Die Produktion des Citoyens, der sich um die öffentlichen Belange schert und in den aktuellen Debatten eine Meinung (natürlich immer eine verantwortungsvolle und realistische) zu beziehen vermag, ist ein Hauptziel universitärer Bildung. Diese Produktion des Muster-Citoyen kommt in der neoliberalen, betriebswirtschaftlich rationalisierten Universität, die vor allem auf Employability und Praxisbezug, eben spezifisch marktgängige Qualitäten ausgerichtet ist, offensichtlich zu kurz. Wenn Studenten schon während ihres Studiums fortwährend ihre Markttauglichkeit in Praktika, Knigge-Coachings und Soft-Skill-Seminaren erhöhen und unter Beweis stellen, kommen politische Tugenden, wie etwa das tägliche Zeitungslesen, zu kurz.(7) Da es sich bei den Studenten um die zukünftige Funktions-Elite der Gesellschaft handelt, erzeugt das bei Kommentatoren Entsetzen. Im Medium der Politik wird der Sinn des verselbständigten gesellschaftlichen Treibens geschaffen, Identifikation von Subjekt und Staat gestiftet, (nationale) Gemeinschaft produziert. Politik und die Partizipation an ihr durch die braven Citoyens ist der Ort der (Selbst-)Legitimation der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Studenten haben daher gefälligst ihrer moralischen Verpflichtung zur Politik (Studie) nachzukommen, denn schließlich sind sie qua Stellung im Sozialgefüge als die zukünftige Trägerschicht der kapitalistischen Demokratie bestimmt. Zu diesem Zweck empfiehlt die Studie eine ernsthafte Rekonstruktion des Öffentlichen, was wohl nichts anderes heißt als Maybrit Illner und Anne Will auf allen Kanälen, forcierte Verstaatung des Denkens(8) und bewahre! , Spiegel-Abos for free. Krise und Subjekt Derzeit wird viel über ein Ende des Neoliberalis-mus(Habermas) und eine anstehende Neugründung des Kapitalismus(Sarkozy) gesprochen. Genauer bedeutet das: ein Comeback des Staates. Eine solche Veränderung der politökonomischen Konfiguration erfordert nicht nur eine neue Gemeinwohl-Ideologie, wie sie in den letzten Monaten um sich griff, sondern auch eine neue Subjektposition. Wohin die Reise gehen könnte, machte der notorische Antisemit Norbert Blüm (CDU) deutlich, als er im Oktober das Ende des homo calculator ausrief(9): Gott sei Dank gibt es auf der Erde viele Dinge jenseits von Angebot und Nachfrage, die unser Leben reicher machen. Im Angebot sind zurzeit: Bescheidenheit, Arbeit und Gemeinwohlorientierung: Der Mensch ist nicht nur Kunde und Konsument und wenn er das im Neoliberalismus gelegentlich vergessen haben sollte, dann sind Gemeinschaftsfans wie Blüm und sein linken Claqueure sicher bei der Stelle, um klarzumachen, dass der Staat dem Subjekt mehr Opfer abverlangt als die neurotische Rechentätigkeit eines homo calculator in Kauf nähme. Auch in der Rezeption der Studenten-Studie fehlten nicht die Verweise auf die aktuelle Krise.(10) Wenn das Ende des Neoliberalismus tatsächlich ein Revival der Politik und des Staates evoziert, dann steht uns vielleicht auch eine neue Konjunktur des Citoyens und somit: des politischen Studenten ins Haus. Schließlich macht nur (Ein-)Übung den Meister Johannes Knauss Anmerkungen (1) www.bmbf.de/pub/politische_orientierung_gesellschaftliche_werte.pdf (2) Marx bemerkte einmal: Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen. Die Geschichte ereigne sich sozusagen zweimal ( ) das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. So fochten große Teile der 68er ihre Konflikte im Kostüm der Arbeiterbewegung der 20er und 30er Jahre aus, um verzweifelt eine Revolution, die es nicht gab, herbeizureden und dabei von Auschwitz nicht sprechen zu müssen. Die Sehnsucht der heutigen Letzten Linken Studenten nach der überspreizten, possenhaften Stimmung dieser 68er Jahre kommt etwa in der Neugründung des SDS innerhalb der Linkspartei zum Tragen, eine Organisation, in der alle etwaigen Ambivalenzen ihrer Vorgängerorganisation zu einer schlechten Eindeutigkeit aufgelöst werden. Nichts könnte besser die Einfallslosigkeit und die Überkommenheit der heutigen Linken verdeutlichen, als diese abermalige Reprise einer weltgeschichtlichen Totenbeschwörung (Marx). (3) http://www.bildungskritik.de/Texte/ElendStudenten/elendstudenten.htm (4) Die Frage, ob und inwieweit Bildung überhaupt zur Ware werden kann, ohne die Verwertung ernsthaft zu gefährden wäre zuförderst politökonomisch zu diskutieren, statt eine moralisierende und schlecht-idealistische Eigentlichkeitsrhetorik aufzufahren, die in der Kommodifizierung (Zur-Ware-Werden) von Bildung nur einen Verstoß gegen diverse Ideale zu erkennen möchte. Einige besonders gewitzte Studenten haben davon eine Ahnung und verweisen trotzig auf ihre Relevanz für den Standort Deutschland. (5) Vgl. zum Wandel des Bildungsbegriffs einen guten Text von Gerhard Stapelfeldt unter www.labournet.de/diskussion/wipo/gats/stapelfeldt.html. (6) Und zwar nicht erst seit GATS, Bolognaprozess usw., wie es die in der Linken verbreitete Fordismus-Nostalgie will, gleichwohl festgehalten werden muss, dass insbesondere die Umstellung auf das Bachelor/Master-System einen qualitativen Einschnitt innerhalb dieses Prozess der Liquidation der Bildung darstellt. Exemplarisch dafür die Homepage der Projektgruppe Bildungsstreik 2009: http://bs.risiko09.de/ (7) Es sei denn als Schlüsselqualifikation in einem eigens dafür angebotenen Modul (8) Vgl. Sören Pünjers Text Was ist Kritik der Politik unter: www.conne-island.de/nf/90/12.html (9) Sein Essay Der Mensch ist kein Vermögensgegenstand macht in seiner Stereotypie den Anschein, eigens zum Zweck der Veranschaulichung antisemitischer Kapitalismuskritik verfasst worden zu sein: www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/Norbert-Bluem-Finanzkrise;art141,2634205 (10) Auf der Seite www.forum-kritische-paedagogik.de (!) äußerte sich der Bildungsforscher Georg Lind, es werde durch das unpolitische Verhalten der Studenten der Demokratie das Fundament entzogen. Das darauf stehende politische Gebäude mag noch eine Weile halten, aber die Zeichen der Morschheit sind bereits überall festzustellen (siehe Bankenkrise), und es bedarf wenig Phantasie, was passieren kann, wenn dieses Gebäude einmal eine stärkere Belastung auszuhalten hat. |