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Rassistenzone Sorglosland

Es gibt kein ruhiges Hinterland

In den vergangenen vier Jahren fand in zeitlicher Nähe zum „Internationalen Tag gegen Rassismus“ der so genannte „Antirassistische Sonntagsspaziergang“ statt. In diesem Jahr soll daraus eine kraftvolle Demonstration werden, die die Aktivitäten von Nazis in Wurzen wie auch den rassistischen Alltag in Deutschland ins Visier nimmt.

Naziszene in Wurzen – heute und gestern

Schon seit Anfang der 90er Jahre gibt es in Wurzen eine Neonaziszene, die durch Übergriffe auf MigrantInnen, Andersdenkende und alternativ aussehende Menschen, durch rechte Graffitis, Aufkleber und durch Nazikonzerte im Umland auf sich aufmerksam macht. Dabei steht Wurzen „nur“ beispielhaft für die Verhältnisse im Landkreis Leipzig. Erinnert sei an Colditz, wo im vergangenen Jahr ein wahrlicher Naziterror ausgeübt wurde, Borna, wo die „Gedächtnisstätte“ sich als Zentrum von Holocaustleugnern etabliert oder Koltzschen, wo die „Heimattreue Deutsche Jugend“ 2008 ein Sommerlager durchführte.

In den 1990er Jahren erfuhr Wurzen aufgrund der massiven Nazibedrohung und des Versagens der Politik, dieser zu begegnen, bundesweite Aufmerksamkeit. Wurzen galt als DAS Beispiel für „national befreite Zonen“ in Deutschland.

Mit dem Naziversandhandel „Front Records“ stellt Wurzen auch heute eine wichtige Schaltstelle für Nazistrukturen dar. Das von Thomas Persdorf betriebene Label ist das bundesweit viertgrößte seiner Art. „Front Records“ wartet vorrangig im Internet mit einer breiten Palette von den Nationalsozialismus verherrlichenden, rassistischen und gewaltverherrlichenden Accessoires auf. Persdorf, langjähriger Naziaktivist, ist Organisator diverser Nazimusikveranstaltungen und finanzierte unter anderem die so genannte Schulhof-CD von Freien Kameradschaften, „Anpassung ist Feigheit“, mit. Mit Lifestyle- und Kultur-Angeboten bietet insbesondere „Front Records“ verschiedensten Milieus Möglichkeiten ihre politische Gesinnung und Gewaltaffinität plakativ nach außen darzustellen und hat damit erheblichen Anteil an der Politisierung von Subkulturen.

„Front Records“ & Co waren auch Themenschwerpunkte des Antirassistischen Sonntagsspaziergangs 2008. Während der gesamten antifaschistischen Aktion versuchten ca. 70 Nazis mehrmals die DemonstrantInnen anzugreifen. Vor Ort war auch der die Demonstration abfotografierende NPD-Stadtrat, Wolfgang Schroth. Die Polizei war mit 44 Beamten deutlich in der Unterzahl. Einige WurznerInnen hatten zudem nichts Besseres im Sinne als die Antifaschist_innen zu beschimpfen.


Doch nicht nur die organisierte Naziszene hat sich in der Stadt gefestigt. Ihre weitestgehend unwidersprochene Etablierung war eng mit Desinteresse und Ignoranz der Stadtgesellschaft verknüpft. Auch heute ergreift ein nicht unbeträchtlicher Teil der WurzenerInnen ganz bewusst Partei für rechte Einstellungen. Zu den Kommunalwahlen 1999 konnte die NPD mit 5.1 % in den Stadtrat von Wurzen einziehen. 2004 maximierte sie ihren Stimmanteil auf 11.8 %. Derzeit sitzen drei NPD`ler unter dem Vorsitz von Wolfgang Schroth im Stadtparlament.

Rassismuszone – Sorglosland

Die NPD formuliert mit ihren Forderungen nach einem „Deutschland für Deutsche“ das, was in weiten Teilen der Bevölkerung gedacht wird. Umfragen und Studien belegen immer wieder, dass rassistische Einstellungen unter den Deutschen weit verbreitet sind. Die tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Überhöhung der eigenen Nation und die Vorstellung, dass Menschenrechte sich aus der blutsmäßigen Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft ergeben, sind die Vorbedingung dieses „normal“-rassistischen Denkens. Neonazis setzen diese Ideologie gewalttätig in die Tat um – fast jeden Tag wird in Deutschland ein Mensch Opfer rechter Gewalt, während der Rest „nur“ am Stammtisch hetzt und der Staat per Gesetz handfeste Realitäten schafft. So basiert das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht in Grundzügen immer noch auf dem blutsmäßigen Abstammungsprinzip. Hohe Hürden machen Zuwanderung de facto unmöglich. Nichtmal jedeR Hundertste der AntragstellerInnen in Deutschland bekommt Asyl bewilligt.
Nur wer vor deutschen Behörden nachweisen kann, dass er vom Herkunftsstaat verfolgt wurde, bekommt Asyl. Aber auch nur dann, wenn der oder die Betroffene nicht über einen „sicheren Drittstaat“ wie die EU-Staaten eingereist ist.
Tausende von AsylbewerberInnen leben in Deutschland unter menschenunwürdigen Bedingungen – ohne Arbeitsgenehmigung, eingesperrt in heruntergekommenen Wohnheimen, eingeengt durch die so genannte „Residenzpflicht“ – tagtäglich von Abschiebung bedroht. Befördert wird in Deutschland lediglich die Einwanderung sehr gut ausgebildeter Fachkräfte. Der Widerstand gegen die rassistischen Zustände muss vor diesem Hintergrund über humanistische Forderungen nach menschenwürdigen Lebensbedingungen hinausgehen. Migration ist oft Folge kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse, beispielsweise als Flucht vor Armut; MigrantInnen sind andererseits wieder Objekte kapitalistischer Ausbeutung. Sie werden im kapitalistischen Interesse dem Verwertungsprozess zugeführt oder aber durch tödliche Grenzanlagen abgewehrt. Staatlicher Rassismus bleibt in diesem Sinne ein Phänomen des Kapitalismus. Dies unterscheidet ihn vom völkischen deutschen Rassismus.
Das Ziel muss es darum sein, jene kapitalistischen Zustände abzuschaffen, die diesen Rassismus hervorbringen.

Wir sind nicht bereit, diese Verhältnisse in Wurzen und anderswo länger hinzunehmen. Wir werden die Nazistrukturen und den rassistischen Konsens überall aufdecken und mit allen Mitteln bekämpfen.

In diesem Sinne rufen wir für den 22.3.09 nach Wurzen auf: den Nazis das Hinterland versauern, „Front Records“ & Co eine klare Absage erteilen und dem Klima von Ignoranz und Schweigen entgegentreten!

Antira-Sonntagsspaziergangs-Crew

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last modified: 20.2.2009