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Strafe statt Sühne...
Zur Stomper 98-Diskussion.

(Dieser Text spiegelt die Meinung einer Einzelperson wider, welche weder im Conne Island-Plenum noch der Redaktion des Newsflyers sitzt.)

Da ging es ja mal wieder heiß her im und ums Conne Island. Wenn ihr diesen Text in den Händen haltet, wird das Konzert mit Stomper 98 und den Templars stattgefunden haben und außer den üblichen kleinen Reibereien dürfte es zu keinen nennenswerten Vorfällen gekommen sein, da semiprofessionelle Schläger eh lieber die Benefizdisco, den Studentenkeller oder andere Etablissements in unserer schönen Innenstadt besuchen. Die paar nicht erkennbaren Nazis im Saal dürften sich kurz über einige klare Ansagen in ihre Richtung geärgert, gleichzeitig aber, aufgrund ihrer genialen Skinhead- oder Sportlertarnung, sich ein Loch in den Bauch gefreut haben, dass sie so unbehelligt einen schönen Abend im „Bolschewistenkeller“ verbringen können. Ein paar von den eher rechtsoffenen Anwesenden denken vielleicht einmal kurz nach, weshalb einige der von ihnen geschätzten Bands sich klar gegen Rassismus und Faschismus aussprechen und der Rest feiert einfach nur eine Party. Genau wie bei Hardcore- oder Metalkonzerten, nur mit weniger Haaren und ohne Basecaps.
So einfach könnte es sein, gäbe es da nicht jene Unermüdlichen, die dafür Sorge tragen, dass die weniger politisch Interessierten nicht mit dubiosem grauzonalen bis rechten Gedankengut konfrontiert werden, und die stets bemüht sind, jenen Bands, die ihre vermeintlich weltoffenen, toleranten und humanistischen Ideale nicht so ganz teilen wollen, das Leben schwer zu machen. Nun könnte man, gerade aus einer linken Perspektive, meinen, dies wäre so schon in Ordnung, dabei verkennt man jedoch die repressive Qualität des eigenen Handelns, diesen „McCarthyism“ von links. Anhand von Fotos, Interviewauszügen und etlichen dubiosen Quellen wird das Bild einer wahlweise rechten, rechtsoffenen, sexistischen, menschenverachtenden etc. Gruppe konstruiert, ohne die Betreffenden in der Regel zu Wort kommen zu lassen. Hier darf man dem Plenum des Conne Islands das gewählte Verfahren der Auseinandersetzung hoch anrechnen, nämlich das Anhören und Ernstnehmen aktueller Äußerungen der Band zu ihren heutigen Standpunkten und ihrem spezifischen subkulturellen Kontext, der eben auch ein historischer ist, mit allen Irrungen und Wirrungen, die dazu gehören. Eine Band, die sich klar gegen Faschismus und Rassismus ausspricht, ist eben genau das: eine Band die sich klar gegen Faschismus und Rassismus ausspricht – und wohl kaum eine Gruppe besonders rückgratloser oder gewitzter Nazis, die ihren musikalischen Fuß in linke Projekte bekommen will.
Es ist erstaunlich, wie viel Energie in die Denunziation vermeintlich rechter oder irgendwie politisch nicht korrekter Bands gesteckt wird, obwohl selbst der langjährige politische Aktivist von rechts-außen weiß, dass aus dem subkulturellen Sumpf so gut wie nie Kameraden mit seinem Durchhaltevermögen und Engagement erwachsen. Jedes noch so lächerliche Gerücht und jede, sicherlich oft tatsächlich zweifelhafte, private Anekdote muss als Zeuge herhalten, um dem Schrei nach Strafe durch Auftrittsverbot und Boykott Gewicht zu verleihen. Eine „Resozialisierung“ wird ausgeschlossen und die Band soll auf ewig das Kainsmal des Faschismus tragen. Ausschließen und wegsperren…
Beliebt sind, gerade im Bereich des Black Metal, nicht zuletzt die Hinweise auf Labelkollegen. Als würden die meisten Musiker sich ernsthaft informieren, mit wem sie den Geldgeber teilen.(1)
Was will und sollte man von Leuten einfordern, die froh, sind die Produktion und Distribution ihrer Musik nicht selber bezahlen zu müssen?
Eine klare Absage an Rassismus und Faschismus als Mindestmaß gesunden Menschenverstandes, mehr sollte man nicht erwarten. Wenn jedoch selbst noch nach diesem eingeforderten und schließlich auch erfüllten Bekenntnis die Denunziation nicht abreißt, so sollte man sich nicht wundern, wenn man nicht nur als Spielverderber, sondern auch als diktatorisches Arschloch angesehen wird.
Die Frage, die sich stellen müsste, wäre jene nach der Berechtigung von Zensur und wie weit diese gehen sollte. Bei rechtsradikalen Inhalten verstehen der Rechtsstaat und die Antifa keinen Spaß und das ist auch gut so, bei den etlichen anderen reaktionären Äußerungen sieht die Sache jedoch anders aus. Wie weit sollte die erzieherische und damit eben auch repressive Funktion einer wie auch immer zusammengesetzten „Kulturpolizei“ gehen? Und an welchen Punkten überführt sie sich selbst der Doppelmoral und wirkt dadurch lächerlich, wenn nicht sogar verlogen? Der Staat geht im Bezug auf Antifaschismus manchmal sogar weiter als die Linke; Lemmy (Motörhead) hat eine Anzeige am Hals wegen dem Tragen verfassungsfeindlicher Kennzeichen.(2) Er ließ sich auf einem deutschen Festival (Wacken) mit SS-Mütze und SS-Dolch ablichten.

Motörhead würde natürlich niemand jemals in die Nähe von Nazis rücken, zumindest ist mir keine derartige Anschuldigung bekannt, obwohl das Tragen dieser Devotionalien in meinen Augen schwerer wiegt als die Vorwürfe gegen Stomper 98. But it’s just Lemmy, he’s crazy, eh? Im Gegenzug pöbeln Linke gern auch langhaarige Träger eines Thorhammers an, die meistens nichts sind als durchschnittliche Metalfans oder spinnerte Neoheiden.(3) Beides macht sie jedoch nicht zu Neonazis. Ebenso wenig sind alle Träger eines rage against the machine- oder Che Guevara-Shirts antiimperialistische Sozialisten. Ein gutes Stück demokratischen und somit auch toleranten Selbstverständnisses würde der Linken hier gut zu Gesicht stehen. Es muss eben auch Platz sein für die Bekloppten, für die krampfhaft nach einer Identität jenseits linker Zusammenhänge suchenden vereinsamten Individuen, die so gar nicht linkskulturellen Klischees entsprechen wollen, für Raver, Popper, Fußballfans, Metalheads etc. Die gern gestellte Gesinnungsfrage dient letztlich nur der Versicherung, man könne irgendwie auf historische Prozesse einwirken, indem man wenigstens auf kultureller Ebene die eigene Vorherrschaft behauptet. Die äußere Feindbestimmung vereinfacht nicht zuletzt auch das Ausblenden eigener fragwürdiger Positionen und die theoretische Beschäftigung mit Inhalten jenseits von Subkultur und Musik, die man in der Regel eben Musikern und keinen Gesellschaftskritikern überlassen sollte. Diese Fokussierung auf Subkultur als Transportmittel von fragwürdigen Inhalten – und somit auch als Arbeitsfläche für die Zensoren – spricht Bände über ihr Verständnis von Kultur und die Eingeschränktheit ihrer Beschäftigung damit. Literatur, bildende Kunst, Film etc. stellen bis auf wenige Ausnahmen anscheinend kein Problem dar, hier wird der Akt der Skandalisierung oder der einer Verbotsforderung nur selten wahrgenommen. Man stelle sich einmal vor, die eifrige Zensurmaschine von links würde Leute wie Hemingway, Miller oder Bukowski bewerten und über die Veröffentlichung ihrer Werke entscheiden dürfen. Zwischen dem typischen chick flick aus Hollywood und europäischem Kunstkino (ohne Sperma und mit wenig Blut selbstverständlich) dürfte dann auch wenig Platz für anderes Erlaubtes im Kinosaal bleiben. Als Beispiel seien hier nur die Ausschreitungen (welche von Kommunisten ausgingen) während der Premiere von „Un chien andalou“ in Frankreich erwähnt.
Fernab von den Nazivorwürfen existiert auch noch ein ganzer Katalog voll mit anderen. Beliebt ist hier vor allem der des Sexismus. Das große Problem ist hierbei die Definition, was dieser Begriff eigentlich umfasst. Darf man noch Joy Division hören, obwohl man weiß – spätestens seit Control –, was für ein patriarchales Arschloch Ian Curtis war? Welche Reggaesongs dürfen überhaupt in der Disco gespielt werden? Sind KIZ noch witzig oder schon nicht mehr zumutbar? Darf man überhaupt fernab von Romantisierung über Sex singen? Hier gelangt man an einen Punkt, an dem man bis zu einem gewissen Grad klar trennen sollte zwischen dem musikalischen Produkt und den Personen, welche dahinter stehen, und der Rezeption durch die Hörer. Nicht jeder Jugendliche, der Bushido hört, behandelt Frauen automatisch wie Dreck und der ehemalige Cannibal Corpse-Sänger Chris Barnes wird kaum losziehen und Frauen mit einem Messer vergewaltigen, ebenso wenig wie ihre Fans. Menschen die sich so verhalten, benötigen keine popkulturelle Anleitung. Die Geschichte war blutiger und frauenfeindlicher, als es Bushido und CC noch nicht gab; die Täter sind Produkte ihres Elternhauses und des gesellschaftlichen Umfeldes sowie ihrer eigenen Entscheidungen. Und am Ende haben sie als Individuen auch die Verantwortung für ihre Taten zu tragen. Wir leben in einer Gesellschaft, die dazu tendiert Verantwortliche zu suchen, um die Verantwortung abstreifen zu können und Gräueltaten zu rationalisieren. Dies gaukelt eine Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen in Situationen vor, wo eben eine Wahl existiert. Aktuell kann man das wunderbar an den verbrämten Aktionären betrachten. Ein Glückspieler dürfte in den seltensten Fällen dem Casino die Schuld für seinen Verlust geben, der Aktionär jedoch demonstriert und fühlt sich um seinen Einsatz betrogen.
Aber sollte man generell Leute in ihren Hör- oder auch Lesegewohnheiten bevormunden, solange sie nicht gewisse Grenzen überschreiten? Wo verlaufen diese Grenzen und wer sollte sie festlegen?
Der Schrei nach dem Verbot ist immer auch die Flucht vor der Auseinandersetzung, es wird wahrgenommen als Eingestehen der Schwäche des eigenen Arguments. So erscheint auch der Wunsch nach dem Verbot von Inhalten, die das Töten von „Kinderschändern“ fordern, als Einknicken vor der Auseinandersetzung. Die Begründung, dies wäre inhuman, menschenfeindlich und reaktionär, wirkt außerhalb linker Zusammenhänge dubios, wenn sie aus dem Mund von Leuten kommt, die das Flächenbombardement deutscher Städte während des Zweiten Weltkriegs bejubeln. Es sind eben diese Vereinfachungen und Einteilungen der Welt in Schwarz und Weiß, Böse und Gut, die von außen als bevormundend und autoritär wahrgenommen werden. Sie spiegeln auch, gerade in diesem Zusammenhang, in keinster Weise eine linkskulturelle Szene als Gesamtes wieder.(4)
Schnell kann man in der Welt der Stefanie Hertel landen, welche in einem ihrer bekannteren Songs ein hübsches Haus bauen und dann keinen mehr reinlassen wollte. Doch man kann die Welt vor der, so gut es eben geht, gesicherten Tür nicht einfach mit Verboten wegrationalisieren. All die bösen Inhalte existieren eben immer noch und bedürfen zu ihrer Umsetzung oder Existenz nicht irgendwelche „Künstler“, die Leute werden nicht erst blöde gemacht, sie sind es ja sowieso schon. Anstatt auf Bildung und konstruktive Auseinandersetzung, setzt man leider zu oft auf Platzverweis und Knüppel. Und dass beides eher weniger effektiv ist, wenn man junge Menschen überzeugen will, sollten gerade die wissen, welche mit linkem Argusauge über ihre heiligen subkulturellen Ställe wachen.
Man darf die Forderung nach einem Verbot eben nicht auf Gerüchte und Plattitüden stützen, sondern muss der Spezifik des Gegenstandes gerecht werden. Und das heißt auch, den Beschuldigten die Möglichkeit der Äußerung zu den an sie gerichteten Vorwürfen einzuräumen. Das Conne Island hat einen riesigen Schritt in die richtige Richtung getan…hoffentlich macht das Schule.

Schlaubi

P.S.:
„Wenn du jeden Tag irgendwelchem Leistungsdruck ausgesetzt bist, dann ist das eine ganz normale Reaktion. Manche Leute saufen halt und andere schmeißen sich halt irgendwas rein.“
(Torsun, Egotronic, Ox-Fanzine 76)

Da hat er völlig Recht. Und die einen versammeln sich halt auf dem Marktplatz, malen sich an wie Kleinkinder und gucken Deutschlandspiele, während andere zu den politisch korrekten blau-weißen Scootern von Egotronic abhotten und in Israel Urlaub machen oder mit ihren Skinheadfreunden Bierlieder grölen. Wir sind alle nur Opfer…und feiern einfach eine Party.

Fußnoten

(1) Gerüchten zufolge arbeiten ja selbst aktive Antifaschisten bei Großveranstaltungen mit mindestens rechtsoffenen Personen für denselben Arbeitgeber oder stehen bei Fußballspielen auf derselben Seite mit jenen.

(2) Er ließ sich auf einem deutschen Festival (Wacken) mit SS-Mütze und SS-Dolch ablichten.

(3) Über die Probleme, die man aufgrund eines älteren Burzumshirts oder Patches bekommt, will ich hier gar nicht schreiben. Auch hier gibt es nun mal einen oft ausgeblendeten spezifischen subkulturellen Kontext, der das völlig unpolitische, auch wenn der Protagonist dies heute gerne anders erzählt, und für die Szene ungemein wichtige Frühwerk des Projektes nicht auf dem Schirm hat.

(4) Wer das nicht glauben mag, dem empfehle ich mal an einem Tresen eines „linken“ Trinklokals seiner Wahl besagtes Thema beiläufig anzusprechen. Euch werden die Ohren schlackern…


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last modified: 25.11.2008